Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 25.08.2004, Az.: 2 B 123/04

Anpassung; Anpassungsverlangen; Bestandsschutz; Brandschutz; Rettungsweg; Umdeutung; Verlangen; zweiter Rettungsweg

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.08.2004
Aktenzeichen
2 B 123/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der Umdeutung einer auf § 89 Abs. 1 NBauO gestützten Verfügung in einer Anpassungsvorlage nach § 99 Abs. 1 NBauO.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller sind Teilhaber der Wohnungseigentümergemeinschaft „A.“, M. bis, Flurstück N. der Flur O. in der Gemarkung D.. Die Anlage setzt sich aus den von den Beteiligten so genannten Bauteilen B und C zusammen. Der sog. Bauteil A der Anlage (M., Flurstück P.), befindet sich im gemeinschaftlichen Eigentum des Beigeladenen und der weiteren Eigentümer Q. und R.. Der Beigeladene ist zudem Alleineigentümer des Flurstücks S.. In räumlichem Zusammenhang mit diesen Grundstücken befindet sich das im Eigentum von Herrn T. U. stehende Flurstück V. (M.), welches sich aus den früheren Flurstücken W., X. und Y. zusammensetzt.

2

Für die gesamte Wohnanlage und die übrigen, auf den genannten Grundstücken gelegenen Gebäude ist der vormaligen Eigentümerin, der Bauherrengemeinschaft Z. AA., unter dem 30. August 1973 von der Antragsgegnerin ein Bauschein ausgestellt worden. Darin wurde die Errichtung eines Terrassenwohnhauses mit Läden und Gaststätten und die Erweiterung eines Einkaufszentrums genehmigt. Der Bauschein enthält in Nummer 33 die Nebenbestimmung, dass die Lage und Führung der Feuerwehrzufahrt im Einvernehmen mit der Feuerwehr D. und dem Brandschutzprüfer des Landkreises D. festzulegen sei.

3

In der Folge wurde das Grundstück dann parallel zur Bautätigkeit in 6 Teilgrundstücke mit den Flurbezeichnungen S., P., X., N., Y. und W. unterteilt, an denen sich das Alleineigentum AA. zunächst fortsetzte. In diesem Zusammenhang ist zwischen den Beteiligten umstritten, ob insoweit entsprechende Teilungsgenehmigungen der Antragsgegnerin vorliegen. In der Folgezeit fanden Eigentumswechsel auf die oben genannten Personen statt. Die Feuerwehrzufahrt erfolgte dabei in der Vergangenheit u.a. über das im Eigentum des Beigeladenen stehende Flurstück S.. Eine entsprechende Baulast wurde jedoch nicht eingetragen.

4

Mit Bescheid vom 26. April 1999 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für das Aufstellen von sechs Fertiggaragen auf dem Flurstück S.. Mit einem weiteren - durch die Antragsteller initiierten - Bescheid vom 19. Juni 2000 forderte die Antragsgegnerin den Beigeladenen auf, die sechs, mittlerweile erstellten Garagen bis zum 7. Juli 2000 zurückzubauen. Zur Begründung führte sie an, dass die Garagen die Feuerwehrzufahrt verstellten. Auf den Widerspruch des Beigeladenen hob die Antragsgegnerin diese Verfügung mit Bescheid vom 8. Januar 2003 wieder auf, weil nicht nachweisbar sei, dass die Feuerwehrzufahrt tatsächlich verstellt werde. Mit Bescheid vom selben Tag hob die Antragsgegnerin dann aber die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. April 1999 für die Garagen Nr. 4 bis 6 wegen Verstoßes gegen die Grenzabstandsvorschriften auf. Hiergegen legte der Beigeladene am 17. Januar 2003 Widerspruch ein. Im Rahmen des bislang noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens erkannte die Antragsgegnerin bau- und brandschutztechnische Mängel in der Wohnanlage der Antragsteller.

5

Am 16. Februar 2004 erließ die Antragsgegnerin daraufhin einen auf § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO gestützten Bescheid, in dem sie die Antragsteller zu verschiedenen Maßnahmen aufforderte, um brandschutztechnische Mängel der Wohnanlage zu beheben. Bezüglich der Nummern 5 und 7 Ihres Bescheids ordnete die Antragsgegnerin zudem die sofortige Vollziehung an. Die Punkte 5 und 7 der Verfügung lauten:

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„ 5. Die Wohnung(en) an der Nordfassade des Gebäudeteiles C sowie an der Ostfassade des Gebäudeteiles B sind mit jeweils einem Rettungsbalkon in Verbindung mit einer Rettungstreppe zur Sicherung des 2. Rettungsweges zu versehen.

7

7. Für die über zwei Ebenen führende Wohnung im Süden (2. und 3. Obergeschoss des Bauteils C) ist der 2. Rettungsweg über eine Tür oder ein Fenster im 3. Obergeschoss, ggf. in Verbindung mit einem Rettungsbalkon, an der Südfassade herzustellen“.

8

Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin darauf, dass jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum in jedem Geschoss zumindest über zwei voneinander unabhängige Rettungswege verfügen müsse. Der zweite Rettungsweg könne dabei grundsätzlich über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle oder über eine notwendige Treppe führen. Sinngemäß machte die Antragsgegnerin geltend, dass der zweite Rettungsweg konkret nicht mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreicht werden könne, da die erforderliche Aufstellfläche auf dem Flurstück S. liege, dass im Eigentum des Beigeladenen stehe und nicht durch eine entsprechende Baulast gesichert sei.

9

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wird darauf gestützt, dass das Leben, zumindest aber die Gesundheit von Personen, die sich in den betroffenen Wohnungen aufhielten, im Brandfall gefährdet sei. Diese Gefahr könne nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung behoben werden. Gegen die Ziffern 4-7 dieses Bescheides haben die Antragsteller am 16. März 2004 Widerspruch eingelegt. Eine Entscheidung hierzu liegt bislang nicht vor.

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Mit Schreiben vom 29. März 2004 hat die Antragsgegnerin aber den an sie gerichteten Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung für die Ziffern 5. und 7 der Verfügung zurückgewiesen.

11

Am 7. April 2004 haben die Antragsteller daraufhin um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.

12

Sie behaupten, die angeblichen brandschutztechnischen Mängel der Wohnanlage seien auf die Errichtung der sechs Fertiggaragen durch den Beigeladenen zurückzuführen. Die für den Bau der Garagen erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig , weil die Antragsgegnerin es unterlassen habe, die feuerpolizeiliche Unbedenklichkeit der Garagenaufstellung zu überprüfen. Erschwerend komme hinzu, dass die Antragsgegnerin die vom Beigeladenen eingereichten Bauunterlagen nicht geprüft habe. Sie meinen weiter, ein besonderes Vollzugsinteresse bestehe nicht, weil der Antragsgegnerin die Situation bereits seit dem Jahr 2000 bekannt sei, ohne dass sie bislang eingeschritten wäre. Die Antragsgegnerin scheine vielmehr nun „vollendete Tatsachen“ schaffen zu wollen, um einerseits die Versäumnisse im ursprünglichen Baugenehmigungsverfahren zu verdecken und andererseits einer Entscheidung über den Widerspruch des Beigeladenen ausweichen zu können. Schließlich tragen die Antragsteller vor, bei bestehender Gefahr könne eine Rettung von gefährdeten Personen über den zweiten Rettungsweg mit Hilfe von Rettungsgeräten der Feuerwehr immer noch erfolgen, wenngleich dies nur unter erschwerten Bedingungen möglich sei.

13

Zunächst haben die Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 16. März 2004 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Februar 2004 uneingeschränkt wiederherzustellen. Mit Schreiben vom 29. Juli 2004 nahmen sie ihren Antrag dann aber teilweise zurück und beantragen nunmehr,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 16. März 2004 gegen die Punkte 5. und 7. des Bescheids vom 16. Februar 2004 wiederherzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt vor, die Aufstellung der sechs Fertiggaragen sei nicht ursächlich für die festgestellten Brandschutzmängel der Wohnanlage gewesen. Allerdings sei die brandschutztechnische Problematik seither offensichtlich. Die insoweit bestehenden Mängel der Wohnanlage resultierten dabei im Wesentlichen aus dem Fehlen eines 2. Rettungsweges für einzelne Wohneinheiten bzw. für Ebenen in Wohnungen, die über mehrere Etagen führten. Dies sei in der Vergangenheit anders gewesen, weil angenommen werden konnte, dass dieser Rettungsweg über das Gerät der Feuerwehr vorhanden gewesen sei. Nunmehr habe sich jedoch ergeben, dass für das Aufstellen des Gerätes fremde Grundstücke in Anspruch genommen werden müssten. Diese Nutzung sei jedoch nicht durch entsprechende Baulasten oder Grunddienstbarkeiten abgesichert, was jedoch für die Annahme eines zweiten Rettungsweges erforderlich sei. Auf die Baugenehmigung vom 30. August 1973 könnten sich die Antragsteller überdies nicht berufen. Brandschutzfragen seien nämlich wegen des damaligen Alleineigentums der Firma Z. AA. an den streitbefangenen Grundstücken nicht zu problematisieren gewesen. Vielmehr sei diese Problematik erst mit diversen Grundstückverkäufen aufgetaucht, in deren Zusammenhang Teilungsgenehmigungen überwiegend nicht vorgelegen hätten.

18

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er bestreitet jedoch, dass Teilungsgenehmigungen nicht erteilt worden seien und meint, geänderte Eigentumsverhältnisse könnten nicht Gegenstand baurechtlicher Genehmigungsverfahren sein. Diese hätten sich vielmehr ausschließlich an den baulichen Gegebenheiten zu orientieren.

19

Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin einschließlich derjenigen über die „Bauausführung auf der Parzelle Flur AB. Nr. W. u.a. an der M.“ wurden beigezogen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten nebst Anhängen sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Unterlagen waren ebenfalls Gegenstand der Beratung.

II.

20

Das Verfahren ist insoweit nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, als die Antragsteller mit Schriftsatz vom 29. Juli 2004 ihren Antrag auf die Ziffern 5. und 7. beschränkt haben, da hierin die teilweise Rücknahme ihres bisherigen Antrags zu sehen ist.

21

Hinsichtlich des noch zur Entscheidung gestellten Streitgegenstands ist der Antrag zulässig und im Wesentlichen begründet.

22

Die im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller an der Beibehaltung des bisherigen Zustands (Aussetzungsinteresse) und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der bauaufsichtlichen Verfügung (Vollzugsinteresse) geht zu Gunsten der Antragsteller aus. Bei einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache stellen sich die Ziffern 5. und 7.  des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. Februar 2004 als offensichtlich rechtswidrig dar.

23

Die hier in Rede stehenden Ziffern 5. und 7. der angefochtenen Verfügung können aller Voraussicht nach nicht auf § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO gestützt werden.

24

Gemäß dieser Bestimmung kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen u.a. die Einstellung rechtswidriger oder die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist. Die Anordnung erforderlicher Arbeiten setzt wegen des Substanzeingriffs aber voraus, dass eine Abweichung vom materiellen Baurecht vorliegt. (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 89 Rn. 28). Die Beurteilung dieser sog. materiellen Illegalität ist vorliegend jedoch von vornherein verschlossen. Denn für die Wohnanlage besteht eine bestandskräftige Baugenehmigung in Form des Bauscheines vom 30. August 1973. Diese Baugenehmigung vermittelt der baulichen Anlage Bestandsschutz in dem Sinne, dass ein „Durchgriff“ auf die materielle Illegalität ausgeschlossen ist, solange und soweit sie nicht aufgehoben oder durch Aufgabe der Nutzung erloschen ist (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 89 Rn. 18 und § 75 Rn. 4). Da die Baugenehmigung weder aufgehoben noch sonst erloschen ist, steht sie der Anordnung erforderlicher Arbeiten nach § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO entgegen.

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Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, die nunmehr festgestellten Brandschutzmängel hätten bei Erlass des Bauscheines im Jahr 1973 infolge der Eigentümeridentität an den streitbefangenen Grundstücken nicht bestanden, vermag dies an der hier vorgenommenen rechtlichen Bewertung nichts zu ändern. Bei der Baugenehmigung handelt es sich nämlich um einen sachbezogenen Verwaltungsakt, der gemäß § 75 Abs. 6 NBauO auch für und gegen die Rechtsnachfolger des Bauherrn und der Nachbarn gilt (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 75 Rn. 18).

26

Auch das - zwischen den Beteiligten ohnedies umstrittene - Fehlen von Teilungsgenehmigungen rechtfertigt ein Vorgehen der Antragsgegnerin nach § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO oder nach der allgemeinen ordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnis aus § 11 NSOG nicht. Zwar wird vertreten, dass bei einer formell und materiell rechtswidrigen Grundstücksteilung - mangels besonderer bauordnungsrechtlicher Eingriffsbefugnisse - die allgemeinen ordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse zur Herstellung rechtmäßiger Zustände herangezogen werden können (Finkelnburg/ Ortloff, Öffentliches Baurecht, Band II, S. 202 Fn. 5). Materiell rechtswidrig ist eine solche Teilung aber nur dann, wenn gerade durch sie Verhältnisse geschaffen werden, die der NBauO, den aufgrund der NBauO erlassenen Vorschriften oder dem Nds. Spielplätzegesetz widersprechen (§ 94 Abs. 1 Satz 2 NBauO). Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die Grundstücksteilungen erfolgten nach Angaben der Antragsgegnerin parallel zur Bautätigkeit der früheren Alleineigentümerin, der Fa. AA., also in den siebziger Jahren. Das Erfordernis einen 2. Rettungsweg vorzuhalten ist dagegen erst im Jahr 1986 mit § 20 Abs. 2 NBauO und § 13 DVNBauO in das Gesetz aufgenommen worden (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 20 Rn. 2). Selbst wenn daher Teilungsgenehmigungen nicht bestehen würden, hätte dies keine Auswirkungen auf die hier in Rede stehenden brandschutzrechtlichen Mängel, da die zugrunde liegenden Bestimmungen im Zeitpunkt der Grundstücksteilung noch nicht existierten.

27

Die auf § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO gestützte Verfügung der Antragsgegnerin kann schließlich auch nicht gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in ein Anpassungsverlangen nach § 99 Abs. 1 und 2 NBauO umgedeutet werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Antragsgegnerin einen solchen Bescheid in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen können und die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

28

Gemäß § 99 Abs. 1 und 2 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde für bauliche Anlagen, die vor dem 1. Januar 1974 rechtmäßig errichtet oder begonnen wurden oder am 1. Januar 1974 aufgrund einer Baugenehmigung oder Bauanzeige errichtet werden dürfen, eine Anpassung an solche Vorschriften der NBauO verlangen, die vom bisherigen Recht abweichen. Zwar besteht hinsichtlich des Erfordernisses eines zweiten Rettungsweges eine Abweichung zwischen dem zur Zeit der Genehmigungserteilung geltenden Recht und den aktuellen Vorschriften der NBauO. Denn das Erfordernis einen 2. Rettungsweg vorzuhalten ist - wie bereits hervorgehoben wurde - erst im Jahr 1986 mit §§ 20 Abs. 2 NBauO, 13 DVNBauO  in das Gesetz aufgenommen worden.

29

Eine Umdeutung scheitert hier aber bereits daran, dass der angegriffene Bescheid als Anpassungsverlangen rechtswidrig wäre. Zum einen lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen, ob die Tatbestandvoraussetzungen der Norm erfüllt sind, zum anderen litte ein derart umgedeuteter Verwaltungsakt an einem Ermessensfehler.

30

Das Anpassungsverlangen nach § 99 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 NBauO setzt voraus, dass es der Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere dem Schutz von Leben und Gesundheit dient. Die nachträgliche Forderung von Maßnahmen des Brandschutzes kann zwar nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine konkrete Gefahr im Sinne der herkömmlichen allgemeinen polizeirechtlichen Definition vorhanden ist, denn dann wäre es für die Abwehr einer aus dem Mangel resultierenden Lebens- oder Gesundheitsgefahr zu spät; vielmehr sind brandschutzrechtliche Vorschriften vorsorgliche Schutzbestimmungen für Leben und Gesundheit. Gleichwohl verlangt § 99 Abs. 2 NBauO, über das Vorliegen einer rein abstrakten Gefahr hinaus, die fachkundige Feststellung, dass nach den örtlichen Gegebenheiten der Eintritt eines erheblichen Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 18. Oktober 1999, -4 TG 3007/ 97, BauR 2000, S. 553, 555; OVG Münster, Urteil vom 28.08.2001 -10 A 3051/99-, BauR 2002, 763, 765). Vorliegend fehlt es aber an konkreten Feststellungen der Antragsgegnerin zum Vorliegen einer erheblichen Gefahrensituation. Hierzu müsste die Wohnanlage einer fachkundigen, brandschutztechnischen Bewertung unterzogen werden. Nur wenn sich dabei ergibt, dass die Gefahrenpotentiale so groß sind, dass die Anlage zur Wahrung von Leben und Gesundheit eines nicht auf Rettungsgerät der Feuerwehr gestützten zweiten Rettungsweges bedarf, sind die Voraussetzungen für ein Einschreiten gemäß §§ 99 Abs. 1 und 2 NBauO gegeben.

31

Zudem würde der angegriffene Bescheid als Anpassungsverlangen an einem Ermessensfehler im Sinne von § 40 VwVfG leiden, was einer Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG ebenfalls im Wege steht.

32

Die baurechtliche Eingriffsbefugnis nach § 89 NBauO einerseits und das Anpassungsverlangen nach § 99 NBauO andererseits verfolgen unterschiedliche Zwecke. Bei Anwendung des § 99 NBauO muss die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des Ermessens erwägen, ob das Vertrauen des Betroffenen auf den Bestand der Baugenehmigung schutzwürdig ist. Mit einem Anpassungsverlangen ist nämlich gleichzeitig ein Widerruf der erteilten Baugenehmigung wegen geänderter Rechtsvorschriften verbunden (Große-Suchs-dorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 99 Rn. 39, 46). Dagegen gebietet im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 89 NBauO das öffentliche Interesse ebenso wie die Breitenwirkung etwaiger Verstöße grundsätzlich ein bauaufsichtliches Einschreiten, so dass nur besondere Umstände Anlass zu einer besonderen Abwägung des Für und Wider des Eingreifens geben (Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 89 Rn. 44). Die Antragsgegnerin hat Bestandsschutzgesichtspunkte nicht in ihren Bescheid vom 16. Februar 2004 einfließen lassen und damit das ihr eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Vorschrift entsprechend ausgeübt. Das beschließende Gericht darf die getroffene Entscheidung nur anhand derjenigen Erwägungen überprüfen, die die Behörde tatsächlich angestellt hat. Es kommt auf die tatsächlichen Gründe für die Entscheidung, nicht auf ihre Begründbarkeit an. Die Behörde ist verpflichtet, alle Erwägungen anzustellen, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm von ihr gefordert werden. Übersieht sie, wie hier, einen wesentlichen Gesichtspunkt, so sind ihre Ermessenserwägungen unvollständig und rechtswidrig. (Eyermann, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 2000, § 114 Rn. 22, 24).

33

Da es der Kammer nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich die festgestellten Rechtsmängel im Widerspruchsverfahren beheben lassen, hat das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 16. März 2004 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides befristet. Deshalb ist der ohne zeitliche Einschränkung gestellte Antrag im Übrigen abzulehnen.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 155 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Antragsteller haften als Gesamtschuldner, da von der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil er keinen Antrag gestellt und sich somit auch einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat. Eine Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten wäre mithin unbillig.

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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.