Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.11.2020, Az.: 13 A 659/20

Arbeitszeitgutschrift; Ruhepause

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.11.2020
Aktenzeichen
13 A 659/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71873
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Anrechnung der Ruhepause auf die Arbeitszeit an Krankheitstagen im Bereich der Bundespolizei

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2019 und der Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2019 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den 30. April 2019 weitere 45 Minuten gutzuschreiben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung der Ruhepause auf die Arbeitszeit des Klägers an einem Krankheitstag.

Der Kläger ist als Polizeihauptmeister (A 9 BesO) bei der D. r in der Lage- und Einsatzzentrale eingesetzt. Dort leistet er Wechselschichtdienst. Die Dienstschichten werden in einem Regeldienstplan mit 12 Stunden berechnet. Davon entfallen 11:15 Stunden auf reine Dienstzeit und 45 Minuten auf die Ruhepause. Auf dieser Grundlage erstellt die Beklagte Monatsschichtpläne, in denen sie für jeden Mitarbeiter individuell den abgerechneten Dienst einträgt. Im Monat April 2019 schrieb die Beklagte dem Kläger für die tatsächlich geleisteten Dienste ohne Pausenabzug arbeitstäglich 12:00 Stunden gut. Am 30. April 2019 war der Kläger dienstunfähig erkrankt. Den für diesen Krankheitstag vorgesehenen Tagdienst von 5:45 Uhr bis 17:45 Uhr rechnete die Beklagte dem Kläger unter Abzug der Pausenzeit nur mit 11:15 Stunden an.

Am 1. Mai 2019 stellte der Kläger einen Antrag auf Anrechnung der Pausenzeit (45 Minuten) für den 30. April 2019 auf seine Dienstzeit und eine entsprechende Korrektur des Dienstbuch-Einlegeblattes. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2019 ab und begründete dies wie folgt: nur für eine geleistete Erschwernis könne die Anrechnung der Pause auf die Arbeitszeit gewährt werden. Diese sei während der Erkrankung des Klägers nicht gegeben.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2019 zurückwies. Zur Begründung führte die Beklagte aus: das Bundespolizeipräsidium habe mit Schreiben vom 13. September 2018 eine Erlasslage des Bundesministeriums des Innern vom 9. Mai 2017 zur Neuregelung der Anrechnung von Ruhepausen im Bereich der Beamten gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Arbeitszeitverordnung (AZV) umgesetzt. Für die Mitarbeiter der Lage- und Einsatzzentrale der Bundespolizeidirektionen finde demnach ab dem 1. Februar 2019 keine ständige pauschale Anrechnung der Ruhepausen statt. Wenn ein Dienst aufgrund einer Erkrankung nicht durchgeführt werde, sei eine Anrechnung der Pausen nicht möglich. Dies sei nur für eine geleistete Erschwernis (Schichtdienst) möglich.

Am 8. Januar 2020 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor: er habe einen Anspruch auf Gutschrift der für den Krankheitstag in Abzug gebrachten Pausenzeit. Er erfülle für den Monat April 2019 die gesetzlichen Voraussetzungen der Anrechnung von Ruhepausen, die sich aus § 5 Abs. 2 AZV ergäben. Aufgrund des Pausenabzugs sei er mit seiner Arbeitszeit ins Minus geraten. Er sei verpflichtet, den ausgefallenen Dienst nachzuholen. Dies stelle eine unzulässige Benachteiligung wegen Krankheit dar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2019 zu verpflichten, seinem Arbeitszeitkonto für den 30. April 2019 weitere 45 Minuten gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage entscheidet im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter, § 87a Abs. 2 VwGO.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Über die Anrechnung der Pause auf die Dienstzeit an dem hier in Rede stehenden Krankheitstag des Klägers, dem 30. April 2019, entscheidet die Beklagte durch Verwaltungsakt. Es geht nicht allein um die Korrektur des Dienstbuch-Einlegeblattes, die als schlicht hoheitliches Handeln zu qualifizieren wäre.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Gutschrift von weiteren (also über die „gutgeschriebenen“ 11:15 Stunden hinaus) 45 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto für den 30. April 2019. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AZV.

Nach dieser Vorschrift werden Ruhepausen grundsätzlich nicht auf die Arbeitszeit angerechnet, es sei denn, dass die Voraussetzungen des § 17 a Erschwerniszulagenverordnung – EZulV - mit der Maßgabe erfüllt sind, dass im Kalendermonat mindestens 35 Nachtdienststunden geleistet werden.

Für den Monat April 2019 erfüllt der Kläger die Voraussetzungen dieser Vorschrift. Er war in dem sich aus § 17 a EZulV geforderten Umfang im Wechselschichtdienst eingesetzt und hat mehr als 35 Nachtdienststunden im Wechselschichtdienst geleistet.

Dem Wortlaut der Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AZV lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass eine Anrechnung der Pause auf die Dienstzeit nur bei geleistetem Dienst in Betracht kommt und nicht im Krankheitsfall erfolgt, auch wenn die Voraussetzungen der Vorschrift für den jeweiligen Monat gegeben sind. Dem Wortlaut der Vorschrift ist aber auch nicht zu entnehmen, dass eine entsprechende Anrechnung in einem solchen Fall nicht erfolgen soll. Die Vorschrift bedarf der Auslegung. Eine entsprechende Auslegung kann im Hinblick auf die Fürsorgepflicht, die der Dienstherr seinen Beamten schuldet, nur dazu führen, dass dem Kläger weitere 45 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es nämlich, dass dem dienstunfähig erkrankten Beamten diejenige Zeit auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben ist, in welcher er ohne die Erkrankung Dienst hätte leisten müssen. In diesem zeitlichen Umfang muss er den versäumten Dienst nicht nachholen (BVerwG, Beschluss vom 26. November 2012 – 2 B 2/12 –, juris .Rn.10 und 11). Ihm darf durch eine Erkrankung kein Nachteil entstehen.

Das als Anlage K1 zur Klageschrift vorgelegte Dienstbuch-Einlegeblatt des Klägers für den Monat April 2019 dokumentiert, dass der Kläger durch die Nichtanrechnung der Pause auf die Arbeitszeit mit 45 Minuten ins Minus geraten ist und er diese 45 Minuten nacharbeiten muss. Für den Monat April 2019 wurde für den Kläger ein monatliches Stunden-Soll von 148:00 Stunden in Ansatz gebracht. Nach dem Dienstplan sollte er in diesem Monat 144:00 Stundendienst leisten. Wäre der Kläger nicht an einem Tag erkrankt, wären er für den Monat April 2019 4 Minusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto entstanden. Der Kläger ist aber mit 4:45 Stunden ins Minus geraten. Als abgerechneter Dienst wurden 143:15 Stunden anerkannt. Dies beruht darauf, dass ihm für den 30. April 2019 nur 11:15 Stunden gutgeschrieben worden sind, nicht 12:00 Stunden. In der Berechnung des Stunden-Solls des Klägers, die dazu führt, dass der Kläger krankheitsbedingt versäumte Arbeit nachzuholen hat, liegt ein systematischer Fehler. Dieser Fehler beruht darauf, dass für den 30. April 2019 ein Stunden-Soll von 12:00 Stunden festgesetzt worden ist. Richtigerweise hätten für diesen Tag nur 11:15 Stunden in Ansatz gebracht werden dürfen. Denn in der Ruhepause schuldete der Kläger keinen Dienst. Wäre die Beklagte so verfahren, dann würde bei der Summe der geleisteten Dienste zwar weiterhin der Wert von 143:15 Stunden in Ansatz gebracht. Das Stunden-Minus beliefe sich aber auf 4:00 Stunden (147:15 Stunden abzüglich 143:15 Stunden). Der Kläger hätte keine krankheitsbedingt versäumte Arbeit nachzuholen.

Dass das Berechnungssystem der Beklagten eine Unstimmigkeit aufweist, lässt sich auch an dem Dienstbuch-Einlegeblatt für den Monat April 2019 erkennen. Bei der Berechnung des Stunden-Solls (linke Spalten) werden für den 30. April 2019 12:00 Stunden in Ansatz gebracht, also die Dienstzeit sowie die auf die Dienstzeit angerechnete Ruhepause. Dies korrespondiert nicht mit der Berechnung der „Ist-Zeit“ (rechte Spalten). Dort werden für den Krankheitstag lediglich 11:15 Stunden gutgeschrieben. Es benachteiligt den krankheitsbedingt fehlenden Beamten unzulässig, wenn bei dem „Soll“ Ruhepausen berücksichtigt werden, nicht aber bei dem „Ist“.

Das Arbeitszeit-Buchungssystem der Beklagten lässt sich nicht damit rechtfertigen, eine Anrechnung der Ruhepause auf die Arbeitszeit komme nur bei tatsächlicher Erschwernis in Betracht. Diese tatsächliche Erschwernis liegt vor, weil der Kläger in dem Kalendermonat April 2019 Nachtdienststunden im Wechselschichtdienst in dem gesetzlich geforderten Umfang geleistet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und ZPO.

Die Beteiligten haben darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl von gleich gelagerten Streitigkeiten an Verwaltungsgerichten im gesamten Bundesgebiet anhängig ist und dass erstmals mit diesem Verfahren über einen entsprechenden Anspruch gerichtlich entschieden wird. Die Berufung ist deshalb wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Rechtssache zuzulassen.