Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.05.2020, Az.: L 13 SF 5/19 EK AS

Entschädigung für die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens; Bloße Beteiligung eines Entschädigungsklägers an einem überlangen Gerichtsverfahren; Erleiden eines Nachteils infolge einer unangemessenen Dauer

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.05.2020
Aktenzeichen
L 13 SF 5/19 EK AS
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 38275
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 25.08.2017 - AZ: S 49 AS 1306/16

Fundstellen

  • ZAP EN-Nr. 324/2020
  • ZAP 2020, 691

Redaktioneller Leitsatz

Angesichts des klaren Wortlauts des § 198 Abs. 1 S. 1 GVG reicht es für einen Entschädigungsanspruch nicht aus, dass ein Entschädigungskläger an einem überlangen Gerichtsverfahren lediglich beteiligt war; er muss infolge der unangemessenen Dauer einen Nachteil erlitten haben.

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1) wegen unangemessener Dauer des vor dem Sozialgericht Oldenburg zum Aktenzeichen S 49 AS 1306/16 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 800 EUR zu zahlen. Es wird zugunsten der Klägerin zu 1) festgestellt, dass die Dauer des vor dem Sozialgericht Oldenburg zum Aktenzeichen S 49 AS 363/15 geführten Verfahrens unangemessen war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 34.500 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger begehren Entschädigung wegen überlanger Dauer von drei Klageverfahren, die sie bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg geführt haben.

In dem Verfahren S 49 AS 363/15, an dem die 1976 geborene Klägerin zu 1) sowie ihre seinerzeit noch minderjährigen Kinder, die 1999 geborene Klägerin zu 2) sowie die 2002 geborenen Kläger zu 3) und 4), beteiligt waren, erhoben die Kläger am 24. März 2015 Klage gegen einen Bescheid des Jobcenters N., mit dem u. a. die Zusicherung zur Übernahme der Kosten für eine neue Unterkunft sowie die Übernahme einer Mietkaution in Höhe von 1.560 EUR abgelehnt worden waren. Die Kläger, die die in Rede stehende Wohnung zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits bewohnten, gaben in ihrer am 22. Mai 2015 eingegangenen Klagebegründung u. a. an, dass die Klägerin zu 1) hinsichtlich der Mietkaution zwischenzeitlich eine erste Rate an den Vermieter gezahlt habe. Der Restbetrag der Mietkaution sei noch offen. Nachdem die Klageerwiderung im Juli 2015 eingegangen war, schloss sich hieran weiterer Schriftwechsel der Beteiligten an. Zuletzt ging am 2. Oktober 2015 ein Schriftsatz des Jobcenters ein, den das SG mit Verfügung vom 5. Oktober 2015 den Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Kenntnis- und Stellungnahme sowie mit der Anfrage übersandte, ob eine alleinige elterliche Sorge der Klägerin zu 1) vorliege. Diese Anfrage blieb unbeantwortet. Das SG ließ die Akte in der Folgezeit zunächst unbearbeitet. Im Oktober 2017 fragten die Kläger nach dem Sachstand und im September 2018 erhoben sie eine Verzögerungsrüge. Im März 2019 erfolgte eine Terminladung für den 4. April 2019. In diesem Termin gab die Klägerin zu 1) an, dass sie die Mietkaution für die alte Wohnung ca. zwei oder drei Wochen nach ihrem Auszug zurückerhalten habe. Die Mietkaution für die neue Wohnung habe sie in Raten gezahlt, wobei die letzte Rate im Dezember 2018 gezahlt worden sei. Auf Anraten des Gerichts erklärten die Kläger das Verfahren für erledigt.

Gegenstand des Verfahrens S 49 AS 6/16, an dem ebenfalls alle Entschädigungskläger als Bedarfsgemeinschaft beteiligt waren, war die Höhe der Unterkunftskosten für den Zeitraum von September 2015 bis Januar 2016. Die Kläger erhoben am 6. Januar 2016 Klage und begründeten diese im April 2016. In der im Mai 2016 eingegangenen Klageerwiderung wies das Jobcenter darauf hin, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernommen worden seien, so dass die Forderung nach weiteren Leistungen verwundere. Diesen Schriftsatz übersandte das SG Oldenburg den Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Verfügung vom 24. Mai 2016 zur Kenntnis- und Stellungnahme, "insbesondere zur Frage der Unterkunftskosten". Mit Verfügung vom 24. Juni 2016 erinnerte das SG unter Fristsetzung bis zum 15. Juli 2016 an die Erledigung. Die Kläger ließen die Anfrage des SG unbeantwortet, auch nachdem das Jobcenter im August 2016 einen Änderungsbescheid für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum übersandt hatte. Mit einem im Mai 2018 eingegangenen Schriftsatz baten die Kläger das SG, nunmehr zeitnah für einen baldigen Abschluss des Verfahrens Sorge zu tragen. Im September 2018 erhoben sie sodann eine Verzögerungsrüge. Im März 2019 terminierte das SG den Rechtsstreit für den 4. April 2019. In diesem Termin wurde in den Verfahren S 49 AS 6/16 und S 49 AS 1306/16 ein Vergleich geschlossen, wonach das Jobcenter den Klägern für die Zeiträume von September 2015 bis Januar 2016 und August 2016 bis Januar 2017 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von pauschal 510 EUR zahlte und damit alle gegenseitigen Ansprüche der Beteiligten für die genannten Zeiträume endgültig erledigt waren.

In dem Verfahren S 49 AS 1306/16, an dem nur die Kläger zu 1), 3) und 4) beteiligt waren, begehrten die Kläger mit ihrer am 21. Dezember 2016 erhobenen Klage höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Bewilligungszeitraum von August 2016 bis Januar 2017. Auf die im März 2017 eingegangene Klagebegründung erwiderte das Jobcenter im Mai 2017. Die Kläger teilten hierzu im Juni 2017 mit, dass eine Stellungnahme nicht beabsichtigt sei. In der Folgezeit blieb die Akte zunächst unbearbeitet. Im Juni 2018 erinnerten die Kläger an eine Entscheidung, auch über ihren Prozesskostenhilfeantrag. Im September 2018 erhoben sie eine Verzögerungsrüge. Im März 2019 erfolgte die Terminladung für den 4. April 2019. In diesem Termin wurde der bereits erwähnte Vergleich geschlossen.

Die Kläger machten für die drei Ausgangsverfahren außergerichtlich eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von insgesamt 34.500 EUR geltend und schlüsselten diesen Betrag mit Schreiben vom 16. Juli 2019 dahingehend auf, dass sich für das Verfahren S 49 AS 363/15 bei einer unangemessenen Verfahrensdauer von 36 Monaten und vier Klägern ein Entschädigungsanspruch von 14.400 EUR ergebe, für das Verfahren S 49 AS 6/16 bei einer unangemessenen Verfahrensdauer von 33 Monaten und vier Klägern ein Entschädigungsanspruch von 13.200 EUR sowie für das Verfahren S 49 AS 1306/16 bei einer unangemessenen Verfahrensdauer von 21 Monaten und drei Klägern ein Entschädigungsanspruch von 6.900 EUR.

Mit ihrer am 4. September 2019 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihre Entschädigungsansprüche weiter. Hinsichtlich des Verfahrens S 49 AS 363/15 tragen sie zu dem Einwand des Beklagten, dass im Hinblick auf die privatrechtlich getroffene Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Vermieter zum Zeitpunkt der Klageerhebung gar kein rechtlich geschütztes Interesse an dem geltend gemachten Mietkautionsdarlehen mehr bestanden habe, vor, dass nach ihrer Auffassung die Leistung vom Jobcenter zu Unrecht abgelehnt worden sei, so dass sie zum damaligen Zeitpunkt eine gerichtliche Klärung hätten herbeiführen wollen. Zudem sei die Ratenzahlung für die Mietkaution entsprechend den Angaben der Klägerin zu 1) im Verhandlungstermin am 4. April 2019 erst im Dezember 2018 abgeschlossen gewesen. Die Kläger zu 2) bis 4), die während der Dauer der Ausgangsverfahren noch minderjährig waren, sind der Auffassung, ihr Entschädigungsanspruch sei nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie von den Verfahren keine Kenntnis gehabt hätten. Vielmehr seien sie aufgrund ihres formellen Status als Kläger der Ausgangsverfahren auch Rechtsinhaber der Entschädigungsansprüche, wobei diese nicht von den mentalen Fähigkeiten eines Betroffenen und seines Informationsstandes abhängig seien. Im Übrigen seien sie - die Kläger zu 2) bis 4) - durch die unangemessene Dauer der Ausgangsverfahren dadurch unmittelbar beeinträchtigt gewesen, dass der damals aus vier Personen bestehende klägerische Haushalt in erheblichem Maße finanziell eingeschränkt gewesen sei, weil das Jobcenter die Unterkunftskosten nicht in voller Höhe übernommen habe.

Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beklagten zu verurteilen, an sie Entschädigungen wegen überlanger Dauer der Verfahren vor dem SG Oldenburg zu den Aktenzeichen S 49 AS 363/15 und S 49 AS 6/16 sowie an die Kläger zu 1), 3) und 4) weitere Entschädigungen wegen überlanger Dauer des Verfahrens vor dem SG Oldenburg zu dem Aktenzeichen S 49 AS 1306/16 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des Verfahrens S 49 AS 363/15 ist nach seiner Auffassung eine entschädigungspflichtige Belastung der Kläger nicht ersichtlich. Das Rechtsschutzinteresse auf Erteilung einer gesonderten Zusicherung als vorgreiflicher Teilregelung für die Übernahme angemessener Unterkunftskosten wegen grundsätzlicher Erforderlichkeit eines Umzugs sei aufgrund des zwischenzeitlich vollzogenen Wohnungswechsels bereits entfallen und damit die darauf bezogene Klage von Beginn an unzulässig gewesen, weil eine Klärung der Höhe der Unterkunftskosten nach dem Umzug im Rahmen der laufenden Bewilligungsbescheide habe erfolgen können. Hinsichtlich der Mietkaution sei den Klägern ausweislich ihrer eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 4. April 2019 vom Vermieter eine Ratenzahlung bis einschließlich Dezember 2018 ermöglicht worden. Aufgrund dieser Ratenzahlungsvereinbarung und der zwischenzeitlich auch zurückerhaltenen Mietkaution für die alte Wohnung habe zum Zeitpunkt der Klageerhebung auch kein rechtlich geschütztes Interesse an der geltend gemachten Bewilligung einer Leistung für die Mietkaution bestanden, weil diese nicht als tilgungsfreier Zuschuss, sondern allenfalls als Darlehen hätte bewilligt werden können, wobei aufgrund der zwingenden Regelung des § 42a Abs. 2 S.1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) monatliche Tilgungen in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs im Wege der Aufrechnung festzusetzen gewesen wären. Ein fehlendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung hätten die Kläger auch dadurch dokumentiert, dass sie sich nach der Klageeinreichung und den im Jahr 2015 gewechselten Schriftsätzen nahezu drei Jahre lang überhaupt nicht mehr inhaltlich zum Verfahren gemeldet hätten. In dem Verfahren S 49 AS 6/16 sei aus der Verfahrensführung der Kläger, welche auf die ausdrückliche gerichtliche Anfrage zu dem noch verbliebenen Klagebegehren nicht reagiert hätten, ein inhaltliches Interesse am Klagegegenstand und eine subjektiv empfundene besondere Belastung durch die Dauer des Verfahrens nicht ersichtlich. Dies gelte auch für das Verfahren S 49 AS 1306/16, zu dem sich die Kläger nach Erwiderung des Jobcenters nicht mehr gemeldet hätten, insbesondere nicht klargestellt hätten, ob tatsächlich und gegebenenfalls welche genauen Kosten für welche genauen Zeiträume noch geltend gemacht werden sollten. Die erst im September 2018 für die Klägerin zu 1) eingereichte Verzögerungsrüge habe ersichtlich nicht mehr der vom Gesetzgeber intendierten Verfahrensförderung gedient, sondern nur noch der Erfüllung der formalen Entschädigungsvoraussetzungen. Selbst bei Annahme eines Entschädigungsanspruchs sei dieser gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II jedenfalls teilweise auf das Jobcenter übergegangen. Für die Kläger zu 2) bis 4) seien schließlich Entschädigungsansprüche von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil sie keine konkrete Kenntnis von den auch in ihrem Namen geführten Ausgangsverfahren gehabt hätten. Die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteils sei insoweit widerlegt.

Das Jobcenter N. hat auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 27. Januar 2020 mitgeteilt, dass die Klägerin zu 1) bis Januar 2018 Leistungen nach dem SGB II bezogen habe. Die Klägerin zu 1) ist in einem Erörterungstermin am 13. März 2020 persönlich gehört worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie der Ausgangsverfahren S 49 AS 363/15, S 49 AS 6/16 und S 49 AS 1306/16 Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 198 Abs. 5 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) erhobene Entschädigungsklage, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist teilweise begründet.

Die Klage der Klägerin zu 1) hat lediglich insoweit Erfolg, als ihr für das Verfahren S 49 AS 1306/16 ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 800 EUR zuzusprechen ist und die unangemessene Dauer des Verfahrens S 49 AS 363/15 festzustellen ist. Die Klagen der Kläger zu 2) bis 4) sind vollumfänglich unbegründet.

Nach § 198 Abs. 1 GVG, welcher gemäß § 202 S. 2 SGG für das sozialgerichtliche Verfahren entsprechend gilt, wird angemessen entschädigt, wer in Folge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Nach § 198 Abs. 2 S. 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Für die Kläger zu 2) bis 4) sind die geltend gemachten Entschädigungsansprüche wegen überlanger Dauer der Verfahren S 49 AS 363/15, S 49 AS 6/16 und (nur Kläger zu 3. und 4.) S 49 AS 1306/16 bereits deswegen ausgeschlossen, weil die für sie streitende Vermutung eines durch die Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Nachteils widerlegt ist. Anders als die Kläger offenbar meinen, reicht es nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 1 S. 1 GVG für den Entschädigungsanspruch nicht aus, dass der Entschädigungskläger an einem überlangen Gerichtsverfahren beteiligt war. Vielmehr muss er infolge der unangemessenen Dauer einen Nachteil erlitten haben. In der Person der Kläger zu 2) bis 4) ist ein Nachteil nicht entstanden. Insoweit ist die Vermutung eines immateriellen Nachteils, den die Kläger allein geltend machen, widerlegt. Die Kläger haben schriftsätzlich vortragen lassen, dass sie von den Ausgangsverfahren keine Kenntnis gehabt hätten, und im Erörterungstermin am 13. März 2020 hat die Klägerin zu 1) dies dahingehend modifiziert, dass die Kläger zu 2) bis 4) von dem anstehenden Gerichtstermin in der Sache mit dem Jobcenter informiert gewesen seien, sich für derartige Angelegenheiten aber nicht interessieren würden. Nach beiden Sachverhaltsvarianten lässt sich eine durch die Ungewissheit über den Verfahrensausgang verursachte seelische Unbill der Kläger zu 2) bis 4) nicht feststellen. Denn eine seelische Belastung durch ein gerichtliches Verfahren ist ausgeschlossen, wenn ein Kläger von dem betreffenden Verfahren, an dem er formal beteiligt ist, überhaupt keine Kenntnis hat oder eine derartige Kenntnis erst kurz vor Abschluss eines ihn nicht weiter interessierenden Verfahrens erlangt.

Soweit die Kläger zu 3) und 4) zuletzt geltend gemacht haben, eine eigene Beeinträchtigung durch die Verfahrensdauer resultiere daraus, dass der seinerzeit aus vier Personen bestehende Haushalt wegen der nicht vollständigen Übernahme der Unterkunftskosten durch das Jobcenter in erheblichem Maße finanziell eingeschränkt gewesen sei, ist auch insoweit ein durch die Dauer der drei in Rede stehenden Ausgangsverfahren entstandener immaterieller Nachteil ausgeschlossen. Das Verfahren S 49 AS 363/15 betraf im Wesentlichen die darlehensweise Übernahme einer Mietkaution, wobei ein hierauf gerichteter Anspruch von vornherein nur der Klägerin zu 1) als Vertragspartei des Mietvertrags zustehen konnte (vgl. Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 250 m. w. N.). Hinsichtlich der Kläger zu 3) und 4) war die Klage danach erkennbar aussichtslos, so dass bereits unter diesem Gesichtspunkt ein Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist (vgl. Gerichtsbescheid des Senats vom 15. August 2019 - L 13/15 SF 26/18 EK AL - juris). In dem Verfahren S 49 AS 6/16 lässt sich - wie noch auszuführen sein wird - eine entschädigungspflichtige Verzögerung nicht feststellen. Das Verfahren S 49 AS 1306/16, welches Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Bewilligungszeitraum von August 2016 bis Januar 2017 betraf, ist durch Vergleich erledigt worden. Dieser beinhaltete eine pauschale Nachzahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für insgesamt elf Monate (unter Einbeziehung des im Parallelverfahren S 49 AS 6/16 streitbefangenen Zeitraums) in Höhe von 510 EUR. Unter Berücksichtigung dieser Nachzahlung kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass in dem Bewilligungszeitraum von August 2016 bis Januar 2017 eine Unterdeckung des Existenzminimums der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorgelegen hat, da die Mietaufwendungen nicht vollständig durch Leistungen des Jobcenters gedeckt gewesen sein könnten und daher - soweit sie nicht durch Freibeträge aus dem Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1) finanziert werden konnten - womöglich teilweise aus den Leistungen für die Regelbedarfe aufgebracht werden mussten. Diese mögliche Beeinträchtigung des Existenzminimums im streitbefangenen Bewilligungszeitraum wäre aber nicht durch in dem anschließenden Rechtsstreit entstandene Verzögerungen verursacht. Denn eine im Bewilligungszeitraum entstandene Beeinträchtigung des Existenzminimums kann - auch wenn im Klagewege erstrittene Leistungen rückwirkend gewährt werden - nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden. Der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris Rn. 19). Bei Beginn des Verzögerungszeitraums in dem Verfahren S 49 AS 1306/16 (Juli 2017) war der streitbefangene Bewilligungszeitraum lange abgelaufen und die etwaige Beeinträchtigung des Existenzminimums dementsprechend bereits eingetreten. Sie hätte auch durch eine zügige Entscheidung des SG nicht mehr ausgeglichen werden können. Anders wäre der Fall unter Kausalitätsgesichtspunkten zu beurteilen, wenn während des laufenden Bewilligungszeitraums um gerichtlichen Eilrechtschutz nachgesucht worden wäre und eine einstweilige Anordnung erst mit einiger Verzögerung erlassen worden wäre. So liegt der Sachverhalt hier indes nicht. Auch sonstige durch die Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Nachteile der Kläger zu 2) bis 4) sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Das gefundene Ergebnis führt nicht dazu, dass Verfahrensbeteiligte, die mangels Kenntnis von dem Verfahren durch die Ungewissheit von dessen Ausgang nicht seelisch belastet gewesen sein können und die - wie hier - auch sonst keine immateriellen oder materiellen Nachteile erlitten haben, von Entschädigungsansprüchen wegen überlanger Verfahrensdauer generell ausgeschlossen sind, was unter dem Gesichtspunkt der Effizienz des nationalen Rechtsbehelfs für Fälle der Verletzung des Menschenrechts auf Rechtsschutz in angemessener Zeit (vgl. hierzu: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris Rn. 34) bedenklich sein könnte. Das BSG (a. a. O. Rn. 37) hat für juristische Personen bereits entschieden, dass sich zu ihren Gunsten etwaige Belastungen der für sie handelnden Personen berücksichtigen lassen. Hierfür hat das BSG maßgeblich darauf abgestellt, dass diese Personen mangels Verfahrensbeteiligung (§ 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG) selbst nicht für einen eigenen Entschädigungsanspruch aktivlegitimiert sind und ihre psychischen Beeinträchtigungen gar nicht entschädigt werden könnten, wenn sie nicht bei der von ihnen vertretenen juristischen Person in Ansatz gebracht werden. Im vorliegenden Fall können indes die psychischen Beeinträchtigungen der gesetzlichen Vertreterin der seinerzeit minderjährigen Kläger zu 2) bis 4) - soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen - entschädigt werden, da diese an den drei Ausgangsverfahren selbst als Klägerin beteiligt war und damit für eigene Entschädigungsansprüche aktivlegitimiert ist. In dieser Konstellation ist es ausgeschlossen, die durch die Verfahrensdauer entstandenen seelische Unbill der Klägerin zu 1) mehrfach in Ansatz zu bringen.

Der Klägerin zu 1) ist ein Entschädigungsanspruch nur wegen unangemessener Dauer des Verfahrens S 49 AS 1306/16 zuzubilligen.

Nach den vom BSG entwickelten Kriterien bildet Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 24). In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 S. 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei ist vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 24 ff. m. w. N.). Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz (Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts) ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Aber auch eine längere Verfahrensdauer ist in der Regel noch angemessen, wenn sie auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z. B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) beruht oder maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verursacht wird. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich die richterliche Tätigkeit auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 45 ff.).

Nach diesen Maßstäben gilt für das Verfahren S 49 AS 363/15 das Folgende: Eine dem SG anzulastende Verzögerung liegt in dem Zeitraum ab Klageerhebung im März 2015 bis einschließlich November 2015 nicht vor. Bis Oktober 2015 tauschten die Beteiligten Schriftsätze aus, wobei das SG die Übersendung des letzten Schriftsatzes des Jobcenters mit der Frage nach dem Sorgerecht für die minderjährigen Kläger zu 2) bis 4) verband. Insoweit war es sachgerecht, bis zum Folgemonat auf die Beantwortung zu warten. Danach ist für die Zeit von Dezember 2015 bis Februar 2019 - im Folgemonat erfolgte die Terminladung - eine gerichtliche Inaktivität von 39 Monaten zu verzeichnen, woraus nach Abzug der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten eine unangemessene Verfahrensdauer von 27 Monaten resultiert. Allerdings fehlt es für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch an dem negativen Tatbestandsmerkmal des § 198 Abs. 2 S. 2 GVG, wonach Entschädigung nur beansprucht werden kann, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs. 4 ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist nach § 198 Abs. 4 S. 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend ist im Sinne des § 198 Abs. 2 S. 2 GVG, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. In diese Abwägung ist regelmäßig einzubeziehen, ob das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger eine besondere Bedeutung hatte. Darüber hinaus kann aber auch bedeutsam sein, ob der Entschädigungskläger durch sein Prozessverhalten erheblich zur Verzögerung des Ausgangsverfahren beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt. Ferner kann im Rahmen des Abwägungsvorgangs vom Entschädigungsgericht zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Beschluss vom 11. November 2019 - B 10 ÜG 1/19 B - juris Rn. 8 m. w. N.). Schließlich kann eine Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch auch bei Beginn an feststehender Aussichtslosigkeit der Klage ausreichend sein (Gerichtsbescheid des Senats vom 15. August 2019 - L 13/15 SF 26/18 EK AL - m. w. N.).

Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erachtet der Senat für das Verfahren S 49 AS 363/15 eine Wiedergutmachung durch Feststellung der überlangen Verfahrensdauer als ausreichend. Die Klägerin zu 1) begehrte mit der Klage eine Zusicherung des Beklagten zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft sowie ein Mietkautionsdarlehen. Sie hatte indes die in Rede stehende neue Wohnung zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits bezogen, sodass die begehrte Zusicherung ihren Zweck nicht mehr erfüllen konnte und dementsprechend nicht ersichtlich ist, wofür die Klägerin zu 1) die Zusicherung noch benötigte (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzinteresse auf Erteilung der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II bei zwischenzeitlich vollzogenem Wohnungswechsel: BSG, Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 5/10 R). Ihren Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten in voller Höhe konnte die Klägerin zu 1) mit Rechtsmitteln gegen die Leistungsbewilligungsbescheide des Jobcenters geltend machen - wovon sie in den Parallelverfahren S 49 AS 6/16 und S 49 AS 1306/16 auch Gebrauch machte -, so dass die Rechtsverfolgung hinsichtlich der nicht erteilten Zusicherung ihr keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen konnte und sie mithin das SG insoweit grundlos in Anspruch nahm (vgl. BSG a. a. O. Rn. 14).

Hinsichtlich der Mietkaution hatte die Klägerin zu 1) eine Ratenzahlung mit ihrem Vermieter vereinbart, zudem hatte sie innerhalb weniger Wochen nach dem Umzug die Mietkaution für die alte Wohnung zurückerhalten. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt der Klageerhebung zur Begleichung der Mietkaution noch auf ein Darlehen des beklagten Jobcenters angewiesen war. Eine Klage auf Gewährung eines Mietkautionsdarlehens machte nur Sinn, wenn für eine derartiges - rückzahlbares - Darlehen überhaupt noch ein Bedarf bestand. Soweit die Klägerin zu 1) in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die mit ihrem Vermieter vereinbarte Ratenzahlung erst im Dezember 2018 abgeschlossen gewesen sei, hätte zwar mit einem Darlehen des Jobcenters der Restbetrag der Mietkaution in einer Summe gezahlt werden können. In diesem Fall wäre indes - worauf der Beklagte zutreffend hinweist - an die Stelle der Ratenzahlung an den Vermieter eine monatliche Aufrechnung durch das Jobcenter in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getreten (§ 42a Abs. 2 S. 1 SGB II). Diese hätte sich im Jahr 2015 auf 39,90 EUR, im Jahr 2016 auf 40,40 EUR, im Jahr 2017 auf 40,90 EUR und im Jahr 2018 auf 41,60 EUR belaufen. Die Klägerin zu 1) teilte im Ausgangsverfahren in ihrer Klagebegründung vom 20. Mai 2015 mit, dass sie an den Vermieter eine erste Rate gezahlt habe. Zu der Ratenhöhe liegen Angaben der Klägerin nicht vor. Bei einer Laufzeit von 44 Monaten (Mai 2015 bis Dezember 2018) ergibt sich eine durchschnittliche Ratenhöhe von 35,45 EUR, so dass nicht ersichtlich ist, dass eine Ablösung der Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Vermieter durch ein Mietkautionsdarlehen des Jobcenters wirtschaftlich sinnvoll gewesen sein könnte. Zudem schied die Klägerin zu 1) im Januar 2018 aus dem Leistungsbezug aus, so dass gemäß § 42a Abs. 4 S. 1 SGB II der nicht getilgte Darlehensbetrag sofort fällig geworden wäre. Damit wäre spätestens mit dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug die Klage auf Gewährung eines Mietkautionsdarlehens für erledigt zu erklären gewesen.

Die Einschätzung, dass für die Klägerin zu 1) mit der getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung das Interesse an einem Mietkautionsdarlehen entfallen war, wird durch ihr Prozessverhalten im Ausgangsverfahren bestätigt. Bei Annahme eines bestehenden Darlehensbedarfs wäre es nicht nachvollziehbar, dass sich die Klägerin nach ihrem Schriftsatz vom 5. August 2015 erst mehr als zwei Jahre später, nämlich mit ihrer Sachstandsanfrage vom 19. Oktober 2017, wieder zur Akte meldete. Nach alledem vermag der Senat auch hinsichtlich des Mietkautionsdarlehens weder eine besondere Bedeutung noch eine Dringlichkeit der Sache zu erkennen. Auch unter Berücksichtigung der eingetretenen erheblichen Verzögerung von 27 Monaten ist vor diesem Hintergrund nach Auffassung des Senats ein bloßer Feststellungsausspruch zur Wiedergutmachung der unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend.

Hinsichtlich des Verfahrens S 49 AS 6/16, in dem die Klägerin zu 1) höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von September 2015 bis Januar 2016 begehrte, lässt sich keine entschädigungspflichtige Verzögerung feststellen. Das Verfahren dauerte von der Klageerhebung im Januar 2016 bis zu seiner vergleichsweisen Erledigung im April 2019 insgesamt 40 Monate. Die Klagebegründung ging im April 2016 und die Klageerwiderung im Mai 2016 ein, so dass bis Mai 2016 eine dem Gericht anzulastende Verfahrensverzögerung nicht vorlag. Die Klageerwiderung, in der ausgeführt wurde, dass die Unterkunftskosten im streitigen Zeitraum in tatsächlicher Höhe übernommen worden seien, übersandte das SG mit Verfügung vom 24. Mai 2016 der Klägerseite zur Stellungnahme, insbesondere zur Frage der Unterkunftskosten. Diese Anfrage ließen die Kläger, welche weder einen bezifferten Klageantrag gestellt noch die Höhe der aus ihrer Sicht ungedeckten Unterkunfts- und Heizkosten in der Klagebegründung dargelegt hatten, trotz Erinnerung vom 24. Juni 2016 unbeantwortet. Ungeachtet ihrer noch ausstehenden Stellungnahme forderten die Kläger das SG mit Schriftsatz vom 22. Mai 2018 auf, für einen baldigen Abschluss des Verfahrens Sorge zu tragen. Bei dieser Sachlage liegt auch in dem Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2018 eine entschädigungspflichtige Verzögerung nicht vor. Vom Kläger selbst herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen, auch wenn sie sich im Rahmen zulässigen Prozessverhaltens bewegen, in seinen Verantwortungsbereich und können keine unangemessene Verfahrensdauer begründen (vgl. BSG, Urteile vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 38 f. [u. a. nicht sachdienliche Beantwortung gerichtlicher Anfragen] und vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris Rn. 37 [Nicht-Vorlage einer angekündigten Klagebegründung]; Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 - juris Rn. 43 f. [Verzögerung durch zahlreiche Stellungnahmen und Anfragen des Klägers]). Dementsprechend ist eine verspätete oder verweigerte Antwort auf sachdienliche Anfragen des Gerichts - wie hier - ausschließlich der Verantwortungssphäre des Klägers zuzurechnen (so auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG Rn. 47). Im Anschluss an die in dem Schriftsatz vom 22. Mai 2018 zum Ausdruck gekommene Weigerung der Kläger, die von ihnen geltend gemachten Unterkunftskosten zu erläutern, ließ das SG die Akte bis zur Terminladung im März 2019 unbearbeitet, so dass eine Verzögerung im Zeitraum von Juni 2018 bis Februar 2019 (neun Monate) zu verzeichnen ist. Die dem Gericht anzulastende Verzögerung in dem Verfahren S 49 AS 6/16 liegt damit unter der den Sozialgerichten regelmäßig zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten.

Für die unangemessene Dauer des Verfahrens S 49 AS 1306/16 ist der Klägerin zu 1) ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 800 EUR zuzubilligen. In diesem Verfahren, welches von der Klageerhebung im Dezember 2016 bis zum Abschluss durch gerichtlichen Vergleich im April 2019 29 Monate dauerte, lag im Anschluss an den Schriftsatz der Kläger vom 7. Juni 2017 bis zur Terminladung im März 2019 eine Phase gerichtlicher Inaktivität von 20 Monaten (Juli 2017 bis Februar 2019) vor. Nach Abzug von 12 Monaten (regelmäßige Vorbereitungs- und Bedenkzeit) verbleiben acht entschädigungspflichtige Monate, woraus ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 800 EUR resultiert (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG). Soweit der Beklagte meint, dass eine Erfolgsaussicht der Klage nicht erkennbar sei, lässt sich unter diesem Gesichtspunkt ein Entschädigungsanspruch nur in dem Ausnahmefall einer von vornherein gänzlich aussichtslosen Klage verneinen. Denn der von den Gerichten bei ihrer Verfahrensgestaltung zu beachtende Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verbietet es, im Nachhinein das Ergebnis des Verfahrens so zu behandeln, als hätte es von Anfang an festgestanden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R - juris Rn. 31). Im Übrigen ist das Verfahren mit einer pauschalen Nachzahlung von Unterkunftskosten u. a. für den streitbefangenen Zeitraum vergleichsweise erledigt worden, so dass jedenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Klage von Anfang an erkennbar aussichtslos war. Auch lässt sich dem Entschädigungsanspruch nicht entgegenhalten, dass sich die Klägerin zu 1) bis Juni 2018 nicht mit Sachstandsanfragen an das SG gewandt hat. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist gemäß § 198 Abs. 1 S. 2 GVG zu Lasten eines Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nur ein Verhalten zu berücksichtigen, durch das eine Verzögerung herbeigeführt wird. Die Verfahrensbeteiligten sind, abgesehen insbesondere von der Obliegenheit zur Erhebung der Verzögerungsrüge, grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss bringt. Eine Passivität kann ihnen daher bei der Feststellung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 D - juris Rn. 37, vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - juris Rn. 41 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31/15 D - juris Rn. 21; Röhl a. a. O. Rn. 48). Auch der Umstand, dass die Klägerin zu 1) eine Verzögerungsrüge auch schon früher hätte erheben können, wirkt sich nicht zu ihrem Nachteil aus. Geregelt ist im Gesetz lediglich der Zeitpunkt, zu dem die Verzögerungsrüge frühestens wirksam erhoben werden kann (§ 198 Abs. 3 S. 2 GVG). Ein Endtermin und damit eine Frist für die Rüge ist nicht festgelegt. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll (BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 41), ist es nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge nach dem in § 198 Abs. 3 S. 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird. Dadurch soll das gesetzgeberische Ziel, keinen Anreiz für verfrühte Rügen zu schaffen, verwirklicht werden (BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 - juris Rn. 31). Schließlich war das Verfahren für die Klägerin zu 1) im Hinblick auf den mutmaßlich nur geringen Streitwert (eine Bezifferung der Klageforderung ist nicht erfolgt) nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Gegen eine solche Bewertung spricht der Umstand, dass Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums im Streit standen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 29). Der Entschädigungssenat des BSG hat in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des BSG zur Bestimmung der anwaltlichen Rahmengebühr hingewiesen, wonach existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beizumessen ist (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris Rn. 39 m. w. N.).

Nach alledem ist die Vermutung eines durch die Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Nachteils (§ 198 Abs. 2 S. 1 GVG) nicht widerlegt, die erforderliche Entschädigungsrüge (§ 198 Abs. 3 S. 1 GVG) hat die Klägerin zu 1) erhoben, besondere Umstände, die eine Wiedergutmachung auf andere Weise als ausreichend erscheinen lassen (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG), liegen nicht vor und für eine Abweichung von dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgesehenen Pauschalbetrag besteht kein Anlass. Der danach entstandene Entschädigungsanspruch ist auch nicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II auf das Jobcenter Delmenhorst übergegangen. Es fehlt an der erforderlichen zeitlichen Kongruenz zwischen dem Entschädigungsanspruch und dem Leistungsbezug, da die Klägerin zu 1) lediglich bis Januar 2018 Leistungen nach dem SGB II bezog. Im Ausgangsverfahren war ein Verfahrensstillstand ab Juli 2017 eingetreten, so dass bis Januar 2018 die dem Gericht zukommende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von einem Jahr noch nicht abgelaufen und damit eine entschädigungspflichtige Verzögerung noch nicht eingetreten war. Bei dieser Sachlage muss der Senat nicht entscheiden, ob der Rechtsprechung des früher für Entschädigungsansprüche nach § 198 GVG zuständigen 15. Senats zum Übergang des Anspruchs auf den Grundsicherungsträger (Urteil vom 24. April 2017 - L 15 SF 18/16 AK AS) zu folgen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Die Klägerin zu 1) hat mit einem Entschädigungsanspruch in Höhe von 800 EUR obsiegt. Dies entspricht einem Anteil von 2,32 % der Gesamtforderung (34.500 EUR). Gegenstand des Feststellungsausspruchs hinsichtlich des Verfahrens S 49 AS 363/15 ist eine unangemessene Verfahrensdauer von 27 Monaten, für die bei erfüllten Voraussetzungen eine Entschädigung in Höhe von 2.700 EUR zu zahlen gewesen wäre. Wenn - wie hier - zwar die Unangemessenheit der Verfahrensdauer, nicht aber eine Entschädigung in Geld auszusprechen ist, entspricht eine Kostenquote von 1/5 (Beklagter) zu 4/5 (Kläger) billigem Ermessen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, 15. Senat, Urteil vom 28. März 2013 - L 15 SF 10/12 EK AS - juris Rn. 21). Hinsichtlich des Feststellungsausspruchs entfällt damit auf den Beklagten ein weiterer Kostenanteil von 1,57 % (2.700 x 20 % = 540 x 100./. 34.500). Damit ist insgesamt nur ein geringfügiges Obsiegen der Kläger festzustellen, so dass der Beklagte keinen Kostenanteil zu tragen hat.

Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Da die Kläger außergerichtlich einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 34.500 EUR geltend gemacht haben und diesen Anspruch mit ihrer Klage ohne betragsmäßige Beschränkung weiterverfolgt haben, ist der Streitwert in dieser Höhe festzusetzen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.