Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 27.10.2021, Az.: 5 B 1756/21

Aufenthaltserlaubnis; Ausreisehindernis; dringende persönliche Gründe; Familiennachzug; Visumpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.10.2021
Aktenzeichen
5 B 1756/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Ausreiseaufforderung und die Androhung ihrer Abschiebung aus dem Bundesgebiet.

Sie ist philippinische Staatsangehörige und war seit 2009 nach philippinischem Recht mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Am 12. Januar 2020 reiste sie mit einem Schengen-Visum zu Besuchszwecken in das Bundesgebiet ein. Am 29. Mai 2020 beantragte sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs, mit weiterem Schreiben vom 11. August 2020 hilfsweise die Erteilung einer Duldung, weil ihr mittlerweile 82jähriger Ehegatte an Demenz erkrankt und ihres Beistands und ihrer Pflege bedürfe.

Mit Bescheid vom 3. September 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, forderte die Antragstellerin zur Ausreise auf und drohte ihr die Abschiebung an. Zur Begründung führte sie aus, dass die wirksame Eheschließung nicht nachgewiesen sei, weil die philippinische Heiratsurkunde nicht behördlich bestätigt oder legalisiert worden sei. Das sei unter anderem deshalb nicht erfolgt, weil die Antragstellerin keinen Visumantrag zum Zwecke des Familiennachzugs gestellt habe. Auch das stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch vor dem Hintergrund der Pflegebedürftigkeit ihres Ehegatten entgegen. Dessen Pflege könne auch durch professionelle Pflegepersonen erbracht werden. Die Antragstellerin habe außerdem keine hinreichenden Sprachkenntnisse nachgewiesen. Durchgreifende tatsächliche Abschiebungshindernisse habe die Antragstellerin nicht geltend gemacht, insofern sei auch keine Duldung zu erteilen.

Die Antragstellerin hat am 2. Oktober 2020 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist, und am 12. November 2020 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht sie geltend, dass die Ehe der Antragstellerin im Melderegister als Personenstand eingetragen sei und daher auch behördlich anzuerkennen sei. Sie betreibe zugleich ein Verfahren nach § 34 PStG, um die Anerkennung der Eheschließung zu erreichen. Hierfür seien noch legalisierte Urkunden erforderlich, die sie beibringen werde.

Auf Hinweis des Gerichts, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Einreise mit einem zwischenzeitlich abgelaufenen Schengen-Visum keine Fiktionswirkung begründe, hat die Antragstellerin den Antrag teilweise auf einstweiligen Rechtsschutz umgestellt und beantragt nunmehr (sinngemäß),

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 2. Oktober 2020 gegen den Bescheid vom 3. September 2020 anzuordnen, soweit ihr darin die Abschiebung angedroht wird, und im Übrigen

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Abschiebung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren – 5 A 1751/21 – auszusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie tritt dem Antrag entgegen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis, solange die Heiratsurkunde nicht überprüft und deren Echtheit bestätigt worden sei. Die Legalisation mittels der Haager Apostille sei nicht wirksam, weil die Bundesrepublik einen Einspruch gegen den Beitritt der Philippinen zum Haager Übereinkommen erklärt habe.

Am 9. Februar 2021 ist der Ehegatte der Antragstellerin verstorben. Die Antragsgegnerin macht seitdem geltend, dass ein Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug schon deshalb ausscheide und die Antragstellerin auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht habe, nachdem sie nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gewesen sei.

Die Antragstellerin begehrt weiterhin die Erteilung einer Duldung und macht geltend, dass sie infolge des Sterbefalls umfangreiche behördliche Angelegenheiten zu erledigen habe, die sie auch bei anwaltlicher Vertretung nicht aus dem Ausland bewältigen könne. Sie müsse zur Bewilligung einer Witwenrente wiederum ihre wirksame Eheschließung nachweisen, auch ein Erbschein werde ihr ohne diesen Nachweis nicht ohne Weiteres erteilt. Im Übrigen sei sie bereit, freiwillig auszureisen und werde eher früher als später in ihre Heimat zurückkehren.

Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, dass weder für die Anträge auf Erteilung eines Erbscheins und Bewilligung einer Witwenrente noch für das standesamtliche Verfahren nach § 34 PStG die andauernde Anwesenheit der Antragstellerin im Bundesgebiet erforderlich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. August 2021 übertragen hat.

1. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung ist demnach das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind von der Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Sätze 1 und 3 AufenthG besteht weder aufgrund einer etwaigen Vereitelung des Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels noch aus dringenden persönlichen Gründen.

Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung einer Ausländerin auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass die Ausländerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22.8.2017 – 13 ME 213/17 –, juris Rn. 3; BayVGH, Beschluss vom 27.11.2018 – 19 CE 17.550 –, juris Rn. 30). Dem in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn eine Ausländerin für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 27.11. 2018 – 19 CE 17.550 –, juris Rn. 30).

Der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG hat vorliegend keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Auf die in § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG geregelte Fortgeltungsfiktion kann sie sich nicht berufen, da der Gesetzgeber in § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG Visa nach § 6 Abs. 1 AufenthG von der Fiktionswirkung ausgenommen hat. Das gilt auch für das Schengen-Visum der Antragstellerin.

Die Antragstellerin hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung. Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung der Abschiebung als sog. Verfahrensduldung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22.8.2017 – 13 ME 213/17 –, juris Rn. 3). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Die Antragstellerin hat nach dem Tod ihres Ehegatten unabhängig von der Anerkennung der Eheschließung durch die deutschen Behörden schon deshalb keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG, weil sie nicht mehr mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet, sondern verwitwet ist. Sie hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 AufenthG, weil diese eine bereits erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs voraussetzt, die die Antragstellerin nicht besitzt.

Ein Anspruch auf eine Duldung ergibt sich auch nicht nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG aus dringenden persönlichen Gründen, insbesondere nicht aus dem Interesse der Antragstellerin, nach dem Tod ihres Ehegatten die Erteilung eines Erbscheins sowie eine Witwenrente zu beantragen. Insoweit hat die Antragstellerin keine durchgreifenden Hindernisse dargelegt, diese Verfahren mit Hilfe ihres Bevollmächtigten aus dem Ausland zu betreiben. Tatsächliche Verfahrensschritte, die ihre Anwesenheit im Bundesgebiet über die Antragstellung hinaus erfordern würden, hat die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie die Legalisation oder anderweitige Anerkennung ihrer philippinischen Heiratsurkunde allein im dem Bundesgebiet erreichen kann. Im Gegenteil teilt die Botschaft der Bundesrepublik in Manila auf ihrer Internetpräsenz mit, dass die Überprüfung philippinischer Urkunden auf formale Echtheit und inhaltliche Richtigkeit durch die Botschaft nur im Wege der Amtshilfe gegenüber Behörden erfolgt. Dazu muss die Inlandsbehörde die philippinische Urkunde im Original beifügen und konkrete Fragen stellen bzw. um Globalüberprüfung ersuchen. Von Privatpersonen kann eine Urkundenprüfung dagegen nicht veranlasst werden (vgl. https://manila.diplo.de/ph-de/service/ueberpruefung-philippinischer-urkunden/​). Ein weiterer Aufenthalt der Antragstellerin im Inland ist danach für das Überprüfungsverfahren entbehrlich, solange die Urkundenüberprüfung durch das Standesamt, das Nachlassgericht oder den Rentenversicherungsträger veranlasst wird. Der weitere Betrieb der jeweilige Verfahren kann durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin erfolgen.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die Abschiebungsandrohung ist unbegründet, weil sich diese voraussichtlich als rechtmäßig erweist. Die geltend gemachten Abschiebungshindernisse stehen der Abschiebungsandrohung gem. § 59 Abs. 3 Satz AufenthG nicht entgegen. Auch die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind erkennbar gegeben. Durchgreifende Hindernisse gegen die Ausreisepflicht, die die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung entbehrlich machen könnten, bestehen nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nrn. 1, 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 8.1, 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).