Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.06.2001, Az.: 6 A 451/00

Abschiebungsschutz; Blutrache; Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.06.2001
Aktenzeichen
6 A 451/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40178
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In Anbetracht der staatlichen Schutzbereitschaft in Syrien gegenüber einer Ausübung von Blutrache kann ein Abschiebungsschutz nicht gewährt werden.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage mit Erklärung vom 14. Juni 2001 zurückgenommen worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Sie reisten am 06. August 2000 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

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Zur Begründung dieses Begehrens trugen sie vor:

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Sie hätten im März oder April 2000 nach ihrem Glaubensritus in Syrien geheiratet. Die Ehe sei dort nicht staatlich registriert worden. In Syrien hätten sie Personalausweise gehabt, die sie aber auf Anweisung des Schleusers nicht mitgebracht hätten. Die Eltern und ihre Geschwister befänden sich noch in Syrien. Am 20. Juli 2000 seien sie von einem Schleuser über die türkische Grenze gebracht worden. Von dort habe man sie nach Istanbul und anschließend mit einem Lkw nach Deutschland transportiert, wo sie am 06. August 2000 angekommen seien. Er (Kläger zu 1.) habe in Syrien Land besessen und in der Landwirtschaft gearbeitet. Von 1996 bis 1999 habe er seinen Wehrdienst geleistet. Etwa einen Monat vor der Ausreise seien er und sein Bruder von zwei Mitgliedern der Familie H. K. in Kamishli angegriffen worden. Diese hätten versucht, sie zu töten. Zwischen den Familien bestehe schon seit langem eine Blutrache. Sie seien schon öfter angegriffen worden, hätten sich dann aber mit dieser Familie sozusagen wieder versöhnt gehabt. Aber jetzt hätten die wieder damit angefangen. Bei dem Vorfall sei er mit seinem Bruder in Kamishli gewesen. Sie hätten gesehen, wie die beiden Personen der anderen Familie aus ihrem Auto ausgestiegen seien, als er mit seinem Bruder gerade vorbeigegangen sei. Als sie gesehen hätten, dass die anderen eine Pistole bei sich gehabt hätten, seien sie geflohen und nach Hause gelaufen. Sie hätten sich dann entschlossen, das Land zu verlassen. Wenn er wieder zurückgehe, werde er verhaftet, weil es nach den syrischen Gesetzen verboten sei, illegal auszureisen. Sie (Klägerin zu 2.), schließe sich den Gründen ihres Ehemannes an.

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Mit Bescheid vom 29. August 2000 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ebenfalls nicht gegeben seien und die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorlägen. Außerdem forderte die Behörde die Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes auf und drohte für den Fall, dass dieser Anordnung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung an.

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Gegen den am 31. August 2000 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 08. September 2000 Klage erhoben.

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Zur Begründung der Klage tragen sie im Wesentlichen vor:

7

Als Yeziden seien sie in Syrien einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt. Soweit einige Gericht eine andere Auffassung verträten, überzeugten diese Entscheidungen nicht. Die Anzahl der noch in Syrien verbliebenen Yeziden sei wesentlich geringer als von den Gerichten angenommen. Auszugehen sei von etwa 2000 dort verbliebenen Yeziden. Diese Zahl habe sich inzwischen weiter verringert. Eine inländische Fluchtalternative bestehe für die Yeziden nicht.

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Die Kläger beantragen,

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die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 53 AuslG vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 29. August 2000 insoweit aufzuheben

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Im Übrigen haben die Kläger die Klage zurückgenommen, soweit sie zunächst auch auf die Anerkennung als Asylberechtigte gerichtet war.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,

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die Klage abzuweisen.

13

Der Kläger zu 1) ist in der mündlichen Verhandlung zu seinem Asylvorbringen ergänzend informatorisch angehört worden; hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2001 zurückgenommen haben, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

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Im Übrigen sie die Klage nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung durch die Beklagte, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder des § 53 AuslG vorliegen.

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Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sind denen des Art. 16a Abs. 1 GG gleich, soweit es die Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale betrifft. Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben politisch Verfolgte (Art. 16 a Abs. 1 GG). Dieses Individualgrundrecht kann in Anspruch nehmen, wer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland politische Verfolgung (erneut oder erstmals) zu befürchten hat. Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen durch den Heimatstaat oder durch Maßnahmen Dritter, die diesem Staat zurechenbar sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden oder unmittelbar drohen, die ihn nach ihrer Intensität und Schwere aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 315, 333). Dabei beschränkt sich der asylrechtliche Schutz nicht auf die Rechtsgüter Leib und Leben, sondern erfasst auch Einschränkungen der persönlichen Freiheit; die hierin eingeschlossenen Rechte der freien Religionsausübung und ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung lösen einen Asylanspruch indessen nur aus, wenn deren Beeinträchtigung nach ihrer Intensität und Schwere zugleich die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. vom 24.06.1992 - 2 BvR 176/92 u.a., S. 12 f. des Abdrucks unter Hinweis auf BVerfGE 76, 143, 158). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Verfolgungsmaßnahmen ergeben, wenn der Asylbewerber sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und auch im Übrigen vergleichbaren Lage befindet, so dass seine (etwaige) Nichtbetroffenheit von ausgrenzenden Rechtsverletzungen eher als zulässig anzusehen ist (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 230). Eine solche sog. mittelbare Gruppenverfolgung liegt danach typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile desselben erfassen, aber etwa auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, dass jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht, wobei allerdings nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend erfasst sein muss (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 232). Auch ohne Pogrome und diesen vergleichbare Massenausschreitungen liegt eine mittelbare Gruppenverfolgung immer dann vor, wenn die Verfolgungsschläge, von denen die Angehörigen einer Gruppe betroffen werden, so dicht und eng gestreut fallen, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden (BVerwG, Beschl. vom 24.09.1992, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 156; Urt. vom 05.07.1994, BVerwGE 96, 200, 203). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. vom 02.08.1983, BVerwGE 67, 317 m. w. N.) wird eine solche von nichtstaatlicher Seite, insbesondere von Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn dieser die Verfolgung billigt oder fördert, ferner wenn er nicht willens oder - trotz vorhandener Gebietsgewalt - nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe Privater zu schützen. Dabei besteht die Zurechenbarkeit begründende Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit nicht bereits dann, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten lückenlosen Schutz zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder "Pannen" sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgaben der Wahrung des öffentlichen Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus. Vielmehr sind Übergriffe Privater dem Staat als mittelbare Verfolgung dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-) Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden in Einzelfällen sind (BVerwG, Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24 [BVerwG 05.07.1994 - BVerwG 9 C 1.94]).

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Da das Asylgrundrecht auf dem Zufluchtgedanken beruht und von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Ursachenzusammenhang von Verfolgung/Flucht/Asyl voraussetzt (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, BVerfGE 74, 51, 60; Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 344), ist ferner von maßgeblicher Bedeutung, ob der Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar, ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt fortbestehen. Er ist ferner anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ernsthafte Zweifel bestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, kann er nur dann anerkannt werden, wenn ihm politische Verfolgung aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, aaO., 64 f.; Beschl. vom 10.07.1989, aaO., 344; BVerwG, Urt. vom 20.11.1990, BVerwGE 87, 152; Urt. vom 23.07.1991, DVBl. 1991, 1089). Für die Annahme einer drohenden Verfolgung ist entscheidend, ob aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. vom 05.11.1991, BVerwGE 89, 162, 169). Die dazu erforderliche Zukunftsprognose hat auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und muss auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, Urt. vom 03.12.1985, EZAR 202 Nr. 6). Sie hat die vom Asylbewerber geschilderten Ereignisse zu würdigen und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahme festzustellen (§§ 15, 25, 74 Abs. 2 AsylVfG). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urt. vom 23.11.1982, BVerwGE 66, 237). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. vom 12.11.1985, EZAR 630 Nr. 13).

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Dies setzt voraus, dass der Asylbewerber die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorträgt. Hierzu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Beschl. vom 18.09.1989, InfAuslR 1989, 350 [BVerwG 18.09.1989 - BVerwG 9 B 308.89] m.w.N.). Dazu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen. Ein im Laufe des Asylverfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen. Ändert der Asylsuchende in seinem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist, will er nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit erwecken (BVerwG, Beschl. vom 26.10.1989, InfAuslR 1990, 38 [BVerwG 26.10.1989 - BVerwG 9 B 405.89]; Beschl. vom 21.07.1989, Buchholz 402.24 § 1 AsylVfG Nr. 113). Zwar spricht nicht jede Widersprüchlichkeit im Vortrag eines Asylbewerbers zugleich auch gegen seine Glaubwürdigkeit; vielmehr ist bei der Wertung seiner Aussage zu berücksichtigen, dass sich Missverständnisse aus Verständigungsproblemen ergeben haben können und dass zwischen Asylantragstellung, der Anhörung im Verwaltungsverfahren, der schriftlichen Klagebegründung sowie ggf. der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor Gericht jeweils größere Zeiträume liegen können. Auch dürfen die besonderen Schwierigkeiten, denen Asylbewerber aus anderen Kulturkreisen bei der Darstellung ihrer Verfolgungsgründe besonders dann ausgesetzt sind, wenn sie über einen geringen Bildungsstand verfügen, nicht außer Acht gelassen werden. Grundlegende, für das Verlassen des Heimatlandes und den Asylantrag maßgebende Umstände im individuellen Lebensweg des Asylbewerbers bleiben jedoch im Normalfall zumindest in ihren wesentlichen Einzelheiten in Erinnerung. Widersprüche und Ungereimtheiten, die sich hierauf beziehen, machen das Vorbringen des Asylbewerbers zu seinem persönlichen Verfolgungsschicksal in der Regel insgesamt unglaubwürdig. Vor allem für diejenigen Umstände, die den eigenen Lebensbereich des Asylbewerbers betreffen, ist ein substantiierter, im Wesentlichen widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu fordern. Dabei ist die wahrheitsgemäße Schilderung einer realen Verfolgung erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum.

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Hiernach kann den Klägern Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht gewährt werden.

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Soweit der Kläger zu 1) geltend macht, Syrien wegen seiner Furcht vor den Folgen einer Blutrache verlassen zu haben, kann ihm Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG schon deshalb nicht gewährt werden, weil es sich bei einer solchen Behandlung nicht um eine vom syrischen Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgungsmaßnahme handeln würde, sofern sie dem Kläger zu 1) tatsächlich konkret gedroht hätte (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21.07.1999 an das VG Augsburg). Der Kläger zu 1) und sein Bruder (6 A 460/00) haben zudem nach ihren eigenen Schilderungen nicht einmal versucht, bei den syrischen Behörden Schutz vor der vermeintlichen Bedrohung zu erhalten. Das Gericht hält die diesbezüglichen Angaben überdies für unzutreffend, wie später ausgeführt werden wird.

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Soweit die Kläger geltend machen, wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit als Yeziden Verfolgungshandlungen durch andersgläubige muslimische Nachbarn ausgesetzt zu sein, ist weder von den Klägern vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass sie bis zu ihrer Ausreise aus Syrien in asylrechtlich relevanter Weise aus religiösen Gründen eine unmenschliche Behandlung erlitten haben.

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An der Auffassung, dass die Angehörigen der yezidischen Glaubensgemeinschaft in Syrien keiner unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, hält die Kammer weiterhin fest (Urteil vom 14.03.2001, 6 A 313/00; vgl. auch: OVG Lüneburg, Beschl. vom 25.01.2001, 2 L 3172/00; Urt. vom 27.03.2001, 2 L 5117/97 und 2 L 2505/98 ). Die Kammer sieht nach Prüfung der aktuellen Erkenntnismittellage, insbesondere nach einer Auswertung des von dem Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft e.V. in Oldenburg erstellten Gutachtens vom 19. November 2000 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Maisel vom 30. November 2000 keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Das Gericht folgt insoweit nicht der gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichts Magdeburg (Urteil vom 29.01.2001, 8 A 497/98 MD). Selbst wenn nach dem vom Kulturforum in Oldenburg zusammengestellten Zahlenmaterial innerhalb des Zeitraumes von 1990 bis 1999 insgesamt 77 asylrechtlich relevante Verfolgungsschläge im Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) vorgefallen sein sollten, lässt sich daraus nicht die für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte herleiten. Bei einer quantitativen Betrachtung der Relation von ermittelten Yeziden, die sich derzeit noch im Nordosten Syriens befinden sollen (ca. 4000), und der aus insgesamt 77 Verfolgungsschlägen abgeleiteten Zahl von etwa 8 Vorfällen jährlich ergibt sich, dass von den Verfolgungsschlägen auf jedes Jahr bezogen nur 0,2 v.H. der im Nordosten Syriens lebenden Yeziden betroffen waren. Auch wenn man an Stelle der Gesamtzahl yezidischer Personen in diesem Raum lediglich die Zahl der Yezidenfamilien zugrunde legt, in denen die Einzelpersonen als Verband gelebt haben, führt die Zahl der jährlichen Verfolgungsschläge, die zudem seit Mitte der 90iger Jahre (mit Ausnahme der Landwegnahmen) rückläufig sind, ebenfalls nur zu einem Prozentsatz von etwas mehr als 1,2 v.H.. Ungeachtet der Frage, ob die vom Kulturforum in Oldenburg ermittelten Übergriffe auf Yeziden sämtlich nach ihrer Intensität ein asylrechtlich relevantes Maß erreicht hatten oder ob ihnen überhaupt asylrechtlich relevante Motive zugrunde gelegen haben, lässt sich bei einer quantitativen Betrachtungsweise nicht der Schluss ziehen, dass die Verfolgungsschläge derart dicht und eng gestreut fallen, dass für jeden Yeziden die aktuelle Gefahr besteht, selbst das Opfer eines Übergriffs von arabischen Mitbewohnern zu werden.

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Eine nach qualitativen Gesichtspunkten vorgenommene Betrachtung nach der Art und Intensität der im Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgeführten Übergriffe rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass jeder im Nordosten Syriens lebende Yezide befürchten muss, selbst ein Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Dies ergibt eine Gesamtwürdigung der Zahl der besonders schweren Verfolgungsschläge sowie die Feststellung, dass die in dem Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgelisteten Vorfälle nicht in einem eng umgrenzten Bereich des Nordostens, sondern sich an teilweise weit verstreut liegenden Orten zugetragen haben. Der Umstand, dass vor allem die besonders schweren Übergriffe in den letzten Jahren abgenommen haben, deutet zudem darauf, dass mit der Anzahl der in den letzten Jahren aus Syrien ausgereisten Yeziden der Verdrängungswettbewerb zwischen den Bevölkerungsgruppen als häufig vorgetragene Motivation für die Übergriffe nachgelassen zu haben scheint. 

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Die Kläger sind auch nicht wegen ihrer Eigenschaft als Kurden Verfolgungsmaßnahmen des syrischen Staates ausgesetzt. Nach der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die ethnische Minderheit der Kurden als solche in Syrien einer staatlichen Verfolgung nicht unterworfen ist. Fälle politischer Verfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sind nicht bekannt. Die in den 60-iger Jahren von der damals regierenden syrischen Führung begonnene und von Präsident Assad bis 1976 zunächst noch fortgeführte Politik der "Arabisierung" der kurdischen Siedlungsgebiete Syriens ist noch im Jahre 1976 von der Assad-Regierung eingestellt worden (vgl. etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 10.01.1990). Zwar betont die Ideologie der Baath-Partei den arabischen Charakter Syriens. Seit Ende der 70-iger Jahre sind jedoch Bestrebungen zur Zwangsarabisierung ethnischer Minderheiten oder staatliche Repressionen gegen nichtarabische Minderheiten allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mehr feststellbar (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.07.2000).

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Anhaltspunkte für Nachfluchtgründe liegen ebenfalls nicht vor. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass den unverfolgt ausgereisten Klägern bei ihrer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung droht. Die Tatsache, dass die Kläger (wahrscheinlich) illegal ausgereist sind und in Deutschland um Asyl nachgesucht haben, ist kein Umstand, dessentwegen eine solche Befürchtung begründet wäre. Die Asylantragstellung als solche hat ebenso wie die illegale Ausreise Maßnahmen syrischer Behörden nicht zur Folge (vgl. die Auskünfte des AA vom 14.01.1997 und 10.11.1998 an das VG Sigmaringen, vom 30.01.2001 an das VG Freiburg, den Lagebericht vom 08.02.2001, sowie die Entscheidungen des Nds. OVG, Urt. vom 04.08.1993, 2 L 5341/92; Beschl. vom 22.08.2000, 2 L 3024/00). Nichts anderes gilt auch für den mit der Dauer des Asylverfahrens zusammenhängenden Auslandsaufenthalt. Dieser wird von den syrischen Behörden ganz regelmäßig nicht zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen genommen (vgl. Nds. OVG, aaO.; OVG Bremen, Urt. vom 13.04.2000, OVG 2 A 466/99.A; VGH Mannheim, Urt. vom 19.05.1998, A 2 S 28/98; OVG Saarlouis, Urt. vom 08.12.1998, 3 R 72/98). Es entspricht deshalb der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass weder allein der Auslandsaufenthalt noch die Asylantragstellung zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien führen, sofern die Betroffenen - wie hier - sich nicht in herausgehobener Funktion politisch betätigt haben. Aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes (z. B. vom 19.07.2000) ergibt sich, dass die Einreise abgeschobener Antragsteller ohne Anhaltspunkte für eine aus der Sicht des syrischen Staates bedeutsamen politische Betätigung weitgehend unbehelligt verläuft und die Asylantragstellung als solche oder ein längerer Auslandsaufenthalt für sich in der Regel keine Anknüpfungspunkte für ein erhöhtes Interesse der Geheimdienste sind. Aus den der Kammer vorliegenden Auskünften von amnesty international (z.B. vom 20.06.1996 an das VG Koblenz) ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Darin wird insoweit übereinstimmend mit den Angaben des Auswärtigen Amtes ausgeführt, dass mit zielgerichteter politischer Verfolgung in der Regel dann gerechnet werden muss, wenn sich jemand aktiv politisch und in herausgehobener Funktion oppositionell oder anderweitig regimekritisch verhält. Es wird zwar auch ausgeführt, dass syrische Asylantragsteller bei der Abschiebung gefährdet seien, von staatlichen Stellen verfolgt zu werden, da sie einem eingehenden Verhör durch die Einwanderungs- und Sicherheitsbehörden unterzogen werden. Außerdem wird aber dargelegt, dass die abgeschobenen Asylantragsteller dann in ein Haft- und Verhörzentrum in Damaskus gebracht werden, wo sie gefährdet sind, gefoltert zu werden, wenn sich bei der Überprüfung der Verdacht auf eine regimekritische Haltung oder frühere oppositionelle Betätigung ergibt. Bei der Befragung am Flughafen sei es hingegen lediglich nicht ausgeschlossen, dass es zu Misshandlungen durch Schläge oder zu anderen Maßnahmen komme. Auch aus dieser Stellungnahme kann daher nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politisch motivierte Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien für diejenigen entnommen werden, die sich - wie die Kläger - nicht politisch betätigt haben und die daher auch nicht in den Verdacht einer regimekritischen Haltung kommen können. Übereinstimmend hiermit gibt das Deutsche Orient-Institut (z. B. Auskunft an das VG Ansbach vom 08.05.1995) an, dass Rückkehrer allein wegen ihrer Asylantragstellung keine Bestrafung zu erwarten haben, da die staatlichen Organe Syriens die Bedeutung eines Asylverfahrens durchaus realistisch einschätzen können und das Asylverfahren in den Augen der syrischen Staatsorgane für nicht bereits in ihrem Heimatland politisch Verfolgte dieselbe Bedeutung hat wie in den Augen der Asylbewerber, die einer Formalie.

27

Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 AuslG nicht ersichtlich. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Lediglich dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach den §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gebieten, ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199 [BVerwG 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9/95]). Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr nach Syrien in einer solchen extremen Gefahrenlage befinden würden.

28

Es ist bereits nicht glaubhaft, dass dem Kläger zu 1) in der von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorausgesetzten Weise konkret und unmittelbar die Gefahr gedroht hat, Opfer einer Blutrachehandlung zu werden. Sofern sich die von dem Kläger zu 1) geschilderte Situation tatsächlich zugetragen hätte, könnte allein aus dem Umstand, bei dem Mitglied einer dem Kläger zu 1) in der Vergangenheit feindlich gesonnenen kurdischen Familie eine Schusswaffe gesehen zu haben, nicht darauf geschlossen werden, dass diese Person die Waffe in der Absicht bei sich getragen hat, sie gerade gegenüber dem Kläger zu 1) und seinem Bruder einzusetzen. Andernfalls wäre es ihm wohl kaum gelungen, sich einem derartigen Vorhaben zu entziehen, ohne dass auf ihn und seinen Bruder geschossen worden wäre. Im Übrigen ist es in Syrien innerhalb der letzten zehn Jahre nur noch sehr selten zur Ausübung der Blutrache gekommen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein solcher Übergriff auf den Kläger zu 1) nicht überwiegend wahrscheinlich wäre. Schließlich könnte sich der Kläger auch innerhalb Syriens derartigen Nachstellungen entziehen, wenn der syrische Staat in einer solchen Situation seine Schutzpflichten vernachlässigen sollte. Hierfür gibt es indes keine diesbezüglichen Erkenntnisse (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21.07.1999 an das VG Augsburg). Der Kläger hat - sofern man seinem Vorbringen zu der von ihm empfundenen Bedrohung folgt - noch nicht einmal versucht, Hilfe bei den syrischen Sicherheitskräften zu erhalten. Das Gericht hält die zu diesem Vorfall gemachten Angaben jedoch für unglaubhaft. Die Schilderungen sind in wesentlicher Hinsichtlich widersprüchlich geblieben. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt hatte der Kläger zu 1) als Grund für die Blutrache Landstreitigkeiten genannt; in der mündlichen Verhandlung hat er behauptet, der Onkel sei getötet worden, weil er Frauen der Familie habe schützen wollen. Die Zahl der Angreifer bei dem fraglichen Vorfall wurde von ihm und dem Bruder bei dem Bundesamt mit zwei Personen angegeben; in der mündlichen Verhandlung haben sie behauptet, es seien drei Personen gewesen. Diese Personen sollen nach der Schilderung beim Bundesamt aus einem Auto gestiegen sein. Später wurde gesagt, dass sie von irgendwo her, nicht aber aus einem Auto gekommen seien. Diese Widersprüche vermochte der Kläger zu 1) nicht aufzulösen.

29

Da das Bundesamt die Kläger nicht als Asylberechtigte anerkannt hat und sie keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, hatte die Behörde ihnen gemäß den §§ 34 f. AsylVfG zur Ausreise aufzufordern und die Abschiebung anzudrohen.

30

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG abzuweisen. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, folgt die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 2 VwGO.

31

Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.