Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.11.1991, Az.: 4 L 1972/91
Asylgewährung; Verfolgter; Schutzbereites Land; Längerer Aufenthalt; Asylbewerber; Inländische Fluchtalternative; Objektive Maßstäbe; Rückkehr; Heimatland
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.11.1991
- Aktenzeichen
- 4 L 1972/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 13164
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1991:1127.4L1972.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover 13.02.1991 - 7 A 50/90
- nachfolgend
- BVerwG - 19.01.1993 - AZ: BVerwG 9 C 8.92
Rechtsgrundlagen
- Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG
- § 1 AsylVfG
- § 2 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
1. Asyl ist auch dem Verfolgten zu gewähren, der, obwohl verfolgt, sich nicht wegen der Verfolgung in ein schutzbereites Land begeben und sich dort längere Zeit aufgehalten hat.
2. Ein Asylbewerber darf auf eine "inländische Fluchtalternative", die nach objektiven Maßstäben nicht besteht, auch dann nicht verwiesen werden, wenn er bereit ist, diese Alternative durch vorübergehende Rückkehr in sein Heimatland zu wählen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 13. Februar 1991 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,-- DM abwenden, wenn nicht der Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Den im Februar 1962 geborenen Beigeladenen, der in Afghanistan ein Medizinstudium absolviert hat, verhafteten im Herbst 1986 Beamte des afghanischen Geheimdienstes Khad. Dem Beigeladenen wurde nach seinen Angaben vorgeworfen, er habe Mudjaheddin betreut, von ihm sei auch verlangt worden, er solle seinen Bruder, der Kommandant einer Gruppe von Mudjaheddin der Jamiat-e-Islami ist, dazu bewegen, sich den Truppen der afghanischen Regierung zu ergeben. Im April 1987 wurde der Beigeladene freigelassen. Er schloß sich der Guerilla-Gruppe seines Bruders an, die er medizinisch betreute. Im Sommer 1988 begab er sich im Auftrage der Mudjaheddin in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet. Er sollte versuchen, eine ambulante medizinische Versorgung für die Mudjaheddin der Jamiat-e-Islami aufzubauen.
In dem pakistanischen Ort Peshawar erfuhr der Beigeladene, daß sich seine Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt (sie war im Februar 1987 mit zwei Kindern aus Afghanistan ausgereist und im März 1987 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo sie ihr drittes Kind geboren hatte; sie und ihre Kinder haben um Asyl nachgesucht und verfolgen nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten ihr Begehren vor dem Verwaltungsgericht, das über die Klagen noch nicht entschieden hat, weiter).
Nach einem Ferngespräch mit seiner Frau entschloß sich der Beigeladene, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Etwa einen Monat nach dem Ferngespräch verließ der Beigeladene Pakistan und reiste am 30. September 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein; an diesem Tage suchte er um Asyl nach.
Die Beklagte erkannte ihn mit Bescheid vom 2. November 1989 als Asylberechtigten an. Die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Februar 1991 abgewiesen.
Dazu hat es ausgeführt: Der Beigeladene sei im Herbst 1986 in Afghanistan aus politischen Gründen inhaftiert worden. Er sei mithin politisch verfolgt worden, und ihm sei deshalb der Nachweis zu erleichtern, daß die Gefahr abermals einsetzender Verfolgung bstehe, wenn er zurückkehre. Eine Wiederholung der Verfolgung sei in seinem Heimatland nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe der Beigeladene seine Flucht nicht in Pakistan beendet, obwohl er dort vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der Beigeladene habe nämlich den Entschluß, zu fliehen, erst gefaßt, nachdem er von dem Aufenthalt seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland erfahren habe. Auf die "inländische Fluchtalternative" könne der Beigeladene nicht verwiesen werden, weil er in den nicht von der Regierung Afghanistans kontrollierten Gebieten in eine ausweglose Lage geraten müsse. Das gelte auch, obwohl sich der Beigeladene bereit erklärt habe, als anerkannter Asylberechtigter mit einem fremden Paß als Angestellter des Vereins für Afghanische Flüchtlingshilfe nach Pakistan und notfalls auch nach Afghanistan zurückzukehren. Die Berufung sei zuzulassen, weil es bisher höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob ein Asylbewerber auf eine Fluchtalternative in seinem Heimatstaat verwiesen werden könne, die nach objektiven Maßstäben nicht bestehe, die er aber für vorübergehende Zeit in Kauf zu nehmen bereit sei.
Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend: Der Beigeladene habe seine Flucht in Pakistan beendet, weil es nur darauf ankomme, ob er dort objektiv vor Verfolgung sicher gewesen sei. Auch sei ein von der afghanischen Regierung Verfolgter in allen "befreiten" Gebieten Afghanistans vor Verfolgung sicher und könne dort auch eine ausreichende Lebensgrundlage finden.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 2. November 1989 aufzuheben.
Die Beklagte stellt keinen Antrag und äußert sich nicht zur Sache.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte einschließlich der Niederschrift über die Anhörung des Beigeladenen vor dem Verwaltungsgericht sowie auf die beigezogenen Akten (nebst Verwaltungsvorgängen) des Verwaltungsgerichts Hannover 7 A 10/90 und 7 A 218/90 und die vom Senat ausgewerteten Erkenntnismittel (siehe dazu: Verfügung vom 28. Oktober 1991) einschließlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. Oktober 1991 und des Berichts der "Zeit" vom 15. November 1991 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht entschieden, der Beigeladene müsse als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz - GG - anerkannt werden. Wie alle an dem Verfahren Beteiligten - zu Recht - nicht bezweifeln, hat der Beigeladene in Afghanistan politische Verfolgung erlitten, war bei Verlassen des Landes von Verfolgung bedroht und muß auch künftig mit politischer Verfolgung durch afghanische Behörden für den Fall rechnen, daß diese seiner habhaft werden. Alles dieses hat das Verwaltungsgericht sorgfältig dargelegt. Der Senat verweist insoweit auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 130 b VwGO) und wiederholt deshalb diese Überlegungen nicht.
§ 2 AsylVfG hindert die Anerkennung des Beigeladenen nicht (auf diese Frage ist einzugehen, weil der Beigeladene nicht nachgewiesen hat, er habe sich weniger als drei Monate in Pakistan aufgehalten, etwa weil er ständig im Grenzgebiet über die Grenze gewechselt sei). Die Vorschrift lautet:
"(1) Ein Ausländer, der bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war, wird nicht als Asylberechtigter anerkannt.
(2) Hat sich ein Ausländer in einem Staat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes länger als drei Monate aufgehalten, so wird vermutet, daß er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, daß seine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war."
Das Grundrecht auf Asyl soll politisch Verfolgten Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen des Heimatstaates verschaffen. Die Schutzlosigkeit des Asylbewerbers ist deshalb Voraussetzung des Anspruchs aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, mag dieses Merkmal auch im Tatbestand der "lapidar formulierten" (BVerfG, Beschl. v. 26. 11. 1986 - 2 BvR 1058/85, -, BVerfGE 74, 51) Verfassungsnorm nicht unmittelbar Ausdruck gefunden haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. zuletzt: Urt. v. 28. 5. 1991 - BVerwG 9 C 6.91 -, DVBl 1991, 1081) besteht der Anspruch aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG dann nicht, wenn die Schutzbedürftigkeit des Flüchtlings anderweitig behoben worden ist. Diese durch das zusätzliche Merkmal der Schutzlosigkeit im Tatbestand der Verfassungsnorm bewirkte Beschränkung des Kreises der nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG Anspruchsberechtigten auf diejenigen politisch Verfolgten, die nicht bereits anderweitig Schutz erlangt haben, ist auf der Ebene des einfachen Rechtes durch die Regelung des § 2 Abs. 1 AsylVfG klarstellend und konkretisierend sowie generalisierend und pauschalierend aufgegriffen worden.
§ 2 AsylVfG kann nur eingreifen, wenn der Verfolgte in einem anderen Staat Schutz gefunden hat und der Aufnahmestaat ihn gerade wegen seiner Verfolgteneigenschaft aufgenommen hat (Urteil des VGH Bad.-Württ. vom 17. 1. 1983 - A 135292/87 -, DVBl 1973, 755[BGH 18.12.1972 - III ZR 121/70] m. Anm. von Baumüller). Damit erfaßt § 2 AsylVfG nicht die Gruppe von Verfolgten, die sich nicht wegen ihrer Verfolgung in einen anderen Staat begeben und dort aufgehalten haben.
Dieser Überlegung stehen nicht die Motive entgegen, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, § 2 AsylVfG zu ändern. Aus der geänderten Fassung hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 24. 3. 1987 - BVerwG 9 C 47.85 -, Buchholz 402.25 Nr. 6 zu § 2 AsylVfG) geschlossen, die Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat setze nach § 2 AsylVfG nicht mehr ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken zwischen Flüchtling und Aufnahmestaat voraus; es genüge, wenn der Flüchtling in dem Staat objektiv vor politischer Verfolgung sicher gewesen sei. Allerdings stelle sich nicht die Frage, ob § 2 AsylVfG anzuwenden sei, wenn ein objektiv sicheres Drittland von dem Verfolgten nur als Fluchtweg benutzt worden sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1987 - BVerwG 9 C 285.86 -, Buchholz 402.25 Nr. 7 zu § 14 AsylVfG). Auch das spricht dafür, daß der Verfolgte sich wegen dieser Eigenschaft in ein anderes Land begeben haben und dort Schutz gefunden haben muß. Nur in diesem Zusammenhang verlangt Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, daß der Verfolgte an den Drittstaat ein Schutzersuchen gerichtet haben muß oder ihm der Schutz jedenfalls von Amts wegen wegen seiner Eigenschaft als Verfolgter gewährt worden ist (vgl. Rühman, Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, Februar 1990, Anm. 72 ff. zu § 2). Insoweit bleibt es auch bei der Neufassung des § 2 AsylVfG dabei, daß ein "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken" zwischen dem Flüchtling einerseits und den Behörden des Aufnahmestaates andererseits stattgefunden haben muß. Allerdings verkennt Rühman (aaO), daß diese Auffassung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht entgegensteht, weil das Bundesverwaltungsgericht zu der hier zu betrachtenden Fallgruppe nicht Stellung genommen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 5. 6. 1984 - BVerwG 9 C 88.83 -, Buchholz 402.25 Nr. 1 zu § 2 AsylVfG) hat (zu § 2 AsylVfG a.F.) hat vielmehr auf folgendes hingewiesen: Ein politisch Verfolgter habe so lange Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, wie er des mit ihr bezweckten Schutzes bedürfe. Das sei u.a. dann nicht mehr der Fall, wenn er diesen Schutz bereits in einem anderen Staat gefunden habe. Dafür sei die erste Voraussetzung, daß der Verfolgte ihn dort gesucht habe. Er sei, wenn mehrere Zufluchtstaaten in Betracht kämen, nicht gehalten, sich für einen bestimmten, etwa den nächstgelegenen oder einen zu seiner Aufnahme erklärtermaßen bereiten zu entscheiden. Vielmehr sei er in der Auswahl des Landes, das er nach Verlassen des Verfolgerstaates zuerst aufsuche, ebenso frei in der Wahl des endgültigen Fluchtlandes. Es komme nicht darauf an, ob er schon zuvor in einem Durchreiseland asylrechtlichen Schutz hätte finden können.
An diesen Maßstäben hat die Neufassung des § 2 AsylVfG nichts geändert. Wie bereits erwähnt, wollte der Gesetzgeber mit dieser Neufassung lediglich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegenwirken, wonach es auf ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken zwischen Flüchtling und Aufnahmestaat ankomme.
Auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Juli 1985 (BVerwG 9 C 58.84, Buchholz 402.25 Nr. 35 zu § 1 AsylVfG) steht dieser Auslegung des § 2 AsylVfG nicht entgegen. Dort findet sich die Wendung, § 2 AsylVfG (noch in der alten Fassung) setze für die Annahme anderweitigen Verfolgungsschutzes keine zeitliche Reihenfolge in dem Sinne voraus, daß die Einreise in den Drittstaat erst nach einer einzusetzenden Verfolgung stattfinde. Ebenso wie ein in der Bundesrepublik bereits seit langem ansässiger Ausländer Asyl verlangen könne, wenn und sobald für ihn bei Rückkehr in seinen Heimatstaat die Gefahr politischer Verfolgung entstanden sei, könne sich ein Ausländer auch in einem Drittstaat ursprünglich aus anderen Gründen niedergelassen und erst zu einem späteren Zeitpunkt Schutz vor Verfolgung gefunden haben.
Auch diese Überlegung setzt voraus, daß dem Verfolgten wegen dieser Eigenschaft in dem anderen Staat Schutz gewährt worden ist. Solange es hieran fehlt, greift § 2 AsylVfG nicht ein.
Der Senat teilt deshalb auch nicht die Auffassung des früher zuständig gewesenen 21. Senats (18. März 1988 - 21 OVG A 594/87 -), § 2 AsylVfG sei mit dem Bundesverwaltungsgericht dahin zu verstehen, es komme nicht darauf an, aus welchem Grund der Asylbewerber sich in dem anderen Staate aufgehalten habe, wenn er dort Verfolgungsschutz hätte erlangen können.
Das Vorbringen des Beigeladenen, das der Senat mit dem Verwaltungsgericht für glaubhaft hält, ist dahin zu verstehen, daß er in Pakistan Schutz vor politischer Verfolgung nicht erlangt hat. Er hat sich dort lediglich aufgehalten, um in Afghanistan die medizinische Versorgung zu sichern. Mit dem Aufenthalt in Pakistan bezweckte er nicht, Schutz vor politischer Verfolgung zu erhalten, sondern die Guerilla-Gruppe, der er angehörte, durch medizinische Hilfe weiterhin in Afghanistan zu unterstützen.
Dem Beigeladenen kann der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, es sei ihm zuzumuten, nach Afghanistan zurückzukehren, weil für ihn dort eine sog. "inländische" Fluchtalternative bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30. 4. 1991 - BVerwG 9 C 105.90 -, Buchholz 402.25 Nr. 145 zu § 1 AsylVfG) hat offengelassen, ob für einen politisch Verfolgten gegenwärtig in Afghanistan in den "befreiten" Gebieten eine solche Alternative besteht. Das Bundesverfassungsgericht stellt in individualisierender Betrachtungsweise auf einen Vergleich der Lebensumstände am früheren Wohnort und den in Betracht kommenden Ort der inländischen Fluchtalternative ab (BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989 - 2 BvR 502, 1000, 361/86 -, BVerfGE 80, 315, 343 f.; BVerfG, Beschl. v. 22. 3. 1991 - 2 BvR 1025/90). Der von regionaler politischer Verfolgung Betroffene wird gerade nicht darauf verwiesen, sich infolge seiner Flucht vor der politischen Verfolgung erstmals andersgearteten, aber doch gleichgewichtigen Beeinträchtigungen auszusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (aaO) kommt es darauf an, ob der Asylsuchende bei generalisierender Betrachtung am Ort der inländischen Fluchtalternative auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt, d.h. mit anderen Worten, die Prognose führt nur dann zu einer verständigen Würdigung der gesamten Umstände des Falles, wenn auch die zukünftige Entwicklung "des persönlichen Umfeldes des Flüchtlings in Blick genommen wird" (BVerwG, Urt. v. 6. 3. 1990, - BVerwG 9 C 14.89 -, Buchholz 402.25 Nr. 123 zu § 1 AsylVfG).
Zum Erfordernis der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung läßt sich feststellen, daß es in Afghanistan sog. "befreite" Gebiete gibt, die dem Einfluß der afghanischen Regierung entzogen sind, die im allgemeinen nur die Hauptstadt Kabul und die größeren Provinzstädte (insgesamt weniger als 20 v.H. des Staatsgebietes) kontrolliert. Der Senat legt deshalb für seine weiteren Überlegungen zugrunde (ohne daß diesen Überlegungen im einzelnen weiter nachgegangen werden muß, weil sie nicht entscheidungserheblich sind), daß auch künftig ein großer Teil des bewohnbaren Staatsgebietes Afghanistans dem Zugriff der Regierung mit Sicherheit entzogen bleibt, so daß sich in diesen Landesteilen staatliche Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausschließen lassen. Damit ist die erste Voraussetzung für eine "inländische Fluchtalternative", nämlich die Verfolgungsfreiheit durch staatliche Organe am Alternativort gegeben.
Die zweite Frage, ob dem Beigeladenen in den befreiten Gebieten auch ein wirtschaftliches Existenzminimum - als zweite Voraussetzung für das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative - gewährleistet ist, ist zu verneinen. Vielmehr ist anzunehmen, daß der Beigeladene am Ort der inländischen Fluchtalternative auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt. In den der Herrschaft der Regierung Afghanistans entzogenen Gebieten hat - wenn auch unterschiedlich je nach Interesse und Willen der örtlichen bzw. überörtlichen Kommandanturen des Widerstandes - der Aufbau einer regionalen Infrastruktur begonnen, die einen gewissen Schutz und letztlich auch ein Existenzminimum gewährleisten können (vgl. BayVGH, Urt. v. 19. 4. 1991 - 24 BZ 30302 -). Diese Voraussetzungen werden aber nicht jedermann und ohne weitere Vorbedingungen gewährt. So hat das Auswärtige Amt wiederholt - z.B. unter dem 1. Januar 1990 und dem 13. Juli 1990 (diese Auskünfte gelten nach den neuesten Mitteilungen uneingeschränkt fort) geäußert, eine Existenzmöglichkeit der aus der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrenden Afghanen in die vom Widerstand beherrschten Regionen hänge im wesentlichen "vom Gleichklang" ab, der zwischen ihnen und der im betreffenden Gebiet herrschenden Widerstandsgruppierung hinsichtlich politischer Überzeugung, Religions- und Stammeszugehörigkeit bestehe. Ohne diesen Gleichklang sei mit der Verfolgung durch die Mudjaheddin zu rechnen. Ferner ist zu bedenken, daß nur etwa 12 vom Hundert des Gesamtterritoriums Afghanistans landwirtschaftlich genutzt werden, wobei die Lage der Bevölkerung ausweislich der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse angesichts verminter Felder, zerstörter Häuser und Bewässerungs- sowie Wassergewinnungsanlagen, der verminderten Viehbestände und des allgemeinen Mangels an landwirtschaftlichem Gerät und Transportmitteln ohnehin schwierig ist. Zu diesen Widrigkeiten hinzu kommen noch die Folgen der anhaltenden Bürgerkriegssituation. Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes (1. Januar 1989) sind nur wenige Gebiete im eigentlichen Wortsinn "befriedet". Unter dem 11. Januar 1991 hat das Auswärtige Amt ferner mitgeteilt, "derzeit" fänden Kampfhandlungen nicht statt. Es herrsche jedoch weiterhin Bürgerkrieg, und von keiner Region könne mit Sicherheit angenommen werden, daß die Bevölkerung dort auf Dauer von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont bleibe. Diese Einschätzung wird anhand der zum Verfahren beigezogenen Presseberichte bestätigt, die schildern, daß das Vorgehen der Mudjaheddin unberechenbar sei und es jederzeit zu neuen Kämpfen mit entsprechenden Reaktionen der Regierung Afghanistans kommen könne. In den vom Widerstand beherrschten Gebieten besteht der Beurteilung des Auswärtigen Amtes zufolge zudem die Gefahr, daß die Bevölkerung in die Kämpfe zwischen den Regierungsstreitkräften und den Widerstandsorganisationen verwickelt wird (Auswärtiges Amt v. 6. März 1990) und daß die Zivilbevölkerung in die Auseinandersetzungen zwischen die unterschiedlichen Widerstandsgruppierungen untereinander gerät. Diese Gefahren bestehen angesichts des Fortgangs des Bürgerkriegs auf unabsehbare Zeit weiter.
Solchen Auswirkungen der mit militärischen Mitteln ausgetragenen Auseinandersetzung ist allerdings ein aus Kabul stammender Asylbewerber auch in seiner Heimatstadt unterworfen. Der Asylbewerber braucht sich aber nicht darauf verweisen zu lassen, daß er in von der Regierung nicht kontrollierten Gebieten seines Heimatstaates andersartigen, jedoch gleichgewichtigen Beeinträchtigungen - hier im Sinne einer Gefährdung von Leib und Leben - nunmehr durch die von den Regierungstruppen ausgehenden Aktionen und den Reaktionen der Bürgerkriegsparteien ausgesetzt ist. Nichts anderes gilt letztlich hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen geschützter Rechtsgüter als Folge der Kämpfe zwischen Widerstandsgruppen (vgl. AA, Auskunft v. 22. Januar 1991). Unter Hinweis auf die letztlich weiterhin ungewisse innenpolitische Lage hat sich das Auswärtige Amt wiederholt (Berichte v. 11. Januar 1990, 22. Januar 1991 und 16. Oktober 1991) dahin geäußert, daß es ihm nicht möglich sei, allgemeine Prognosen über das Schicksal von nach Afghanistan abgeschobener Personen zu erstellen. Diese einschränkende Äußerung steht - gerade im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht (aaO) geforderte generalisierende Betrachtungsweise - nicht der Annahme entgegen, daß eine existentielle Gefährdung eines Asylbewerbers, der nach Afghanistan zurückkehrt, nicht ausgeschlossen werden kann.
Damit gelangt der Senat (ebenso wie der früher zuständig gewesene 21. Senat in seinem Urteil vom 3. 11. 1989 - 21 OVG A 118/88 -) zum Ergebnis, daß für Afghanistan durchweg eine sogenannte "inländische" Fluchtalternative nicht besteht.
Hinzu kommt (die nun folgende Erwägung trägt unabhängig von dem eben Dargestellten die Entscheidung): Der Senat hält es für ausgeschlossen, daß sich der Beigeladene auf dem Territorium einer Widerstandsgruppe aufhalten und deren Schutz beanspruchen oder aber in anderer Weise in denen der Kontrolle der Regierung entzogenen Landesteilen ein Existenzminimum finden kann. Die Kampforganisation, der er angehört hat, betrachtet ihn nach seinem glaubhaften Vortrag als "Abtrünnigen". Kehrt er in das von dieser Organisation beherrschte Gebiet zurück, so muß er mit Bestrafung - möglicherweise an Leib und Leben - rechnen. Es ist nicht zu erkennen, inwieweit eine andere Widerstandsorganisation bereit wäre, den Beigeladenen in ihrem Bereich zu dulden und ihm zu ermöglichen, ein Existenzminimum zu finden. Zunächst ist nicht zu sehen, daß hierzu eine Widerstandsorganisation, die nicht vergleichbare und ähnliche Ziele vertritt, wie die, der der Beigeladene angehört hat, die "Flucht" des Beigeladenen akzeptieren und ihm daher Zuflucht gewähren würde. Zum anderen müßte der Beigeladene befürchten, auch - und gerade - bei einer Widerstandsorganisation, die vergleichbare und ähnliche Ziele vertritt, wie die Organisation, der er angehört hat, wegen seines Verhaltens ("seiner Flucht") bestraft zu werden. Darüber hinaus müßte der Beigeladene damit rechnen, daß er schon aus geringem Anlaß - gleichsam als ein Fremder - aus dem Schutzbereich vertrieben werden könnte, was der Vernichtung seiner Existenz gleichkäme.
Darüber hinaus darf der Beigeladene aus einem weiteren Grund, der wiederum neben den eben geschilderten Gründen die Entscheidung allein trägt, nicht darauf verwiesen werden, sich nach Afghanistan zurückzubegeben. Es ist dem Beigeladenen nicht zuzumuten, sich auf unabsehbare Zeit von seiner Familie zu trennen, und dies würde von ihm verlangt, wenn ihm die Rückkehr nach Afghanistan zugemutet würde. Eine Familie mit kleinen Kindern kann nach dem Gesagten - erst recht - das notwendige Existenzminimum in Afghanistan in den "befreiten Gebieten" nicht finden (vgl. BayVGH aaO).
Allen diesen Erwägungen läßt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Beigeladene, der als Arzt ausgebildet ist, könne in Afghanistan eine Berufstätigkeit ausüben, die allgemein erwünscht und notwendig sei. Angesichts der dargestellten Überlegungen ist dem Beigeladenen eine solche Tätigkeit in Afghanistan nicht anzusinnen. Auch ein Arzt ist der allgemeinen Gefährdung ausgesetzt, wie sie vom Senat dargestellt wurde. Zum anderen steht dem entgegen, daß der Beigeladene an Leib und Leben gefährdet sein wird, wenn er sich in Afghanistan in einem der "befreiten Gebiete" aufhält, weil er als "Verräter" gelten könnte. Schließlich wäre es - wie erwähnt - ihm nicht zuzumuten, auf Dauer getrennt von seiner Familie zu leben.
Ein Asylbewerber darf nicht auf eine "inländische Fluchtalternative" verwiesen werden, die nach objektiven Maßstäben nicht besteht, die er aber für vorübergehende Zeit in Kauf zu nehmen bereit ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO) und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kommt es auf die subjektive Einschätzung des Asylbewerbers nicht an. Besteht aufgrund der objektiven Gegebenheiten eine solche "inländische" Fluchtalternative nicht, so darf der Asylbewerber nicht darauf verwiesen werden, unabhängig von seiner subjektiven Bereitschaft, solange und sofern er den Antrag, ihm Asyl zu gewähren, aufrechterhält. Dem von regionaler politischer Verfolgung Betroffenen wird gerade nicht abverlangt, sich infolge seiner Flucht vor politischer Verfolgung erstmals andersgearteten, aber doch gleichgewichtigen Beeinträchtigungen auszusetzen. Gegenüber diesen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO) geforderten objektiven Gegebenheiten kann es deshalb auf eine subjektive Komponente, die Willensrichtung eines Asylbewerbers, nicht ankommen.
Darüber hinaus hat sich der Beigeladene nach Auffassung des Senates nicht dahin geäußert, er werde nach einer Anerkennung als Asylberechtigter in sein Heimatland zurückkehren. Es geht ihm vielmehr darum, sein Verhalten gegenüber der Widerstandsgruppe, der er angehörte, zu erklären und ihr gegenüber das Gewicht seiner "Flucht" zu relativieren. Der Senat hat es trotz dieser von der Würdigung des Verwaltungsgerichts abweichenden Betrachtung der Aussage des Beigeladenen nicht für erforderlich gehalten, diesen zu hören; denn der Beigeladene hat sich nicht dahin geäußert, er sei bereit, auf Dauer nach Afghanistan zurückzukehren, sondern vielmehr deutlich gemacht, er wolle sich dort nur "zeitweise" illegal "aufhalten", "um die medizinische Betreuung der Mudjaheddin durchzuführen".
Der Senat hat nicht darauf hingewirkt, daß in dem Berufungsverfahren eine Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffen werden kann. Der Senat teilt aus den Gründen, die der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem Urteil vom 28. Mai 1991 (- A 16 S 2357/990 -) dargelegt hat, die Auffassung, ein Anspruch nach § 51 Abs. 1 AuslG müsse zunächst bei der zuständigen Behörde geltend gemacht werden und könne nicht ohne Verwaltungsverfahren in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbezogen werden. Bevor das Verwaltungsgericht angerufen werden darf, ist in der Regel ein entsprechender Antrag bei der Behörde zu stellen und ein Verwaltungsverfahren durchzuführen (§ 68 ff. VwGO). Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage kann deshalb nur der Antrag sein, die Behörde nach dem Begehren des Klägers zu verpflichten. Von diesem allgemeinen prozessualen Grundsatz ist der Gesetzgeber im Gesetz zur Neuregelung des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) nicht abgewichen. Nach der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG enthält nun jeder Asylantrag zugleich auch den Antrag auf Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Die am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Vorschrift findet mangels entgegenstehender Regelung nach dem allgemeinen Grundsatz, daß das neue Verfahrensrecht zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens regelmäßig auch anhängige Verfahren erfaßt, auf alle bereits vorher eingeleiteten und noch anhängigen Verwaltungsverfahren Anwendung. Auf abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt sich die Vorschrift aber nicht mehr (so auch Hamburgisches OVG, Urt. v. 28. 3. 1991 - OVG Bf IV 22/66 -).
Aus den genannten Gründen schließt sich der Senat nicht der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (aaO) und der des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 25. 2. 1991 - 12 UE 2583/85 -) an.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2, 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), weil es von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG iVm § 2 AsylVfG derjenigen Gruppe von Asylbewerbern den Anspruch auf Asyl versagt, die obwohl verfolgt, sich nicht wegen der Verfolgung in ein Land begeben haben, das ihnen Zuflucht gewährt hätte, und sich nach längerer Zeit des Aufenthalts in diesem Lande in die Bundesrepublik Deutschland begeben und dort um Asyl nachgesucht haben.
Jacobi
Richter am Oberverwaltungsgericht Klay ist wegen Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen.
Jacobi
Atzler