Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 26.03.2015, Az.: L 3 KA 2/15 B
Ambulanter Verordnungsausschluss für Arzneimittel während eines Krankenhausaufenthalts; Prüfung der Einzelfallumstände; Verschulden des betroffenen Vertragsarztes; Sonstiger Schaden; Notwendiges Vorverfahren
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.03.2015
- Aktenzeichen
- L 3 KA 2/15 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 37766
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2015:0326.L3KA2.15B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 16.12.2014 - AZ: S 78 KA 247/14
Rechtsgrundlage
- § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V
Redaktioneller Leitsatz
1. Der (ambulante) Verordnungsausschluss während eines Krankenhausaufenthalts gilt nach dem Gesetzwortlaut in § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V nicht allgemein, sondern nur soweit er "im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten notwendig" ist.
2. Der Ausschluss ist daher abhängig von den Umständen des Einzelfalls und lässt sich damit - insbesondere hinsichtlich seines Umfangs - nicht eindeutig aus den gesetzlichen Vorgaben heraus bestimmen.
3. In Prüfungsverfahren wegen der Rechtmäßigkeit einer Regressforderung muss stets ein Vorverfahren durchgeführt werden, weil dort über den Verordnungsausschluss hinaus noch ein Verschulden des betroffenen Vertragsarztes zu klären und ein konkreter Schaden festzustellen ist.
4. Entsprechend handelt es sich bei der Feststellung des "sonstigen Schadens" schon dem Grunde nach nicht um eine Fallgestaltung, die eher technischen Charakter hat und ganz überwiegend in der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben besteht.
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Aussetzungsbeschluss des Sozialgerichts Hannover vom 16. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde der beklagten Prüfungsstelle - gerichtet gegen den vom Sozialgericht (SG) Hannover im Hauptsacheverfahren erlassenen Aussetzungsbeschluss vom 16. Dezember 2014 - ist zulässig, aber unbegründet.
1. In entsprechender Anwendung von § 114 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein sozialgerichtliches Verfahren auszusetzen, wenn das nach § 78 Abs 1 S 1 SGG notwendige Vorverfahren bisher nicht durchgeführt worden ist (vgl hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1). Ein solcher Fall liegt hier vor; über die Einwände der Klägerin gegen den ansonsten streitbefangenen Bescheid der Prüfungsstelle vom 18. März 2014 hat zunächst der vom SG bereits beigeladene Beschwerdeausschuss (nach § 106 Abs 5 S 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) zu entscheiden.
Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle ist bei der hier vorliegenden Konstellation die Durchführung eines Vorverfahrens nicht entbehrlich. Zwar findet in den Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei "Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind", ein Vorverfahren nicht statt (§ 106 Abs 5 S 8 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG gilt diese (Ausnahme-)Regelung aber nur dann, wenn sich die Unzulässigkeit einer Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien ergibt. Ferner ist die Regelung in Verfahren nicht anwendbar, in denen es um die Feststellung eines "sonstigen Schadens" geht, weil dieser nur vorliegt, wenn lediglich "Art und Weise" der Verordnung fehlerhaft waren (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 31).
a) Hinsichtlich der von der Klägerin hier ausgestellten Arzneimittelverordnungen ergibt sich aus dem Gesetz aber kein eindeutiger Leistungsausschluss. Schon aus diesem Gesichtspunkt heraus ist die Durchführung eines Vorverfahrens nicht entbehrlich.
Nach § 39 Abs 1 S 3 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung ua auch die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Entsprechend ist während eines stationären Aufenthalts die Arzneimittelversorgung regelmäßig von dem jeweiligen Krankenhaus sicherzustellen; diese wird dann mit der Vergütung abgegolten, die von der Krankenkasse für den Krankenhausaufenthalt entrichtet wird. Daher kann die Verordnung eines Arzneimittels, die während eines solchen Aufenthalts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt ausgestellt wird, zu zusätzlichen Kosten bei der zuständigen Krankenkasse führen, die nicht erforderlich geworden wären, wenn das Krankenhaus die Arzneimittelversorgung hätte übernehmen müssen.
Der sich daraus ergebende (ambulante) Verordnungsausschluss während eines Krankenhausaufenthalts gilt nach dem Gesetzwortlaut in § 39 Abs 1 S 3 SGB V aber nicht allgemein, sondern nur soweit er "im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten notwendig" ist. Der Ausschluss ist daher abhängig von den Umständen des Einzelfalls und lässt sich damit - insbesondere hinsichtlich seines Umfangs - nicht eindeutig aus den gesetzlichen Vorgaben heraus bestimmen.
b) Zudem streiten die Verfahrensbeteiligten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren um die Rechtmäßigkeit einer Regressforderung wegen eines "sonstigen Schadens" (so ausdrücklich zu Fällen des § 39 Abs 1 S 3 SGB V: BSG aaO.). Hierzu ist auch in der Rechtsprechung des erkennenden Senats geklärt (Beschluss vom 6. Februar 2015 - L 3 KA 108/13 B), dass in derartigen Prüfungsverfahren stets ein Vorverfahren durchgeführt werden muss, weil dort über den Verordnungsausschluss hinaus noch ein Verschulden des betroffenen Vertragsarztes zu klären und ein konkreter Schaden festzustellen ist. Entsprechend handelt es sich bei der Feststellung des "sonstigen Schadens" schon dem Grunde nach nicht um eine Fallgestaltung, die eher technischen Charakter hat und ganz überwiegend in der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben besteht. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einführung der (Ausnahme-)Regelung in § 106 Abs 5 S 8 SGB V wäre dies für deren Anwendbarkeit aber erforderlich: Danach bezieht sich die Bestimmung nur auf "gleichartig zu bearbeitende Einzelvorgänge" und nicht auf Konstellationen, in denen sich - wie hier - die Entscheidung der Prüfgremien nicht ohne Weiteres aus normativen Vorgaben ergibt, sondern zuvor einer einzelfallbezogenen Prüfung bedarf (so im Ergebnis und unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung auch BSG, SozR 4-2500 § 106 Nr 32).
2. Vor diesem Hintergrund ist das Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss noch nachzuholen; zu diesem Zweck hat das SG das Klageverfahren zutreffend ausgesetzt. Sobald eine entsprechende Bescheidung des Beschwerdeausschusses vorliegt, wird diese zum alleinigen Klagegegenstand des beim SG derzeit anhängigen Klageverfahrens; prozessrechtlich wird der Ausschuss dann die Funktion der beklagten Prüfungsstelle übernehmen.
3. Über die Kosten ist bei einer Zwischenentscheidung über die Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss vom erkennenden Senat nicht zu entscheiden (vgl hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 176 Rn 5a).
Diese Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).