Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 25.09.2019, Az.: 7 U 8/19

Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrages wegen Manipulation des Tachostandes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.09.2019
Aktenzeichen
7 U 8/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 21.11.2018 - AZ: 2 O 128/18

In dem Rechtsstreit
W. R., ...,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
E. M., ...,
Beklagter und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
...,
Geschäftszeichen: ...
Beteiligte:
M.-C., Inh. P. M., ...,
Streithelferin des Beklagten,
Prozessbevollmächtigte:
A...,
Geschäftszeichen: ...
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht V., den Richter am Oberlandesgericht V. und die Richterin am Oberlandesgericht H. für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 21.11.2018 geändert und wie folgt neu gefasst:

    1. 1.
      1. a)

        Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.291,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 29.05.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des VW T5 Multivan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...,

      2. b)

        dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welche Nutzungen (§ 346 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 100 BGB) er aus dem Nettokaufpreis in Höhe von 14.311,00 €, den er für das unter 1. a) bezeichnete Fahrzeug empfangen hat, gezogen hat, und

      3. c)

        außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 26.06.2018 zu zahlen.

    2. 2.

      Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme des unter Ziffer 1. a) bezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet.

  2. II.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe, die die Streithelferin selbst zu tragen hat.

  3. III.

    Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

  4. IV.

    Streitwert für das Berufungsverfahren: Gebührenstufe bis 16.000,00 €.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufvertrags betreffend einen VW Multivan T 5.

Der Kläger, der seinerzeit als selbstständiger Tierarzt tätig war, erwarb von dem Beklagten, einem gewerblichen Händler, gemäß "Verbindliche Bestellung" vom 26.11.2015 einen VW Multivan T 5, EZ 10.03.2005, Kilometerstand/Gesamtfahrleistung 123.686 km (Bl. 7 der Beiakte 10 H 5/16 AG Achim). Im Vertrag ist unter anderem eine Gewährleistungsfrist von einem Jahr (neben einer zusätzlichen sogenannten Car-Garantie) genannt.

Aufgrund von Startproblemen des Motors ließ der Kläger das Fahrzeug untersuchen. Hierbei trat der Verdacht einer tatsächlich höheren Laufleistung als nach dem Tachostand abgelesen auf. Der Kläger strengte daraufhin ein selbstständiges Beweisverfahren an.

Der Beweisgutachter Dipl.-Ing. M. kam gemäß Gutachten vom 06.11.2017 sowie Ergänzungsgutachten vom 07.02.2018 zu dem Ergebnis, das streitgegenständliche Fahrzeug weise gegenüber dem Tachostand eine Mehrlaufleistung zwischen 36.000 km und 54.000 km auf. Eine Mehrlaufleistung in Höhe von 25.700 km sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Eine darüber hinausgehende Mehrlaufleistung, wie bereits ausgeführt in der Größenordnung von 36.000 - 54.000 km, sei mit höherer Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Der Kläger hat aufgrund dieser Feststellungen des Beweisgutachters schließlich den Rücktritt von dem Gebrauchtwagenkaufvertrag erklärt. Er steht auf dem Standpunkt, bei der abweichenden Kilometerleistung handele es sich um einen Sachmangel, der nicht nachbesserungsfähig sei, so dass er ohne Durchlaufen der Nacherfüllungsphase zum sofortigen Rücktritt berechtigt gewesen sei. Der Kläger verlangt daher die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer von ihm selbst angenommenen Nutzungsentschädigung von 1.400 €. Ferner verlangt er von der Beklagten Auskunft über die von ihr mit Hilfe des Kaufpreises gezogenen Nutzungen.

Der Beklagte bestreitet in beiden Instanzen das tatsächliche Vorliegen einer höheren Laufleistung als im Tacho angezeigt. Er behauptet, es sei üblich, dass bei einem Tausch des Tachos in einer Vertragswerkstatt der zum Zeitpunkt des Tausches aktuelle Kilometerstand auf dem neuen Instrument entsprechend eingestellt werde. Die Schlussfolgerung des Beweisgutachters, dass die Laufleistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens um 25.700 km höher sei, sei daher unzutreffend.

Im Übrigen vertritt die Beklagte die Auffassung, dass die in Rede stehende Mehrlaufleistung nicht so groß sei, dass deshalb ein Sachmangel im Rechtsinne angenommen werden könne. Wer einen VW Multivan als Gebrauchtwagen erwerbe, müsse vielmehr damit rechnen, dass dieser eine jährliche Laufleistung von 15.000 bis 20.000 km absolviert habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es hinsichtlich der Laufleistung an einer Beschaffenheitsvereinbarung fehle. Durch die Angabe im Kaufvertrag "laut Angabe des Vorbesitzers" sei deutlich gemacht worden, dass die Beklagte über keine weitergehenden Erkenntnisse verfüge und für die tatsächliche Fahrleistung vertraglich nicht einstehen wolle. Die tatsächlich getroffene Abrede, dass die Fahrleistung nicht vertraglich bindend vereinbart worden sei, würde der Regelung in § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorgehen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt. Das Landgericht habe zwar zutreffend angenommen, dass es an einer Beschaffenheitsvereinbarung fehle. Gleichwohl könne jeder Käufer davon ausgehen, dass die vom Tacho abgelesene Kilometerleistung in etwa der Gesamtfahrleistung entspreche. Aufgrund der hier gegebenen Abweichung liege ein Sachmangel vor, für den die Beklagte einzustehen habe.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat darüber hinaus auch in der Sache Erfolg. Wegen der höheren, vom Tachostand abweichenden Gesamtlaufleistung liegt ein zum Rücktritt berechtigender Sachmangel vor, sodass sich das mit der Klage verfolgte Rückabwicklungsverlangen des Klägers als begründet erweist.

1. Soweit der Beklagte nach wie vor bestreitet, dass überhaupt eine Abweichung der Gesamtlaufleistung und damit ein Sachmangel vorliege, kann er damit nicht gehört werden. Entgegen den Ausführungen des Beklagten stützt sich der Beweisgutachter nicht allein auf die Fahrzeughistorie (vgl. dazu SVG S. 24), insbesondere die Eintragung eines Austausches des Kombiinstrumentes beim Kilometerstand von 25.700 (SVG S. 23), sondern ebenso auf die aus dem Motorsteuergerät ausgelesene Gesamtlaufleistung von 182.227 km (SVG S. 16).

Die insoweit aus dem Motorsteuergerät elektronisch ausgelesene Gesamtlaufleistung wird weder von dem Beweisgutachter noch von dem Beklagten in Zweifel gezogen. Auch der Senat als Fachsenat für Kfz-Streitigkeiten hat keine dahingehenden Erfahrungen, dass es bei der Auslesung elektronischer Steuergeräte (über die vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Abweichung von 5 % hinaus) zu Abweichungen oder Fehlanzeigen kommen könnte. Mithin kann an diese ausgelesene Gesamtlaufleistung als Tatsache angeknüpft werden.

In der Zusammenschau mit dem Austausch des Kombiinstruments trägt dies die Schlussfolgerung des Beweisgutachters, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei mindestens von einer Mehrlaufleistung von 25.700 km auszugehen. Dabei kann der Sachverständige als solcher beurteilen (und beurteilt dies bei seinen sachverständigen Ausführungen auch inzidenter), wie eine VW-Fachwerkstatt bei einem solchen Tausch des Kombiinstrumentes vorgeht. Ginge der Sachverständige M. aufgrund seiner Erfahrung und Sachkunde davon aus, dass im Falle eines Gerätetauschs der neue Tacho üblicherweise auf den Wert des Altgeräts eingestellt wird, also nicht wieder bei "0" anfängt zu zählen, wäre er nicht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Gesamtlaufleistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens um 25.700 km höher ist als der abgelesene Tachostand. Indem er aber ausführt, die Gesamtlaufleistung müsse mindestens um die Laufleistung zum Zeitpunkt des Austausches erhöht sein, erteilt er der Annahme des Beklagten, eine Fachwerkstatt stelle den ursprünglichen Kilometerstand bei dem neu eingebauten Instrument entsprechend ein (Bl. 84 f. d. A.), jedenfalls stillschweigend eine Absage. Da Anhaltspunkte dafür, dass dem Sachverständigen M., bei dem es sich um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen handelt, die nötige Sachkunde und Erfahrung für eine derartige Beurteilung fehlt, weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich sind, sieht der Senat auch in diesem Punkt keinen Anlass, die Ausführungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen seiner Entscheidung nicht zugrunde zu legen.

Weitere Sachverhaltsaufklärungsmöglichkeiten bzw. -notwendigkeiten sind im Übrigen nicht ersichtlich. Auf die beiden als Zeugen angebotenen Vorbesitzer M. L. und M. P. (Bl. 36, 138 d. A.) kommt es nicht an, weil diese jeweils nur zu ihrer Besitzzeit Angaben machen könnten (so auch Replik Ziff. 3. b; Bl 52 d. A.). Erheblich hätte allenfalls die Benennung sämtlicher Vorbesitzer oder auch ein Zeugenbeweisantritt dahingehend sein können, dass seinerzeit beim Austausch des Kombiinstrumentes der aktuelle Kilometerstand in dem neuen Gerät eingestellt worden sei. Mitarbeiter des Volkswagenzentrums Regensburg oder sonstige Personen, die insoweit als Zeugen hätten in Betracht kommen könnten, sind von dem Beklagten jedoch nicht benannt worden.

Im Ergebnis ist damit vom Vorliegen eines Mangels auszugehen. Für diese Annahme soll alleine schon der begründete Verdacht einer Tachomanipulation bzw. die - wollte man den Einwänden des Beklagten folgen - insoweit verbleibende Unsicherheit über die tatsächliche Gesamtlaufleistung ausreichen.

Jedenfalls die hier festgestellte Mehrlaufleistung von mindestens 25.700 km muss als Sachmangel im Rechtssinne eingestuft werden. Denn es ist in der Rechtsprechung, auch des Senats, wie auch in der Kommentarliteratur anerkannt, dass es bei einem Gebrauchtfahrzeug zu der üblichen Beschaffenheit im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB gehört, dass die tatsächliche Laufleistung nicht erheblich von dem angezeigten Kilometerstand abweicht (vgl. BGH DAR 2006, 143; OLG Bremen NJW 2003, 3713; OLG Hamm, Urt. v. 11.12.2012 - I-28 U 80/12 -, juris, Rn. 10; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. 2017, Rdnr. 2841 ff.). Unerheblich ist demgegenüber, welche jährliche Fahrleistung für ein Fahrzeug wie das streitgegenständliche allgemein üblich ist.

2. Eine negative Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend, dass die tatsächliche Gesamtlaufleistung vom Tachostand abweichen könne, ist nach dem Inhalt der Kaufvertragsurkunde nicht ersichtlich. Der gegenteiligen Annahme durch das Landgericht fehlt jegliche tatsächliche Grundlage. Daher muss es bei dem Grundsatz verbleiben, wonach der Käufer regelmäßig erwarten darf, dass die Gesamtlaufleistung in etwa dem Tachostand entspricht und es insoweit keine größeren Abweichungen gibt.

Weiterhin gibt es keinen allgemein vereinbarten Ausschluss der Gewährleistung, der der Sachmängelhaftung der Beklagten hier entgegenstehen könnte. Im Gegenteil ist in dem Vertrag ausdrücklich eine Gewährleistungsfrist von einem Jahr angegeben. Von daher ist es auch rechtlich unerheblich, ob hier ein Verbrauchsgüterkauf oder ein gewerblicher Verkauf vorliegt. Der diesbezügliche wechselseitige streitige Vortrag der Parteien zu diesem Punkt ist daher rechtlich unerheblich.

3. Nach alledem erweist sich der (sofortige) Rücktritt vom Kaufvertrag als wirksam, da die Nacherfüllungsphase nicht durchlaufen werden konnte und musste, weil es sich bei der Mehrlaufleistung ihrer Natur nicht um einen nachbesserungsfähigen Mangel handelt. Der Klage ist daher vollumfänglich stattzugeben.

Die vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung ist unstreitig geblieben. Für eine eventuell höhere Nutzungsentschädigung wäre der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig gewesen.

Auch im Übrigen besteht für den Senat kein Anlass, die Begründetheit der Nebenforderungen sowie der weiteren Sachanträge in Zweifel zu ziehen.

Dies gilt zunächst für die geforderten Verzugszinsen, die hinsichtlich der Hauptforderung gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1, 247 BGB, hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten nach §§ 288 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 187 Abs. 1 BGB (analog) sowie in Verbindung mit §§ 288 Abs. 1, 247 BGB jeweils in gesetzlicher Höhe geschuldet werden.

Dies gilt weiter für den Auskunftsanspruch zu 1. b). Der Kläger hat hierzu unter Ziffer III. seiner Klage Ausführungen gemacht (Bl. 9 f. d. A.), die in rechtlicher Hinsicht zutreffend sind (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. 2017, Rdnr. 1148, 1152) und denen der Beklagte auch nicht entgegengetreten ist.

Die vorgerichtlichen Anwaltskosten schuldet der Beklagte nach § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 BGB als Schadensersatz neben der Leistung. Der Beklagte war zur Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs, wegen des nicht behebbaren Sachmangels der Mehrlaufleistung zur Rückabwicklung verpflichtet. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung, die zur Einschaltung des jetzigen Prozessbevollmächtigten geführt

hat, bedingt daher einen vertraglichen Schadenersatzanspruch (vgl. auch Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3778, 3780), wobei das erforderliche Verschulden des Beklagten nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet wird.

Wegen der Zulässigkeit und Begründetheit des Annahmeverzugs wird auf den Sachvortrag und die zutreffenden rechtlichen Ausführungen unter Ziffer V. der Klageschrift Bezug genommen (Bl. 11 f. d. A.), denen der Beklagte nicht entgegengetreten ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt grundsätzlich aus § 91 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der Nebenintervenientin aus § 101 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, § 711 und § 713 ZPO i. V. m. § 544 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 3,5 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.