Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.06.2020, Az.: L 16 KR 64/20
Widerlegung einer Mindestmengenprognose; Leistungen in Form komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus; Prognose der voraussichtlichen Erreichung der Mindestmenge
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.06.2020
- Aktenzeichen
- L 16 KR 64/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 30683
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 136b Abs. 4 S. 3 SGB V
- Mm-R § 4 Abs. 2
Fundstellen
- GesR 2020, 591-596
- NZS 2020, 8
- NZS 2020, 814
Redaktioneller Leitsatz
1. § 136b Abs. 4 Satz 3 SGB V setzt für die Zulässigkeit der Leistungserbringung nur die Prognose der voraussichtlichen Erreichung der Mindestmenge durch den Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen voraus.
2. Nach einer positiven Prognose kann das Krankenhaus die mindestmengenbelegten Leistungen zu Lasten der Krankenkasse des behandelten Versicherten erbringen.
Tenor:
Das Urteil des SG Braunschweig vom 21. Januar 2020 wird aufgehoben, soweit es feststellt, dass am Klinikum der Klägerin die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Kalenderjahr 2020 erfüllt ist. Die Klage wird insoweit abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte zu 6. 3/4, die Klägerin 1/4. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 240.000,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Widerlegung einer Mindestmengenprognose für Leistungen in Form komplexer Eingriffe am Organsystem Ösophagus durch die Beklagten.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 Nr 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses (Klinikum der O.). Das Krankenhaus ist mit 547 Planbetten, davon 147 Planbetten im Fachgebiet Chirurgie in den Niedersächsischen Krankenhausplan aufgenommen. Am 3. Juli 2019 übermittelte die Klägerin dem Beklagten zu 6. unter anderem ihre Prognose für die Erreichung der Mindestmenge für den Leistungsbereich "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Jahr 2020. Sie gab an, dass die geltende Mindestmenge von 10 pro Standort für diese Leistungen im Jahr 2018 mit zehn Eingriffen erreicht worden sei. In den letzten zwei Quartalen 2018 und den ersten zwei Quartalen 2019 seien zusammen sechs Eingriffe vorgenommen worden. Für das Jahr 2020 betrage die Prognose zehn Eingriffe. Ergänzend führte die Klägerin an, sie gehe von einer Erfüllung der Mindestmenge im Jahresverlauf 2019 aus. Derzeit seien vier weitere Patienten in der neoadjuvanten Therapie und bereits für eine entsprechende Operation geplant. Schwankungen im Jahresverlauf seien bei derart komplexen Eingriffen nicht vermeidbar.
Mit Schreiben vom 26. Juli 2019 teilten die Beklagten der Klägerin mit, sie könnten die Prognose aktuell nicht nachvollziehen, da die Leistungsmenge nach § 4 Abs 2 Nr 2 der Mindestmengenregelung (Mm-R) nicht erfüllt sei. Am 1. August 2019 legte die Klägerin den Beklagten daraufhin unter Angabe der Geburtsdaten der Versicherten und den anvisierten Operationsdaten dar, welche vier weiteren Ösophagusresektionen für den August geplant seien. Damit belaufe sich die Anzahl der relevanten Eingriffe in 2019 nach der derzeitigen Planung im Zeitraum 1. Januar 2019 bis 9. August 2019 auf sieben. Es sei davon auszugehen, dass die Mindestmenge durch weitere Leistungen für den Jahreszeitraum 2019 so wie im Vorjahr erfüllt werden könne. Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liege gemäß § 136b Abs 4 Satz 4 SGB V in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht habe.
Mit "Feststellungsbescheid" vom 26. August 2019 widerlegten die Beklagten die Prognose der Klägerin. Zur Begründung führten sie an, die erforderliche Mindestmenge werde für den Leistungsbereich der "Komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus" voraussichtlich nicht erreicht. Ein belastbares Indiz für die Prognose stelle neben der erbrachten Leistungsmenge des Vorjahres (ganzjährig) im Besonderen die aktuelle Leistungsentwicklung anhand der erbrachten Leistungsmengen des 2. Halbjahres 2018 und 1. Halbjahres 2019 dar. Festzustellen sei, dass die Mindestmenge von zehn Leistungen in dem aktuellen Leistungszeitraum nicht erreicht worden sei. Lediglich sechs Leistungen (60 %) seien erbracht, die vorgegebene Mindestmenge um vier Leistungen (40 %) unterschritten. Die Klägerin habe aufgeführt, im 1. Halbjahr 2019 vier Leistungen erbracht zu haben. Soweit im August 2019 noch vier weitere Eingriffe geplant seien, lägen insgesamt acht statt der mit Schreiben vom 26. Juli 2019 anvisierten sieben Leistungen vor. Diese Differenz sei nicht nachvollziehbar und von der Klägerin auch nicht näher erläutert worden. Auch sei nicht plausibel, dass alleine für einen Monat innerhalb von fünf Tagen vier mindestmengenrelevante Operationen "geplant" seien. In der Vergangenheit habe sich die Leistungserbringung für "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" im Klinikum der Klägerin gemäß ihren Darlegungen regelmäßig auf mehrere Monate verteilt. Eine derartige Häufung sei daher nicht nachvollziehbar und plausibel. Eine nähergehende Erläuterung sei seitens der Klägerin nicht zur Verfügung gestellt worden. Die Beklagten hätten dem Krankenhausträger nach den Regelungen der Mm-R bis zum 31. August 2019 das Ergebnis der Prognose mitzuteilen. Grundlage dieser Prognose könnten daher nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erkennbare Umstände sein. Eine bloße Erwartungshaltung möglicher Fälle als Begründung einer positiven Prognose überzeuge nicht. Im Übrigen sei auch bereits im Jahr 2017 die erforderliche Mindestmenge um eine Leistung unterschritten worden. Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin für eine gleichwohl positive Prognose gewichtige Gründe vorlegen müssen, wobei angesichts des Zusammenhangs zwischen der erbrachten Menge und der Qualität der Ergebnisse ein strenger Maßstab anzulegen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (BSG Urteil vom 14. Oktober 2014 - B 1 KR 33/13 R) sei es zur Erfüllung der Mindestmenge Voraussetzung, dass das Klinikum diese im Zeitraum 2. Halbjahr 2018/1. Halbjahr 2019 erreicht habe, um die Leistung auch im Folgejahr weiter erbringen zu können (sog Stichtagsregelung). Zusammenfassend sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Unterschreitung der Mindestmenge auch im Jahr 2020 auszugehen.
Am 23. September 2019 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und beantragt, den Feststellungsbescheid vom 26. August 2019 aufzuheben sowie festzustellen, dass an ihrem Klinikum die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Jahr 2020 erfüllt ist.
Die Beklagten seien der Prognose entgegengetreten, ohne den gemäß § 5 Abs 6 Satz 1 Mm-R bedürftigen Begründungsaufwand zu leisten. Im vorangehenden Zeitraum des Kalenderjahres 2018 sei die Mindestmenge von zehn Eingriffen im Hause erreicht worden. Den Beklagten sei es nicht gelungen, erhebliche Zweifel an der Prognose zu begründen. Es seien unstreitig bereits bis zum Erlass des Feststellungsbescheides sieben mindestmengenrelevante Eingriffe für das Kalenderjahr 2019 durchgeführt worden, die die Beklagten nicht berücksichtigten. Eine Prognose könne nur so weit gehen, als für einen abgelaufenen Zeitraum nicht bereits die normative Kraft des Faktischen die Prognose in ihrer eigenen Erwartung ersetze. Rückschauend seien im abgelaufenen Kalenderjahr 2019 schließlich elf mindestmengenrelevante Eingriffe erbracht worden.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Krankenhäuser hätten gemäß § 136 Abs 4 SGB V darzulegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr aufgrund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht werde (Prognose). Damit sei der Gesetzgeber ausdrücklich von der bisherigen Regelung des § 137 SGB V abgerückt, wonach praktisch ausschließlich die Fallzahlen des Vorjahres für die Prognose des Folgejahres maßgeblich gewesen seien. Den Fallzahlen des Vorjahres käme zwar nach wie vor erhebliche Bedeutung zu, daneben seien aber auch andere (hier von der Klägerin nicht genannte) Faktoren, wie personelle Veränderungen, strukturelle Veränderungen und weitere Umstände zu berücksichtigen. Insbesondere komme es darüber hinaus auf die letzten zwei Quartale des vorausgegangenen Kalenderjahres und die ersten zwei Quartale des laufenden Kalenderjahres an. Dabei sei das zu bewerten, was als Prognosebegründung angeführt werde und was bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens seitens des Krankenhauses dargetan werde. Für die Darlegung der Prognose sei die Klägerin beweisbelastet. Relevant seien zudem die aktuellen Leistungszahlen, so dass vor allem auf das 2. Halbjahr 2018/1. Halbjahr 2019 abzustellen sei. Nachdem ihre positive Prognose in Frage gestellt worden sei, hätte die Klägerin jede weitere tatsächlich durchgeführte Leistung melden müssen, um die Beklagten zu überzeugen.
Am 18. Dezember 2019 hat die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem SG Braunschweig gestellt und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Feststellungsbescheid vom 26. August 2019 beantragt (Aktenzeichen S 54 KR 778/19 ER). Mit Beschluss vom 23. Januar 2020 hat das SG die aufschiebende Wirkung antragsgemäß angeordnet. Auf die Beschwerde der Beklagten zu 6. hiergegen hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die Entscheidung mit Beschluss vom 12. Mai 2020 aufgehoben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes als unzulässig abgelehnt (Aktenzeichen L 16 KR 71/20 B ER).
Mit Urteil vom 21. Januar 2020 hat das SG den Feststellungsbescheid vom 26. August 2019 betreffend die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" aufgehoben und festgestellt, dass am Klinikum der Klägerin die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Kalenderjahr 2020 erfüllt sei. Richtige Klageart sei die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Feststellungsantrag sei erforderlich, weil ohne eine positive Feststellung die Klägerin für die streitigen mindestmengenbelegten Leistungen ab 1. Januar 2020 keinen Vergütungsanspruch mehr habe. Den Beklagten sei es nicht gelungen, die Prognose der Klägerin zu widerlegen. Der bei der Prognose anzustellende Maßstab dürfe nicht strenger sein als die rechtlichen Vorgaben. Es dürfe also keinesfalls darauf abgestellt werden, dass die Mindestmengen immer nur "gerade so" erreicht worden seien. Auch werde weder im Gesetz noch in der Mindestmengenregelung auf das vorvorausgegangene Kalenderjahr abgestellt. Dass das Klinikum der Klägerin die Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr 2018 erreicht habe, spreche für die Regelvermutung des § 136b Abs 4 Satz 4 SGB V. An die Begründung erheblicher Zweifel an der Prognose seien vor diesem Hintergrund höhere Ansprüche zu stellen. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass weder für die Prognose noch für deren Widerlegung auf personelle oder strukturelle Veränderungen am Klinikum der Klägerin abgestellt werden könne. Solche seien für 2020 weder geplant noch erwartet worden. Selbstverständlich hätten die Beklagten auf die Leistungsentwicklung abstellen und dabei auch die letzten vier Quartale in den Blick nehmen dürfen. Entgegen der Auffassung der Beklagten müsse die Klägerin die Mindestmengen in diesem Zeitraum aber nicht zwingend erreicht haben. Ihr Nichterreichen habe lediglich berechtigte Zweifel der Beklagten an der Prognose ausgelöst, die die Klägerin mit der Darlegung vier weiterer geplanter Operationen unter konkreter Nennung der Patientendaten versucht habe zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund sei es den Beklagten verwehrt gewesen, ohne weitere Ermittlungen den Vortrag der Klägerin als unplausibel abzutun. Wegen der konkret mitgeteilten Daten habe es auf der Hand gelegen, vor Bescheiderlass nachzufragen, ob die Operationen tatsächlich durchgeführt worden seien. Für die Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, dass die Beklagte ihren Vortrag anzweifle. Sie trage auch keine Beweislast dergestalt, konkreten Vortrag zu geplanten Behandlungsfällen mit Belegen beweisen zu müssen. Nach § 5 Abs 3 Satz 1d Mm-R seien aussagekräftige Belege nur dann einzureichen, sofern personelle oder strukturelle Veränderungen für die Prognose herangezogen würden.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides sei angesichts bis dato sieben Operationen erkennbar gewesen, dass auch im Kalenderjahr 2019 die Mindestmenge wieder erreicht werden könne. Die von der Beklagten vorgebrachten Argumente seien schwach. Weder sei unplausibel, dass drei Leistungen in den letzten viereinhalb Monaten des Jahres durchgeführt werden könnten, noch spreche ein einfacher Übertragungs- oder Schreibfehler (sieben bzw acht Operationen) gegen die Richtigkeit der Prognose im Übrigen. Dem damit einzig gegen die Prognose sprechenden Umstand, dass im Zeitraum 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 nur sechs (statt zehn) einschlägige Eingriffe durchgeführt worden seien, stehe die am 26. August 2019 bereits erkennbare Leistungsentwicklung für 2019 entgegen. Damit ließen sich vielleicht Zweifel, keinesfalls aber erhebliche Zweifel an der Richtigkeit und der Regelvermutung begründen.
Der Beklagte zu 6. hat gegen das ihm am 24. Januar 2020 zugestellte Urteil am 21. Februar 2020 Berufung bei dem LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt.
Er ist der Auffassung, dem SG habe es nicht zugestanden, die Prognose für das Jahr 2020 positiv festzustellen. Das Gericht dürfe lediglich prüfen, ob die Beklagten ihr Ermessen richtig ausgeübt hätten. Des Weiteren sei der Bescheid vom 26. August 2019 rechtmäßig ergangen. Die Widerlegung der Prognose der Klägerin sei gelungen. Die Klägerin hätte zum Beleg ihrer geplanten Eingriffe aussagekräftige Belege einreichen müssen. Allein durch die pauschale Mitteilung weiterer geplanter Fälle sei sie dem nicht nachgekommen. Aufgrund ihrer Fachkenntnis sei ihr bekannt gewesen, dass nicht alle geplanten Eingriffe auch tatsächlich mindestmengenrelevant würden. Die Planung habe nicht zwingend die tatsächliche Durchführung zur Folge. Der Amtsermittlung sei durch die Mitteilung der Bedenken und Bitte um Aufklärung Rechnung getragen worden. Die Prüfung habe in einem kurzen Zeitraum für alle Krankenhäuser in Niedersachsen zu erfolgen, so dass nicht mehrere Auskunftsschritte möglich seien. Aus § 5 Abs 3 Satz 1d Mm-R könne nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass nur bei einer Berufung auf personelle oder strukturelle Veränderungen Belege beizubringen seien. Die Regelung besage lediglich, dass die Belege in diesen Fällen zeitgleich mit der Prognose und damit unaufgefordert vorzulegen seien. Zudem seien Belege gemäß § 5 Abs 3 Satz 1d Mm-R auch bei weiteren Umständen, die zur Begründung der berechtigten mindestmengenmäßigen Erwartung herangezogen würden, zu übermitteln.
Entgegen der Auffassung des SG sei auch die Regelvermutung des § 136 Abs 4 Satz 4 SGB V nicht eingetreten. Das Gesetz meine hiermit das dem Prognosejahr vorangegangene Kalenderjahr, mithin das Jahr 2019. Da die Meldung der Prognose nach der Mm-R bereits Mitte des Jahres übermittelt werden müsse, müsse, zum Beispiel mittels Hochrechnung, prognostiziert werden, ob in diesem Jahr die Mindestmenge erreicht werde. Hierzu sei auf den Prognosezeitraum abzustellen, der der Prognosemitteilung vorausgehe, also auf die letzten zwei Quartale des vorausgegangenen Kalenderjahres und die ersten zwei Quartale des laufenden Kalenderjahres. Nicht zulässig sei es, die tatsächliche (unerwartete) Erreichung der Mindestmenge mit einzubeziehen, da maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt der Abschluss des Verwaltungsverfahrens sei, also der 26. August 2019.
Der Beklagte zu 6. beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweigs vom 21. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte zum Eilverfahren S 16 KR 71/20 B ER sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten zu 6. verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgemäß eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch überwiegend unbegründet. Zu Recht hat das SG den Bescheid vom 26. August 2019 aufgehoben (hierzu unter 1.). Lediglich im Hinblick auf die darüberhinausgehende Feststellung der Erfüllung der Mindestmengenregelung für das Jahr 2020 vermag sich der Senat dem SG nicht anzuschließen (hier unter 2.).
1.) Die Klage gegen den Bescheid vom 26. August 2019 ist zulässig. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage. Bei dem "Feststellungsbescheid" der Beklagten handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) (so auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10. März 2020 - L 9 KR 389/19 B ER - und vom 22. August 2019 - L 1 KR 196/19 B ER; Bayerisches LSG Beschluss vom 25. Juli 2019 - L 4 KR 117/19 B ER; Roters in KassKomm-SGB V, EL 91, 9/2016, § 136b RdNr 19 sowie die Tragenden Gründe zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Mindestmengenregelungen vom 17. November 2017; aA Hauck in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, G-BA, 1. Aufl, § 5 Mm-R [Stand: 10. September 2019], RdNr 40ff). Nach § 136b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V fasst der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle Patientinnen und Patienten Beschlüsse über einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses und Ausnahmetatbestände. Das Verfahren zur Feststellung des Erreichens der jeweiligen Mindestmengen beschreibt § 136b Abs 4 SGB V: Wenn die nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen entsprechende Leistungen nicht bewirkt werden (Satz 1). Einem Krankenhaus, das die Leistungen dennoch bewirkt, steht kein Vergütungsanspruch zu (Satz 2). Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung muss der Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose) (Satz 3). Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht hat (Satz 4). Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt im Beschluss nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 das Nähere zur Darlegung der Prognose (Satz 5). Dem ist der Gemeinsame Bundesausschuss durch die Mindestmengenregelung (Mm-R) nachgekommen. Die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen können bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose widerlegen (Satz 6).
Bei dieser Widerlegung handelt es sich um eine hoheitliche Regelung mit Außenwirkung, mit der verbindlich über die Leistungserbringungsberechtigung des Krankenhauses für das kommende Jahr entschieden wird. Für diese Auslegung sprechen auch die Bezeichnung der Widerlegung als "Entscheidung" in § 136b Abs 4 Satz 7 SGB V und die Anordnung in Satz 8, dass (entgegen der Regel) ein Vorverfahren nicht stattfindet (siehe hierzu auch Bockholdt in NZS 2019, 814, 816 f).
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 26. August 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 136 Abs 4 Satz 6 SGB V nicht vorliegen. Die Beklagten konnten begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin getroffenen Prognose nicht geltend machen. Da § 136b Abs 4 Satz 6 SGB V gegen die Entscheidung ausdrücklich den Rechtsweg eröffnet, handelt es sich bei diesen Zweifeln nicht um ein rein subjektives Tatbestandsmerkmal, das der Beklagten einen nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum eröffnet, sondern diese müssen sich auf konkrete, objektive Umstände stützen (siehe hierzu auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 18/5372, 87 sowie SG Berlin Urteil vom 5. März 2020 - S 56 KR 2033/19).
Die Prognose der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Prognosen beruhen auf erhobenen Daten und Fakten und damit auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird (BSG, Urteil vom 3. August 2016 - B 6 KA 20/15 R, SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 7 Rdnr 24 mwN).
§ 4 Abs 2 Mm-R bestimmt zu § 136b Abs 4 Satz 3 SGB V konkretisierend, dass der gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darzulegenden Prognose die im Katalog planbarer Leistungen jeweils spezifisch bestimmten Leistungen zugrunde zu legen sind (Satz 1). Die voraussichtliche Leistungsentwicklung nach Absatz 1 ist vom Krankenhausträger unter Berücksichtigung
1. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 des vorausgegangenen Kalenderjahres, 2. 3. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 in den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres, 4. 5. personellen Veränderungen und 6. 7. strukturellen Veränderungen zu begründen (Satz 2). Der Krankenhausträger kann weitere Umstände zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranziehen.
Die Prognose erfolgte formal ordnungsgemäß. Die Klägerin hat die Prognose fristgemäß bis zum 15. Juli des laufenden Kalenderjahres übermittelt (§ 5 Abs 1 Mm-R). Sie hat auch die nach § 5 Abs 3 Mm-R erforderlichen Angaben getätigt und insbesondere aussagekräftige Belege beigefügt. Solche sind gemäß § 5 Abs 3 Satz 1d Mm-R erforderlich, sofern zur Prognose die Kriterien nach § 4 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 4 sowie Umstände nach Satz 3 herangezogen werden. Den Beklagten ist dahingehend zuzustimmen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen.
Die Klägerin hat ihre Prognose vorliegend auf die Leistungsmenge des vorausgegangenen Kalenderjahres sowie auf die geplanten Operationen für den Monat August gestützt. Letztere "weitere Umstände" hat sie auf Nachfrage der Beklagten um die Nennung von Patientendaten, der geplanten Operationsdaten sowie der Benennung der jeweils konkret ins Auge gefassten Operation ergänzt. Den formalen Voraussetzungen der Beibringung aussagekräftiger Unterlagen war damit Genüge getan.
Auch an der inhaltlichen Richtigkeit der Prognose bestehen jedenfalls keine begründeten erheblichen Zweifel. Es bestand bereits eine Vermutung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung, weil die Klägerin im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht hatte. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es dabei nicht auf das Jahr 2019 und auch nicht auf die letzten zwei Quartale des Jahres 2018 in Verbindung mit den ersten zwei Quartalen des Jahres 2019 an, sondern auf das Kalenderjahr 2018. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut "vorausgegangenes Kalenderjahr". Bei einem "Kalenderjahr" handelt es sich nach dem allgemeinen Wortverständnis immer um den Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember eines Jahres. Bezugspunkt des "vorausgegangenen" ist dabei das Jahr, in dem die Prognose zu stellen ist und nicht das Jahr, für das die Prognose zu stellen ist (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22. August 2019 - L 1 KR 196/19 B ER, aA SG Berlin Beschluss vom 10. Mai 2019 - S 182 KR 322/19 ER). Da die Prognose jeweils im Voraus für das nächste Kalenderjahr zu stellen ist, wäre anderenfalls - wie von den Beklagten richtig bemerkt - eine positive Feststellung der Vermutungsregel niemals möglich und es müsste wiederum auf eine Prognose oder hilfsweise - wie von der Beklagten vorgenommen - auf einen anderen Zeitraum abgestellt werden. Dies widerspräche jedoch dem Wortlaut, der - im Perfekt - darauf abstellt, dass das Krankenhaus die Mindestmenge erreicht hat, und der Intention des Gesetzes (LSG Berlin-Brandenburg aaO mwN). So ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber die voraussichtliche Zahl von Widersprüchen der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen gegen die getroffenen Prognosen als eher niedrig einschätzt, weil für die Abgabe der Prognose auf der Grundlage der Vorjahreszahlen regelmäßig eine klare Datenlage gegeben ist (BT-Drucksache18/5372, 43, s hierzu auch Ulmer, jurisPR-SozR 9/2020 Anm C). Auch der GBA geht bei der Mm-R davon aus, dass das "vorausgegangene Kalenderjahr" dasjenige vor der Prognoseentscheidung ist, indem es zwischen dem "laufenden Kalenderjahr" (§ 5 Abs 1 5 und 6), dem "nächsten Kalenderjahr" (§ 4 Abs 1 Satz 1) und eben dem "vorausgegangenen Kalenderjahr" (§ 4 Abs 1 Satz 2) unterscheidet. Den von der Beklagten favorisierten Zeitraum der letzten zwei Quartale des vorausgegangenen Kalenderjahres und der ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres grenzt er zudem in § 4 Abs 2 ausdrücklich vom vorausgegangenen Kalenderjahr ab. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG. Abgesehen davon, dass das genannte Urteil vom 14. Oktober 2014 (B 1 KR 33/13 R) zu einer alten Rechtslage des § 137 Abs 1 Satz 4 SGB V ergangen ist, der den Zwischenschritt einer Prognose bzgl der Erreichung von Mindestmengen und deren eventuellen Widerlegung nicht vorsah und damit aktuellere Zeiträume als Bezugspunkt erlaubte, betonte auch das BSG in seiner Entscheidung die Maßgeblichkeit des abgelaufenen Kalenderjahres für die Entscheidung zur Erfüllung der Mindestmenge (aaO RdNr 52). Soweit die Beklagten darauf abstellen, dass aktuellere Zahlen die Tendenz der Leistungsmengen besser abzubilden vermochten und daher vorzuziehen seien, mag dies zutreffen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie - und das Gericht - an das Gesetz gebunden sind.
Die Vermutung des § 136b Abs 4 Satz 4 SGB V ist nicht widerlegt worden. Im Gegenteil konnte die Klägerin zusätzlich zu den im vorausgegangenen Kalenderjahr erfüllten Mindestmengen die begründete Erwartung belegen, auch für das Jahr 2019 die geforderten Zahlen zu erreichen. Fraglich ist, ob bei Vorliegen der Vermutungsregel von Ausnahmefällen abgesehen weitere Darlegungen zur voraussichtlichen Leistungsentwicklung überhaupt erforderlich sind. Der GBA führt in den "tragenden Gründen" zu § 4 Abs 1 Mm-R sogar aus, dass eine berechtigte mengenmäßige Erwartung stets dann vorliegt, wenn das Krankenhaus im vorangegangenen Kalenderjahr die festgelegte Mindestmengenzahl für die Leistung erreicht hat (siehe die tragenden Gründe zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Mindestmengenregelungen vom 17. November 2017, Seite 8, kritisch insoweit Hauck in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, GBA, 1. Aufl, § 4 Mm-R [Stand: 23. August 2019], RdNr 23). Jedenfalls aber stützen die für das Jahr 2019 erbrachten Zahlen die Vermutung noch zusätzlich. Die Klägerin legte so konkret wie zum Zeitpunkt der Abgabe der Prognose bzw zum Zeitpunkt der von den Beklagten geforderten Ergänzung möglich, dar, welche mindestmengenrelevanten Eingriffe bereits erbracht worden und welche konkret geplant waren. Die von den Beklagten genannten Kritikpunkte diesbezüglich liegen sämtlich neben der Sache:
Soweit diese geltend machen, die Planung von vier mindestmengenrelevanten Operationen innerhalb von fünf Tagen sei nicht plausibel, hat das SG zutreffend ausgeführt, dass eine solche Häufung von Operationen innerhalb eines kurzen Zeitraums bei der Klägerin auch in der Vergangenheit erfolgt ist. So sind im Jahr 2018 zwischen dem 18. April und dem 14. Mai ebenfalls vier solcher Eingriffe durchgeführt worden. Zudem handelte es sich bei den Angaben der Klägerin keineswegs um eine "pauschale Mitteilung geplanter weiterer Fälle", sondern um die Nennung tatsächlich ins Auge gefasster, mit festen Operationsdaten belegter Eingriffe bei Patienten, die sich bereits bei der Klägerin in Behandlung befanden. Wie die Angaben noch konkreter hätten sein können, erschließt sich dem Senat nicht. Selbstverständlich beinhaltet das bloße Planen einer Leistung - zumal in dem komplexen Bereich von Ösophagusoperationen - keine Garantie für ihre tatsächliche Durchführung. Selbstverständlich können sich auch Umstände dahingehend ändern, dass ein Eingriff anders durchzuführen und dadurch möglicherweise nicht mehr mindestmengenrelevant ist. Dies ist aber das Wesen einer in die Zukunft blickenden Prognose. Für die Vornahme eines pauschalen Abschlags bei diesen Zahlen in der Erwartung, dass der Erfahrung nach nicht alle Operationen durchgeführt werden, findet sich im Gesetz dabei keinerlei Grundlage. Tatsächliche, belegte Zahlen bietet demgegenüber das komplett in der Vergangenheit liegende Vorjahr (vgl BT-Drucksache18/5372 S 43), das den Beklagten als Nachweis nicht ausgereicht hat.
Zutreffend ist, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung ist (siehe hierzu Keller in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 12. Aufl 2017 § 54 RdNr 33; BSG, Urteil vom 3. August 2016 - B 6 KA 20/15 R Rn 24; Ulmer in jurisPR-SozR 9/220 Anm C mwN), also der 26. August 2019, so dass es einerseits nicht auf die tatsächlichen Daten am Jahresende ankommt und andererseits die für den August 2019 geplanten mindestmengenrelevanten Eingriffe zu diesem Zeitpunkt bereits in der Vergangenheit lagen. Allerdings waren zumindest drei der vier anvisierten Operationen tatsächlich durchgeführt worden, so dass sich die Prognose der Klägerin insoweit im Wesentlichen bestätigt hat. Es wäre an den Beklagten gewesen, diesbezüglich im Bedarfsfall ihren Amtsermittlungspflichten nachzukommen und bei der Klägerin erneut anzufragen. Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass der Amtsermittlungsgrundsatz vorliegend nicht suspendiert ist (so auch Becker in KrV 2019, 223 ff; Ulmer, aaO; aA offenbar LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22. August 2019 - L 1 KR 196/19 B ER). Die Beklagten verhalten sich widersprüchlich, wenn sie einerseits meinen, sie seien der Amtsermittlung hinreichend nachgekommen und andererseits monieren, die Eingriffe seien nicht ausreichend nachgewiesen gewesen. Suspendiert von weiteren Ermittlungen wären die Beklagten allenfalls dann gewesen, wenn die Klägerin sich weiteren Angaben verweigert hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dass die Beklagten zusätzlich zu der Erbringung der mit Schriftsatz vom 26. Juli 2019 nachgereichten Angaben weitere "Aktualisierungen" begehrten, war für die Klägerin bereits deshalb nicht erkennbar, weil sie nicht wissen konnte, zu welchem Zeitpunkt (vor oder nach den geplanten Eingriffen) die Beklagten entscheiden würden. Soweit die Beklagten meinen, ihnen sei angesichts der Vielzahl von in kurzer Zeit zu überprüfender Prognosen verschiedenster Krankenhäuser nicht zumutbar, sich stets nach etwaigen weiteren Änderungen zu erkundigen, ergibt sich nichts Anderes, zumal der Gesetzgeber davon ausgeht, dass wegen der klaren Datenlage auf der Grundlage der Vorjahreszahlen die voraussichtliche Zahl von Widersprüchen der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen gegen die getroffenen Prognosen als eher niedrig einzuschätzen sei (BT-Drucks 18/5372 S 43). Dies wird den Beklagten auch überhaupt nicht abverlangt. Aber wenn die Prognose eine nicht unerhebliche Zahl kurz bevorstehender Operationen umfasst und für die Beklagten - berechtigt oder nicht - Zweifel an ihrer tatsächlichen Durchführung bestehen, so handelt es sich dabei um besondere Umstände, die (ausnahmsweise) ein Nachfassen erforderlich machen.
Der alleinige Umstand, der gegen eine Erfüllung der Mindestmenge spricht - das Nichterreichen der Zahlen in den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres - vermag die Vermutung des § 136b Abs 4 Satz 4 SGB V nicht zu widerlegen. Die Vermutung würde konterkariert, wenn man den Nachweis, dass die Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr erreicht worden ist, schlicht mit dem Argument aushebeln könnte, diese sei in einem anderen Zeitraum aber nicht erreicht worden. Das Gesetz sieht vielmehr eindeutig das vorausgegangene Kalenderjahr als im Wesentlichen maßgeblich für die (positive) Prognose an (so auch Hauck in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, G-BA, 1. Aufl, § 4 Mm-R [Stand: 23. August 2019], RdNr 27). Darüber hinaus ergibt sich aus den tragenden Gründen zum Beschlussentwurf (aaO Seite 7) auch, dass die Betrachtung der zwei Quartale des vorausgegangenen und der ersten zwei Quartale des laufenden Kalenderjahres nach der Vorstellung des GBA nicht dazu dienen soll, die Regelvermutung zu widerlegen, sondern den Krankenhäusern im Gegenteil auch bei Nichterreichung der Mindestmenge im Vorjahr eine Gelegenheit bieten soll, eine positive Prognose abzugeben. So heißt es hierzu: "Das Erreichen der Mindestmengenzahl im vorangegangenen Kalenderjahr wird im Rahmen des Prognoseverfahrens wohl am häufigsten für die Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung verwendet werden, ist aber gleichwohl nur ein Regelbeispiel, wie eine berechtigte mengenmäßige Erwartung begründet werden kann. Ein Nichterreichen der Mindestmengenzahl im vorangegangenen Kalenderjahr bedeutet nicht automatisch, dass eine berechtigte mengenmäßige Prognose nicht begründet werden kann. Das Krankenhaus kann eine berechtigte mengenmäßige Erwartung vielmehr auch unter Zuhilfenahme anderer, in Absatz 2 Nummer 2 bis 4 aufgeführter Kriterien als der reinen Leistungszahl im vorangegangenen Kalenderjahr begründen."
2.) Erfolg hat die Berufung demgegenüber, soweit das erstinstanzliche Gericht über die Aufhebung des Bescheides vom 26. August 2019 hinaus die Erfüllung der Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Kalenderjahr 2020 feststellt. Die Klage ist insoweit bereits unzulässig. Gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein solches besonderes Feststellungsinteresse ist vorliegend zu verneinen. Denn die Klägerin trifft ihre (positive) Prognose der voraussichtlichen Erreichung der Mindestmenge im nächsten Kalenderjahr selbst. § 136b Abs 4 SGB V sieht eine zusätzliche Entscheidung durch die Beklagten bzw durch das Gericht nicht vor (so auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10. März 2020 - L 9 KR 389/19 B ER; Bayerisches LSG aaO, RdNr 47; SG Berlin Urteil vom 5. März 2020 - S 56 KR 2033/19; SG München Beschluss vom 18. Februar 2019 - S 44 KR 4442/18 ER, zit nach Bayerisches LSG aaO, RdNr 16; Ulmer in jurisPR-SozR 9/2020 Anm D; Bockholdt aaO, Seite 817f; Becker aaO, Seite 223 ff; aA LSG Berlin-Brandenburg aaO, RdNr 20; SG Berlin aaO, RdNr 30; Knispel in jurisPR-SozR 21/2019 Anm C). Der Wortlaut des § 136b Abs 4 Satz 3 SGB V setzt für die Zulässigkeit der Leistungserbringung als einzige Tatbestandsvoraussetzung ausdrücklich nur die Prognose durch den Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen voraus. Wird diese nicht widerlegt oder hat die Widerlegung keinen Bestand, kann das Krankenhaus die mindestmengenbelegten Leistungen - bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen - zu Lasten der Krankenkasse des behandelten Versicherten erbringen. Diesem Verständnis der Norm entspricht § 136b Abs 4 Satz 7 SGB V, wonach gegen die Entscheidung nach Satz 6 (Widerlegung der Prognose) der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist. Eine zu erwirkende zusätzliche positive Entscheidung ist auch hier nicht erwähnt (so auch Bockholdt aaO, Seite 817).
Sie ist auch nicht im Interesse der Rechtsklarheit zu fordern (so aber LSG Berlin-Brandenburg aaO, RdNr 20). Denn eine solche wird durch das Zusammenspiel von Prognose und eventueller Widerlegung gerade erreicht. § 5 Abs 6 Mm-R bestimmt zudem, dass die Widerlegung der Prognose dem Krankenhausträger bis spätestens 31. August des laufenden Kalenderjahres schriftlich oder in elektronischer Form unter Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur mitzuteilen ist. Insofern bleibt die Frage nach der Richtigkeit der von den Krankenhausträgern abgegebenen Prognose auch nicht offen. Die in § 5 Abs 5 Mm-R auch für den Fall der Bestätigung der Prognose vorgesehene Mitteilung der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen hat lediglich informellen Charakter ohne Regelungsgehalt (SG München aaO; Bockholdt aaO, Seite 818). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in der Gesetzesbegründung der Verzicht auf das Vorverfahren mit der Möglichmachung einer Entscheidung im Wege des Eilrechtsschutzes vor Beginn des maßgeblichen Kalenderjahres begründet wird (siehe BT-Drucksache 18/5372, S 86f). Abgesehen davon, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung auch eines Widerspruchs nicht ersichtlich ist, inwieweit zwischen einem (fehlenden) Vorverfahren und der Zulässigkeit eines Eilantrags ein Zusammenhang bestehen sollte (vgl Knispel, aaO, Anm C2), ermöglicht das Regelungsgefüge aus Prognoseentscheidung und Widerlegung auch ohne zusätzliche positive Entscheidung auf Krankenkassenseite durchaus eine prospektive Entscheidung dahingehend, dass das Krankenhaus aufgrund der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage die mindestmengenbewehrten Leistungen (vorläufig) erbringen darf. Für den Fall, dass die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen ihre Widerlegung nach Maßgabe des § 86a Abs 2 Nr 5 SGG mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbinden, hätte das Krankenhaus die Möglichkeit, eine entsprechende Berechtigung im Wege eines Eilantrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu erlangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit 154 Abs 1 und 155 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin im Hinblick auf den wesentlichen Streitpunkt - die Widerlegung der Prognose zur Mindestmenge - obsiegt hat.
Der Senat lässt wegen der grundsätzlichen Bedeutung insbesondere der Fragen nach der richtigen Klageart bei der Widerlegung von Mindestmengenprognosen und der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "vorausgegangenes Kalenderjahr" gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG die Revision zu.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Nach § 52 Abs 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Das Gericht übernimmt bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Bedeutung für die Klägerin größtenteils die Berechnungen des SG: Die Klägerin hat die mindestmengenrelevanten Behandlungsfälle in der Vergangenheit regelmäßig mit der DRG G03A abgerechnet. Bei einer Bewertungsrelation von 6,768 und einem Landesbasisfallwert von 3.528,55 Euro für das Jahr 2019 kann von einem ungefähren Rechnungsbetrag von 24.000,- Euro pro Fall ausgegangen werden. Für zehn prognostizierte Abrechnungsfälle im Leistungsbereich "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" ergibt sich hieraus ein Gesamtabrechnungsbetrag von 240.000,- Euro. Dieser Betrag war jedoch entgegen der Einschätzung des SG nicht auf einen zu erwartenden Gewinn zu beschränken. Dieser ist von vielen weiteren nur schwer messbaren Faktoren abhängig. So dürften bei einem entfallenden Vergütungsanspruch im streitgegenständlichen Leistungsbereich nicht nur Gewinne fehlen, sondern darüber hinaus Verluste für dennoch entstehende Kosten (zB Vorhaltungen im Bereich Personal oder Krankenhausbetten) entstehen (siehe hierzu auch Ulmer aaO). Zudem dürfte das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Klage nicht zuletzt darin bestehen, Rückforderungen von Vergütungen nach erbachten Leistungen zu vermeiden. Solche Rückforderungen würden jedoch den gesamten Rechnungsbetrag und nicht lediglich den Gewinn umfassen (so auch Bayerisches LSG aaO, RdNr 69). Maßgeblich ist daher der Zahlbetrag, den die Klägerin letztlich erstrebt (vgl BSG, Urteil vom 12. September 2012 - B 3 KR 10/12 R -, BSGE 112, 15-43, SozR 4-2500 § 137 Nr 1, Rn. 72).