Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.06.2020, Az.: L 13 SB 120/18

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.06.2020
Aktenzeichen
L 13 SB 120/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71578
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 04.09.2018 - AZ: S 4 SB 173/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Gemäß Teil B Nr. 1 c VMG beginnt die Heilungsbewährung ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die diesbezüglichen pauschalen Einzel-GdB sind auf den Zustand nach Beseitigung der Geschwulst bezogen. Eine hieraus hergeleitete Schwerbehinderteneigenschaft zu einem Zeitpunkt vor der Diagnosestellung, bei Fehlen nennenswerter körperlicher Beschwerden und psychischer Begleiterscheinungen, wenn der Erkrankte von der potentiell lebensgefährlichen Erkrankung noch nichts weiß, wäre mit dem Prinzip der Bemessung des GdB nach dem Maß der Teilhabebeeinträchtigung nicht zu vereinbaren.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, dessen Schwerbehinderteneigenschaft mittlerweile seit Dezember 2017 anerkannt ist, begehrt nunmehr noch die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 bereits ab dem 30. April 2017. Dies begründet er insbesondere mit einem zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht diagnostizierten, aber seiner Auffassung nach bereits nachweisbar vorliegenden Prostatakarzinom, bei nachfolgend im Dezember 2017 gesicherter Diagnosestellung.

Nachdem zunächst die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens G Klagegegenstand gewesen sind, hat der Beklagte nach Hinzutreten eines Prostatakarzinoms mit Teilanerkenntnis vom 14. Januar 2019 einen GdB von 70 – der zuvor mit 40 festgestellt gewesen ist – ab dem 10. Dezember 2017 anerkannt.

Gemäß Abhilfebescheid vom 5. Juli 2013 war der GdB des 1953 geborenen Klägers mit 40 aufgrund der Funktionsstörung „somatoforme Schmerzstörung mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Atembeschwerden und Neigung zu Bluthochdruck“ festgestellt worden. Vorausgegangen war ein Erstfeststellungsantrag des Klägers vom 14. Juli 2009 mit nachfolgenden umfangreichen medizinischen Ermittlungen; eine Bandscheibenoperation der Lendenwirbelsäule (LWS) wurde zunächst vom Ärztlichen Dienst mit einem Einzel-GdB von 20, später einem solchen von 30 unter Einbeziehung eines Schmerzsyndroms bewertet. Zwischenzeitliche Anträge des Klägers, der sich u.a. vom 18. September bis 9. Oktober 2012 aufgrund von Beschwerden des Bronchialsystems auf J. in Rehabilitationsbehandlung befand, auf Neufeststellung blieben ohne Erfolg. Ein überempfindliches Bronchialsystem wurde seitens des Ärztlichen Dienstes des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 eingeschätzt. Aufgrund eines 2013 gestellten Neufeststellungsantrages erfolgte schließlich die Anhebung des GdB auf 40. Im Rahmen eines weiteren Neufeststellungsverfahrens differenzierte der Ärztliche Dienst des Beklagten im März 2016 den bereits festgestellten GdB von 40 dahingehend aus, dass je ein Einzel-GdB von 20 hinsichtlich einer Funktionsstörung der Wirbelsäule, einer Lungenfunktionseinschränkung bei chronischer Bronchitis sowie der psychischen Situation nebst somatoformer Schmerzstörung vorgeschlagen wurde.

Am 15. August 2016 stellte der Kläger den Neufeststellungsantrag, der den Ausgangspunkt des hier vorliegenden Rechtsstreits bildet und mit dem er zunächst auch das Merkzeichen G beantragte. Der behandelnde Hausarzt, der Internist Dr. K., erstellte – wie bereits mehrfach zuvor – einen Befundbericht. Der Kläger habe eine Bluthochdruckerkrankung, eine Atemwegserkrankung und eine Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS). Im Bereich der LWS bestehe eine fortgeschrittene Spondylarthrose, neurologische Ausfälle fänden sich hier nicht. Demgegenüber sei die Situation der HWS für den Kläger schmerzhaft, auch nachts. Hinzu kämen Stoffwechselerkrankungen. Der Ärztliche Dienst des Beklagten – Dr. L. – sah aufgrund dieses Befundberichts in seiner Stellungnahme vom 18. Oktober 2016 keinen Anlass zu einer Neubewertung. Ergänzend berichtete Dr. K. unter dem 29. September 2016 von einer Verschlimmerung der Lungenerkrankung und einer Verschlechterung des kardialen Krankheitsbildes des Klägers. Nach erneuter Konsultation des Ärztlichen Dienstes lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 2. November 2016 ab.

Der Kläger legte Widerspruch ein und wurde hierbei durch den Internisten Dr. K., seinen Hausarzt, unterstützt. Dieser äußerte die Auffassung, es müsse eine Schwerbehinderung anerkannt werden und verwies auf die Verschlimmerung der Herz-Kreislauf-Situation bei fortgeschrittener chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung. Erschwert werde die Behandlung durch die Bluthochdruckerkrankung des Klägers, die eine Behandlung mit Betablockern verhindere. Zudem habe der Bluthochdruck zu einer tachykarden Rhythmusstörung geführt. Der Ärztliche Dienst des Beklagten nahm in der Folge die Funktionsstörung „Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen“ mit einem Einzel-GdB von 10 neu auf, andauernde Herzrhythmusstörungen lägen jedoch nicht vor. Auch eine andauernde Lungenfunktionseinschränkung sei nicht belegt. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2016 zurück.

Der Kläger hat am 13. Dezember 2016 Klage erhoben, gerichtet allein auf die Höhe des GdB und insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Er hat die vorliegenden Gesundheitsstörungen, insbesondere die Lungenbeschwerden, unzutreffend gewürdigt gesehen. Hierzu hat er ergänzende Befundberichte des Orthopäden Dr. M. und des Pneumologen Dr. N. vorgelegt, die den Ärztlichen Dienst –O. – indes nicht zu einer Änderung der bisherigen Auffassung bewogen haben. Das Sozialgericht (SG) Aurich hat einen Befundbericht des Dr. K. vom 27. Mai 2017 eingeholt. Dieser hat gemeint, von Seiten der Lungenerkrankung und der HWS-Erkrankung sei eindeutig eine Verschlechterung eingetreten. Die Bewertung der Lungenfunktionseinschränkung ist in der Folgezeit seitens der Prozessbevollmächtigten des Klägers und den Ärztlichen Dienst des Beklagten sehr unterschiedlich gewichtet worden.

Das SG Aurich hat daraufhin eine Beweisanordnung vom 17. Oktober 2017 des Inhalts beschlossen, ein internistisches Sachverständigengutachten der Fachärztin Dr. P. einzuholen. Bevor dieses Gutachten vorgelegen hat, ist seitens des Internisten Dr. K. unter dem 23. Dezember 2017 mitgeteilt worden, dass beim Kläger ein Prostatakarzinom diagnostiziert worden sei. In einem an die Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 15. Februar 2018 hat er das Datum der Diagnose mit dem 6. Dezember 2017 angegeben; an diesem Tage ist der Befund mittels einer Prostatabiopsie gesichert worden. Eine hoch pathologische Erhöhung des prostata-spezifischen Antigens (PSA) sei nach dem Bericht des Dr. K. jedoch bereits am 18. November 2015 gemessen worden, sicherlich habe die Erkrankung bereits vor dem 1. Mai 2017 vorgelegen.

Daraufhin hat der Beklagte nach Konsultation seines Ärztlichen Dienstes – Dr. Q. – ein Teilanerkenntnis des Inhalts abgegeben, der GdB werde ab dem 23. Dezember 2017 mit insgesamt 60 festgestellt. Zu den bisherigen Bewertungen ist nunmehr ein Einzel-GdB von 50 in Bezug auf das Prostatakarzinom hinzugetreten. Hierzu hat der Beklagte unter dem
31. Januar 2018 einen Ausführungsbescheid erteilt. Der Kläger hat in Bezug auf das Teilanerkenntnis die Auffassung geäußert, eine entsprechende Feststellung müsse bereits zu einem früheren Zeitpunkt getroffen werden. Dr. K. gehe davon aus, dass die Diagnose bereits Ende des Jahres 2015 gefestigt vorgelegen habe, was sich aus dem Vorliegen entsprechend hochpathologischer Werte vom 18. November 2015 ergebe. Diese Argumentation hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Folgezeit fortgeführt und hält sie auch im nachfolgenden Berufungsverfahren aufrecht, da der Zeitpunkt der Feststellung des GdB Auswirkungen auf den Rentenanspruch des Klägers habe.

Unter dem 2. März 2018 hat die Sachverständige Dr. P. ihr Gutachten erstattet. Sie hat anamnestisch zunächst mitgeteilt, der zuvor als Betriebsprüfer tätige Kläger befinde sich seit April 2017 im Ruhestand. Er sei verheiratet und habe zwei Kinder, geboren 1982 und 1988. Eine Psychotherapie habe der Kläger nie gemacht. Auch im Übrigen hat die Sachverständige keine psychischen Auffälligkeiten festgestellt. Die Schmerzen im Bereich der HWS seien seit der Berentung des Klägers deutlich besser geworden, bei sehr geringem Schmerzmittelbedarf. Als Erkrankungen des Bewegungsapparates bestünden lediglich funktionelle Auswirkungen im Bereich HWS und LWS, zu bewerten mit einem Einzel-GdB von 20. Auf internistischem Gebiet sei seit 2010 eine chronische Bronchitis bekannt; zwar führe der Hausarzt eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung auf, die vorliegenden Lungenfunktionsprüfungen zeigten aber alle nur sehr geringe oder gar keine obstruktiven Einschränkungen. Die verschriebene inhalative Behandlung mit einem Cortisonpräparat sowie bronchialerweiternden Sprays führe er nicht regelmäßig durch, sondern nach Bedarf. Angesichts der Beschwerden verwundere dies. Aber auch ohne diese Behandlung zeige sich an den Atmungsorganen kein wesentlicher krankhafter Befund. Es handele sich um ein Bronchialasthma ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion und ohne typische häufige oder schwere Anfälle, zu bewerten mit einem Einzel-GdB von 20. Der Prostatatumor sei mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten, hinsichtlich daraus folgender seelischer Störungen sei noch keine dauerhafte Prognose möglich. Unter Berücksichtigung des Einzel-GdB von 60 für die Tumorerkrankung hat die Sachverständige den Gesamt-GdB des Klägers mit 80 angenommen, dies ab Diagnosestellung des Prostatakarzinoms im Dezember 2017.

Der Beklagte hat sich durch das Gutachten in seiner Auffassung bestätigt gesehen und hat ferner darauf hingewiesen, bei einer Krebserkrankung sei nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) der hierfür vorgesehene GdB erst ab dem Zeitpunkt festzustellen, in dem das Vorliegen der Erkrankung gesichert sei. Dies sei vorliegend im Dezember 2017 erfolgt. Ein Einzel-GdB von 50 sei zutreffend, da eine Strahlen- und Antihormontherapie lediglich geplant seien. Gegebenenfalls müsse der Einzel-GdB abhängig von der tatsächlich erfolgten Therapie angepasst werden.

Der Kläger hat in der Folgezeit nochmals eine Bescheinigung des Dr. K. vom 20. Juni 2018 in Bezug auf die PSA-Messwerte im Rahmen der jährlichen Krebsvorsorgeuntersuchungen vorgelegt. Hierin hat Dr. K. aus den Messwerten geschlussfolgert, die bösartige Prostataerkrankung sei sicherlich bereits 2012 im Initialstadium vorhanden gewesen.

Mit Urteil vom 4. September 2018 hat das SG Aurich den Bescheid vom 2. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2016 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 31. Januar 2018 insoweit abgeändert, als bei dem Kläger ein GdB von 60 ab dem 6. Dezember 2017 festgestellt wird, und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der GdB von 60 stehe dem Kläger bereits ab dem 6. Dezember 2017 zu. Bezogen auf einen früheren Zeitpunkt sei kein höherer GdB als 40 festzustellen; insoweit ist das SG Aurich den Einschätzungen der Sachverständigen Dr. P. und des Ärztlichen Dienstes des Beklagten gefolgt. Auch hinsichtlich des Prostatatumors sei eine Erhöhung des Einzel-GdB von 50 nach Teil B Nr. 13.6 VMG nicht indiziert, da nicht bekannt sei, ob der Kläger auf Dauer hormonbehandelt sei. Indes sei die Diagnostik bereits am
6. Dezember 2017 erfolgt, nicht erst am 23. Dezember 2017, was lediglich das Datum des Attestes des Dr. K. und nicht das tatsächliche Diagnosedatum sei. Zudem sei der PSA-Wert kein eindeutiger Indikator dafür, dass tatsächlich ein Prostatakrebs vorliege. Es handele sich folglich lediglich um eine Vermutung.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 24. Oktober 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. November 2018, einem Montag, Berufung eingelegt. Hinsichtlich der Bemessung des GdB hat er sich auf den Vorschlag der Sachverständigen Dr. P. berufen, den GdB mit 80 ab Dezember 2017 festzustellen. Er befinde sich zudem in einer Hormontherapie.

Hinsichtlich der Feststellung eines GdB ab dem 23. Dezember 2017 hat der Beklagte unter dem 31. Januar 2018 einen Ausführungsbescheid erteilt und hat unter dem 14. Januar 2019 ein weiteres Teilanerkenntnis abgegeben, nachdem der Kläger eine Bescheinigung des Dr. K. vom 15. November 2018 über die durchgeführten therapeutischen Maßnahmen vorgelegt hat. Dr. K. hat zur Verstärkung der durchgeführten Strahlentherapie am 12. Januar 2018 mit einer Antihormontherapie begonnen. Nunmehr hat der Beklagte anerkannt, der GdB des Klägers werde unter Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 60 für die Funktionsbeeinträchtigung „hormonbehandeltes Prostatakarzinom“ ab dem 10. Dezember 2017 mit 70 festgestellt, und zwar „während der Zeit der Heilungsbewährung“.

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis unter dem 26. Juni 2019 angenommen, die Berufung jedoch fortgeführt. Er hält weiterhin die Schwerbehinderteneigenschaft bereits ab dem
30. April 2017 für gegeben. Diesbezüglich hat er weitere Ermittlungen angeregt, etwa den durchführenden Arzt zur Biopsie anzuhören, um Rückschlüsse über den Verlauf des Wachstums des Prostatakarzinoms zu erlangen. Er habe zudem seit 2016 an gefühlten Einschränkungen unklarer Ursache, wohl aufgrund erhöhter PSA-Werte, gelitten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Aurich vom 4. September 2018 und den Bescheid des Beklagten vom 2. November 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
30. November 2016 sowie des Ausführungsbescheides vom 31. Januar 2018 und des Teilanerkenntnisses vom 14. Januar 2019 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mindestens 50 bereits ab dem 30. April 2017 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, auf die Messwerte komme es nicht an, denn entsprechend einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 30. Juni 2005 – L 15 SB 86/04 – sei bei Krebserkrankungen der GdB erst ab dem Zeitpunkt in entsprechender Höhe festzustellen, in dem das Vorliegen dieser Erkrankung gesichert sei.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Das Urteil des SG Aurich vom 4. September 2018 und – mit der Einschränkung, dass mit dem 10. Dezember 2017 ein nicht nachvollziehbarer Anknüpfungszeitpunkt gewählt worden ist – auch der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 2. November 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2016 sowie des Ausführungsbescheides vom 31. Januar 2018 und des Teilanerkenntnisses vom 14. Januar 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Feststellung eines höheren GdB als 40 bereits ab dem 30. April 2017.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 152 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG, BGBl. I 2016, 3234 ff.). Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist im Schwerbehindertenrecht bei einer Änderung im Gesundheitszustand des behinderten Menschen auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 26 m. w. N.). Dabei sind die in dem früheren Bescheid bei der Feststellung des Gesamt-GdB berücksichtigten Einzel-GdB – anders als der gesamt-GdB selbst – nicht in Bestandskraft erwachsen (BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 – B 9/9a SB 12/06 R – juris Rn. 17 f.) und es handelt sich bei der Neufeststellung dementsprechend nicht um eine reine Hochrechnung des im früheren Bescheid festgestellten Gesamt-GdB, sondern um dessen Neuermittlung auf der Grundlage der aktuell tatsächlich vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2000 – B 9 SB 3/00 R – juris Rn. 14).
Nach dem zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen § 152 SGB IX, der im Rahmen der vorliegenden Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anwendbar ist und der die bisherigen Regelungen des § 69 SGB IX (Fassung bis zum 31. Dezember 2017) im Wesentlichen unverändert übernommen hat, stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (Abs. 1 S. 1). Als GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX n. F. die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Grundlage der Bewertung waren dabei bis zum 31. Dezember 2008 die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP). Dieses Bewertungssystem ist zum 1. Januar 2009 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen abgelöst worden durch die aufgrund des § 30 Abs. 17 (bzw. Abs. 16) BVG erlassene und zwischenzeitlich mehrfach geänderte Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I 2412). Die darin niedergelegten Maßstäbe waren nach § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX (in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen Fassung) auf die Feststellung des GdB entsprechend anzuwenden. Seit dem 15. Januar 2015 existiert im Schwerbehindertenrecht eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung, in der die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdB und auch für die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen aufgestellt werden (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 gültigen Fassung bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Hierzu sieht der zeitgleich in Kraft getretene § 159 Abs. 7 SGB IX (nunmehr § 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) als Übergangsregelung vor, dass bis zum Erlass einer solchen Verordnung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten.
Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) erlassen worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die AHP und die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX n. F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den VMG feste Grade angegeben sind (Teil A Nr. 3 b VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d ee VMG; vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs. 1, § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX n. F., wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an dieVorschlägeder von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Urteil des SG Aurich vom 4. September 2018 unter Berücksichtigung des nachfolgenden weiteren Teilanerkenntnisses des Beklagten vom
14. Januar 2019 nicht zu beanstanden.

Der Beklagte hat zunächst zu Recht die Feststellung eines noch höheren GdB abgelehnt. Zunächst folgt dies hinsichtlich sämtlicher Gesundheitsstörungen des Klägers, die nicht mit dem Prostatakarzinom im Zusammenhang stehen, aus der überzeugenden Begründung des Urteils des SG Aurich vom 4. September 2018 (Seiten 5 – 6), der sich der Senat nach eigener Sachprüfung anschließt und die er daher nicht wiederholt (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Beschwerden sind unter Berücksichtigung der Feststellungen im Sachverständigengutachten Dr. P. und der weiteren ärztlichen Darlegungen in den Akten aufgrund ihrer relativen Geringfügigkeit nicht geeignet, in Zeiträumen vor dem 6. Dezember 2017 die Schwerbehinderteneigenschaft zu begründen.

Darüber hinaus kommt hinsichtlich der Bewertung des Prostatakarzinoms weder nach den konkreten Auswirkungen und Funktionsstörungen der Erkrankung – solche sind vor dem 6. Dezember 2017 schlicht nicht in ausreichender Weise dargelegt – noch nach den Grundsätzen einer von den konkreten Auswirkungen und Funktionsstörungen losgelösten Bewertung von Krebserkrankungen die Feststellung eines Einzel-GdB vor dem 6. Dezember 2017, dem Tag der Diagnosestellung, in Betracht.

Gemäß Teil B Nr. 1 c VMG ist nach Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum beginnt ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten angegebenen GdB-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Insoweit legen die VMG die Höhe des GdB pauschal fest. Erst für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl. dazu Teil A Nr. 2 VMG). Eine Heilungsbewährung im eigentlichen Sinne ist nicht Gegenstand des hier zu beurteilenden Falles, denn die Geschwulst ist nicht operativ oder durch andere Primärtherapie beseitigt worden, sondern wird auf Dauer hormonbehandelt. Letzteres führt nach Teil B Nr. 13.6 VMG zur Feststellung eines GdB von wenigstens 60, wobei dieser Wert nach den vorliegenden Einzelfallumständen nach der Überzeugung des Senats auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse nicht weiter zu erhöhen ist. Aber auch ein maligner Prostatatumor ohne die Notwendigkeit einer Behandlung rechtfertigt nach Teil B Nr. 13.6 VMG einen Einzel-GdB von 50. All dies gilt aber erst ab dem Datum seiner Diagnose. Die Begründung der Schwerbehinderteneigenschaft zu einem der Diagnosestellung vorausgehenden, früheren Zeitpunkt ohne festzustellende erhebliche Beschwerden und ohne psychische Begleiterscheinungen, da der Erkrankte in diesem Stadium von der potentiell lebensgefährlichen Erkrankung nichts weiß, wäre mit dem Prinzip der Bemessung des GdB nach dem Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft – so die Vorbemerkung vor Teil A Nr. 1 VMG – in keiner Weise zu vereinbaren, da eine Teilhabebeeinträchtigung insoweit nicht erkennbar ist. Auch in anderen Fällen ist entscheidend für den festzustellenden GdB nicht eine bestimmte Diagnose, sondern allein die Funktionsstörung in ihren konkreten Auswirkungen. Diese durch psychische Begleiterscheinungen und das Therapieregime wesentlich geprägten Auswirkungen entstehen bei einer Krebserkrankung jedoch erst mit ihrer Diagnose.

Nach dem generellen Beurteilungsschema der VMG sind regelmäßig die nachgewiesenen funktionellen Einschränkungen für den GdB in prägender Weise maßgeblich. Vor der Diagnosestellung bestehen die vielfältigen körperlichen und seelischen Auswirkungen einer Krebserkrankung, die in ihrer Gesamtheit die Vergabe der Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigen, regelmäßig nicht (vgl. Senat, Urteile vom 28. August 2019 – L 13 SB 95/18 – juris Rn. 33 f. und vom 26. September 2017 – L 13 SB 43/16). Nach der gesicherten Diagnose sind sie indes vorhanden, so dass ab sicherer Diagnosestellung auch bereits vor der Entfernung eines Tumors ein GdB festgestellt werden kann, wie sich insbesondere aus Teil B Nr. 13.6 VMG ergibt.

Somit ist die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers vor dem 6. Dezember 2017 nicht möglich. Weitere diesbezügliche Ermittlungen, zu welchem Zeitpunkt retrospektiv vom Vorliegen der zunächst unerkannten bzw. nicht sicher festgestellten Krebserkrankung ausgegangen werden kann, sind daher bereits mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.
Diese Erwägungen werden auch durch das vom Beklagten benannte Urteil des Bayerischen LSG vom 30. Juni 2005 (– L 15 SB 86/04 – juris Rn. 24, 31 ff.) gestützt. Dort ist ausgeführt, der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung habe sich zu der rückwirkenden Feststellung einer Behinderung zum 16. November 2000 geäußert und sei dabei auch auf den Fall eines Prostatakarzinoms eingegangen. Eine Empfehlung des Sachverständigenbeirats vom 13. November 2002 laute folgendermaßen: "Bei der aus rentenrechtlichen Gründen notwendigen rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft kommt es allein auf die Beeinträchtigung der Teilhabe in der Gesellschaft durch einen nicht nur vorübergehend vom für das Lebensalter typischen abweichenden Zustand auf Grund einer gesundheitlichen Störung an, die für den Zeitpunkt des Stichtags nachgewiesen ist. Die Anerkennung besonderer Auswirkungen auf Grund einer zum Stichtag noch nicht erkannten Krebserkrankung ist nicht möglich." Diese Auffassung stimmt mit der Rechtsauffassung des Senats überein, ihr ist auch das Bayerische LSG (a. a. O. – juris Rn. 31 f.) unter weiterem Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 9. August 1995 – 9 RVs 14/94) beigetreten. Der Grund für die Feststellung eines GdB von 50 nach Diagnose und Entfernung bzw. Behandlung eines malignen Prostatatumors sei – so das Bayerische LSG a. a. O. – vor allem in der psychisch außergewöhnlich belastenden Situation zu sehen, die für den Erkrankten mit dem Wissen um seine Tumorerkrankung mit Rezidivneigung verbunden sei. Berücksichtigt würden außerdem die Operationsfolgen und eventuell notwendige postoperative Tumortherapien. Diese Gefahr der unmittelbaren Lebensbedrohung sowie die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung setzten unverzichtbar voraus, dass die Krebserkrankung erkannt und diagnostiziert und – im Normalfall – behandelt worden sei. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Heilungsbewährung und die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft könnten nicht auf den Zeitraum der noch nicht gesicherten Diagnose übertragen werden, auch nicht bei erhöhten PSA-Werten (Bayerisches LSG – a. a. O. – juris Rn. 33 ff.).Der Senat schließt sich dieser Sichtweise an. Eine Erhöhung von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und gefühlte Einschränkungen, Sorgen und Probleme aufgrund erhöhter PSA-Werte, wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung angeführt hat, vermögen daran nichts zu ändern. Die diesbezügliche Teilhabebeeinträchtigung erreicht zur Überzeugung des Senats kein Ausmaß, das zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen kann.
Aber selbst dann, wenn entgegen der Rechtsauffassung des Senats in Anwendung von Teil B Nr. 13.6 VMG allein das Vorliegen eines malignen Prostatatumors für die Feststellung eines Einzel-GdB von 50 auch dann für ausreichend erachtet würde, wenn dieser zunächst unerkannt geblieben ist und daher die Teilhabe nicht in vergleichbarer Weise beeinträchtigt wie ein diagnostizierter Tumor, kann die Berufung – und dies stellt eine selbständig tragende Erwägung der Senatsentscheidung dar – keinen Erfolg haben. Denn es fehlt an der erforderlichen vollen Überzeugung des Senats vom Vorliegen der Tumorerkrankung bereits am 30. April 2017. Dieser Beweis wird in vergleichbaren Fällen regelmäßig und nach der Überzeugung des Senats auch im vorliegenden Fall erst durch die Durchführung der Biopsie geführt, mit welcher der Tumor gesichert festgestellt worden ist (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Mai 2017 – B 9 SB 86/16 B – juris Rn. 5, 10 zur Unbedenklichkeit einer derartigen Überzeugungsbildung; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. Oktober 2016 – L 10 SB 182/12; SG Aachen, Urteil vom 29. April 2014 – S 12 SB 412/13). Ausnahmen kämen nach dieser Sichtweise zwar in Betracht, sind jedoch entscheidungstragend nur bei sehr kurzen Zeiträumen erwogen worden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2013 – L 13 SB 3/13 – juris Rn. 18: Zwei Monate vor der Durchführung der Biopsie). Im vorliegenden Fall ist eine solche Überzeugungsbildung nicht möglich. Vielmehr standen die gesundheitliche Situation der Prostata des Klägers und der jeweilige PSA-Wert seit Jahren unter ständiger Beobachtung seines behandelnden Arztes Dr. K., der aber vor Dezember 2017 keinen Anlass zur Durchführung einer Biopsie gesehen hatte, weil die – obgleich erhöhten – Messwerte keinen hinreichenden Anhaltspunkt für das Vorliegen eines malignen Prostatatumors gegeben hatten und eine solche Maßnahme daher nicht erforderlich schien. Dies änderte sich erst bei einer weiteren PSA-Erhöhung, die alsdann die durchgeführte Biopsie zur Folge hatte. Zuvor war Dr. K. ausweislich seines Berichts vom 23. Dezember 2017 von einer dahingehenden Deutung der erhöhten Messwerte ausgegangen, dass diese im Zusammenhang mit einer chronischen Prostatitis stünden, welche auch die vom Kläger geltend gemachten unklaren Beschwerden zu erklären vermag. Eine volle Überzeugung des Senats von dem Umstand, dass gleichwohl ein bösartiger Tumor bereits am 30. April 2017 und mithin länger als ein halbes Jahr vor der Durchführung der Biopsie vorgelegen haben muss, hat sich vor diesem Hintergrund nicht bilden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine auch teilweise Kostenerstattung erscheint nicht gerechtfertigt, da der Beklagte jeweils auf die veränderte Prozesslage in angemesser Frist und angemessener Weise durch die Abgabe von Teilanerkenntnissen reagiert hat.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.