Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 07.09.2000, Az.: 6 A 156/99

Behinderter; Bereich; Fahrkosten; Fahrtkosten; Gesamtschule; Integration; Integrationsklasse; integrierte Gesamtschule; Kostenbegrenzung; Obergrenze; Schulform; Schüler; Schülerbeförderung; Sonderschule; Unterart

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
07.09.2000
Aktenzeichen
6 A 156/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41939
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Begrenzung der Erstattungspflicht für die Schülerbeförderungskosten ist bei dem Besuch einer Integrationsklasse außerhalb des Bereichs des Trägers der Schülerbeförderung auch dann zulässig, wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Beförderungskosten zum Besuch einer Integrationsklasse an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Q. in Braunschweig im Schuljahr 1998/99.

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Die 1986 geborene Klägerin leidet ausweislich eines Untersuchungsberichtes des Sozialpädiatrischen Zentrums im Städtischen Klinikum Braunschweig vom 18. Januar 1999 an einem allgemeinen Entwicklungsrückstand, einer Sprachentwicklungsverzögerung mit multipler Dyslalie, einem atypischen Autismus und einer Microcephalie. Im März 1993 nahm das Jugendamt des Landkreises Helmstedt - der die Klägerin als ihr Amtsvormund vertritt - sie wegen extremer Verwahrlosung aus der elterlichen Fürsorge heraus und brachte sie als Pflegekind in einem Kinderhaus des Verbundes B.  in der im Gebiet des Beklagten liegenden Gemeinde C. unter, wo sie bis heute lebt. Im Schuljahr 1994/95 wurde die Klägerin in die 1. Klasse der Grundschule S. eingeschult und wird seitdem integrativ beschult.

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Mit Bescheiden vom 06. April und vom 18. Mai 1998 stellte die Bezirksregierung Braunschweig als obere Schulbehörde fest, dass bei der Klägerin sonderpädagogischer Förderbedarf vorliege und sie nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Lernhilfe zu beschulen sei. In einem weiteren Bescheid vom 07. August 1998 ordnete die Bezirksregierung Braunschweig an, dass die Klägerin zum 01. August 1998 in die Integrationsklasse an der Integrierten Gesamtschule Q., Braunschweig, aufgenommen und nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Lernhilfe beschult werde. Seit dem Beginn des Schuljahres 1998/99 am 09. September 1998 besuchte die Klägerin im 5. Schuljahrgang die Integrationsklasse der IGS Q. in Braunschweig. Da die Klägerin nach Einschätzung ihrer Pflegemutter intellektuell nicht in der Lage sei, von Gardessen aus die Schule in Braunschweig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, wurde die Klägerin an den Schultagen jeweils mit einem Taxi von zu Hause zur Schule und wieder zurück transportiert. Nachdem der Beklagte in seiner Funktion als Träger der Schülerbeförderung bereits unter dem 25. August 1998 gegenüber der Schule und der Pflegemutter mitgeteilt hatte, maximal Schülerbeförderungskosten im Schuljahr 1998/99 bis zur Höhe eines Betrages von 1.369,00 DM zu erstatten, stellte der Amtsvormund der Klägerin am 16. März 1999 einen förmlichen Antrag auf Übernahme der Schülerbeförderungskosten der Klägerin und fügte Rechnungen des Taxiunternehmers für den Zeitraum September 1998 bis Februar 1999 bei, die sich auf einen Gesamtbetrag von 5.137,50 DM beliefen (30,-- DM je Fahrt), den zunächst der Verbund B. verauslagt hatte.

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Mit Bescheid vom 08. April 1999 bewilligte der Beklagte die Erstattung eines Betrages in Höhe von 1.369,-- DM und lehnte die darüber hinausgehenden Schülerbeförderungskosten für die Benutzung eines Taxis durch die Klägerin für das Schuljahr 1998/99 ab. Zur Begründung berief er sich darauf, dass die IGS Q. nicht in seinem Zuständigkeitsbereich liege und er daher von der Obergrenzenregelung im Nds. Schulgesetz und seiner Satzung über die Schülerbeförderung Gebrauch machen könne, indem er die Beförderungskosten auf die Höhe der Kosten der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs begrenze. Die Obergrenzenregelung sei nur für den Besuch von Sonderschulen ausgeschlossen, um den es sich jedoch beim Besuch einer Integrationsklasse an der IGS Q. nicht handele.

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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und führte u.a. aus: Zwar stelle die von der Klägerin besuchte Integrationsklasse nicht die "typische" Sonderschule dar. Wenn die angeordnete Sonderbeschulung im Rahmen einer Integrationsklasse nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Lernhilfe vorgenommen werde, müsse die Regelungslücke im Gesetz durch entsprechende Anwendung des § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG geschlossen werden mit der Folge, dass sich der Träger der Schülerbeförderung auch in diesen Fällen auf seine Obergrenzenregelung nicht berufen könne.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1999 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und verwies darauf, dass die Einrichtung einer Integrationsklasse an einer Gesamtschule nicht die Errichtung eines "Schulzweiges" darstelle, der unter den Oberbegriff der Sonderschule zu fassen wäre. Die zuständige Schule für Lernhilfe, die "Wilhelm-Busch-Schule" befinde sich in Cremlingen; der Schulweg dorthin könne vom Ortsteil Gardessen aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Wenn eine Integrationsmaßnahme i.S.d. § 4 NSchG nicht an der dem Wohnort Cremlingen, Ortsteil Gardessen, nächsten "Regelschule" (hier Hauptschule mit Orientierungsstufe in Sickte), sondern an einer von dem Wohnort weit entfernten Integrierten Gesamtschule erfolge und dadurch hohe Schülerbeförderungskosten wegen der erforderlichen Taxenbeförderung entstünden, so müsse dem Träger der Schülerbeförderung zugestanden werden, von seiner Obergrenzenregelung Gebrauch zu machen.

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Am 05. Juli 1999 hat die Klägerin durch ihren Amtsvormund Klage erhoben.

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Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und ist der Ansicht, durch den Willen des Gesetzgebers, integrative Angebote zu begründen und zu stärken, könne die Schulform Sonderschule im Rahmen des § 14 NSchG nicht isoliert betrachtet werden. Von Bedeutung sei außerdem, dass die Bezirksregierung Braunschweig mit Bescheid vom 07. August 1998 nicht nur den sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt habe, sondern darüber hinaus sogar angeordnet habe, dass die Klägerin die Integrationsklasse an der IGS Q., beginnend ab dem Schuljahr 1998/99, zu besuchen habe. Der Hinweis des Beklagten auf die im Kreisgebiet Wolfenbüttel vorhandene Schule für Lernhilfe bzw. Hauptschule mit Orientierungsstufe gehe daher fehl, zumal jedenfalls an der vom Beklagten genannten Hauptschule mit Orientierungsstufe in Sickte eine Integrationsklasse nicht eingerichtet worden sei. Die angeordnete integrative (Sonder-)Beschulung nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Lernhilfe sei einem Sonderschulbesuch gleichzusetzen mit der Folge, dass die Obergrenzenregelung des Beklagten hier nicht Anwendung finden dürfe. Im gesamten Schuljahr würden Kosten für die Taxibeförderung in Höhe von etwa 8.500,-- bis 9.000,-- DM entstehen.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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den Bescheid des Beklagten vom 08. April 1999 i.d.G. seines Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 1999 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr die über 1.369,-- DM hinausgehenden Kosten für die Schülerbeförderung zur Integrationsklasse an der IGS Q. in Braunschweig im Schuljahr 1998/99 zu erstatten.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er erwidert: Die in § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG dem Träger der Schülerbeförderung erst durch das 5. Gesetz zur Änderung des Nds. Schulgesetzes vom 20.05.1996 eingeräumte Obergrenzenregelung greife lediglich nicht für den Besuch von Sonderschulen. Hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Ausnahmeregelung von der Begrenzungsmöglichkeit auch für Integrationsklassen gewollt, wäre diese Regelung in das 5. Änderungsgesetz zum Nds. Schulgesetz mit einbezogen worden, weil die Regelung des § 4 "Integration" bereits mit dem Nds. Schulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. September 1993 erfolgt sei. Bei der Gesamtschule handele es sich aber ebenso wie bei der Sonderschule um eine eigene Schulform i.S.d. § 5 Abs. 2 NSchG. Beide Schulformen stünden gleichberechtigt nebeneinander. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die Einrichtung einer Integrationsklasse an einer Gesamtschule nicht unter den Oberbegriff der Sonderschule gefasst werden. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Bezirksregierung Braunschweig mit Bescheid vom 07. August 1998 den Besuch der Integrationsklasse an der IGS Q. - und damit an einer allgemeinbildenden Schule außerhalb des Zuständigkeitsgebietes des Beklagten - angeordnet hat. Damit sei eine Entscheidung über die Schülerbeförderung nicht getroffen worden, weil diese Befugnis allein dem Beklagten als Träger der Schülerbeförderung obliege. Im Übrigen sei die Entscheidung der Schulbehörde erst ergangen, nachdem die wohnortnächste und innerhalb des Gebietes des Trägers der Schülerbeförderung gelegene Hauptschule mit Orientierungsstufe Sickte den Antrag des Amtsvormunds der Klägerin auf integrative Beschulung abgelehnt habe. Wenn die an der Grundschule Schandelah begonnene Integrationsmaßnahme für die Klägerin "zwangsläufig" fortzusetzen gewesen wäre, hätte diese an der wohnortnächsten Regelschule weitergeführt werden müssen, um dem Integrationsgedanken umfassend nachzukommen. Aus dem Nds. Schulgesetz ergebe sich ein vorrangiger Anspruch darauf, dass Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinen Schulen gemeinsam mit Schülern ohne einen derartigen Bedarf unterrichtet werden, nicht.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Vorgänge der Bezirksregierung Braunschweig und den Vorgang des Amtsvormunds der Klägerin Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung der Kammer.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig, aber nicht begründet.

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Die angefochtenen Bescheide vom 08. April 1999 und vom 21. Juni 1999 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der den Betrag von 1.369,-- DM (teuerste Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs bei der Schülerbeförderung im Gebiet des Beklagten) übersteigenden Kosten.

18

Die Klägerin hat als im Gebiet des Beklagten wohnende Schülerin des 5. Schuljahrgangs einer allgemeinbildenden Schule gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 Nds. Schulgesetz - NSchG - einen Anspruch gegen den Beklagten als Träger der Schülerbeförderung, sie unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihr bzw. ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Die Beförderungs- oder Erstattungspflicht besteht gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG nur für den Weg zur nächsten Schule der von dem Schüler gewählten Schulform, die den von dem Schüler verfolgten Bildungsgang anbietet. § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG bestimmt weiter, dass der Träger der Schülerbeförderung seine Verpflichtung auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen für den Schulweg auf die Höhe der Kosten der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs, die er bei der Schülerbeförderung in seinem Gebiet zu erstatten hat, beschränken kann, wenn die nächste Schule außerhalb seines Gebietes liegt; dies gilt nicht im Falle des Besuchs von Sonderschulen. Nach Auffassung der Kammer ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte von der Kostenbegrenzungsregelung des § 114 Abs. 3 Satz 5 1. Halbsatz NSchG Gebrauch gemacht und eine entsprechende Bestimmung in seine Satzung über die Schülerbeförderung vom 14. Juli 1997 aufgenommen hat. Dort heißt es in § 1 Abs. 4:

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"Liegt die nächste Schule außerhalb des Gebietes des Trägers der Schülerbeförderung, ist die Verpflichtung nach Abs. 1 dieser Satzung auf die Erstattung der notwendigen Aufwendungen für den Schulweg beschränkt, und zwar auf die Höhe der Kosten der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs, die der Landkreis Wolfenbüttel bei der Schülerbeförderung in seinem Gebiet zu erstatten hat. Dies gilt nicht im Falle des Besuchs von Sonderschulen und Schulen, die Schülerinnen bzw. Schüler aufgrund der im Schulentwicklungsplan des Landkreises Wolfenbüttel aufgeführten Schulbezirkseinteilungen/Einzugsbereiche besuchen müssen bzw. dürfen."

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Bei der von der Klägerin besuchten Integrationsklasse an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Q. in Braunschweig handelt es sich nicht um eine Sonderschule i.S.v. § 14 NSchG. § 114 Abs. 3 Satz 5 2. Halbsatz NSchG bzw. § 1 Abs. 4 Satz 2 der Schülerbeförderungssatzung des Beklagten kann daher unmittelbar nicht Anwendung finden.

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Nach Auffassung der Kammer kommt eine entsprechende Anwendung des § 114 Abs. 3 Satz 5 2. Halbsatz NSchG für den Besuch einer Integrationsklasse an der Gesamtschule ebenfalls nicht in Betracht. Auch wenn § 4 NSchG die Integration von Schülern, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, vorsieht, kann der Besuch einer Integrationsklasse, in der zum Teil nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Lernhilfe unterrichtet wird, dem Besuch einer Sonderschule nicht gleichgesetzt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass § 4 NSchG, der die "Integration", d.h. die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinderten Schülern vorsieht, bereits durch das Änderungsgesetz 1993 in das NSchG neu aufgenommen wurde. Die Obergrenzenregelung in § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG wurde dem Träger der Schülerbeförderung hingegen erst durch das Änderungsgesetz 1996 ermöglicht. Da der Gesetzgeber die Obergrenzenregelung namentlich nur für den Besuch von Sonderschulen ausgeschlossen hat, ist davon auszugehen, dass dies abschließend gemeint war und sich nicht auch auf den Besuch von Integrationsklassen - die er sonst ausdrücklich genannt hätte - beziehen sollte. Hinzu kommt, dass eine Integrationsklasse an einer Gesamtschule weder ein Bereich (§ 5 Abs. 3 NSchG) noch eine Unterart der Sonderschule ist. Gesamtschule und Sonderschule sind allgemeinbildende Schulen nach § 5 Abs. 2 Ziff. 1 f) und i) NSchG; beide Schulformen stehen gleichberechtigt nebeneinander.

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Eine Erstattung der Kosten für die Benutzung eines Taxis, die über den bereits vom Träger der Schülerbeförderung gezahlten Betrag von 1.369,-- DM hinausgehen, ist daher nach den vorstehenden Ausführungen auf der Grundlage schulrechtlicher Bestimmungen nicht möglich.

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Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der den Betrag von 1.369,-- DM übersteigenden Taxikosten kann sich allenfalls aus den §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG i.d. Form der Gewährung von Eingliederungshilfe ergeben (vgl. dazu: BVerwG, Urt. vom 10.09.1992, 5 C 7.87 - FEVS 1993, 265 ff.). Ob die Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 BSHG bei der Klägerin vorliegen, vermag die Kammer dem Untersuchungsbericht des Sozialpädriatischen Zentrums des Städtischen Klinikums Braunschweig vom 18. Januar 1999 nicht abschließend zu entnehmen. Auch kann hier nicht festgestellt werden, ob die Einschätzung der Pflegemutter, die Klägerin sei intellektuell nicht in der Lage, von Gardessen aus die Schule in Braunschweig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, zutreffend ist.

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Dies kann jedoch dahinstehen, denn die Klage kann auch unter dem Aspekt der Eingliederungshilfe keinen Erfolg haben, weil der Beklagte insoweit nicht als örtlicher Träger der Sozialhilfe leistungsverpflichtet ist. Dass der Beklagte gegenüber der Klägerin für die Sozialhilfe nicht örtlich zuständig ist, folgt aus den §§ 97, 104 BSHG. Nach § 104 BSHG gilt § 97 Abs. 2 BSHG entsprechend, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht wird. § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG regelt, dass für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Bei der Gewährung von Sozialhilfe für einen Hilfeempfänger, der sich bei anderen Personen i.S.d. § 104 BSHG aufhält, ist die Zuständigkeitsregelung des § 97 Abs. 2 BSHG anzuwenden, ungeachtet dessen, dass § 104 BSHG in dem Abschnitt 9 des Bundessozialhilfegesetzes - Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe - enthalten ist. Dies hat das Nds. OVG mit Beschluss vom 18. Mai 1995 (Az.: 12 M 7208/94) festgestellt und dazu folgendes ausgeführt:

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"Der Vorschlag des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge hatte ersichtlich das Ziel, den Schutz der Anstaltsorte (vgl. Zeidler, Zweifelsfragen, die sich aus den Änderungen des BSHG durch das FKPG und das 2. SKWPG in der Praxis bisher ergeben haben, NDV 1994, 173) dadurch zu sichern, dass die Unterbringung in einer anderen Familie (Pflegestelle) der Unterbringung in einer Anstalt, in einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung im Hinblick auf die Entlastung der "Anstaltsorte" gleichgestellt werden sollte. § 97 Abs. 2 BSHG bezweckt nämlich den Schutz der Orte mit Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen vor ungerechtfertigten Belastungen durch Kosten der Sozialhilfe (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl., Rn15 zu § 103 BSHG a.F.). An dieser Überlegung ist deshalb anzuknüpfen, weil § 97 BSGH i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des förderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944)die örtliche Zuständigkeit mit der Kostentragungspflicht verknüpft und erreichen will, dass im Regelfall der örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe die Kosten der Hilfe endgültig zu tragen hat (vgl. Schoch, in BSHG - und Praxiskomment., 4. Aufl. 1994, Rn 1 zu § 97 BSHG) und im Ausschussbericht des Deutschen Bundestages (BT-DRS 12/5930) hervorgehoben wird, es solle für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihres Elterhauses untergebracht seien, der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes zuständig bleiben. Mithin ist § 104 BSHG n.F. so zu lesen, als handele es sich um einen weiteren Absatz des § 97 BSHG. Bei diesem Verständnis ist die dort bezeichnete Altersgrenze (es sind nur Kinder und Jugendliche erwähnt) im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit § 97 Abs. 2 BSHG dahin zu verstehen, dass es auf das Alter bei er Aufnahme in die Einrichtung (Pflegestelle) des ersten "Anstaltsorts" ankommt; maßgebend ist also, ob der Hilfesuchendende bei der ersten Aufnahme in die andere Familie oder Pflegestelle das Alter von 18 Jahren noch nicht überschritten hatte."

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Nach den vorstehenden Ausführungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts, die sich die erkennende Kammer zu Eigen macht, wäre für die Gewährung von Eingliederungshilfe an die Klägerin der Landkreis Helmstedt, in dessen Bereich die minderjährige Klägerin im Zeitpunkt der Aufnahme in die Pflegestelle ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zuständig geblieben (§ 97 Abs. 1 Satz 1 und 2 BSHG).

27

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.