Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.10.2021, Az.: 6 A 162/21

Anwesenheitspflicht; Bestimmung der Fachprüfer; Beteiligungs- und Fragerecht; fachliche Eignung; fachliche Qualifikation; Maximale Anzahl von Prüflingen; mündliche Prüfung; mündlicher Teil; Notfallsanitäter; verfassungskonforme Auslegung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.10.2021
Aktenzeichen
6 A 162/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 NotSan-APrV ergibt, dass der oder die Vorsitzende des Prüfungsausschusses während des gesamten mündlichen Teils der staatlichen Prüfung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter zur Anwesenheit verpflichtet ist.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 23.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des E. vom 03.12.2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen der staatlichen Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter.

Der Kläger ist Rettungsassistent und war bei Klageerhebung seit weniger als fünf Jahren hauptberuflich im Rettungsdienst tätig. Aufgrund der Novellierung des Berufsbildes und der Einführung der Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ unterzog er sich der staatlichen Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter bei der F.. Die Prüfung umfasst einen schriftlichen, einen praktischen und einen mündlichen Teil (im Folgenden: mündliche Prüfung). Im August 2019 bestand er die staatliche Prüfung im ersten Versuch aufgrund nicht ausreichender Leistungen in der mündlichen Prüfung nicht.

Unter dem 27.04.2020 bestimmte die Beklagte die Fachprüferinnen und Fachprüfer sowie ihre Stellvertretungen für die einzelnen Themenbereiche und Fallbeispiele für die staatliche Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter vom 25.05.2020 bis 15.07.2020.

Die G. setzte gegenüber der F. mit Schreiben vom 28.04.2020 die voraussichtlichen Prüfungstermine für die staatliche Prüfung vom 25.05.2020 bis zum 15.07.2020 fest und teilte mit, dass Frau H. die Vorsitzende des staatlichen Prüfungsausschusses sei sowie dass der mündliche Prüfungstermin am 15.07.2020 in Vertretung von Frau Dr. I. wahrgenommen werde. Mit weiterem Schreiben vom 28.04.2020 ebenfalls an die F. bestellte die G. die Mitglieder und Stellvertretungen des Prüfungsausschusses für die staatliche Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter vom 25.05.2020 bis 15.07.2020. Die Mitglieder und Stellvertreter seien von ihrer Bestellung in den Prüfungsausschuss zu unterrichten.

Auf seinen Antrag ließ die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28.04.2020 zur mündlichen Prüfung zu.

Am 15.07.2020 fand die mündliche Prüfung des Klägers statt, zwischen 11:02 Uhr und 11:12 Uhr im Themenbereich 1 (Notfallsituationen bei Menschen aller Altersgruppen sowie Gefahrensituationen erkennen, erfassen und bewerten), zwischen 11:14 Uhr und 11:24 Uhr im Themenbereich 7 (Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken, lebenserhaltende Maßnahmen und Maßnahmen zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung durchführen) sowie zwischen 11:26 Uhr und 11:36 Uhr in den Themenbereichen 3 und 10 (Kommunikation und Interaktion mit sowie Beratung von hilfesuchenden und hilfebedürftigen Menschen unter Berücksichtigung des jeweiligen Alters sowie soziologischer und psychologischer Aspekte; in Gruppen und Teams zusammenarbeiten). Dabei befanden sich jeweils zwei Fachprüfer in einem Raum. Die drei Prüflinge wurden jeweils einzeln in den unterschiedlichen Räumen in jeweils einem Themenbereich geprüft. Im Themenbereich 7 erhielt der Kläger die Prüfungsnote 4, in den Themenbereichen 1 sowie 3 und 10 jeweils die Prüfungsnote 5.

Mit Bescheid vom 23.07.2020 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger das endgültige Nichtbestehen der staatlichen Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter fest. Die mündliche Prüfung sei bestanden, wenn jeder Themenbereich mit mindestens „ausreichend“ benotet werde. Zwei Themenbereiche seien mit „mangelhaft“ bewertet worden. Die mündliche Prüfung könne einmal wiederholt werden, wenn sie nicht bestanden sei. Da er die mündliche Prüfung bereits einmal nicht bestanden habe, sei eine weitere Wiederholung nicht möglich.

Der Kläger erhob am 18.08.2020 Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.07.2020 und führte zur Begründung aus, das Prüfungsverfahren leide an erheblichen Verfahrensfehlern: Der Prüfungsausschuss sei falsch besetzt gewesen, da nicht Lehrkräfte den Kläger geprüft hätten, die ihn überwiegend ausgebildet hätten. Die Prüfung sei mit einer Gesamtdauer von 66 Minuten von der Ausgabe der Aufgabe bis zum Prüfungsende zu lang gewesen, da sie höchstens 45 Minuten hätte dauern dürfen. Die Prüfungsvorsitzende habe aufgrund der Vorgaben an der gesamten Prüfung teilnehmen müssen, was sie aufgrund des rotierenden Prüfungssystems jedoch nicht getan habe. Mit der gleichzeitigen Anwesenheit von drei Prüflingen im Prüfungsraum sei gegen die Vorgabe verstoßen worden, dass die Prüflinge einzeln oder zu zweit geprüft würden. Die Prüfungsordnung sei verfassungswidrig, da in ihr die konkrete Zahl der Prüfer nicht rechtssatzmäßig bestimmt sei.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Fachprüfers J. wies das K. als Rechtsnachfolger der L. den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2020 zurück. Zur Begründung heißt es im Bescheid, der Kläger sei deshalb nicht von den Fachprüfern unterrichtet worden, weil er die staatliche Prüfung ohne weitere Ausbildung abgelegt habe. Bei den Vorbereitungstagen an der Schule habe es aber Kontakt zu den Fachprüfern gegeben. Die Vorbereitungszeit von 30 Minuten, während derer die Prüflinge den Fall läsen und sich mit ihm vertraut machten, gelte nach den Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums nicht als Prüfungszeit. Die Prüfungszeit umfasse die Prüfungen in den jeweiligen Themenbereichen und habe insgesamt 30 Minuten gedauert. Für jeden Themenbereich sei eine zuständige Prüfungskommission bestellt worden, die die Prüfung abgenommen habe. Der gesamte Prüfungsausschuss habe nicht jeweils teilnehmen müssen. Es sei jeweils nur ein Prüfling pro Prüfungskommission geprüft worden. Die in der Prüfungsordnung geforderte Mindestzahl von zwei Fachprüfenden sei eingehalten.

Der Kläger hat am 31.12.2020 Klage erhoben, zu deren Begründung er unter Wiederholung und Vertiefung seiner im Widerspruchsverfahren erhobenen Rügen ergänzend vorträgt, die Ausbildungs- und Prüfungsordnung sei verfassungswidrig, weil sie lediglich eine Mindestanzahl an Prüfern festlege und das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe, dass die Festlegung der Prüferzahl wegen der verfassungsrechtlichen Relevanz im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG rechtssatzmäßig erfolgen müsse. In Kenntnis dieser Rechtsprechung sei die Prüfungsordnung im Oktober 2020 geändert worden, ohne jedoch die Verfassungswidrigkeit zu beheben, woraus sich Zweifel an der Zustimmung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Orientierung an der Verwaltungspraxis ergäben.
Die vorgegebene Prüfungszeit sei überschritten worden. Die Frage, wann die Prüfungszeit beginne, könne die Beklagte nicht unter Verweis auf verwaltungsinterne Regelungen beantworten. Mit der Ausgabe der Prüfungsaufgabe habe die Prüfungszeit begonnen; ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger unter Aufsicht gestanden und sich nicht mehr ohne Konsequenzen aus dem Raum entfernen können. Seine Notizen aus dieser Zeit seien zur Akte genommen worden. In der gesamten restlichen Bundesrepublik seien die mündlichen Prüfungen deutlich weniger komplex, da dort nur kurze, dreizeilige Prüfungsaufgaben gestellt würden, welche den Prüflingen durch die Prüfer zu Beginn der Prüfung ausgehändigt würden. Eine Vorbereitungszeit wie in Niedersachsen gebe es nicht. Die Beantwortung der Fragen schließe sich unmittelbar an. Daraus lasse sich ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor dem Hintergrund einer bundeseinheitlichen Prüfungsordnung feststellen. Eine längere Prüfungszeit wirke sich nicht zwangsläufig zugunsten des Prüflings aus, da eine derartig lange Überschreitung den Schluss rechtfertige, dass die psychische Leistungsfähigkeit zunehmend beeinträchtigt gewesen sein könne. Er habe diesen Verstoß nicht rügen müssen.

Der Prüfungsausschuss sei fehlerhaft besetzt gewesen, da ihn die Fachprüfer J., Dr. M., N. und O. während seiner vierwöchigen Vorbereitungszeit nicht unterrichtet hätten.

Ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften bestehe zudem darin, dass die Vorsitzende des Prüfungsausschusses nicht ordnungsgemäß an seiner Prüfung teilgenommen habe, da sie gleichzeitig drei Prüfungen betreut habe. Durch diese Praxis könne sie nicht Schwerpunkte in einer Prüfung setzen oder Prüfungsangst nehmen.

An seiner Prüfung hätten zudem zu viele Prüflinge teilgenommen, da drei Prüflinge gleichzeitig geprüft worden seien.

Schließlich sei die Beklagte nicht ordnungsgemäß bestellt worden. Eine Dauerbestellung kenne die Prüfungsordnung nicht. Der regelhafte Einsatz der Stellvertretung verstoße gegen den Sinn und Zweck der Norm, der darin bestehe, die Funktionsfähigkeit des Prüfungsausschusses zu gewährleisten. Es sei überdies fraglich, ob die Beklagte fachlich geeignet sei, da sie die Qualifikation als Ärztin oder Notfallsanitäterin benötige, um sich mit Fachprüfern dieser Professionen abstimmen zu können.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020 aufzuheben und

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt zur Begründung vor, selbst wenn man von der Verfassungswidrigkeit der Prüfungsordnung ausgehen wolle, weil darin die Prüferzahl nicht rechtssatzmäßig festgelegt werde, liege kein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vor. Die Abnahme der mündlichen Prüfung durch zwei Fachprüfer entspreche der ständigen Praxis der Beklagten, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit liege deshalb nicht vor. Eine etwaige andere Verwaltungspraxis in anderen Bundesländern sei nicht entscheidend, da es auf die Praxis bei der zuständigen Behörde ankomme.

Die Prüfung habe nicht mit der Ausgabe der Fallbeschreibung begonnen. Es sei zwischen Vorbereitungs- und Prüfungszeit zu unterscheiden. Die Prüfung beginne, wenn sich Prüfling und Prüfer im Prüfungsraum befänden und das Prüfungsgespräch beginne, nicht jedoch, wenn sich der Prüfling vorab mit dem Fall vertraut mache und Notizen anfertige. Die Prüfungszeit habe 30 Minuten betragen. Auch insoweit komme es nicht auf die Praxis in anderen Bundesländern an. Es sei nicht unzulässig, den Prüflingen eine Vorbereitungszeit zu gewähren.

Frau H. sei an der Teilnahme an der Prüfung des Klägers durch Krankheit gehindert gewesen. Sie nehme für 76 Schulen die Funktion der Vorsitzenden wahr. Gerade in den Sommermonaten fänden flächendeckend Prüfungen statt, so dass Frau H. häufig verhindert sei und auf mitbestellte Stellvertretungen zurückgegriffen werden müsse. Am Prüfungstag sei Frau Dr. I. als Vorsitzende anwesend gewesen, was sich aus ihrer Unterschrift unter der Niederschrift ergebe. Es könne nicht rekonstruiert werden, ob Frau Dr. I. in den streitgegenständlichen Prüfungsteilen des Klägers anwesend gewesen sei. Aufgrund der Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums sei aber davon auszugehen, dass sie mindestens einer Prüfung des Klägers in einem der drei Themenbereiche beigewohnt habe. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwesenheit des Vorsitzenden im Rahmen der staatlichen Ergänzungsprüfung lasse sich nicht auf die staatliche Prüfung übertragen, da die jeweiligen Vorschriften sich bereits nach ihrem Wortlaut unterschieden. Bei der staatlichen Ergänzungsprüfung bewerte der Vorsitzende, während er sich bei der staatlichen Prüfung lediglich mit den Fachprüfern ins Benehmen setze, was sich nicht auf die Bewertung beziehe, sondern auf die Notenbildung. Eine eigene Erkenntnisquelle des Vorsitzenden sei dafür nicht erforderlich. Ginge man doch von einer Anwesenheitspflicht aus, seien die Regelungen der Verordnung zur Sicherung der Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zu beachten, nach denen von den Regelungen zur Zusammensetzung des Prüfungsausschusses abgewichen werden könne, solange er aus mindestens drei Personen bestehe.

Es habe keine Prüfung mit drei Prüflingen stattgefunden. Die Vorgabe in der Verordnung beziehe sich auf die maximale Anzahl pro Themenbereich und nicht pro Raum. Es seien nicht mehr als zwei Prüflinge von den beiden Fachprüfern, die die Prüfung in einem Themenbereich abnähmen und bewerteten, geprüft worden. Eine gegenseitige Störung der Prüfungen habe nicht stattgefunden und sei auch nicht gerügt worden.
Sie – die Beklagte – sei nicht gesondert durch die damalige G. zur Vorsitzenden des Prüfungsausschusses bestellt worden, eine solche gesonderte Bestellung sei aber ihrer Ansicht nach auch nicht nötig gewesen. Sie sei im P., als Rechtsnachfolger der L., zuständig für Schulen des Gesundheitswesens, die dem Niedersächsischen Gesetz über Schulen für Gesundheitsfachberufe und Einrichtungen für die praktische Ausbildung unterliegen, und dabei insbesondere für Grundsatzangelegenheiten. Ihre Tätigkeit als Vorsitzende des staatlichen Prüfungsausschusses sei gängige und behördenintern bekannte Praxis. Ihre behördeninterne Aufgabenzuweisung in Bezug auf den Vorsitz des staatlichen Prüfungsausschusses werde deshalb auch ohne gesonderte Bestellung deutlich. Unter Vorlage einer Bescheinigung Q. vom 05.10.2021 vertritt sie die Auffassung, sei auch fachlich geeignet. Eine Qualifikation als Ärztin oder Notfallsanitäterin benötige sie nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (Beiakte 001) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des R. vom 03.12.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).

Der Bescheid über die Feststellung des Nichtbestehens der staatlichen Prüfung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter findet seine Grundlage in § 9 Abs. 2 S. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (NotSan-APrV). Danach erhält ein Prüfling von der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses eine schriftliche Mitteilung, wenn er die staatliche Prüfung nicht bestanden hat. Nach § 9 Abs. 1 NotSan-APrV ist die staatliche Ergänzungsprüfung bestanden, wenn jeder der nach § 4 Abs. 1 NotSan-APrV vorgeschriebenen Prüfungsteile bestanden ist. Die Feststellung des Nichtbestehens ist demzufolge geboten, wenn der Prüfling einen Prüfungsteil nicht besteht (vgl. zur staatlichen Ergänzungsprüfung: BVerwG, U. v. 28.10.2020 – 6 C 8/19 –, juris). Der mündliche Teil der staatlichen Prüfung ist als nach § 4 Abs. 1 NotSan-APrV vorgeschriebener Prüfungsteil erfolgreich abgeschlossen, wenn jeder Themenbereich mit mindestens „ausreichend“ benotet wird, § 16 Abs. 4 S. 5 NotSan-APrV. Nach § 9 Abs. 3 NotSan-APrV kann die mündliche Prüfung einmal wiederholt werden, wenn der Prüfling die Note „mangelhaft“ oder „ungenügend“ erhalten hat.

Vorliegend wurde die Leistung des Klägers in der mündlichen Prüfung in zwei Themenbereichen mit der Note „mangelhaft“ bewertet und das endgültige Nichtbestehen der staatlichen Prüfung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter festgestellt. Diese Prüfungsentscheidung ist rechtsfehlerhaft. Der Kläger kann sich mit Erfolg auf Verfahrensfehler bei der Durchführung der mündlichen Prüfung berufen.

Die Einhaltung von Verfahrensvorschriften ist grundsätzlich voll gerichtlich überprüfbar. Dem Prüfungsverfahren kommt für den Grundrechtsschutz des Prüflings, insbesondere der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)) und der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) hohe Bedeutung zu, die den bei der eigentlichen Bewertung der Prüfungsleistung eingeschränkten Grundrechtseinfluss ausgleicht. Verfahrensvorschriften erlangen deshalb im Prüfungswesen einen besonderen Rang, der Verfahrensmängel als besonders gravierend erscheinen lässt (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rn. 128). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Verfahrensfehler grundsätzlich unverzüglich vom Prüfling zu rügen sind. Mit der Obliegenheit des Prüflings zur „unverzüglichen“ Rüge von Verfahrensfehlern, die durch den das gesamte Prüfungsrecht prägenden Grundsatz der Chancengleichheit gerechtfertigt ist und als ungeschriebene Regel die Prüfungsverordnung ergänzt, wird verhindert, dass dem Prüfling unter Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit ein weiterer, gegenüber anderen Prüflingen nicht gerechtfertigter Prüfungsversuch eröffnet wird. Der Prüfungsbehörde wird damit zugleich die Möglichkeit einer zeitnahen Überprüfung des gerügten Mangels mit dem Ziel einer noch rechtzeitigen Korrektur oder Kompensation eröffnet (BVerwG, B. v. 18.08.2010 - 6 B 24.10 -, juris Rn. 3 mwN, U. v. 15.12.1993 - 6 C 28.92 -, juris Rn. 24, U. v. 07.10.1988 - 7 C 8.88 - juris, Rn. 11, jeweils zu den Anforderungen an die Geltendmachung einer nachträglichen Prüfungsunfähigkeit). Jedoch gilt diese Rügeobliegenheit nicht für alle Mängel des Prüfungsverfahrens. So ist bei einer der Prüfungsordnung widersprechenden Besetzung der Prüfungskommission anerkannt, dass dieser Mangel grundsätzlich nicht nach den dargelegten Grundsätzen unverzüglich zu rügen ist, weil dieser Mangel nicht in die Sphäre des Prüflings fällt, sondern nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften von der Prüfungsbehörde selbständig zu beachten ist, während er vom Prüfling nur schwer abgeschätzt werden kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 09.03.1989 - 22 A 688/88 -, juris). Nur unter dem Aspekt unzulässiger Rechtsausübung (Verwirkung) kann es dem Prüfling verwehrt sein, sich auf einen solchen Besetzungsmangel zu berufen, wenn er bereits vor Ablegung der Prüfung über die Regelungen der ordnungsgemäßen Besetzung der Prüfungskommission im Einzelnen hinreichend informiert war und es ihm deshalb zuzumuten gewesen wäre, die fehlerhafte Besetzung unverzüglich zu rügen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 373). Bei einem Verfahrensfehler kann der Prüfling die Aufhebung der Prüfungsentscheidung nur dann verlangen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sich der Fehler auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt hat, er also (wenigstens) möglicherweise von Einfluss auf das Prüfungsergebnis gewesen ist (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2020 - 6 C 8.19 -, juris Rn. 12; B. v. 08.11.2005 - 6 B 45.05 -, juris Rn. 4).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich das Prüfungsverfahren des Klägers nicht als fehlerfrei, da es an erheblichen Verfahrensmängeln leidet (A.). Der Kläger musste diese Mängel nicht rügen (B.). Die Verfahrensmängel sind geeignet, Einfluss auf das Prüfungsergebnis gehabt zu haben (C.).

A. I. Ein Verfahrensfehler folgt zunächst nicht aus der Verfassungswidrigkeit der NotSan-APrV. Diese verstößt gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, weil sie die konkrete Anzahl der Prüfer nicht rechtssatzmäßig festlegt, sondern in § 16 Abs. 4 S. 1 NotSan-APrV bestimmt, dass die Prüfung zu jedem Themenbereich von „mindestens“ zwei Fachprüferinnen oder Fachprüfern abgenommen und bewertet wird (vgl. zur staatlichen Ergänzungsprüfung: BVerwG, U. v. 28. Oktober 2020 – 6 C 8/19 –, juris). Zur staatlichen Ergänzungsprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit ausgeführt:

Aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sind Regelungen über das Verfahren der Bewertung der Prüfungsleistungen, die Bestehensvoraussetzungen und die Notenvergabe rechtssatzmäßig festzulegen. Zudem müssen die Regelungen dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) genügen. Der Normgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass für alle Teilnehmer vergleichbarer Prüfungen so weit wie möglich gleiche Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten. Für das Prüfungsverfahren, d.h. für Form und Verlauf der Prüfungen, müssen einheitliche Regeln gelten, die auch einheitlich angewandt werden. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Teilnehmer oder Teilnehmergruppen müssen vermieden werden, um gleiche Erfolgschancen zu gewährleisten (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 und 213/83 - BVerfGE 84, 34 <52>; BVerwG, Urteil vom 10. April 2019 - 6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202 Rn. 11 f. jeweils m.w.N.). Wegen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die konkrete Zahl der Prüfer rechtssatzmäßig festgelegt werden. Sie ist wesentlich für das Prüfungsergebnis, weil bei einer Bewertung der Prüfungsleistung durch mehrere Prüfer sich die Bewertung nicht als Ergebnis einer einzelnen, sondern von auf den verschiedenen subjektiven Wertungen und Gewichtungen beruhenden Bewertungsentscheidungen der jeweiligen Prüfer darstellt. Durch die Einschaltung mehrerer Prüfer wird das Ergebnis objektiviert, was zugleich Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge minimiert. Hängt das Resultat der Prüfung aber maßgeblich von der gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ausübung des Beurteilungsspielraums durch den jeweiligen Prüfer ab, ist die Zahl der Prüfer wesentlich für das Prüfungsergebnis und muss für alle Teilnehmer einer berufsbezogenen Abschlussprüfung vorab und vorhersehbar festgelegt sein; ihre Bestimmung darf nicht der Verwaltungspraxis überlassen bleiben (vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urteil vom 10. April 2019 - 6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202 Rn. 15 und 17).
(…)

Die fehlende zahlenmäßige Festlegung der Zahl von Fachprüfern in der NotSan-APrV darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht dazu führen, dass die Möglichkeit der Durchführung von Ergänzungsprüfungen und damit die Ausübung der Berufswahlfreiheit in dem Beruf der Notfallsanitäter ausgesetzt ist. Vielmehr ist das Bundesverwaltungsgericht zur Vermeidung einer verfassungsferneren Regelungslücke und zur Wahrung der Berufsfreiheit gehalten, übergangsweise bis zur Herstellung verfassungsgemäßer Zustände durch den Verordnungsgeber eine unerlässliche Übergangsregelung zu treffen, damit den aus Art. 12 Abs. 1 GG resultierenden Gewährleistungen der Prüflinge Rechnung getragen wird. Dabei hat sich die Übergangsregelung sachgerechter Weise an der Praxis der Beklagten zu orientieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 2019 – 6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202 Rn. 20 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Juni 2020 - 9 S 149/20 - juris Rn. 33).

Die in der mündlichen Verhandlung erläuterte Praxis der Beklagten, die Themenbereiche und Fallbeispiele von jeweils zwei Fachprüferinnen bzw. Fachprüfern prüfen zu lassen, ist übergangsweise bei der Anwendung von § 16 Abs. 4 S. 1 NotSan-APrV zugrunde zu legen. Dieser Praxis entspricht die streitbefangene mündliche Prüfung, bei der in jedem Themenbereich jeweils zwei Fachprüfer geprüft haben. Etwas anderes folgt nicht aus der Tatsache, dass die NotSan-APrV nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.04.2019 (6 C 19.18 - BVerwGE 165, 202), in dem es das Erfordernis der rechtssatzmäßigen Festlegung der Prüferzahl postuliert hat, im November 2020 geändert wurde. Diese zeitliche Abfolge ändert nichts daran, dass die fehlende zahlenmäßige Festlegung der Zahl von Fachprüfern in der NotSan-APrV nicht dazu führen darf, dass die Möglichkeit der Durchführung von staatlichen Prüfungen und damit die Ausübung der Berufswahlfreiheit in dem Beruf der Notfallsanitäter ausgesetzt ist.

II. Die Fachprüferinnen und Fachprüfer sowie ihre Stellvertretungen für die staatliche Prüfung für Notfallsanitärinnen und Notfallsanitäter vom 25.05.2020 bis 15.07.2020 wurden nicht ordnungsgemäß bestimmt. Gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 NotSan-APrV bestimmt die Vorsitzende auf Vorschlag der Schulleiterin oder des Schulleiters – aus den Mitgliedern des Prüfungsausschusses – die Fachprüferinnen oder Fachprüfer und deren Stellvertreterinnen oder Stellvertreter für die einzelnen Themenbereiche und Fallbeispiele der Prüfung einschließlich ihrer Benotung oder Bewertung. Dies kann denklogisch erst nach Bestellung der Mitglieder des Prüfungsausschusses gemäß § 5 Abs. 2 NotSan-APrV geschehen, da erst dann die Vorsitzende ihre Funktion als solche erhalten hat und die weiteren Mitglieder feststehen, aus denen die Vorsitzende die jeweiligen Fachprüferinnen und Fachprüfer bestimmen kann. Die G. bestellte die Mitglieder und Stellvertretungen des Prüfungsausschusses jedoch erst mit Schreiben vom 28.04.2020. Bereits einen Tag zuvor, nämlich mit Schreiben vom 27.04.2020, hatte indes die Beklagte die Fachprüferinnen und Fachprüfer sowie ihre Stellvertretungen für die einzelnen Themenbereiche und Fallbeispiele bestimmt, ohne jedoch überhaupt bereits selbst bestellt zu sein. Etwas anderes folgt nicht aus der Tatsache, dass Frau H. im P. regelmäßig zur Vorsitzenden der staatlichen Prüfungsausschüsse bestellt wird und diese behördeninterne Aufgabenzuweisung nach Auffassung der Beklagten hinreichend deutlich werde. Auf diese Umstände kommt es nicht an. Bevor die Beklagte nicht durch die G. bestellt wurde, existiert sie als Prüfungsbehörde nicht und konnte auch nicht als solche handeln. Die Bestellung einer Prüfungsbehörde an einer Schule erfordert einen willentlichen Regelungsakt und erwächst nicht als Nebenprodukt einer innerbehördlichen Aufgabenzuweisung.

III. Die Bestellung der Beklagten zur Vorsitzenden des Prüfungsausschusses entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen und ist damit verfahrensfehlerhaft. Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NotSan-APrV besteht der Prüfungsausschuss unter anderem aus einer fachlich geeigneten Vertreterin oder einem fachlich geeigneten Vertreter der zuständigen Behörde oder einer von der zuständigen Behörde mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe betrauten fachlich geeigneten Person, die gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 NotSan-APrV Vorsitzende oder Vorsitzender des Prüfungsausschusses ist. Die fachliche Eignung der Beklagten für die Mitwirkung im Prüfungsausschuss und die Übernahme des Vorsitzes ist für die Kammer nicht feststellbar. Sowohl das Wesen einer Prüfung als auch das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit verlangen, dass die Beurteilung von Prüfungsleistungen nur Personen übertragen werden darf, die nach ihrer fachlichen Qualifikation in der Lage sind, den Wert der erbrachten Leistung eigenverantwortlich zu beurteilen und zu ermitteln (vgl. BVerwG, B. v. 02.04.1979 - 7 B 61.79 -, BVerwG, B. v. 18.06.1981 – 7 CB 22/81 –, juris). Zu ihrer fachlichen Qualifikation trägt die Beklagte zunächst in einem Zirkelschluss vor, sie wäre nicht in ihrem Aufgabenbereich eingesetzt worden, wenn sie nicht über eine ausreichende Qualifikation verfügen würde. Aus einer Bescheinigung des S. vom 05.10.2021 geht zudem hervor, dass die Aufgaben des Dienstpostens einer Dezernentin im Bereich,,Andere als ärztliche Heilberufe" im Dezernat 4 "Berufliche Bildung", den Frau T. im U. innehat, im Wesentlichen die landesweite Aufsicht über alle Schulen mit den Berufen Physiotherapie, Notfallsanitäter, Technische Assistenz in der Medizin, Massage, Logopädie, Podologie, Diätassistenz und Orthoptik umfassten. Zu ihren Tätigkeiten zähle u.a. der Grundsatz für Prüfungen sowie die Gesamtorganisation der Prüfungen und die Übernahme des Prüfungsvorsitzes vor Ort. Die Auswahlentscheidung zur Besetzung des Dienstpostens sei auf Grundlage der Bewertung der Eignung, Befähigung und der fachlichen Leistung der Bewerberinnen und Bewerber getroffen worden. Frau H. habe das Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens im besonderen Maße erfüllt und sei deshalb nach Würdigung aller zu berücksichtigenden Aspekte für den Dienstposten ausgewählt worden.
Aus diesen Ausführungen lässt sich für die fachliche Eignung der Beklagten für die Mitwirkung im Prüfungsausschuss nichts herleiten, da sie sich auf die Aufgaben von Frau H. – allerdings nicht in ihrer Funktion als Beklagte – innerhalb des S. beziehen. Zu diesen Aufgaben gehört zwar die Wahrnehmung des Prüfungsvorsitzes auch der staatlichen Prüfung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Die fachliche Eignung für diese Aufgabe unterscheidet sich aber wesentlich von der Eignung für die Aufgaben als Dezernentin. Zu ihrer fachlichen Eignung für die Mitwirkung im Prüfungsausschuss und die Übernahme des Vorsitzes hat sich die Beklagte auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert.

IV. Außerdem liegt ein beachtlicher Verstoß gegen Verfahrensvorschriften darin, dass der Kläger und zwei weitere Prüflinge gleichzeitig die mündliche Prüfung ablegten. Gemäß § 16 Abs. 3 S. 1 NotSan-APrV werden die Prüflinge (in der mündlichen Prüfung) einzeln oder zu zweit geprüft. Der mündliche Teil der Prüfung erstreckt sich gemäß § 16 Abs. 2 NotSan-APrV auf drei Themenbereiche der Anlage 1 (1. Notfallsituationen bei Menschen aller Altersgruppen sowie Gefahrensituationen erkennen, erfassen und bewerten, 2. Kommunikation und Interaktion mit sowie Beratung von hilfesuchenden und hilfebedürftigen Menschen unter Berücksichtigung des jeweiligen Alters sowie soziologischer und psychologischer Aspekte; in Gruppen und Teams zusammenarbeiten, 3. bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken, lebenserhaltende Maßnahmen und Maßnahmen zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung durchführen). Vorliegend wurden jedoch drei Prüflinge gleichzeitig geprüft. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung wurde jeder Themenbereich in einem gesonderten Raum abgenommen, wobei die Prüflinge nach jedem Themenbereich den Raum und damit die Fachprüfer wechselten. Dabei ist nicht auf die beiden Fachprüfer, die jeweils einen Themenbereich prüften, abzustellen, sondern auf alle sechs an der mündlichen Prüfung beteiligten Fachprüfer nebst der Vorsitzenden, auch wenn diese nicht in einem Raum geprüft haben. Dies ergibt sich aus Folgendem: Als Prüfungskommission sind vorliegend nicht nur die beiden Fachprüfer pro Themenbereich anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Differenzierung zwischen dem Prüfungsausschuss und der konkret eingesetzten Prüfungskommission vorgenommen (BVerwG, U. v. 28.10. 2020, aaO.). Letztere setzt sich demnach nicht lediglich aus den beiden Fachprüfern pro Themenbereich zusammen, sondern aus der Vorsitzenden und den jeweiligen Fachprüfern eines Prüfungsteils, hier mithin aus den den sechs Fachprüfern und der Vorsitzenden. Vor dieser Kommission wurden insgesamt drei Prüflinge gleichzeitig geprüft. Die Vorgabe des § 16 Abs. 3 S. 1 NotSan-APrV zur maximal zulässigen Zahl von Prüflingen bezieht sich außerdem nicht auf die Abnahme der einzelnen Themenbereiche durch zwei Fachprüferinnen bzw. Fachprüfer, sondern auf die mündliche Prüfung als Ganzes. Dies lässt sich aus der Systematik des § 16 NotSan-APrV ableiten. Die ersten drei Absätze betreffen die gesamte mündliche Prüfung als Prüfungsteil: Absatz 1 bestimmt die nachzuweisenden Kompetenzen, Absatz 2 beschreibt die Inhalte und weist sie den drei Themenbereichen zu, Absatz 3 klärt formale Fragen zur Anzahl der Prüflinge und zur Dauer der mündlichen Prüfung. Erst im folgenden vierten Absatz wird zwischen der mündlichen Prüfung (Satz 2) und den einzelnen Prüfungen in den drei Themenbereichen (Satz 1) differenziert. Soweit Regelungen zur Prüfung in einzelnen Themenbereichen getroffen werden, stellt der Wortlaut der Norm dies klar, etwa in Absatz 4 Satz 1 und Satz 3. Eine solche Klarstellung enthält Absatz 3 erkennbar nicht, so dass einzig der Schluss möglich ist, dass die Regelung zur maximalen Anzahl von Prüflingen in Satz 1 auf die gesamte mündliche Prüfung bezogen ist. Eine andere Lesart würde zudem einen unauflösbaren Widerspruch zur Regelung in Satz 2 des Absatzes 3 bedeuten, wonach die Prüfung für jeden Prüfling mindestens 30 und nicht länger als 45 Minuten dauern soll. Auch die Beklagte ist nicht der Auffassung, dass sich diese Vorgabe auf die einzelnen Themenbereiche bezieht, da die Prüfungsdauer in der Praxis der Beklagten pro Themenbereich 10 bis 15 Minuten beträgt, was einer Gesamtdauer der mündlichen Prüfung von 30 bis 45 Minuten entspricht. Es lässt sich jedoch aus dem Wortlaut und der Systematik des § 16 Abs. 3 NotSan-APrV nichts dafür herleiten, dass Satz 2 eine Regelung hinsichtlich der gesamten mündlichen Prüfung enthält, während Satz 1 sich auf die einzelnen Themenbereiche bezieht.

V. Der Kläger beruft sich zwar nicht mit Erfolg auf eine Überschreitung der zulässigen Prüfungszeit. Die mündliche Prüfung bewegte sich mit einer Dauer von 30 Minuten innerhalb des von § 16 Abs. 3 S. 2 NotSan-APrV gesetzten Rahmens. Danach soll die Prüfung für jeden Prüfling mindestens 30 und nicht länger als 45 Minuten dauern. Der Kläger wurde zwischen 11:02 Uhr und 11:12 Uhr im Themenbereich 1, zwischen 11:14 Uhr und 11:24 Uhr im Themenbereich 7 sowie zwischen 11:26 Uhr und 11:36 Uhr in den Themenbereichen 3 und 10 und damit exakt 30 Minuten geprüft. Ein beachtlicher Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften ist aber darin zu sehen, dass der mündlichen Prüfung eine dreißigminütige Vorbereitungszeit vorgeschaltet war, die in der NotSan-APrV nicht vorgesehen ist, was wegen der Wesentlichkeit dieser Frage für das Prüfungsverfahren jedoch erforderlich gewesen wäre. Während der Vorbereitungszeit unterstand der Kläger einer Prüfungsaufsicht und hätte sich nach Angaben der Beklagten nur nach den Regeln zum prüfungsrechtlichen Rücktritt aus dem Vorbereitungsraum entfernen dürfen. Andere als die zugelassenen Hilfsmittel waren dem Kläger in dieser Phase nicht erlaubt. Anders läge der Fall, wenn die Vorbereitungszeit wie etwa im Falle der zweiten juristischen Staatsprüfung in der Prüfungsordnung vorgesehen wäre (vgl. § 39 Abs. 3 S. 3 der Verordnung zum Niedersächsischen Gesetz zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen). Die Hinweise in den Materialien für die dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin und zum Notfallsanitäter des Niedersächsischen Kultusministeriums (Stand: September 2016, S. 31), nach denen die Fallbeschreibung dem Prüfling am Prüfungstag vor Beginn der Prüfung bekannt gegeben werden kann und das Aushändigen und Lesen der Fallbeschreibung als Vorberei-tungs-, jedoch nicht als Prüfungszeit gilt, stellen lediglich interne Verwaltungsvorschriften dar, die die mangende Regelung der Vorbereitungszeit in der NotSan-APrV nicht zu ersetzen vermögen.

VI. Schließlich liegt ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften darin, dass die stellvertretende Vorsitzende während der mündlichen Prüfung des Klägers nicht in allen drei Themenbereichen anwesend gewesen ist. Eine Anwesenheitspflicht der Vorsitzenden bei allen Themenbereichen der mündlichen Prüfung in der staatlichen Prüfung folgt nicht unmittelbar aus dem Gesetz, die Systematik der Vorschiften erfordern jedoch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 3 S. 3 NotSan-APrV.

Grundsätzlich ist die oder der Vorsitzende des Prüfungsausschusses gemäß § 5 Abs. 3 S. 3 NotSan-APrV verpflichtet, an den jeweiligen Teilen der Prüfung in dem Umfang teilzunehmen, der zur Erfüllung der in dieser Verordnung geregelten Aufgaben erforderlich ist; eine Verpflichtung zur Anwesenheit während der gesamten Dauer der Prüfung besteht demnach nicht. Gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 NotSan-APrV wird die Prüfung zu jedem Themenbereich von mindestens zwei Fachprüferinnen oder Fachprüfern abgenommen und benotet. Nach den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift ist die oder der Vorsitzende des Prüfungsausschusses berechtigt, sich an der mündlichen Prüfung zu beteiligen und dabei selbst Prüfungsfragen zu stellen; aus den Noten der Fachprüferinnen und Fachprüfer bildet die oder der Vorsitzende des Prüfungsausschusses im Benehmen mit den Fachprüferinnen und Fachprüfern die Note für den jeweiligen Themenbereich.

Zur staatlichen Ergänzungsprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht eine Anwesenheitspflicht der oder des Vorsitzenden aus ihren oder seinen Aufgaben während der mündlichen und der praktischen Prüfung hergeleitet: Die gemeinsame Bewertung mit den Fachprüferinnen und Fachprüfern und das Stichentscheidungsrecht (§ 18 Abs. 3 NotSan-APrV) im Fall der mündlichen Prüfung sowie das Stichentscheidungsrecht (§ 19 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 3 S. 5 NotSan-APrV) im Fall der praktischen Prüfung erfordern eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 3 S. 3 NotSan-APrV dahingehend, dass die oder der Vorsitzende zur Anwesenheit während der jeweiligen Prüfung verpflichtet ist (BVerwG, U. v. 28.10.2020 – 6 C 8/19 – Rn. 17 ff., juris).

Ein Vergleich mit den Kompetenzen der oder des Vorsitzenden während der mündlichen Prüfung in der staatlichen Prüfung aus § 16 Abs. 4 NotSan-APrV zeigt, dass diese weniger weitgehend sind. Die oder der Vorsitzende hat ein Beteiligungs- und Fragerecht und bildet aus den Noten der Fachprüferinnen und Fachprüfer im Benehmen mit diesen die Note für den jeweiligen Themenbereich. Ein eigenes Bewertungsrecht sieht die Norm nicht vor.

Ob aus der Aufgabe der Benehmensherstellung eine Anwesenheitspflicht der oder des Vorsitzenden folgt, kann offenbleiben, da sich eine solche aus dem Beteiligungs- und Fragerecht ergibt, welches der oder dem Vorsitzenden während der mündlichen Prüfung zusteht: Denn die oder der Vorsitzende kann das Beteiligungs- und Fragerecht nur dann unter Wahrung der Chancengleichheit aller Prüflinge sachgerecht ausüben, wenn sie oder er bei allen Prüfungen anwesend ist. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Beteiligungs- und Fragerechts. Legt man zugrunde, dass die oder der Vorsitzende in der mündlichen Prüfung im Rahmen der staatlichen Prüfung kein eigenes Bewertungsrecht hat, sondern die Benotung den Fachprüferinnen und Fachprüfern obliegt, kann das Beteiligungs- und Fragerecht einzig der Verbreiterung der Tatsachengrundlage für die Bewertung durch die Fachprüferinnen und Fachprüfer und der Objektivierung der Prüfung dienen. Die oder der Vorsitzende kann wie gezeigt nicht selbst bewerten, kann aber durch eigene Fragen den Prüfling zu Antworten führen, die die Fachprüferinnen und Fachprüfer möglichweise nicht hervorgerufen hätten – dies kann sich zugunsten oder zuungunsten des Prüflings auswirken. Ursache hierfür können Unterschiede im persönlichen Prüfungsstil, unterschiedliche Auffassungen von den bei dem Prüfling vorhandenen Kenntnissen bzw. Lücken oder auch sachfremde Erwägungen sein. Auch missverständliche Antworten des Prüflings können durch Verständnisfragen der oder des Vorsitzenden klargestellt werden. Überdies bringt eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender, die oder der auch an anderen Schulen derselben Fachrichtung tätig sein kann, einen eigenen weiteren Erfahrungshorizont in die Prüfung mit ein, über den die Fachprüferinnen und Fachprüfer in diesem Umfange nicht zwingend verfügen, und trägt auch auf diese Weise zur Objektivierung der Prüfung bei.

Um in jedem Einzelfall dem Prüfling durch eigene Fragen die Gelegenheit zu geben, mehr Wissen zu präsentieren als durch die Fachprüferinnen und Fachprüfer abgefragt, und so ggfs. mögliche Unzulänglichkeiten der Fachprüferinnen und Fachprüfer auszugleichen oder aber Wissenslücken aufzudecken, muss die oder der Vorsitzende in jeder Prüfung anwesend sein. Denn nur so kann sie oder er beurteilen, ob Anlass zur Beteiligung und zum Stellen eigener Fragen besteht. Anderenfalls hinge es vom Zufall ab, ob dem Prüfling durch die Anwesenheit der oder des Vorsitzenden die Gelegenheit gegeben würde, auf Fragen einer weiteren Person zu antworten – und umgekehrt, ob dieser Gefahr liefe, auf Fragen einer weiteren Person keine Antwort zu wissen. Aus dem Grundsatz der Chancengleichheit folgt deshalb in verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs. 3 S. 3 NotSan-APrV, dass die oder der Vorsitzende auch in der mündlichen Prüfung der staatlichen Prüfung anwesend sein muss.

Etwas anderes folgt nicht aus § 4 der Verordnung zur Sicherung der Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (EpiGesAusbSichV). Danach kann von den jeweiligen Regelungen zur Zusammensetzung des Prüfungsausschusses hinsichtlich der Anzahl und hinsichtlich der erforderlichen Qualifikation der Prüferinnen oder Prüfer abgewichen werden. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses, sondern um die Zusammensetzung der konkreten Prüfungskommission, also der zur Abnahme der konkreten Prüfung bestimmten Mitglieder des Prüfungsausschusses (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2020 – 6 C 8/19 – Rn. 16, juris,). Außerdem mangelt es an der nach § 4 Abs. 2 EpiGesAusbSichV erforderlichen Zuweisung von Aufgaben an die verbleibenden Mitglieder durch die zuständige Behörde. Die Aufgaben der Vorsitzenden sind nicht auf die Fachprüfer übertragen worden. Schließlich scheidet die Anwendung der EpiGesAusbSichV bereits nach ihrem Sinn und Zweck aus: Dieser besteht gemäß ihrem § 1 Abs. 1 darin, die Ausbildungen und Prüfungen in den in § 5 Absatz 2 S. 2 des Infektionsschutzgesetzes genannten Gesundheitsfachberufen, zu denen auch die Notfallsanitäterin oder zum Notfallsanitäter zählen (Nr. 15), während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sicherzustellen. Die Praxis der Beklagten, die Vorsitzende an drei Prüfungen gleichzeitig teilnehmen zu lassen, bestand jedoch bereits vor dem Beginn der Corona-Pandemie, wie aus den Materialien für die dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin und zum Notfallsanitäter des Niedersächsischen Kultusministeriums (S. 32) hervorgeht. Sie dient nicht dem Zweck, Infektionsrisiken zu minimieren, sondern ausweislich der Materialien für die dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin und zum Notfallsanitäter (aaO.) der Reduzierung der Prüfungszeit bei Schonung finanzieller und zeitlicher Ressourcen.

VII. Auf die übrigen vom Kläger erhobenen Rügen kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

B. Der Kläger musste die dargestellten Verfahrensmängel nicht vor der Prüfung rügen. Die Mängel bei der Bestimmung der Fachprüferinnen und Fachprüfer sowie bei der Bestellung der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses liegen innerhalb der Sphäre der Beklagten. Kenntnis von diesen Vorgängen kann vom Kläger nicht erwartet werden. Hinsichtlich der weiteren Mängel – der Überschreitung der maximal zulässigen Zahl an Prüflingen, der Vorschaltung einer nicht vorgesehenen Vorbereitungszeit sowie fehlende Anwesenheit der Vorsitzenden in der gesamten mündlichen Prüfung – war dem Kläger eine Rüge nicht zumutbar. Bei organisatorischen Mängeln und Zuständigkeitsfragen kann regelmäßig nicht vorausgesetzt werden, dass der Prüfling den Mangel und seine Bedeutung für die anstehende Prüfung erkannt hat (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rn. 217). Bei den Fragen, wie viele Prüflinge gleichzeitig geprüft werden dürfen, ob eine Vorbereitungszeit vorzuschalten ist und ob die Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei der gesamten Prüfung zugegen sein muss, handelt es sich um organisatorische Fragen, deren Kenntnis und Erfassung in ihrer Bedeutung vom Kläger nicht verlangt werden konnte.

C. Die festgestellten Verfahrensmängel sind sämtlich geeignet, einen Einfluss auf das Prüfungsergebnis gehabt zu haben, da sie mit den Personen der Prüfenden, der Anzahl der Prüflinge, dem konkreten Ablauf der Prüfung und der Anwesenheit der Vorsitzenden den Kernbereich der Leistungserbringung und deren Bewertung betreffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1 und 2 der Zivilprozessordnung.