Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 25.06.2020, Az.: L 7 AS 7/20 B

Beschwerde; Prozesskostenhilfe; Rückforderung; öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch; Überzahlung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
25.06.2020
Aktenzeichen
L 7 AS 7/20 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71535
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 06.02.2020 - AZ: S 10 SF 43/19 E

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Rückforderung überzahlter PKH-Vergütung fällt unter § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrG, der die Ansprüche gegen Rechtsanwälte auf Erstattung von Beträgen erfasst, die diesen in einem gerichtlichen Verfahren zu viel gezahlt worden sind. Denn das PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren nach den §§ 44 ff. RVG ist ein gerichtliches, auf bundesrechtlicher Regelung beruhendes Verfahren.
2. Rechtsgrundlage für die Rückforderung überzahlter PKH-Vergütung ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch.

Tenor:

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 8. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von 630,70 EUR überzahlter Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).

Der Beschwerdeführer wurde in einem auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gerichteten Klageverfahren den dortigen sechs Klägern als Prozessbevollmächtigter mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 13. Februar 2015 beigeordnet. Die Klage war am 22. Oktober 2014 unter dem Aktenzeichen S 48 AS 1624/14 beim SG Oldenburg erhoben worden. Das Verfahren wurde zunächst mit Beschluss vom 23. Oktober 2014 mit den Verfahren S 48 AS 1625/14 sowie S 48 AS 1626/14 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Führend blieb das Verfahren S 48 AS 1624/14. Mit Beschluss vom 22. Juni 2015 wurden die Verfahren vom SG wieder getrennt. Am 10. März 2016 fand ein Termin zur mündlichen Verhandlung gemeinsam mit vier weiteren Verfahren der Kläger statt, der insgesamt 30 Minuten dauerte und in dem die Beteiligten in allen Verfahren zur Erledigung der Rechtsstreite nahezu wortgleiche gerichtliche Vergleiche schlossen.

Mit Schreiben vom 10. März 2016 beantragte der Beschwerdeführer beim SG die Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren. Abgerechnet wurde dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) ein Betrag in Höhe von 1.428,00 EUR. Dieser Betrag wurde von der zuständigen Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) beim SG mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016 antragsgemäß festgesetzt und an den Beschwerdeführer überwiesen.

Gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss legten zunächst der Beschwerdeführer Erinnerung und später der Beschwerdegegner Anschlusserinnerung ein. Mit Beschluss vom 21. April 2017 wies das SG die Erinnerung des Beschwerdeführers zurück. Zugleich änderte es auf die Anschlusserinnerung des Beschwerdegegners den Vergütungsfestsetzungsbeschluss und setzte die Rechtsanwaltsvergütung auf nur noch 797,30 EUR fest. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 29. Juni 2018 ebenso zurück wie die vom Beschwerdegegner eingelegte Anschlussbeschwerde (L 7 AS 44/17 B).

Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 forderte die UdG von dem Beschwerdeführer den überzahlten Betrag in Höhe von 630,70 EUR zurück. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass gegen diese Entscheidung gemäß § 189 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 59 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) innerhalb eines Monats nach Zustellung das SG angerufen werden könne, das endgültig entscheide.

Am 11. März hat der Erinnerungsführer sich an das SG gewandt und „Rechtsmittel“ gegen die Entscheidung der UdG vom 18. Februar 2019 eingelegt. Seines Erachtens fehle es hinsichtlich des Rückzahlungsverlangens an einer Rechtsgrundlage. Der Beschluss des erkennenden Senats vom 29. Juni 2018 stelle aus seiner Sicht keine Rechtsgrundlage für die verlangte Erstattung dar.

Mit Beschluss vom 6. Februar 2020 hat das SG dieses Rechtsmittel als Erinnerung ausgelegt und die Erinnerung zurückgewiesen. Die Erinnerung sei unzulässig. Das Schreiben der UdG stelle keinen Beschluss dar, gegen den eine Erinnerung zulässig wäre. Eine solche Erinnerung sei im Verfahren über die Bewilligung von PKH gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG nur gegen die Festsetzung selbst im Sinne des § 55 RVG zulässig. Über die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss im Verfahren S 48 AS 1624/14 liege bereits eine bestandskräftige Entscheidung vor. Das Verfahren nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG sei damit abgeschlossen und eine Erinnerung dagegen könne nicht mehr erfolgen. Die Rückforderung der überzahlten PKH-Vergütung werde nunmehr gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 8 des Justizbeitreibungsgesetzes (JBeitrG) durchzuführen sein. In der Rechtsmittelbelehrung hat das SG ausgeführt, dass die Beschwerde zulässig sei, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteige.

Gegen den am 11. Februar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich sie am 12. Februar 2020 eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers. Er hält die Zahlungsaufforderung der UdG vom 18. Februar 2019 weiterhin mangels Rechtsgrundlage für rechtswidrig. Einen Leistungstitel könne er in dem Beschluss des SG vom 21. April 2017 nicht erkennen.

Der Beschwerdegegner hat zu der Erinnerung keine Stellungnahme abgegeben.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakte Bezug genommen.

II.

1.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Zusammensetzung der drei Berufsrichter gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 8, § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1 JBeitrG i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, nachdem der Berichterstatter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

2.

Die Beschwerde ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 8, § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1 JBeitrG i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 1, § 1 Abs. 3 RVG zulässig.

Die Rückforderung überzahlter PKH-Vergütung richtet sich nach dem JBeitrG. Gemäß § 1 Abs. 2 JBeitrG findet das JBeitrG auch auf die Einziehung von Ansprüchen im Sinne des Absatzes 1 durch Justizbehörden der Länder Anwendung, soweit die Ansprüche auf bundesrechtlicher Regelung beruhen. Dies ist hier der Fall. Die Rückforderung überzahlter PKH-Vergütung fällt unter § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrG, der die Ansprüche gegen Rechtsanwälte auf Erstattung von Beträgen erfasst, die diesen in einem gerichtlichen Verfahren zu viel gezahlt worden sind. Das PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren nach den §§ 44 ff. RVG ist ein gerichtliches, auf bundesrechtlicher Regelung beruhendes Verfahren.

Die Zulässigkeit der Beschwerde richtet sich gemäß § 8 Abs. 1 JBeitrG nach § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG. Einwendungen, die den beizutreibenden Anspruch selbst, die Haftung für den Anspruch oder die Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung betreffen, sind vom Schuldner gerichtlich geltend zu machen und zwar bei Ansprüchen gegen Rechtsanwälte nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrG nach den Vorschriften über die Feststellung eines Anspruchs des Rechtsanwalts. Der Anspruch des Rechtsanwalts auf PKH-Vergütung richtet sich nach den §§ 44 ff. RVG. Einwendungen gegen die Vergütungsfestsetzung sind nach § 56 RVG im Wege der Erinnerung und der Beschwerde geltend zu machen. Entsprechend sind Einwendungen gegen die Rückforderung gemäß § 8 Abs. 1 JBeitrG ebenfalls im Wege der Erinnerung und der Beschwerde nach § 56 RVG geltend zu machen. § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sieht in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG die Beschwerdemöglichkeit gegen die Entscheidung des Gerichts über die Erinnerung vor, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt. Im vorliegenden Fall ist dieser Beschwerdewert erreicht, weil die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von 630,70 EUR streiten.

3.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Zuständigkeit der UdG zur Geltendmachung der Rückforderung ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 JBeitrG. Danach obliegt die Beitreibung in den Fällen des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 JBeitrG den nach den Verfahrensgesetzen für die Vollstreckung dieser Ansprüche zuständigen Stellen, soweit nicht die in Absatz 2 bezeichnete Vollstreckungsbehörde zuständig ist, im Übrigen den Gerichtskassen als Vollstreckungsbehörden. Die Landesregierungen werden ermächtigt, an Stelle der Gerichtskassen andere Behörden als Vollstreckungsbehörden zu bestimmen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 JBeitrG). Die Landesregierungen können gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 JBeitrG die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. Bei der Rückforderung von überzahlter PKH-Vergütung handelt es sich um eine Beitreibung nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 JBeitrG, für die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 JBeitrG die Gerichtskassen als Vollstreckungsbehörden zuständig sind. Von der Ermächtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 JBeitrG hat das Land Niedersachsen keinen Gebrauch gemacht. Die UdG wird als Vertreterin der Gerichtskasse tätig.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besteht für die von der UdG geltend gemachte Rückforderung auch eine Rechtsgrundlage und zwar in Form des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (ebenso Ahlmann in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 55 RdNr. 43 ff.m.w.N.; im wirtschaftlichen Ergebnis auch: Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. August 2006 – 4 WF 102/06 -; Uher in: Bischof/Jungbauer, RVG, 6. Aufl. 2014, § 55 RdNr. 30a; Schütz in: jurisPR-SozR 17/2014 Anm. 6 zu Thüringer LSG, Beschluss vom 10. April 2017 – L 6 SF 193/14). Bei diesem handelt es sich um ein aus den Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 30. Juni 2016 – 5 C 1/15 - juris RdNr. 8; BVerwG, Beschl. v. 22. Februar 2018 – 9 B 6/17 - juris RdNr. 6). Er kommt als feststehender Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts, dass Leistungen, die zu Unrecht bewirkt worden sind, erstattet werden müssen (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urt. v. 28. Juni 1957 - IV C 235.56BVerwGE 6, 1 – juris RdNr. 51), zur Anwendung, wenn eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage fehlt und das geltende Recht der Übertragbarkeit der §§ 812 ff. BGB in das öffentliche Recht nicht entgegen steht (BVerwG, Beschl. v. 22. Februar 2018 – 9 B 6/17 - juris RdNr. 6 m.w.N.). Funktion des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist es, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 – 5 C 1/15 - juris RdNr. 8).

Die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs liegen im vorliegenden Fall zu Gunsten der Staatskasse vor.

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat (BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 6/19 R - juris RdNr. 9). Dies ist hier der Fall. Die UdG hatte zunächst auf den Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2016 einen Betrag von 1.428 EUR als PKH-Vergütung festgesetzt und auch ausgezahlt. Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners wurde diese PKH-Vergütungsfestsetzung durch das SG mit Beschluss vom 21. April 2017 jedoch korrigiert und die PKH-Vergütung lediglich auf 797,30 EUR festgesetzt. Die dagegen eingelegten Beschwerden wurden vom erkennenden Senat mit Beschluss vom 29. Juni 2018 zurückgewiesen, so dass die dem Beschwerdeführer zustehende PKH-Vergütung rechtskräftig nur mit 797,30 EUR festgesetzt worden ist. Es ist also zu einer rechtsgrundlosen Leistung der Staatskasse im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses an den Beschwerdeführer in Höhe von 630,70 EUR gekommen.

Die abändernde Vergütungsfestsetzung begründet allerdings noch keine Rückzahlungspflicht des Rechtsanwalts, sondern stellt nur die Rechtsgrundlosigkeit einer höheren Entschädigung fest, weshalb der beigeordnete Rechtsanwalt im Erinnerungs- bzw. Beschwerdebeschluss auch noch nicht zur Zurückzahlung des überzahlten Betrages aufgefordert werden kann, sondern eine Rückzahlungspflicht erst entsteht, wenn die zuständige Kasse, der die Rückforderung obliegt, dem beigeordneten Rechtsanwalt die Erstattungspflicht auferlegt (vgl. Ahlmann in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 55 RdNr. 45).

Dies ist mit dem Schreiben der zuständigen UdG vom 18. Februar 2019 erfolgt, weshalb die Staatskasse, vertreten durch die UdG, aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs die Rückzahlung von dem Beschwerdeführer zurecht verlangt.

Weitere Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsverlangens der UdG hat der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Sie sind auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).