Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.03.2007, Az.: 7 A 266/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 06.03.2007
- Aktenzeichen
- 7 A 266/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61866
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2007:0306.7A266.05.0A
Amtlicher Leitsatz
Mineralstoff- und Vitaminpräparate sind nur dann als Arzneimittel i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV anzusehen, wenn sie gezielt zur Behandlung eines speziellen Krankheitsbildes notwendig sind und von ihnen eine unmittelbar heilende oder lindernde Wirkung ausgeht (hier verneint für "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100").
Tenor:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 9/10 und der Beklagte zu 1/10.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfe für ärztlich verordnete, nicht verschreibungspflichtige Präparate.
Der im F. geborene Kläger ist mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 % beihilfeberechtigt. Er leidet unter Diabetes mellitus (Typ II) und koronarer Herzkrankheit. Im Juli 2002 unterzog er sich einer Koronarbypass-Operation. Im November 2004 beantragte er die Gewährung von Beihilfe für die ihm ärztlich verordneten Präparate "Herz ASS 100", "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100". Für die Beschaffung der Präparate sind ihm im September und Oktober 2004 Aufwendungen in Höhe von insgesamt 43,23 Euro entstanden ("Herz Ass 100": 3,49 Euro, 2 x "Vitamin B-Komplex" je 8,38 Euro, "Folgamma 100": 22,98 Euro). Mit Bescheid vom 18. November 2004 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beihilfe insoweit mit der Begründung ab, es handele sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht beihilfefähig seien. Mit Schreiben vom 26. November 2004 übersandte der Kläger einen Arztbrief seines behandelnden Facharztes für Innere Medizin G. vom 15. Oktober 2002, in dem dieser ausführt, die Vitamin B-, C- und eingeschränkt auch die Vitamin E-Substitution im Sinne einer Sekundärprävention bei koronarer Herzkrankheit werde derzeit in internationalen Studien untersucht. Bisher vorliegende Studienergebnisse hätten einen eindeutigen Nutzen für die Patienten ergeben. Unter Vitamingabe sei von einer Risikoreduzierung um ca. 35 % für ein koronares Ereignis auszugehen. In den Vereinigten Staaten würden entsprechende Patienten schon seit längerer Zeit mit den genannten Vitaminen substituiert. Eine Veröffentlichung aus dem Jahre 2000 beschreibe zudem, dass durch eine regelmäßige Vitamin C-Substitution auch die cerebrale Leistungsfähigkeit im Alter erhalten bleibe. Vor diesem Hintergrund erscheine es bei prognostischer Betrachtung mehr als sinnvoll, auch beim Kläger eine derartige Substitution durchzuführen, um einen entsprechenden Schutz zu bewirken. Für das Medikament "Herz ASS" bestätigte der Facharzt für Innere Medizin Dr. H. mit Bescheinigung vom 17. Januar 2005 die Anwendung als Standardtherapeutikum zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit im Sinne von Ziff. 16.4.2 der Arzneimittel-Richtlinien. Mit Schreiben vom 3. Februar 2005 führte der Facharzt Dr. I. zudem aus, die Vitamin B- und Folsäure-Substitution senke bei nachgewiesener Homocysteinämie, d.h. einer erhöhten Konzentration von Homocystein im Blut, nachweislich signifikat den Homocysteinspiegel, der nach Studienlage ein Risikofaktor für die Entstehung einer Gefäßsklerose bzw. koronaren Herzerkrankung sei. Da beim Kläger ein erhöhter Homocysteinspiegel nachgewiesen worden sei, sei es im Sinne einer Sekundärprävention sinnvoll, eine entsprechende Vitaminsubstitution vorzunehmen. Der Beklagte lehnte die Anerkennung der Beihilfefähigkeit mit Bescheid vom 18. Februar 2005 nochmals ab. Bei dem Präparat "Folgamma 100" handele es sich nicht um ein Standardtherapeutikum im Sinne der Arzneimittel-Richtlinien. Bei den Präparaten "Herz ASS" und "Vitamin B-Komplex forte" sei dies zwar der Fall, beim Kläger sei aber eine der in den Arzneimittel-Richtlinien insofern aufgezählten schwerwiegenden Erkrankungen nicht diagnostiziert worden. Mit Schreiben vom 25. März 2005 erhob der Kläger Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2005 als unbegründet zurückwies.
Der Kläger hat am 15. Juli 2005 Klage erhoben. Gestützt auf die im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen trägt er vor, für die Präparate "Vitamin B-Komplex" und "Folgamma" habe sein Internist den nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse gegebenen therapeutischen Nutzen zur Behandlung der bei ihm bestehenden schwerwiegenden Erkrankung der koronaren Herzkrankheit bestätigt, sodass die Präparate nach den Arzneimittel-Richtlinien als beihilfefähig anzusehen seien. Dass eine der in den Arzneimittel-Richtlinien ausdrücklich genannten Fallgruppen insoweit nicht erfüllt sei, könne der Anerkennung der Beihilfefähigkeit nicht entgegen stehen. Das Präparat "Herz ASS" sei nach Ziff. 16.4.2 der Arzneimittel-Richtlinien beihilfefähig.
Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Beihilfefähigkeit des Medikaments "Herz ASS 100" anerkannt hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger beantragt nunmehr, den Beklagten zu verpflichten, ihm Beihilfe zu den für die Beschaffung der Präparate "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100" entstandenen Aufwendungen zu gewähren und die Bescheide des Beklagten vom 18. November 2004 und 18. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2005 insoweit aufzuheben, als sie dieser Verpflichtung entgegen stehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist weiterhin der Auffassung, die nicht verschreibungspflichtigen Präparate könnten nicht als beihilfefähig anerkannt werden. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn resultiere daraus nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Beihilfe für die Präparate "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100". Die die Gewährung von Beihilfe insoweit versagenden Bescheide des Beklagten vom 18. November 2004 und 18. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Ein Anspruch auf Gewährung von Beihilfe für die Präparate "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100" ist zugunsten des Klägers nicht begründet. Nicht entscheidungserheblich ist dabei, ob die gemäß § 87c Abs. 1 NBG geltenden Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) in der Fassung der 27. und 28. Allgem. Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 17. Dezember 2003 (GMBl 2004, S. 227) und vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379) oder in der zuvor geltenden Fassung anzuwenden sind (vgl. dazu einerseits: VG Braunschweig, Urt. vom 06.03.2007 - 7 A 194/05 -; VG Göttingen, Urt. vom 15.09.2006 - 3 A 58/05 - und Urt. vom 04.10.2006 - 3 A 526/05 -, jeweils Entscheidungsdatenbank des Nds. OVG im Internet; VG Gelsenkirchen, Urt. vom 19.01.2007 - 3 K 3324/05 -, juris; andererseits: VG Hannover, Urt. vom 30.01.2007 - 2 A 8773/05 -; VG Oldenburg, Urt. vom 24.11.2006 - 6 A 3306/05 -, jeweils Entscheidungsdatenbank des Nds. OVG im Internet). Denn für den Kläger ist ein Anspruch auf Beihilfe auch dann nicht begründet, wenn der in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 b BhV in der Fassung der 27. Allgem. Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften geregelte grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, der in Niedersachsen bei ab dem 1. September 2004 entstehenden Aufwendungen zur Anwendung gelangt (vgl. Rd.Erl. des Nds. MF vom 21.07.2004, Nds. MBl. 2004 S. 523), unberücksichtigt bleibt. Bei den Präparaten "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100" handelt es sich nämlich bereits nicht um Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der insoweit unverändert gebliebenen Beihilfevorschriften sind Aufwendungen für die vom Arzt, Zahnarzt oder Heilpraktiker bei Leistungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen beihilfefähig. Als Arzneimittel i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV kommen grundsätzlich nur Mittel in Betracht, die dazu bestimmt sind, ihre Wirkung im Rahmen der Krankenbehandlung durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu erzielen. Die Beihilfevorschriften stellen nicht auf eine formelle Einordnung, sondern auf den materiellen Zweckcharakter sowie darauf ab, ob nach objektiven Maßstäben von dem Mittel eine therapeutische Wirkung zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 30.05.1996 - 2 C 5/95 -, DVBl 1996, 1149; Nds. OVG, Urt. vom 14.09.2004 - 5 LB 141/04 -, Nds. RPfl. 2005, 45; Urt. vom 25.05.2004 - 5 LB 15/03 -, Nds. RPfl. 2004, 303).
Mineralstoff- und Vitaminpräparate werden in der Regel vorbeugend, unterstützend oder wegen ihrer allgemein gesundheitsfördernden Wirkung verabreicht. Sie erweisen sich deshalb im Allgemeinen nicht als Arzneimittel im Sinne des Beihilferechts, sodass Aufwendungen für diese Präparate nicht beihilfefähig sind. Mineralstoff- und Vitaminpräparate erlangen nur dann ausnahmsweise die Eigenschaft eines Arzneimittels im Sinne der Beihilfevorschriften, wenn sie gezielt zur Behandlung eines speziellen Krankenbildes notwendig sind und von ihnen eine unmittelbar heilende oder lindernde Wirkung ausgeht, die in der Zusammensetzung oder der Eigenart ihrer Wirkstoffe begründet ist. Allein der Umstand, dass ein Mittel ärztlich verordnet worden ist, genügt zur Begründung der Beihilfefähigkeit nicht. Denn bei ärztlichen Verordnungen stehen neben der Bekämpfung akuter oder der Linderung chronischer Erkrankungen oftmals auch andere Überlegungen, wie etwa der vorbeugende oder konservierende Schutz oder die allgemeine Gesundheitsförderung im Vordergrund (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 13.05.2004 - 7 A 711/02 -; VG Osnabrück, Urt. vom 14.01.2004 - 3 A 30/03 -, juris; OVG Hamburg, Urt. vom 17.06.1994 - Bf I 17/93 -, ZBR 1995, 245; Topka/Möhle, Komm. zum Beihilferecht Niedersachsens und des Bundes, Stand Januar 2007, Erläuterung 4.6.2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV).
Nach diesen Maßstäben können die Präparate "Vitamin B-Komplex forte" und "Folgamma 100" nicht als Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften angesehen werden. Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen sind die Präparate dem Kläger zur Sekundärprävention und damit zur Vorsorge verordnet worden. Eine unmittelbar heilende oder lindernde Wirkung der Präparate hinsichtlich der beim Kläger bestehenden koronaren Herzkrankheit, wie sie für die Anerkennung der Präparate als Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften erforderlich wäre, ist auf dieser Grundlage nicht ersichtlich. Ebenso wenig kann angenommen werden, dass die Präparate gezielt zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit notwendig sind. Ein Mangel an Folsäure und Vitamin B im Blut des Klägers kann den ärztlichen Unterlagen nicht entnommen werden. Selbst bei Annahme eines
Vitamin B- bzw. Folsäuremangels ist zudem nicht erkennbar, dass dieser nicht durch eine angepasste Ernährung behoben werden könnte, sondern organische Ursachen hat oder auf die Nebenwirkungen einer anderweitigen Medikation o. ä. zurückzuführen ist und deshalb die dauerhafte Zuführung von Vitamin B- bzw. Folsäurepräparaten erfordern würde (vgl. zu den Ursachen entsprechender Mangelerscheinungen: Pschyrembel, 259. Aufl., Stichworte "Folsäure, Folsäuremangelanämie, Vitamine" sowie aus dem Internet unter www.netdoktor.de abgerufene Informationen). Bei dieser Sachlage fehlt den verordneten Präparaten die Eigenschaft von Arzneimitteln im Sinne der Beihilfevorschriften.
Die dem Kläger für die Beschaffung der ärztlich verordneten Präparate entstandenen Aufwendungen sind auch nicht als Aufwendungen für Vorsorgemaßnahmen beihilfefähig. Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Vorsorgemaßnahmen ist in § 10 BhV abschließend geregelt. Die Beschaffung und Anwendung von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten begründet danach weder in der Fassung der Vorschrift nach Inkrafttreten der 27. und 28. Allgem. Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften noch in der zuvor geltenden Fassung einen beihilfefähigen Aufwand.
Eine aus der fehlenden Beihilfefähigkeit der Präparate folgende Gefährdung des amtsangemessenen Lebensunterhalts des Klägers, die als Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn anzusehen wäre, kann unter Berücksichtigung der vom Kläger mit 34,27 Euro angegebenen Höhe der ihm insofern entstehenden monatlichen Aufwendungen nicht angenommen werden. Die Beihilfe ist als eine die Eigenvorsorge ergänzende Leistung konzipiert. Dass dem Kläger in diesem Sinne Aufwendungen verbleiben, für die eine Erstattung nicht erfolgt, begründet noch keine Verletzung der Fürsorgepflicht, die es lediglich verbietet, dem Beamten Risiken aufzubürden, deren wirtschaftliche Auswirkungen unüberschaubar sind (vgl. BVerfG, Beschl. vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89; Beschl. vom 07.11.2002 - 2 BvR 1053/98 -, BVerfGE 106, 225; BVerwG, Urt. vom 03.07.2003 - 2 C 36/02 -, BVerwGE 118, 277).
Soweit die Klage abgewiesen wird, folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ergeht die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO. Dabei entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten, der in der mündlichen Verhandlung die angefochtenen Bescheide teilweise aufgehoben und damit der Rechtslage nach den Beihilfevorschriften Rechnung getragen hat, insoweit die Kosten des Verfahrens zu 1/10 aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.