Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.06.2001, Az.: 6 A 11/00

Einreiseverbot; Einwanderer; orange-roter Ausweis; Sondervolkszählung; Staatenlose; Staatenlosigkeit; Staatsangehörigkeit; Syrien; Wiedereinreiseverweigerung; Yeziden

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.06.2001
Aktenzeichen
6 A 11/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39233
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wiedereinreiseverbot für Staatenlose oder Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit nach dem Verlassen des Landes ist keine politische Verfolgung; ein Asyl- u. Abschiebeschutzantrag wird damit gegenstandslos.

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24. Februar 1999 wird hinsichtlich der unter  Nr. 2 getroffenen Feststellung aufgehoben.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte, sowie ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

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Die Beigeladene ist yezidische Glaubenszugehörige kurdischer Volkszugehörigkeit aus Syrien. Sie reiste am 26. Januar 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigte.

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Zur Begründung dieses Begehrens trug sie vor:

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Sie habe in Syrien einen Ausweis für ungeklärte Staatsbürger gehabt. Dieser Ausweis sei ihr in der Türkei vom Schleuser abgenommen worden. Den Ausweis habe der Dorfvorsteher ausgestellt; sie sei in Syrien illegal gewesen. Am 31. Dezember 1998 habe sie mit fünf Nichten und Neffen Syrien verlassen und sei zu Fuß über die Grenze in die Türkei gekommen. Dort hätten zwei Pkw gewartet, mit denen sie nach Viransehir gebracht worden seien. Am nächsten Tag habe man sie weiter nach Istanbul gefahren, wo sie bis zum 26. Januar 1999 geblieben seien. An diesem Tag sei sie um 10.05 Uhr von Istanbul nach Hannover abgeflogen. Sie hätten in Merekis gewohnt. Zur Schule sei sie nicht gegangen. Ihre Familie habe von einem Christen 100 Dönem Land gepachtet, das sie bewirtschaftet hätten. Außerdem hätten sie eine Schafzucht gehabt. Aus Furcht vor Verfolgung durch arabische Muslime sei sie aus Syrien ausgereist. Die Araber hätten immer die Schafe auf ihre Felder getrieben. Sie selbst sei mit Steinen beworfen worden; man habe auch nach dem Melken ihre Milch umgeworfen. Sie sei deshalb aus Angst nicht mehr auf die Felder gegangen. Auch zu Hause seien sie nicht sicher gewesen. Sie hätten deshalb ihre Fenster zugemauert. Die Araber hätten ihnen fünf Schafe gestohlen und den Hund getötet. Als ihr Vater die Schafe zurückgefordert habe, sei er geschlagen worden. Die Polizei habe ihnen die Hilfe verweigert, weil sie "Ungeklärte" und Yeziden seien. Nachdem ihr Vater bei der Polizei gewesen sei, seien zwei arabische Mädchen zu ihnen nach Hause gekommen, hätten sie geschlagen und an den Haaren gezogen. Auch als sie auf dem Feld Baumwolle und Stroh aufgesammelt habe, sei sie von Arabern geschlagen worden. Zuletzt habe man sie zehn Tage vor der Ausreise belästigt. Sie hätten versucht, sie zu entführen, und hätten sie unter Zwang islamisieren wollen. Deshalb habe sie das Haus nicht mehr verlassen. Ihr Vater und der Bruder Khalaf hätten verhindert, als man sie mit Gewalt habe mitnehmen wollen. Drei Araber seien nachts mit Schlagstöcken gekommen und hätten die Tür eingetreten. Bei den Auseinandersetzungen habe ihr Bruder eine Kopfverletzung davongetragen. Ihr Vater sei am nächsten Tag zur Polizei nach Ras al-Ain gefahren. Die Polizisten hätten ihnen aber nicht geholfen.

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Mit Bescheid vom 24. Februar 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben seien.

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Gegen den am 02. März 1999 zugestellten Bescheid hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 16. März 1999 Klage erhoben.

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Zur Begründung der Klage trägt er vor:

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Die Einlassungen der Beigeladenen ließen nicht erkennen, dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgemeinschaft in Syrien individuell einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Auch als Mitglied der Gruppe der Yeziden bestehe dort wegen der Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgemeinschaft weder landesweit noch regional begrenzt die Gefahr einer Verfolgung. Es fehle insoweit die für diese Annahme erforderliche Vielzahl und Dichte etwaiger Verfolgungsschläge, denen sich jeder Yezide ausgesetzt sehen müsse. Schließlich bestehe für die Beigeladene nicht die Gefahr einer asylrelevanten Gruppenverfolgung wegen der Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit. Auch wenn die Kurden in Syrien wirtschaftlich und sozial benachteiligt würden oder ein Teil dieser Minderheit seit der Volkszählung des Jahres 1962 als staatenlos behandelt werde, verletzen diese Diskriminierungen nicht in asylerheblicher Weise die Menschenwürde.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes vom 24. Februar 1999 aufzuheben, soweit darin die Feststellung eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffen worden sei.

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Die Beklagte hat weder Ausführungen zur Sache gemacht noch einen Klageantrag gestellt.

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Die Beigeladene beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor:

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Sie sei in Syrien nicht registriert und gelte dort als kurdische Volkszugehörige mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Sie habe beim Bundesamt ihr Verfolgungsschicksal als Yezidin geschildert. Die von ihr geschilderten Übergriffe auf sie durch arabische Mitbewohner hätten zu Recht dazu geführt, ihr einen Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG zuzuerkennen. Ohnehin hätten Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit erhebliche Schwierigkeiten, nach Syrien zurückgeführt zu werden. Diesen Personen werde ein Passersatzpapier für die Rückreise nicht ausgestellt. Es sei deshalb fraglich, ob Syrien für staatenlose Kurden noch das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts im Rechtssinne sei. Die Verweigerung der Wiedereinreise spreche für einen staatlichen Vertreibungsdruck und sei ein Indiz für eine Gruppenverfolgung.

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Die Beigeladene ist in der mündlichen Verhandlung zu dem Asylbegehren informatorisch ergänzend angehört worden. Hinsichtlich der Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren von Ausländern aus Syrien verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24. Februar 1999 ist deshalb hinsichtlich der unter Nr. 2 getroffenen Feststellung aufzuheben.

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Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schutz vor Abschiebung aus § 51 Abs. 1 AuslG sind mit denen des Asylanspruchs aus Art. 16a Abs. 1 GG deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut, den politischen Charakter der Verfolgung sowie den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und dessen Herabstufung bei bereits vor der Ausreise aus dem Heimatstaat verfolgten Asylsuchenden geht (BVerwG, Urt. vom 18.01.1994, NVwZ 1994, 497; Urt. vom 05.07.1994, NVwZ 1995, 391 [BVerwG 05.07.1994 - BVerwG 9 C 1.94]).

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Dagegen ist ein Abschiebungsschutz aus § 51 Abs. 1 AuslG im Gegensatz zum asylrechtlichen Schutz nach Art. 16a Abs. 1 GG auch dann zu gewähren, wenn einem Betroffenen aus Gründen, die er erst nach der Ausreise aus dem Heimatstaat geschaffen hat (subjektiver Nachfluchtgrund), politische Verfolgung droht oder ein Asylanspruch aus den in den §§ 26a und 27 AsylVfG genannten Gründen (bei einer Einreise aus Drittstaaten) ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 28.06.1999, BVerwGE 109, 174 = NVwZ 2000, 81).

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Ausgangspunkt eines Asylanspruchs oder Anspruchs nach § 51 Abs. 1 AuslG ist die in die Zukunft gerichtete Prüfung der Frage, ob der Flüchtling im Fall seiner Rückkehr - erstmals oder erneut - politischer Verfolgung ausgesetzt sein würde, durch die der hiervon Betroffene in eine die Gewährung politischen Asyls oder des Schutzes vor Abschiebung rechtfertigende Notlage geriete. Das setzt einen Staat voraus, in den der Asylsuchende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, NVwZ 1986, 759 [BVerwG 15.10.1985 - BVerwG 9 C 30.85]). Soweit der Ausländer eine Staatsangehörigkeit besitzt, ist Gegenstand der Prüfung, ob dem Flüchtling im Land seiner Staatsangehörigkeit die in § 51 Abs. 1 AuslG bezeichneten Gefahren drohen (§ 3 AsylVfG). Nur auf die Verhältnisse in diesem Staat und nicht auf die Gegebenheiten in anderen Ländern kommt es für die Beurteilung des geltend gemachten Asylanspruchs an. Derjenige, der in einem Drittstaat politisch verfolgt worden ist oder dem dort eine solche Verfolgung droht, kann den Schutz des Staates in Anspruch nehmen, dem er angehört. Einen Schutz vor politischer Verfolgung besitzt er im Ausland nur dann, wenn er im Land seiner Staatsangehörigkeit keinen Schutz erhalten kann (BVerwG, Urt. vom 18.10.1983, BVerwGE 68, 106 = NVwZ 1984, 244 m.w.N.).

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Bei Personen, die staatenlos sind, kommt es auf die Verhältnisse im Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts an (§ 3 AsylVfG). Dies ist grundsätzlich der Staat, in dem der Staatenlose bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Allein der Umstand, dass der Staatenlose ihn verlässt und im Ausland um Asyl nachsucht, ändert daran nichts. Eine Änderung der rechtlichen Lage tritt jedoch ein, wenn der Staat den Staatenlosen ausweist oder die Wiedereinreise verweigert und dies aus Gründen tut, die nicht als politische Verfolgung qualifiziert werden können. Der Staat löst damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.). In diesem Fall wird die Frage, ob dem Staatenlosen auf dem Territorium dieses Staates politische Verfolgung droht, unter verfolgungsrechtlichen Gesichtspunkten gegenstandslos. Staatenlose, die in eine solche Lage geraten sind, können mit Blick auf diesen Herkunftsstaat weder Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG noch Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG beanspruchen (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.; Urt. vom 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 471, 602 [BVerwG 24.10.1995 - BVerwG 9 C 75.95]).

22

So liegen die Dinge bei Kurden aus Syrien, die aus der insoweit maßgeblichen Sicht des syrischen Staates dort als Staatenlose oder Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit angesehen werden und als solche registriert sind. Bei diesen, wie erst recht für solche Asylsuchende, die sich illegal und ohne eine behördliche Registrierung in Syrien aufgehalten haben und entweder ebenfalls staatenlos sind oder über eine andere als die syrische Staatsangehörigkeit verfügen, gilt, dass der syrische Staat ihre Wiedereinreise verweigert (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen; Lagebericht vom 08.02.2001; Auskunft vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis; Landeshauptstadt Düsseldorf, Auskunft vom 15.11.2000 an das VG Aachen).

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Zwar kann die Verweigerung der Wiedereinreise in das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts auch in Bezug auf staatenlose Personen eine Maßnahme politischer Verfolgung darstellen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die Maßnahme die von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung der Wiedereinreiseverweigerung vorliegt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen (BVerfG, Urt. vom 02.07.1993, InfAuslR 1993, 345; BVerwG, Urt. vom 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 471 [BVerwG 24.10.1995 - BVerwG 9 C 75.95]; OVG Münster, Urt. vom 22.02.1994, 4 A 3676/93.A <juris>).

24

Eine derartige Zielrichtung ist in Bezug auf den von dem Wiedereinreiseverbot betroffenen Personenkreis nicht erkennbar. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Maßnahme - bei hiervon betroffenen Yeziden - an die yezidische Glaubenszugehörigkeit anknüpft. Denn die Yeziden mit syrischer Staatsangehörigkeit sind von dem Wiedereinreiseverbot ausgenommen. Dies gilt in gleicher Weise, soweit es sich um Personen mit kurdischer Volkszugehörigkeit handelt. Auch insoweit stellt der syrische Staat auf den Besitz der syrischen Staatsangehörigkeit ab. Außerdem lässt sich weder in Bezug auf die bloße Glaubenszugehörigkeit noch auf die kurdische Volkszugehörigkeit eine staatliche Verfolgung in Syrien feststellen (OVG Lüneburg, Urt. vom 27.03.2001, 2 L 2505/98 m.w.N.; OVG Münster, Beschl. Vom 05.04.2001, 9 A 1269/01.A; OVG Saarlouis, Beschl. Vom 19.01.2001, 3 Q 151/99).

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Die Verweigerung der Wiedereinreise zielt auch nicht darauf, Staatenlose oder andere Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit auszugrenzen. In Syrien leben zahlreiche Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit, die dort für die Dauer ihres Aufenthalts geduldet werden, wenngleich sie gegenüber den syrischen Staatsangehörigen häufig nur eingeschränkte Rechte haben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.02.2001; GfbV, Bericht vom 01.04.1997, Auskunft vom 09.07.1998 an das VG München). Nur im Falle einer beantragten oder ungenehmigten Ausreise verlieren sie den Aufenthaltsstatus (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen).

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Schließlich stellt die im Anschluss an die Sondervolkszählung erfolgte Aberkennung der syrischen Staatsangehörigkeit für die hiervon betroffenen Personen und ihre Nachkommen, als deren späte Folge sich das Wiedereinreiseverbot auswirkt, nicht als eine Maßnahme politischer Verfolgung dar. Anlass für den Zensus war die in zahlreichen Fällen begründete Annahme, dass viele der im Grenzbereich zu den Ländern Türkei, Iran und Irak lebenden Kurden nicht syrischen Ursprungs, sondern illegal aus diesen Ländern nach Syrien übergesiedelt waren. Auch wenn die Entscheidung über die syrische Staatsangehörigkeit nicht selten vorschnell getroffen wurde, weil den Betroffenen nicht genügend Zeit für den Nachweis einer syrischen Herkunft blieb, waren die Sondervolkszählung und die Überprüfung der Staatsangehörigkeit in erster Linie darauf gerichtet, illegale Einwanderer und ihre Nachkommen, zumeist Kurden aus den angrenzenden Kurdengebieten, als solche zu erfassen. Erst zeitlich danach wurde ein Plan zur Arabisierung und Umsiedlung der Kurden aus dem Grenzgebiet gefasst, der jedoch nur teilweise umgesetzt und im Jahr 1976 angeblich beendet wurde (vgl. GfbV, Bericht vom 01.04.1997, Auskunft vom 09.07.1998 an das VG München; Ai, Auskunft vom 01.05.1994; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.02.2001). Als Ergebnis der Sondervolkszählung wurde in etwa 120 000 bis 150 000 Fällen angenommen, dass eine syrische Staatsangehörigkeit nicht vorlag, und diesen Kurden die syrische Staatsangehörigkeit entzogen. In vielen dieser Fälle wird, weil eine andere Staatsangehörigkeit nicht feststellbar sein wird, nunmehr eine Staatenlosigkeit anzunehmen sein.

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Die Gründe, aus denen den staatenlosen Kurden aus Syrien sowie den dort illegal gelebt habenden Personen nach der Ausreise aus diesem Land die Einreise verwehrt wird, haben keinen asylrechtlich relevanten Anknüpfungspunkt. Die syrischen Behörden halten die frühere Duldung dieser Personen für einen humanitären Akt und sehen keine Veranlassung, sie weiterhin aufzunehmen, nachdem diese Personen freiwillig das Land verlassen haben. Hinzu kommt, dass dieser Personenkreis in aller Regel das Land illegal unter Verletzung der syrischen Grenzübertrittsregelungen verlassen hat, was auch für syrische Staatsangehörige einen Rechtsbruch bedeuten würde (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen; Lagebericht vom 08.02.2001; Auskunft vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis; vgl. zum Ganzen auch OVG Lüneburg, Urt. vom 27.03.2001 - 2 L 2505/98 -).

28

Das Gericht ist mit der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen Gewissheit zu der Überzeugung gelangt, dass die Beigeladene staatenlos ist oder in Syrien als Ausländerin mit ungeklärter Staatsangehörigkeit gilt und dass mit der Ausreise aus Syrien ein Verlust des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts eingetreten ist.

29

Die Beigeladene hatte bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, dass sie einen Ausweis für "ungeklärte Staatsbürger" in Syrien besessen und der Dorfvorsteher dieses Ausweispapier ausgestellt habe, aus dem sich ergebe, dass die Beigeladene keine syrische Staatsangehörige sei. In der mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene dieses Identitätspapier näher beschrieben als ein Dokument, das nichtsyrische Personen, sofern sie nicht im Besitz der sog. orange-roten Ausweiskarte sind, über den Dorfmuchta erhalten können (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 31.08.2000 an das VG Stade; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen, Lagebericht vom 08.02.2001). Der Bruder der Beigeladenen hat als früherer Vormund seines Neffen in dessen Verfahren (6 A 77/00) ebenfalls angegeben, dass er und seine Familienangehörigen in Syrien als Ausländer registriert seien und seines Wissens dem Vater, der früher die syrische Staatsangehörigkeit gehabt habe, diese vor vielen Jahren entzogen worden sei. Der Vater habe deshalb einen orangefarbenen Ausweis erhalten. Einen solchen Ausweis hat ein Neffe der Beigeladenen dieses Verfahrens, der mit der Beigeladenen zusammen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, in seinem Verfahren (6 A 12/00) im Original zu den Akten gereicht. Es handelt sich hierbei ausweislich der dieser Unterlage beigefügten Übersetzung um den Ausweis seiner Mutter, die diese Unterlage im März 1987 erhalten hat. Aus diesem von der Verwaltung für allgemeine zivile Angelegenheiten in Hassake ausgestellten Ausweis ergibt sich, dass die Inhaberin dieser Urkunde nach dem Gesetz der Volkszählung des Jahres 1962 nicht als syrische Staatsbürgerin registriert ist. Ein solches Personaldokument entspricht den Ausweispapieren, die der syrische Staat den Kurden und ihren Nachfahren, die aufgrund einer im Jahre 1962 durchgeführten Sondervolkszählung und anschließenden Ausbürgerung die syrische Staatsangehörigkeit verloren haben und möglicherweise staatenlos geworden sind, ausgestellt hat. Diese Personen werden in einem besonderen Personenstandsregister geführt (amnesty international, Bericht vom 01.05.1994; Gesellschaft für bedrohte Völker, Bericht vom 01.04.1997; Deutsches-Orient-Institut, Auskunft vom 31.08.2000 an das VG Stade; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen, Lagebericht vom 08.02.2001, Auskunft vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis). Hiernach ist davon auszugehen, dass die Beigeladene nicht die syrische Staatsangehörigkeit besitzt, sondern dort als eine der Staatenlosen oder Ausländer mit nichtgeklärter Staatsangehörigkeit gelebt hat, die der syrische Staat während der Dauer ihres Aufenthalts geduldet hat.

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Damit hat die Beigeladene nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit, nach Syrien zurückzukehren. Ob ihr im Falle einer Rückkehr in Syrien politische Verfolgung droht und ihr deshalb Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu gewähren ist, ist infolgedessen gegenstandslos (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.; Urt. vom 24.10.1995, aaO.).

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Dies hat nicht zur Folge, dass der Aufenthaltsstatus der betreffenden Personen auf nicht absehbare Dauer ungesichert bleibt. Handelt es sich tatsächlich um Staatenlose, unterfallen diese Personen dem Gesetz zu dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12.04.1976 (BGBl 1976 II S. 473/1977 II S. 235), andernfalls den Regelungen des Ausländergesetzes.

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Der Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist deshalb mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG zu entsprechen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.