Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.01.2005, Az.: 16 W 182/04

Ausweisung eines Ausländers wegen begangener Straftaten im Bundesgebiet; Feststellung der Rechtswidrigkeit einer richterlich angeordneten Abschiebungshaft; Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.01.2005
Aktenzeichen
16 W 182/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 36058
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:0120.16W182.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 05.10.2004 - AZ: 28 T 116/04

Fundstelle

  • InfAuslR 2005, 149-151 (Volltext mit red. LS)

In der Abschiebehaftsache
...
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter ... und
die Richter ... und ...
am 20. Januar 2005
beschlossen:

Tenor:

Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. Oktober 2004 wird als unzulässig verworfen, soweit er sich gegen die im Tenor ausgesprochene Feststellung der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme richtet.

Im Übrigen wird auf die weitere sofortige Beschwerde der angefochtene Beschluss aufgehoben. Insoweit wird das Verfahren, auch zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Der Betroffene reiste 1987 im Rahmen einer Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folge erlaubte ihm die Ausländerbehörde den Aufenthalt im Bundesgebiet, seit dem 6. Juli 1998 aufgrund einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.

2

Seit 1993 wurde der Betroffene mehrfach wegen der Begehung verschiedener Straftaten verurteilt, so im Dezember 1999. Wegen Förderung der Prostitution in Tateinheit mit Zuhälterei, diese zum Teil in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel und weiteren Taten, wurde er im Januar 2002 zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und in Strafhaft genommen.

3

Am 13. August 2002 verfügte die Ausländerbehörde die Ausweisung des Betroffenen (§§ 45 ff. AuslG). Der Widerspruch und die weiteren Rechtsmittel des Betroffenen dagegen blieben erfolglos. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bestätigte die Ausweisung mit Beschluss vom 6. Januar 2003 (Bl. 2 d.A.).

4

Der Betroffene beantragte bei der Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Parallel dazu beantragte der ausgewiesene Betroffene am 22. April 2004 bei dem Verwaltungsgericht Hannover im vorläufigen Rechtsschutz, der Beteiligten seine Abschiebung zu untersagen. Die 12. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover setzte mit Beschluss vom 27. April 2004 die Reststrafe zur Bewährung aus und unterstellte ihn der Aufsicht und Leitung eines noch zu bestimmenden Bewährungshelfers (Bl. 50 d.A.). Dies führte am 27. April 2004 zur Entlassung des Betroffenen aus der Strafhaft.

5

Am 4. Mai 2004 wurde dem Betroffenen eine Bescheinigung für den Grenzübertritt nach Polen bis zum 13. Mai 2004 erteilt. Davon machte der Betroffene, der noch keine Entscheidung über seinen Eilantrag hatte, keinen Gebrauch. Mit Beschluss vom 21. Juni 2004 wies die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover den Eilantrag des Betroffenen zurück (Bl. 73).

6

Die Beteiligte konnte den Betroffenen nach seiner am 27. April 2004 erfolgten Entlassung aus der Haft nicht auffinden. Am 16. September 2004 sprach er gegen 17:40 Uhr unangekündigt bei der Beteiligten vor, um sich anzumelden. Diese ließ ihn durch die Polizei festnehmen.

7

Am 17. September 2004 hat sie beim Amtsgericht Abschiebungshaft gegen den Betroffenen beantragt.

8

Der Betroffene hat durch seinen Verfahrensbevollmächtigten seine sofortige Freilassung mit der Begründung beantragt, der Polizei stehe ein vorläufiges Festnahmerecht nicht zu und er sei zur freiwilligen Ausreise bereit, wenn über seinen Antrag auf Befristung der Ausreise im anhängigen Verfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschieden sei (Bl. 7).

9

Das Amtsgericht hat - wie beantragt - Abschiebungshaft für 2 Monate angeordnet und die dem Beschluss vorgelagerte Freiheitsentziehung für rechtmäßig erklärt (Bl. 17).

10

Mit seinen dagegen eingelegten sofortigen Beschwerden vom 17. und 28. September 2004 (Bl. 31 ff. und Bl. 85 ff.) hat der Betroffene geltend gemacht, er habe sich seiner Abschiebung nicht durch Untertauchen entzogen, sondern sich bei seiner Mutter aufgehalten (Bl. 87). Darüber seien die Beteiligte und auch seine Bewährungshelferin unterrichtet gewesen, die ihn dort auch aufgesucht habe. Im Übrigen habe weder die Verwaltungsbehörde noch die Polizei die Befugnis gehabt, ihn ohne richterliche Anordnung am 16. September 2004 festzunehmen.

11

Mit Beschluss vom 28. September 2004 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Betroffenen gegen die Ablehnung seines Eilantrags durch das Verwaltungsgericht zurückgewiesen (Bl. 78 ff.).

12

Das Landgericht hat die sofortigen Beschwerden des Betroffenen mit Beschluss vom 5. Oktober 2004 zurückgewiesen und außerdem festgestellt, die vorläufige Ingewahrsamnahme des Betroffenen sei rechtmäßig gewesen (Bl. 118 ff.).

13

Mit seiner weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts begehrt der noch vor dem 11. Oktober 2004 abgeschobene Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlich angeordneten Abschiebungshaft und der dieser vorgelagerten Freiheitsentziehung.

14

II.

1.

Soweit der Betroffene die im angefochtenen Beschluss festgestellte Rechtswidrigkeit der der richterlichen Haftanordnung vorgelagerten Freiheitsentziehung begehrt, ist die Beschwerde nicht zulässig.

15

Das Landgericht hat die der richterlichen Haftanordnung vorgelagerte Freiheitsentziehung vollkommen zutreffend auf § 18 Abs. 1 Nr. 2 a Nds. SOG gestützt (Beschlussgründe S. 3 = Bl. 116). Diese Rechtsprechung liegt auf der Linie der niedersächsischen Oberlandesgerichte (OLG Celle, Beschluss v. 18. Oktober 2000 - 17 W 10/00; OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Oktober 2004 - 6 W 12/04). Gegen diese Entscheidung ist die weitere sofortige Beschwerde nur statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung einer zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage zugelassen hat (§ 19 Abs. 2 Satz 4 Nds. SOG). Daran fehlt es. An die Nichtzulassung durch das Beschwerdegericht ist der Senat gebunden. Eine Nichtzulassungsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor.

16

2.

Die im Übrigen - gegen die richterliche Haftanordnung - erhobene weitere Beschwerde ist zulässig und auch begründet und führt Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Die angefochtene Entscheidung verstößt gegen das Gesetz (§ 27 Abs. 1 FGG).

17

a)

Das Landgericht hat aufgrund eines ungeklärten Sachverhalts angenommen, der Betroffene habe sich durch Untertauchen seiner bevorstehenden Abschiebung entziehen wollen und er habe damit einen Haftgrund nach § 57 Abs. 2 AuslG gesetzt. Diese Annahme hat das Landgericht ausschließlich mit dem Vortrag der Beteiligten begründet, der Betroffene sei unter der in der JVA angegebenen Entlassungsanschrift von Polizeibeamten nicht angetroffen worden und auch in der Nachbarschaft unbekannt (Beschlussgründe S. 3 = Bl. 116). Dies hatte die Beteiligte schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover vorgetragen, das sich dadurch veranlasst sah, den Verfahrenbevollmächtigten um Mitteilung der Anschrift zu bitten. Der Umstand allein, dass der Verfahrenbevollmächtigte dem nicht nachgekommen ist (Bl. 74), was der Betroffene jedenfalls mit Schriftsatz vom 28. September 2004 (Seite 3 = Bl. 87) nicht einmal in Abrede genommen hat, besagt aber nicht zwingend, dass der Vortrag der Beteiligten zutreffend sein muss.

18

Vielmehr hätte das Landgericht bei der Tatsachenfeststellung - gegebenenfalls nach weiterer Sachverhaltsaufklärung und Beweiswürdigung - auch den Vortrag des Betroffenen in seiner Beschwerdebegründung vom 28. September 2004 berücksichtigen müssen, wonach die Mitarbeiterin der Beteiligten K. den Betroffenen tatsächlich in der Wohnung angetroffen habe (Seite 4 oben = Bl. 88) und unter Beweis des Stiefvaters und der Mutter des Betroffenen gestellt ist, dass der Betroffene dort tatsächlich seit seiner Entlassung in einem eigens für ihn eingerichteten Zimmer gewohnt habe (Seite 3 = Bl. 87).

19

Nicht geklärt ist auch, wann und warum die Polizeibeamten den Betroffenen bei ihrem Besuch nicht angetroffen haben. Die Tatsache, dass er sich zum Besuchzeitpunkt nicht in der Wohnung aufhielt, lässt freilich nicht den Schluss zu, dass er dort nicht wohnte. Es ist auch nicht festgestellt, welche Auskunft ihm sonstige in der betreffenden Wohnung angetroffenen Personen den Polizeibeamten gegeben haben. Der Stellungnahme des Stiefvaters und der Mutter des Betroffenen ist zu entnehmen, dass sie erst durch die Nachbarn auf den Besuch der Polizei aufmerksam gemacht worden sind (Bl. 111). Nicht ersichtlich ist damit, dass die Polizeibeamten in der Wohnung überhaupt jemanden angetroffen haben. Der Umstand, dass sonstigen Hausbewohnern der Betroffene unbekannt war, besagt ebenfalls nicht, dass er dort nicht wohnte. Denn der Betroffene musste den Hausbewohnern schon deshalb nicht bekannt sein - schon gar nicht namentlich -, weil er bis zum 27. April 2004 in Strafhaft saß und folglich erst seit kurzer Zeit in dem betreffenden Haus wohnen konnte. Dazu wird das Landgericht weitere Feststellungen treffen müssen (§ 12 FGG).

20

b)

Entgegen der Annahme des Betroffenen hindert eine ausstehende Entscheidung über die im Verwaltungsrechtsweg begehrte Befristung der Ausweisungsverfügung nicht seine Inhaftnahme zum Zwecke der Abschiebung.

21

Es ist nicht ersichtlich, dass der erfolgten Abschiebung aufgrund der rechtskräftigen Ausweisung Gemeinschaftsrecht entgegenstand. Polen ist 2004 Mitglied der Europäischen Union geworden. Bis zum Eintritt der Rechtskraft der Ausweisungsverfügung vom 13. August 2002 mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Januar 2003 galt das Recht der Europäischen Gemeinschaft nicht im Verhältnis zu Polen.

22

Die Beteiligte war deshalb berechtigt, den Betroffenen auf der Grundlage der rechtskräftigen Ausweisungsverfügung abzuschieben (§ 49 AuslG). An der Abschiebung war die Beteiligte nicht schon durch den gestellten Antrag des Betroffenen auf vorläufigen Rechtsschutz gegen diese Maßnahme gehindert. Ein einstweiliges Abschiebungsverbot haben die Verwaltungsgerichte der Beteiligten nicht auferlegt, sondern dem Antrag des Betroffenen gerade nicht stattgegeben (Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. September 2004, Bl. 127, Bl. 78, 79). Folglich stand weder der Abschiebung noch der angeordneten Haft zur Sicherung der berechtigten Abschiebung ein Hindernis entgegen.