Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.03.2007, Az.: 2 A 336/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 14.03.2007
- Aktenzeichen
- 2 A 336/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61868
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2007:0314.2A336.06.0A
Fundstelle
- ZLW 2007, 660-663
In der Verwaltungsrechtssache
...
Streitgegenstand: Ausnahmegenehmigung
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 2. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Schwarz, den Richter am Verwaltungsgericht Meyer, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Struß sowie die ehrenamtlichen Richter B. und C. für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger möchte erreichen, einen Lehrgang zum Erwerb einer Instrumentenflugberechtigung (IR (A)) für mehrmotorige Flugzeuge nach Anh. 1 zu JAR-FCL 1 205 Ziff. 11 nicht durchführen zu müssen.
Der Lehrgang für Inhaber einer IR(A) für einmotorige Flugzeuge muss nach der genannten FCL-Bestimmung in einer FTO/TRTO (anerkannte Ausbildungseinrichtung) abgelegt werden. Er umfasst mindestens fünf Stunden Instrumentenflug auf mehrmotorigen Flugzeugen, von denen drei Stunden in einem Flugsimulator oder FNPT II (Flight and Navigation Procedure Trainer) durchgeführt werden können. Die Kosten belaufen sich auf ca. 2 500,- EUR.
Der Kläger möchte beruflich einen Learjet 55 seines zukünftigen Arbeitgebers fliegen. Um eine Ausbildung auf diesem Flugzeugtyp zum Erwerb einer Musterberechtigung beginnen zu können, muss er ein IR für mehrmotorige Flugzeuge nachweisen (JAR-FCL 1 250 (a) (2)).
Den dafür erforderlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand will der Kläger nicht leisten, weil er seiner Auffassung nach hinreichend qualifiziert ist. Er ist bis zum 28.02.2006 20 Jahre als Berufsoffizier bei der Bundeswehr tätig gewesen. Dort hat er nach seinen unbestrittenen Angaben 3 330 Stunden Flugerfahrung als Pilot gesammelt. Er hat insbesondere auch Flugerfahrung nach Instrumentenflugregeln, und zwar 440 Stunden im Flug unter Wetterbedingungen und 720 Stunden unter simulierten Wetterbedingungen. Zudem ist er als Ausbilder (Fluglehrer) auch für die Instrumentenflugschulung zuständig gewesen. Sein Militärluftfahrzeugführerschein (MFS) enthielt eine IR-Berechtigung.
Noch während seiner Bundeswehrzeit erhielt er in einem Verfahren nach § 27 Abs. 2 LuftVZO nach theoretischer (Zusatz-) Prüfung durch Umschreibung seiner militärischen Lizenz am 10.05.2001 eine CPL(A) nach ICAO-Richtlinien, die mittlerweile als JAR-FCL-Lizenz in Form der CPL(A) ausgestellt ist (gültig bis 29.10.2006). In die Lizenz ist eine bis 15.01.2007 gültige Instrumentenflugberechtigung eingetragen, die aber nur für einmotorige Flugzeuge gilt (SE piston land). Diese Berechtigung ist auf seine ehemalige Privatflugzeugführerlizenz (PPL(A)) zurückzuführen. Die PPL (A) ging in der CPL(A) auf.
Der Kläger beantragte 03.03.2006 bei der Beklagten "die Anerkennung seiner militärischen Flugerfahrung zur direkten Aufnahme der Schulung zur Erlangung der Musterberechtigung des Musters Cessna Citation (C 525)". Damals war eine berufliche Beschäftigung auf diesem Flugzeugtyp vorgesehen. Er verwies auf seine militärische Flugerfahrung auf dem Tornado und dem Schulungsflugzeug T-37 sowie seine Tätigkeit als Ausbilder. Mit Mail vom 16.03.2006 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er die Anforderungen der JAR-FCL 1 025 Ziff. 11 - Lehrgang mit 5 Flugstunden - für die Aufnahme der Schulung erfüllen müsse, also zunächst eine MEP/IR (IR für mehrmot. Flugz.) in einer FTO/TRTO zu erwerben habe. Die Flugzeiten auf mehrmotorigen, militärischen Flugzeugen müssten unberücksichtigt bleiben. Grund dafür sei, dass er bereits eine JAR-FCL CPL(A) habe. Da eine FTO/TRTO für die C 525 in Deutschland nicht zugelassen ist, beabsichtigt der Kläger nunmehr eine Musterberechtigung für Learjet zu erwerben. Er beantragte mit Mail vom 17.03.2006 eine Ausnahmegenehmigung nach JAR-FCL 1 045 hinsichtlich JAR-FCL 1 250 (a) (2), wonach für die Ausbildung zur Musterberechtigung für Flugzeuge mit 2 Personen eine MEP/IR erforderlich ist.
Mit Bescheid vom 04.04.2006 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung der IR-Berechtigung auf mehrmotorigen, militärischen Flugzeugmustern und auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach JAR-FCL 1 045 ab. Zur Begründung führte sie an, eine Befreiung von der IR-Ausbildung werde nur für Luftfahrer angenommen, die die Ausbildung zur ATPL(A) vor dem 01.05.2003 begonnen und eine CCC-Prüfung (Cooperation Crew Course) bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hätten. Eine CCC-Prüfung vor dem Stichtag könne der Kläger nicht nachweisen. Der Kläger legte am 25.04.2006 Widerspruch ein.
Am 21.08.2006 hat er eine Untätigkeitsklage erhoben. Er trägt vor, es sei unerklärlich, weshalb seine bei der Bundeswehr erworbene praktische Qualifikation nicht genauso wie seine theoretische Qualifikation anerkannt werde. Er habe zum Erwerb der ATPL nur eine reduzierte theoretische Prüfung ablegen müssen. JAR-FCL 1 205 sei nicht anwendbar, da er weder eine durchgehende noch eine modulare Ausbildung durchgeführt habe. Es gehe nur um eine Umschreibung nach § 27 LuftVZO. Deshalb sei die Spezialvorschrift der JAR-FCL 1 020 heranzuziehen. Insofern habe die Beklagte das ihr von dem Verordnungsgeber eingeräumte Ermessen nicht betätigt. Eine Einzelfallentscheidung hinsichtlich der Überprüfung der vorgelegten Nachweise über Flugstunden auf mehrmotorigen militärischen Flugzeugen nach Instrumentenflugregeln sei unterblieben. Die Beklagte sei auch den Anforderungen der JAR-FCL 1 045 nicht gerecht geworden. Das Ermessen sei angesichts seiner umfangreichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten auf Null reduziert.
Die Beklagte verstoße darüber hinaus gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Besondere Anweisung des Luftwaffenamtes - Abteilung Flugbetrieb der Bundeswehr - zu der Anwendung des JAR-FCL 1 020 sei von der Beklagten nicht beachtet worden, woraus eine Ungleichbehandlung mit Bundeswehr-Piloten kurz vor dem Ausscheiden aus dem Dienst resultiere. Er werde auch im internationalen Vergleich benachteiligt. JAR-FCL 1 020 werde in anderen europäischen Staaten in der Weise angewandt, dass die militärische Flugerfahrung auf mehrmotorigen Flugzeugen nach Instrumentenflugregelungen in vollem Umfang bei dem Erwerb einer zivilen Lizenz anerkannt werde. Darin liege ein Verstoß gegen Art. I - 9 EUVerfassung und Art. 20 EU-GR-Charta.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2006 zu verpflichten, für die Erteilung der Instrumentenflugberechtigung für mehrmotorige Flugzeuge auf die Ableistung von 5 Flugstunden gem. Anhang 1 JAR-FCL 1 205 Ziff. 11 zu verzichten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger habe aus den in dem Bescheid vom 04.04.2006 genannten Gründen keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung nach JAR-FCL 1 045 (a) i.V.m. JAR-FCL 1 250 (a) (2). Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Es sei auch keine umfassende Einzelfallprüfung im Hinblick auf den Sicherheitsstandard vorzunehmen. JAR-FCL 1 045 diene quasi als salvatorische Klausel der Vermeidung unerwünschter Folgen bei der Anwendung der JAR-FCL sowie bei der Entwicklung neuer Ausbildungs- und Prüfungskonzepte. § 27 LuftVZO sei vorliegend nicht anzuwenden, weil diese Bestimmung ein anderes Verwaltungsverfahren, nämlich die Lizenzerteilung betreffe. Deshalb sei auch die Besondere Anweisung des Luftwaffenamtes nicht zu berücksichtigen. Sie sei im übrigen nur eine behördeninterne Festlegung. JAR-FCL 1 020 sei keine Spezialvorschrift, sondern nur im Rahmen des § 27 LuftVZO zu beachten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Bis heute hat die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht über den Widerspruch des Klägers entschieden.
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Ausnahme nach JAR-FCL 1 045 (a) Satz 2 hinsichtlich einer Befreiung von der Voraussetzung des JAR-FCL 1 250 (a) (2) i.V.m. JAR-FCL 1 205 Satz 1 und Anh. 1 zu JAR-FCL 1 205 Ziff. 11. Auch darüber hinaus ist für ein Absehen von den Voraussetzungen dieser Vorschrift eine Rechtsgrundlage nicht erkennbar. Der Kläger muss deshalb für den Erwerb der Instrumentenflugberechtigung für mehrmotorige Flugzeuge einen Lehrgang in einer FTO/TRTO mit mindestens fünf Flugstunden erfolgreich abschließen. Davon können drei Stunden in einem Flugsimulator oder FNPT II durchgeführt werden. Die Beklagte hat die Anerkennung der militärischen IR-Berechtigung auf mehrmotorigen Flugzeugmustern und die Erteilung einer Ausnahme nach JAR-FCL 1 045 (a) Satz 2 mit dem Bescheid vom 04.04.2006 rechtmäßig abgelehnt. Der Kläger ist deshalb nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Die Anwendung der JAR-FCL führt hier nicht zu "unverwünschten Folgen" (1. Anwendungsfall des JAR-FCL 1 045 (a) Satz 2). Erläuternd führt Satz 1 des JAR-FCL 1 045 (a) aus, dass die Bestimmungen der JAR-FCL nicht jeden denkbaren Fall abdecken könnten. Die Ausnahmeregelung soll also Sondersituationen betreffen, die von den ausdrücklich normierten Lizenzierungsregelungen nicht erfasst werden, weil sie von der JAA-Arbeitsgruppe zur Erstellung der JAR-FCL bzw. dem Verordnungsgeber nicht bedacht wurden, oder, weil sie selten vorkommen. Auch an die Entwicklung neuer Konzepte bei der Ausbildung und Prüfung hat der Verordnungsgeber gedacht, weil der 2. Anwendungsfall des Satz 2 darauf Bezug nimmt.
Eine Sondersituation, welche die Anwendung des JAR-FCL 1 045 (a) Satz 2 rechtfertigt, liegt nicht vor. Eine unbewusste Regelungslücke des Verordnungsgebers ist im Hinblick auf die Anerkennung militärischer Berechtigungen und militärischer Flugerfahrung wegen § 27 LuftVZO und JAR-FCL 1 020 nicht zu erkennen.
Es handelt sich auch nicht um einen seltenen, bewusst nicht geregelten Fall. Dieser liegt nämlich nicht darin, dass die militärische IR-Berechtigung und IR-Erfahrung der Klägers als Pilot und Ausbilder auf mehrmotorigen Flugzeugen im Verfahren nach § 27 Abs. 2 LuftVZO noch nicht berücksichtigt werden konnte, weil 2001 nur eine Musterberechtigung für eine einmotoriges Flugzeug aus seiner PPL(A) in die CPL(A) übertragen werden konnte. Erst am 15.01.2001 hatte der Kläger eine Prüfung zum Erwerb der Instrumentenflugberechtigung für das Muster PA 28 - ein einmotoriges Flugzeug - abgelegt. Damals wurden Berechtigung und Erfahrung des Klägers mit dem Instrumentenflug insofern berücksichtigt, als eine Ausbildung nicht mehr notwendig war und sogleich die Prüfung abgenommen wurde. Heute kann sich der Kläger darauf nicht mehr berufen. Er will außerhalb des Umschreibungsverfahrens nach § 27 LuftVZO eine neue Musterberechtigung erwerben. Dann muss er auch die dafür vorgesehenen Voraussetzungen nach den JAR-FCL erfüllen. Selbst in einem Verfahren nach § 27 Abs. 4 Satz 2 LuftVZO, das heute einschlägig wäre, könnte die Erfüllung der JAR-FCL- Voraussetzungen nach § 27 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 LufVZO gefordert werden. Das ist - ungeachtet der Tätigkeit als Prüfer - im Umfang von nur 5 Stunden geboten, da der Kläger den Instrumentenflug nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung bis Oktober 2003 nur auf dem Tornado praktiziert hat und er die kleinere T-37 nur bis Juni 2001 geflogen hat. Es handelt sich bei den Anforderungen des Anh. 1 zu JAR-FCL 1 205 Ziff. 11 auch nur um die Mindeststunden für ein Upgrade von ein- auf mehrmotorige Flugzeuge. Dass der Kläger keine Gesamtausbildung für eine IR (A) absolviert, ist hier rechtlich nicht relevant, weil der Kläger nur noch diese Voraussetzung zum Erwerb der Berechtigung benötigt.
Neue Ausbildungs- und Prüfungskonzepte sind ebenfalls nicht betroffen, so dass beide Anwendungsfälle des JAR-FCL 1 045 nicht greifen. Da schon die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen, war das Ermessen nach JAR-FCL 1 045 (a) nicht auszuüben. Der Verweis der Beklagten auf einen Anwendungsfall dieser Bestimmung (ATPL-Theorieprüfung und CCC-Lehrgang vor dem 01.05.2003) ist nicht entscheidungserheblich.
JAR-FCL 1 020 Satz 2 betrifft das Verfahren nach § 27 LuftVZO, was Fn. 8 zu Satz 1 JAR-FCL 1 020 zeigt. Das Ermessen der zuständigen Stelle nach dieser Bestimmung wird durch die von dem Kläger überreichte "Besondere Anweisung" des Luftwaffenamtes ausgefüllt. Um eine Spezialvorschrift gegenüber JAR-FCL 1 045 handelt es sich nicht. Ein Verfahren nach § 27 LuftVZO hat der Kläger mit seinem Antrag vom 05.03.1999 eingeleitet und mit Erteilung der CPL(A) nach ICAO-Richtlinien abgeschlossen. Auf diese Bestimmung kann sich der Kläger vorliegend nicht stützen. Er hat 2006 auch keinen Antrag nach § 27 Abs. 4 Satz 1 LuftVZO gestellt. Selbst wenn dieses so wäre, könnte die Beklagte nach dem in Bezug genommenen § 20 Abs. 2 Nr. 1 LufVZO die Erfüllung der Voraussetzungen des Anh. 1 zu JAR-FCL 1 205 Ziff. 11 verlangen.
Auf eine Ungleichbehandlung mit Militärpiloten in Deutschland und Europa kann sich der Kläger ebenfalls nicht mit Erfolg berufen, weil die Sachverhalte "Umschreibung nach § 27 LuftVZO" und "Erlass eines Ausbildungselements außerhalb des Umschreibungsverfahrens kurz nach der Entlassung aus dem Dienst" vergleichbar sein mögen, aber mit sachlichen Gründen anders geregelt sind. Die Beschränkung einer Ausnahme nach JAR-FCL 1 045 auf wenige Fälle dient nämlich der Rechtsklarheit und der einheitlichen Rechtsanwendung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.