Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 13.10.2021, Az.: 5 A 2535/20

Berufsunfähigkeitsrente; Bewertung; Bewilligung; Funktionseinschränkung; Gutachten; Tatsachen, veränderte; Widerruf; Widerruf Berufsunfähigkeitsrente; Zahnärzteversorgung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
13.10.2021
Aktenzeichen
5 A 2535/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70997
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Widerruf der Bewilligung einer aufgrund rechtskräftigen Urteils zugesprochenen Berufsunfähigkeitsrente auf Grundlage von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG setzt voraus, dass sich die Annahme der Berufsunfähigkeit tragenden Diagnosen nachträglich geändert haben. Die abweichende Bewertung der daraus folgenden Funktionsunfähigkeit als Vorfrage der Berufsunfähigkeit durch einen weiteren Gutachter stellt keine nachträglich eingetretene Tatsache dar, die den Widerruf trägt.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2020 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrags abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente.

Er ist approbierter Zahnarzt und seit dem 1. März 2000 Mitglied des Beklagten. Im Juni 2017 beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente, die der Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2017 ablehnte.

Auf die Klage des Klägers verpflichtete das Verwaltungsgericht Braunschweig mit Urteil vom 16. August 2018 den Beklagten, dem Kläger mit Wirkung vom 1. August 2017 die begehrte Berufsunfähigkeitsrente zu bewilligen. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der Kläger infolge der bei ihm vorliegenden degenerativen Erkrankungen des Skelettapparates eine Tätigkeit in der unmittelbaren Patientenversorgung nur noch höchstens zwei Stunden täglich und damit nicht mehr nachhaltig ausüben könne. Der Kläger könne auch nicht auf eine andere ärztliche Tätigkeit verwiesen werden, weil er keine praktische Chance habe, eine solche Tätigkeit in nachhaltiger Weise aufzunehmen. Eine von dem Beklagten vorgeschlagene Tätigkeit im Praxismanagement sei schon keine ärztliche Tätigkeit, auf die der Kläger verwiesen werden könne, weil sie die Approbation als Arzt nicht voraussetze. Die Leitung eines medizinischen Versorgungszentrums könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen, weil er selbst ärztlich tätig sein müsste. Ihm fehlten außerdem die erforderlichen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse. Auch eine Tätigkeit als Gutachter könne er praktisch nicht erreichen, weil er keinerlei Erfahrungen als Gutachter verfüge und nicht mehr seit vier Jahren vertragszahnärztlich zugelassen sei. Dass er ohne jegliche Erfahrung als Gutachter bei Medizinischen Dienst der Krankenkassen eingestellt werden könnte, sei bei vernünftiger Betrachtung ausgeschlossen. Auch andere Tätigkeiten im öffentlichen Gesundheitswesen seien nicht ersichtlich, Tätigkeiten in Forschung und Lehre mangels Zusatzqualifikationen ausgeschlossen. Dem Urteil kam der Beklagte mit Bescheid vom 6. November 2018 nach. Diesem Bescheid war kein ausdrücklicher Widerrufsvorbehalt beigefügt.

Im September 2019 verlangte der Beklagte von dem Kläger durch einfaches Schreiben eine Überprüfung des Fortbestehens seiner Berufsunfähigkeit durch Vorlage eines ärztlichen Attestes. Der Kläger legte ein Attest seines Orthopäden Dr. E. vom 30. September 2019 vor. Der Beklagte ordnete sodann die Einholung eines Obergutachtens an, das die Dr. F. GmbH am 17. Dezember 2019 erstattete. Darin werden einerseits die aus den Vorgutachten bekannten degenerativen Veränderungen des Skelettapparats, insbesondere der Halswirbelsäule, und der rechten Hand bestätigt und eine vollschichtige Tätigkeit für nicht zumutbar erachtet. Eine zahnärztliche Verweisungstätigkeit mit einem Umfang von vier Stunden sei dem Kläger allerdings möglich. Dem trat der Kläger mit dem Einwand entgegen, dass der Gutachter keine Veränderung des Gesundheitszustands attestiert habe, sondern lediglich die Leistungsfähigkeit abweichend bewerte. Diese abweichende Bewertung sei jedoch nicht nachvollziehbar begründet. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 5. Februar 2020 führte der Obergutachter aus, dass sich die abweichende Beurteilung auf eine Verbesserung der Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule stütze. Ansonsten habe sich die degenerative Erkrankung auch nicht weiter verschlechtert.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. März 2020 hob der Beklagte auf Grundlage des Obergutachtens den Bewilligungsbescheid vom 6. November 2018 mit Wirkung zum 1. April 2020 auf und ordnete die sofortige Vollziehung an.

Der Kläger hat am 16. April 2020 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er hält den Widerruf der Bewilligung der Altersrente für rechtswidrig. Dem von dem Beklagten beauftragten Obergutachten sei nicht zu entnehmen, dass er wieder in der unmittelbaren Patientenversorgung arbeiten könne, sondern nur, dass er auf andere zahnärztliche Tätigkeiten wie das Erstatten von Gutachten verwiesen werde. Eine solche Verweisungstätigkeit habe das Verwaltungsgericht in dem Urteil vom 16. August 2018 jedoch als nicht erreichbar erachtet. Diese Einschätzung werde durch das neue Obergutachten nicht erschüttert. Zum einen sei das Gutachten mit größerem zeitlichen Abstand zu seiner Berufstätigkeit erstattet worden und bilde damit einen Erholungszustand ab, der bei einer erneuten Arbeitsaufnahme nicht mehr gegeben sei. Eine neuerliche Verschlechterung der Erkrankung sei für diesen Fall zu erwarten. Weiterhin ergebe sich aus dem älteren Obergutachten, dass zwei degenerative Erkrankungen die Berufsunfähigkeit jeweils für sich genommen trügen, nämlich die Beweglichkeitseinschränkungen der Wirbelsäule einerseits und die Beweglichkeitseinschränkungen der rechten Hand andererseits. Wenn das neue Obergutachten im Bereich der Wirbelsäule eine verbesserte Beweglichkeit erkenne, betreffe das nur eins von zwei Krankheitsbildern, die die Feststellung der Berufsunfähigkeit unabhängig voneinander trügen. Einer Neubewertung seiner Berufsunfähigkeit stehe die materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung entgegen.

Mit Beschluss vom 31. August 2020 stellte das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Der Beklagte legte daraufhin eine weitere, ergänzende Stellungnahme des von ihm beauftragten Obergutachters vor. Darin wird ausgeführt, dass sich die degenerativen Veränderungen der rechten Hand tatsächlich nicht gebessert hätten. Diese führten jedoch für sich genommen nicht zur Berufsunfähigkeit des Klägers, sondern erst eine daraus folgende Funktionseinschränkung. Diese habe sich bei der Untersuchung am 28. November 2019 nur gering dargestellt. Die Handgelenksbeweglichkeit sei nahezu seitengleich. Am rechten Ringfinger sei die Beugung des Mittel- und Grundgelenks um 10° eingeschränkt, am Mittelfinger die Beugung des Grundgelenks um 20° und des Mittelgelenks um 20° eingeschränkt. Am Endgelenk des Mittelfingers sei die Streckung um 10° eingeschränkt. Das seien Bewegungseinschränkungen, die sich weder im täglichen Leben noch in der beruflichen Tätigkeit relevant auswirkten. Der Faustschluss sei kaum beeinträchtigt. Soweit das Verwaltungsgericht die Bewegungseinschränkungen mit einer Berufsunfähigkeit gleichsetze, habe es nicht berücksichtigt, dass eine relevante Funktionsstörung aus diesen Bewegungsdefiziten nicht hervorgehe. Hinsichtlich der Halswirbelsäule sei hervorzuheben, dass sämtliche Bewegungen der Halswirbelsäule schmerzfrei möglich gewesen seien und lediglich die Drehung nach links um 10° reduziert gewesen sei. Das sei jedoch noch im physiologischen Bereich und vor allem in allen Bewegungsprüfungen für den Kläger schmerzfrei gewesen. In der Gesamtschau sei der Befund im Bereich der Wirbelsäule erheblich gebessert. Ein Widerspruch zwischen den zwei Obergutachten bestehe auch im Hinblick auf die Bewegungseinschränkungen des rechten Mittelfingers nicht. Die zunehmende Versteifung des Endgelenks des rechten Mittelfingers lasse auch die Beschwerden zurückgehen, weil die zerstörten Gelenkflächen weniger aneinander rieben. Die einzige wesentliche Bewegungseinschränkung betreffe das Endgelenk des rechten Mittelfingers, alle übrigen Fingergelenke seien frei beweglich gewesen. Dass das letzte Obergutachten dazu keine Dokumentation enthalte, mache das nun erstattete Obergutachten nicht unrichtig.

Ein auf diese Erläuterungen Bezug nehmender Abänderungsantrag des Beklagten blieb ohne Erfolg.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt den Widerruf der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente. Der Beklagte sei nach seiner Versorgungssatzung berechtigt, in angemessenen Abständen das weitere Vorliegen der Berufsunfähigkeit zu überprüfen. Diese Prüfung habe er im September 2019 ermessensfehlerfrei veranlasst. Die Überprüfung habe nach der Einschätzung des Obergutachtens ergeben, dass eine völlige Berufsunfähigkeit des Klägers nicht mehr gegeben sei. Die Einschätzung der Gutachter sei eine nachträglich eingetretene Tatsache, die den Widerruf der Bewilligung trage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Das Urteil ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. August 2020 übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid kommt § 49 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 3 VwVfG in Betracht. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist (Nr. 2) oder die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Nr. 3).

Ein Widerruf der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente ist in dem Bewilligungsbescheid vom 6. November 2018 nicht ausdrücklich vorbehalten. Auch ein gesetzlich oder in der Versorgungssatzung des Beklagten geregelter Widerrufsvorbehalt ist nicht ersichtlich. Soweit sich ein solcher aus dem Regelungszusammenhang der Ermächtigung des Beklagten, die Berufsunfähigkeit in angemessenen Abständen zu überprüfen, und dem materiellen Erlöschen des Anspruchs bei Wegfall der Berufsunfähigkeit herleiten lässt, gilt er nicht uneingeschränkt, sondern nur bei Wegfall der Berufsunfähigkeit, und läuft damit mit einer nachträglichen Änderung der Tatschen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG gleich.

Der Widerruf findet jedoch auch in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG keine Grundlage, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Widerruf nicht vorliegen.

Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG sind dann nachträglich eingetreten, wenn sich der Sachverhalt, der dem Verwaltungsakt zugrunde liegt, nachträglich so ändert, dass die Behörde berechtigt wäre, den ursprünglichen Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Die entscheidungserheblichen Elemente des Sachverhalts, deren Änderung zu einem Widerruf berechtigt, können sowohl in einem Verhalten von Beteiligten oder Betroffenen liegen als auch in äußeren Umständen. Notwendig ist aber eine Veränderung der Sachlage. Die bloße andere Beurteilung der gleichgebliebenen Tatsachen reicht nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 14.11.1973 – BVerwG 8 C 173.72 –, BVerwGE 44, 180, und vom 22.8.1979 – BVerwG 8 C 17/79 –, BVerwGE 58, 259, juris).

Nach diesem Maßstab sind bei der Einschätzung der Berufsunfähigkeit Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG deshalb nur die intersubjektiv feststellbaren, mit diagnostischen Mitteln erhobenen Befunde. Die Beurteilung der Funktionseinschränkung der betroffenen Extremitäten und Organe, des daraus folgenden Umfangs der noch zumutbaren täglichen Arbeit im gewählten Beruf und der Frage, ob die vorhandenen Einschränkungen im rechtlichen Sinne zur Berufsunfähigkeit führen, sind dagegen der Beurteilung dieser Tatsachenlage zuzuordnen. Das gilt auch dann, wenn sich das Gericht bei der Beurteilung dieser Fragen die Hilfe eines Sachverständigen in Anspruch nimmt. Der Umstand, dass ein Sachverständiger die Tatsachen auf eine bestimmte Weise beurteilt, ist für sich genommen keine eigene Tatsache im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. Andernfalls könnte der Beklagte bei einem unveränderten Gesundheitszustand durch den bloßen Auftrag an andere Gutachter jederzeit nachträglich eintretende Tatsachen selbst herbeiführen. Das gilt jedenfalls und insbesondere dann, wenn die Beurteilung der Tatsachen durch eine bereits ergangene gerichtliche Entscheidung mit materieller Rechtskraft gegenüber den Beteiligten bindend ausgesprochen worden ist.

Im so verstandenen Sinne sind seit der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente am 6. November 2018 keine geänderten Tatsachen eingetreten, die den Beklagten berechtigen würden, die Bewilligung zu widerrufen.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Braunschweig bestand bei dem Kläger Berufsunfähigkeit, weil er nach den gutachterlichen Feststellungen des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie und zertifizierten Gutachters der Ärztekammer Niedersachsen Dr. G. vom 24. August 2017 an einer extremen Degeneration der mittleren und unteren Halswirbelsäule, einer schwersten Osteochondrose C5/6, C6/7, C7/Th1, einer nahezu vollständigen Bandscheibenresorption C5/6 und C7/Th1 und arthrotischen Veränderungen im Daumensattelgelenk rechts, einer hochgradigen Degeneration im Endgelenk des Mittelfingers rechts, mäßiger Degeneration am Endgelenk des Klein-, Ring- und Zeigefingers rechts litt. Die Verschleißerkrankungen der Fingergelenke begründeten eine deutliche Belastungsminderung, die neben einer hochgradigen Belastungsminderung der Halswirbelsäule bei fortgeschrittener Verschleißerkrankung zahnärztliche Tätigkeiten am Behandlungsstuhl im Umfang von mehr als zwei Stunden täglich ausschlössen. Dabei seien nicht für die Wirbelsäulenerkrankung und die Erkrankung der Hände jeweils zwei Stunden Arbeit am Behandlungsstuhl möglich, sondern zwei Stunden insgesamt. Auch sei unbeachtlich, dass moderne Behandlungsstühle eine Behandlung ohne Zwangshaltung des Kopfs ermöglichten, weil bereits die mit der Behandlung einhergehenden Belastungen der rechten Hand eine längere Arbeit unzumutbar machten.

Der dieser Beurteilung tragend zugrundeliegende tatsächliche Zustand der rechten Hand ist im Wesentlichen unverändert. Das folgt aus der Ergänzung des Obergutachtens der Dres. F. /H. vom 5. Februar 2021, in der sie ausdrücklich feststellen, dass sich die degenerativen Veränderungen der rechten Hand tatsächlich nicht gebessert hätten, und deckt sich mit der zunächst von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Auskunft des Orthopäden Dr. E. vom 30. September 2019, der schlicht festgestellt hat, dass die Erkrankungen degenerativer Art seien und naturgemäß nicht mehr verbesserten, sondern allenfalls gleichblieben oder sich weiter verschlechterten.

Soweit die Dres. F. /H. in ihrem Gutachten und ihren ergänzenden Stellungnahmen betonen, dass die Arthrose für sich genommenen nicht zur Berufsunfähigkeit des Klägers führe, sondern eine daraus folgende Funktionseinschränkung erforderlich sei, handelt es sich um sachverständige Äußerungen zur Beurteilung der Tatsachen, die – wie oben ausgeführt – selbst keine Tatsachen darstellen.

Selbst wenn nach der Auffassung des Beklagten die geänderte gutachterliche Einschätzung der Funktionsfähigkeit eine Tatsache darstellen sollte, die zudem von der materiellen Rechtskraft der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig nicht erfasst wäre, läge darin zwar eine nachträglich eingetretene Tatsache. Diese würde jedoch – die Entscheidung insofern selbständig tragend - den nachträglichen Widerruf der Bewilligung der Rentenbewilligung nicht tragen. Denn die Folgerung des Obergutachtens der Dres. F. /H., dass die arthrotischen Erkrankungen der rechten Hand des Klägers die Funktionsfähigkeit der Hand so gering einschränken, dass ihm die zahnärztliche Berufsausübung am Behandlungsstuhl über vier statt zwei Stunden täglich zumutbar ist, weicht auch für sich genommen nicht nachvollziehbar von der Einschätzung des Dr. G. ab, die das Verwaltungsgericht Braunschweig seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Dr. G. stützt die Funktionseinschränkung insbesondere auf die geringe Ausdauer der rechten Hand, zu der sich das Gutachten der Dres. F. /H. nicht ausdrücklich verhält. Auch die Dres. F. /H. bestätigen die Druckschmerzsensitivität des Mittelfingerendgelenks, ohne dies bei der Beurteilung der Funktionseinschränkung erkennbar einzustellen. Diese wird lediglich anhand der Beweglichkeit des Handgelenks, der übrigen Fingergelenke und der Feststellung getroffen, dass „sämtliche Fein-, Grob- und Funktionsgriffe“ seitengleich möglich seien. Dass die Ausführung gegenüber wegen erwarteter Schmerzen links langsamer erfolgt, wird ohne weitere Folgerungen daraus lediglich festgestellt. Auch der kaum eingeschränkte Faustschluss ist aus Sicht des Gerichts kein Maßstab, an dem sich die zahnärztliche Tätigkeit am Behandlungsstuhl messen lässt, die durch höchste Präzisionsanforderungen sowie häufiges Wechseln der Instrumente geprägt ist und auch nicht jederzeit unterbrochen werden kann, wenn ein Instrument aufgrund von Schmerzen nicht mehr gehalten werden kann.

Der Beweisantrag des Beklagten war vor diesem Hintergrund abzulehnen, weil er sich auf eine weitere Ausforschung von Tatsachen richtet, die durch die erhobenen Befunde bereits feststehen und auch durch das Obergutachten der Dres. F. /H. nicht in Abrede gestellt werden. Soweit das Obergutachten der Dres. F. /H. dem Gutachten des Dr. G. und der Beurteilung des Verwaltungsgerichts Braunschweig widerspricht, richtet sich der Beweisantrag nicht auf Tatsachen, sondern sachverständige Äußerungen, die nur dann erheblich wären, wenn nachträglich eingetretene Tatsachen gem. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG ein Widerrufsermessen des Beklagten eröffnet hätten. Selbst wenn die abweichende gutachterliche Einschätzung der Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand eine Tatsache in diesem Sinne wäre, wäre sie hier infolge der materiellen Rechtskraft der Beurteilung der Berufsunfähigkeit unerheblich und außerhalb der Rechtskraft dieser Entscheidung auf weitere Ausforschung bereits bekannter Umstände gerichtet. Im Einzelnen:

Die Beweisfrage zu 1., ob der Kläger psychisch und/oder körperlich krank ist, an welchen Erkrankungen er leidet und welche Beeinträchtigungen aus den Krankheiten folgen, ist auf eine reine Ausforschung ansonsten geklärter Tatsachen gerichtet.

Gleiches gilt für die unter 2. gestellte Frage der Verbesserung des Gesundheitszustandes im Vergleich zum Zeitpunkt des Gutachtens vom 24. August 2017, die bereits durch die Feststellung der Dres. F. /H. beantwortet ist, dass sich die degenerativen Veränderungen der rechten Hand tatsächlich nicht gebessert hätten. Ob sich eine Verringerung der Rückenbeschwerden und der Druckschmerzhaftigkeit der Wirbelsäule und/oder eine Verbesserung der Beweglichkeit der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule eingestellt hat, ist infolge der materiellen Rechtskraft der Feststellung, dass bereits die Erkrankung der rechten Hand des Klägers die völlige Berufsunfähigkeit zur Folge hat, ebenso unerheblich wie die unter 3. gestellte Frage, ob eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit der betroffenen Körperteile/Organe im Vergleich zum Zeitpunkt des Gutachtens vom 24. August 2017 eingetreten ist, das der Anerkennung der Berufsunfähigkeit zugrunde lag. Auch die unter 4. gestellte Frage, ob der Kläger trotz der bestehenden degenerativen Veränderungen und der eingeschränkten Beweglichkeit des Endgelenks des rechten Mittelfingers aufgrund der Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. der Funktionsfähigkeit im Wirbelsäulenbereich und unter Zugrundelegung der gutachtlich relevanten Diagnosen in der Lage ist, eine zahnärztliche Tätigkeit (einschließlich sogenannter zahnärztlicher Verweisungstätigkeit) auszuüben, richtet sich auf die Beurteilung von Tatsachen, die von der materiellen Rechtskraft des bereits ergangenen Urteils erfasst ist. Soweit der Beklagte dem entgegen tritt, wäre die Beweiserhebung auch auf bloße weitere Ausforschung gerichtet, weil das Obergutachten der Dres. F. /H. die Annahme der Berufsunfähigkeit nicht so nachvollziehbar Frage stellt, dass eine Beweisnot im Sinne eines non liquet vorläge, die die weitere Beweiserhebung durch ein weiteres Obergutachten erfordern würde.

Vor dem Hintergrund, dass das Verwaltungsgericht Braunschweig materiell rechtskräftig festgehalten hat, dass dem Kläger auch keine Verweisungstätigkeiten offenstehen, richtet sich die Frage auch auf unerhebliche Umstände oder (nach dem Verständnis des Beklagten) Tatsachen. Gleiches gilt für die unter 5. gestellte Frage, in welchem Umfang (Std./Tag und Std./Woche) der Kläger – ggf. mit regelmäßigen Pausen – eine zahnärztliche Tätigkeit (einschließlich sogenannter zahnärztlicher Verweisungstätigkeit) ausüben kann. Auf die bloße Ausforschung bereits festgestellter Tatsachen richtet sich schließlich auch die Frage zu 6, ob die von dem Kläger festgestellten gutachtlich relevanten Diagnosen durch Medikamente und/oder geeignete therapeutische und/oder operative Behandlungen so behandelbar sind, dass der Kläger einer zahnärztlichen Tätigkeit (einschließlich sogenannter zahnärztlicher Verweisungstätigkeit) nachgehen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, § 124 a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Weder weicht das Gericht von der Rechtsprechung der dort genannten Obergerichte ab, noch hat der Rechtsstreit über den konkreten Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 47.123,64 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG und entspricht dem dreifachen Jahresbetrag der streitgegenständlichen Rente.