Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 05.08.2004, Az.: 4 B 84/04

Ausländer; Duldungsfiktion; Fiktionsbescheinigung; räumliche Beschränkung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
05.08.2004
Aktenzeichen
4 B 84/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die räumliche Beschränkung der Duldungsfiktion folgt unmittelbar aus § 69 II 1 AuslG.

2. Der Fiktionsbescheinigung kommt keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Wirkung zu.

Gründe

1

I. Der am . .1969 geborene Antragsteller ist russischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. Dezember 2003 mit einem zuvor vom Deutschen Generalkonsulat in I. ausgestellten und vom 20. Dezember 2003 bis zum 17. Februar 2004 gültigen Visum mit der Nebenbestimmung „Nur für Besuchs-/Geschäftsreisen - Erwerbstätigkeit nicht gestattet - Aufenthaltsanzeige nach Rückkehr - in das Bundesgebiet ein. Auf S. 1 des Visumsantrages vom 20. Oktober 2003 war „Autokauf“ vermerkt. Am 12. Januar 2004 beantragte er bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil er beabsichtige eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Daraufhin erteilte ihm die Antragsgegnerin am 22. Januar 2004 eine Bescheinigung über die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung mit dem Vermerk:

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„Bis zur Entscheidung über den Antrag gilt der Aufenthalt beschränkt auf den Bezirk der Ausländerbehörde der Stadt D. als geduldet (§ 69 II AuslG)“ (Bl. 12 d.A.).

3

Am 26. März 2004 heiratete der Antragsteller die deutsche Staatsangehörige J. K.. Die Antragsgegnerin hat über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom 12. Januar 2004 noch nicht entschieden. Sie ermittelt wegen möglicher unrichtiger Angaben des Antragstellers gegenüber der Visumsbehörde.

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Mit einem am 7. Juli 2004 beim Verwaltungsgericht Göttingen eingereichten Schriftsatz begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die räumliche Beschränkung der Duldungsfiktion. Er wolle sich in Deutschland frei bewegen.

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Während des Antragsverfahrens erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 23. Juli 2004 die vorübergehende Erlaubnis zum Verlassen des Bereichs der Duldung in analoger Anwendung der §§ 57 und 58 AsylVfG, gültig für den Zeitraum vom 23. Juli bis 12. August 2004 mit den Zielen L., M. und N. (Bl. 36f. d.A.).

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Der Antragsteller erklärt mit Schriftsatz vom 4. August 2004 daraufhin den Rechtsstreit ausdrücklich nicht für erledigt.

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Der Antragsteller beantragt,

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1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Beschränkung seines Aufenthalts auf den Bezirk der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin aufzuheben und

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2. ihm für das vorläufige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin, die dem Gericht zur Einsicht vorgelegen haben, verwiesen.

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II. Den Anträgen muss der Erfolg versagt bleiben.

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1. Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.

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Gegenwärtig besteht kein Anordnungsgrund, weil sich der Antragsteller nach der ihm von der Antragsgegnerin erteilten Erlaubnis vom 23. Juli bis zum 12. August 2004 zu den von ihm angegebenen Reisezielen frei bewegen kann.

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Dessen ungeachtet fehlt es jedoch auch an einem Anordnungsanspruch. Die räumliche Beschränkung der Duldungsfiktion folgt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG unmittelbar aus dem Gesetz. Die Antragsgegnerin hat mit der dem Antragsteller erteilten Bescheinigung vom 22. Januar 2004 keinen Verwaltungsakt mit belastender Nebenbestimmung erlassen, sondern lediglich eine Fiktionsbescheinigung mit Hinweis auf die Gesetzeslage. Sie dient der Ausweispflicht des Antragstellers. Der Fiktionsbescheinigung kommt keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Wirkung zu (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 8.1.2004, InfAuslR 2004, S. 154). Sie unterliegt deshalb nicht der Aufhebung, insbesondere nicht im Wege der einstweiligen Anordnung. Der Antragsteller ist danach darauf zu verweisen, bis zu einer Entscheidung über die von ihm nachgesuchte Aufenthaltserlaubnis bei der Antragsgegnerin für konkrete Reisevorhaben jeweils um Erlaubnis zum Verlassen des Bezirks der Ausländerbehörde nachzusuchen. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist hierin nicht zu erkennen, zumal die Antragsgegnerin ersichtlich bereit ist, solche Erlaubnisse zu erteilen, wie ihre Entscheidung vom 23. Juli 2004 belegt.

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Soweit der Antragsteller meint, die Antragsgegnerin verzögere ohne zureichenden Grund die Erteilung der von ihm am 22. Januar 2004 beantragten Aufenthaltserlaubnis, mit der er sich im Bundesgebiet dann frei bewegen könne, mag er Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhoben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Nrn. 1 und 2 GKG. Das Interesse des Antragstellers wird mit 1/4 des Auffangwertes bemessen.

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2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorläufige Rechtsschutzverfahren unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten muss gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit den §§ 114, 121 ZPO wegen fehlender Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs aus den Gründen zu vorstehend II.1) der Erfolg versagt bleiben.