Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.04.2012, Az.: Ws 41/12

Wirksamkeit eines formularmäßigen Rechtsmittelverzichts bei Erledigungserklärung einer Maßregel und Ablehnung einer Strafaussetzung zur Bewährung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.04.2012
Aktenzeichen
Ws 41/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 39928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2012:0423.WS41.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 14.12.2011

Amtlicher Leitsatz

Enthält das mit "Belehrungsprotokoll über die Bedeutung der Führungsaufsicht" überschriebene Formular auch einen lediglich vorformulierten Rechtsmittelverzicht, ohne dass dieser gegenüber anderen Punkten durch besondere Gestaltung hervorgehoben ist, trägt die anlässlich des Belehrungsgesprächs abverlangte Unterschrift die Annahme eines wirksamen Rechtsmittelverzichts nicht (Anschluss: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen. Beschluss vom 24.08.2011, Ws 105/11).

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz bei dem Landgericht Stade vom 14. Dezember 2011 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 (225 Ls 2091 Js 103671/09 [13/10]), das seit demselben Tag rechtskräftig ist, wurde der Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung (im minder schweren Fall) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Zuvor war der Verurteilte durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juni 2007 (26 KLs 16 Js 26238/08) wegen räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Auch mit diesem Urteil wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und darüber hinaus der Vorwegvollzug von 6 Monaten der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet.

Der Verurteilte wurde in jener Sache am 17. Januar 2008 im Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen (MRVZN) Brauel (ehemals Niedersächsisches Landeskrankenhaus Brauel) aufgenommen. Dort gelang es ihm, sich ausreichend in die therapeutischen Abläufe zu integrieren. Ihm wurden in der Folgezeit zunehmend Lockerungen gewährt, die zunächst absprachegemäß und beanstandungsfrei verliefen.

Am 30. Juni 2009 wurde der Verurteilte schließlich in die Nachsorgeeinrichtung Lukaswerk-Suchthilfe gGmbH in Wolfenbüttel zur gesellschaftlichen Reintegration verlegt. Bereits am 20. Juli 2009 erschien er nicht, wie vereinbart, abends im MRVZN Brauel.

Am 21. Juli 2009 beging er sodann die Anlasstaten der mit Urteil des Amtsgerichts Hannover angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Nach den Urteilsfeststellungen zu den Anlasstaten, die sich in der Wiedergabe des zugelassenen Anklagesatzes erschöpfen, trank der Verurteilte zunächst mit dem Geschädigten in dessen Wohnung gemeinsam Bier und forderte sodann im weiteren Verlauf von diesem unter Vorhalt eines Cuttermessers die Herausgabe von dessen Geld. Dem Geschädigten gelang es indes, den Verurteilten, ohne ihm Geld gegeben zu haben, aus der Wohnung zu drängen. Hierbei zog er sich jedoch beim Abwehren des Cuttermessers an seiner linken Hand eine kleine Schnittwunde zu, wobei die Messerklinge abbrach. Der Verurteilte fügte dem Geschädigten darüber hinaus mit dem verbliebenen Rest des Messers in dessen rechten Unterarm eine Schnittwunde von 3 cm Tiefe zu.

Am Folgetag stellte sich der Verurteilte, der ausweislich der Stellungnahme des MRVZN Brauel vom 28. Juli 2009 eingeräumt hat, während der Entweichung Heroin konsumiert zu haben, der Polizei und wurde noch am selben Tag dem MRVZN Brauel zugeführt. Die Begehung der Straftat erwähnte er nicht.

Da das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 keinerlei Ausführungen dazu enthält, aus welchem Grund erneut die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde, hat der Senat das vom Amtsgericht Hannover diesbezüglich in Auftrag gegebene Gutachten beigezogen. Der Sachverständige Dr. med. K. hat in seinem unter dem 20. Juni 2010 schriftlich erstatteten forensisch-psychiatrischen Gutachten ausgeführt, dass der Verurteilte an einem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol (ICD-10: F 10.21) und Heroin (ICD-10: F 11.21) sowie unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 61.0) mit dissozialen, emotional instabilen und zwanghaften Anteilen leide.

Die Vita des Verurteilten sei geprägt durch frühe Verhaltensauffälligkeiten mit konsekutiven langjährigen Aufenthalten in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen, die in eine dissoziale Entwicklung gemündet seien. Daneben lasse sich eine frühe und langjährige Suchtmittelabhängigkeit - zunächst vor allem hinsichtlich Alkohol - feststellen, die zu wiederholten und krisenhaften Lebensphasen mit suizidalen bzw. parasuizidalen Handlungen sowie zahlreichen Aufnahmen in psychiatrischen Klinken geführt habe. Vor seiner Unterbringung im MRVZN Brauel habe sich zudem eine Heroinabhängigkeit entwickelt.

Das Abhängigkeitssyndrom von Alkohol und zuletzt Heroin entspreche hinsichtlich Chronizität und Schweregrad zur Tatzeit in der forensischen Beurteilung dem juristischen Begriff der "schweren anderen seelischen Abartigkeit". Die Entwicklung des Abhängigkeitssyndroms sei als insuffizienter Selbstheilungsversuch bezüglich der kombinierten Persönlichkeitsstörung zu werten. Für die Bewertung des Tathergangs komme der Persönlichkeitsstörung allerdings eine untergeordnete Bedeutung zu.

Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass das zum Tatzeitpunkt am 21. Juli 2009 bei dem Verurteilten in Bezug auf die Tathandlung relevante Abhängigkeitssyndrom dem juristischen Terminus des Hanges entspreche und bei einem Weiterbestehen des Hanges die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten bestehe.

Mit der rechtskräftigen Anordnung der erneuten Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt in dem hiesigen Verfahren war die durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juni 2007 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 67f StGB erledigt.

Seit dem 11. August 2010 wurde die mit Urteil des Amtsgerichts Hannover angeordnete Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt vollstreckt. Die Unterbringungshöchstfrist ist auf den 10. Dezember 2013 notiert.

Nach Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Hannover und der Gewährung von vollzuglichen Lockerungen gestaltete sich der Behandlungsverlauf ausweislich der Stellungnahme des MRVZN Brauel 15. Februar 2011 zunächst formal geordnet, wenngleich in Versagungs- und Konfliktsituationen die geringe Frustrationstoleranz und die bisweilen unzureichende Impulskontrolle des Verurteilten deutlich zum Tragen gekommen seien. In der Folgezeit kam es jedoch zu einem weiteren Rückfall. Am 24. Dezember 2010 konsumierte der Verurteilte eine Kräutermischung mit synthetischen Cannabinoiden (Lava-Red). Nachdem der Verurteilte ausweislich der Stellungnahme des MRVZN Brauel vom 15. Februar 2011 im Februar 2011 klinisch auffällig im Sinne einer Intoxikation mit geröteten Augen und deutlichen Koordinationsstörungen geworden war, wurde ihm eine Blutprobe entnommen und diese auf das Vorliegen synthetischer Cannabinoide untersucht. Dabei wurden die Substanzen JWH-122 und JWH-210 nachgewiesen. Außerdem zeigte der Verurteilte in dieser Zeit fremdaggressive und selbstverletzende Verhaltensweisen. Daraufhin empfahl das MRVZN Brauel in der Stellungnahme vom 15. Februar 2011 die Erledigung der Maßregel mit der Begründung, dass bei Betrachtung des gesamten Behandlungsverlaufes, der erheblichen Schwankungen unterlegen gewesen sei, jetzt davon auszugehen sei, dass das Ziel der Behandlung im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB aus Gründen, die in der Person des Verurteilten lägen, nicht mehr zu erreichen sei. Die Strafvollstreckungskammer ordnete mit Beschluss vom 4. März 2011 dennoch die Fortdauer der Unterbringung an mit der Begründung, dass die Kammer die Weiterbehandlung (noch) nicht für aussichtslos halte.

Im weiteren Verlauf ließ der Verurteilte ausweislich der Stellungnahme des MRVZN Brauel vom 17. November 2011 immer wieder erkennen, dass er rasch rehabilitiert und entlassen werden wolle und ihn der lange Aufenthalt im Maßregelvollzug frustriere. In der Behandlungsplanung sei vorgesehen gewesen, den Verurteilten im Raum Zeven zu rehabilitieren, wobei er in zeitlichem Umfang ansteigend zu seiner in der Nähe von Zeven lebenden Partnerin habe beurlaubt werden sollen. Mehrere Beurlaubungen dorthin mit anfangs ein oder zwei Übernachtungen, später auch vier Übernachtungen, seien zunächst ohne erkennbare Schwierigkeiten verlaufen.

Am 1. Oktober 2011 habe der Verurteilte um 08:00 Uhr einen genehmigten Urlaub zu seiner Partnerin angetreten. In der Nacht zum 2. Oktober 2011 sei er von einer Mitarbeiterin der Klinik in Zeven in einem Lokal am Tresen stehend gesehen worden. Da nicht habe ausgeschlossen werden können, dass er Alkohol konsumiert gehabt habe, sei der Verurteilte am Morgen des 2. Oktober 2011 um 08:00 Uhr zur Alkohol- und Urinkontrolle in die Klinik einbestellt worden. Der Verurteilte sei jedoch nicht erschienen, weshalb eine Fahndung an die Polizei ergangen sei. Am 10. November 2011 habe der Verurteilte sich telefonisch in der Klinik gemeldet und mitgeteilt, dass er sich in Bremen am Hauptbahnhof aufhalte und sich stellen wolle. Bei seiner stationären Aufnahme in Bremen habe er vage Angaben gemacht und berichtet, während seiner Entweichung unterwegs gewesen zu sein und Rauschmittel konsumiert zu haben. Das Drogenscreening im Krankenhaus Bremen - Ost habe positive Konzentrationen an Opiaten und Kokain ergeben.

Zusammenfassend sei festzustellen, dass es dem Verurteilten nach nunmehr vierjähriger Behandlungszeit im Maßregelvollzug nicht gelungen sei, eine stabile Abstinenz- und Veränderungsmotivation zu entwickeln, seine dysfunktionalen Denk- und Verhaltensweisen erwiesen sich als unbeeinflussbar, so dass der Verurteilte auch heute noch in Versagungs- und Konfliktsituationen auf althergebrachte Verhaltensstile zurückgreife und erneut rückfällig geworden sei mit dem Konsum von Rauschmitteln und sich nochmals unerlaubt aus dem Maßregelvollzug entfernt habe. Aus ärztlich-therapeutischer Sicht sei aus Gründen, die in der Person des Verurteilten liegen, nicht davon auszugehen, dass er das Ziel der Behandlung im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB erreichen werde, so dass die Erledigung der Maßregel empfohlen werde.

Der Verurteilte beantragte daraufhin mit einem am 25. November 2011 bei der Staatsanwaltschaft Hannover eingegangenen Schreiben die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen zur Bewährung. Aus seiner Sicht erscheine es ausreichend, ihm eine ambulante Therapieweisung zu erteilen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Dezember 2011, der dem Verteidiger, Rechtsanwalt Q. am 27. Dezember 2011 zugestellt wurde, wurde angeordnet, dass die mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 angeordnete Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist und die noch zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe aus diesem Urteil nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

Des Weiteren wurde auch die noch zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juni 2007 (26 KLs 16 Js 26238/06) nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Außerdem wurde festgestellt, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Vollzug der Unterbringung Führungsaufsicht eintritt. Die Dauer der Führungsaufsicht wurde auf 3 Jahre festgesetzt und dem Verurteilten aufgegeben, sofort und unaufgefordert jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen. Des Weiteren wurde der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

Gegen diesen Beschluss hat seine aktuelle Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin B, mit einem am 3. Januar 2012 beim Landgericht Stade eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Verurteilte die Behandlung weiterführen wolle.

Am 4. Januar 2012 übersandte das MRVZN Brauel dem Landgericht Stade ein Belehrungsprotokoll vom 30. Dezember 2011, das die Überschrift trägt:

"BELEHRUNGSPROTOKOLL ÜBER DIE BEDEUTUNG DER FÜHRUNGSAUFSICHT".

In dem Protokoll, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 24 Bd. II d. VH), ist zunächst ausgeführt, dass dem Verurteilten am 30. Dezember 2011 eröffnet worden sei, dass mit Beschluss der 59. Strafvollstreckungskammer (des Landgerichts Göttingen) mit Sitz bei dem Landgericht Stade vom 14. Dezember 2011 (10 StVK 277/11) angeordnet worden sei, dass die gegen ihn verhängte Maßregel nicht weiter zu vollziehen sei. Außerdem sei der Vollzug der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 sowie der noch zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juni 2007 und Führungsaufsicht angeordnet worden. Sodann folgt eine Belehrung hinsichtlich der Führungsaufsicht. Abschließend ist aufgeführt:

"Meine neue Anschrift lautet: JVA Stade, Wilhadikirchhof 1, 21682 Stade

Ich verzichte auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen den Beschluss.

Eine Abschrift dieser Belehrung ist mir ausgehändigt worden.

30.12.2011

(Unterschrift des Patienten)".

Obwohl der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz bei dem Landgericht Stade vom 14. Dezember 2011 noch nicht rechtskräftig war, wurde der Verurteilte bereits am 30. Dezember 2011 in die JVA Uelzen, Abteilung Stade, verlegt. Aktuell befindet er sich in der JVA Sehnde.

Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat beantragt, die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der 59. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz beim Landgericht Stade vom 14. Dezember 2011 für erledigt zu erklären, da der Verurteilte auf Rechtsmittel gegen den Beschluss verzichtet habe.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Anordnung richtet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist, gemäß §§ 463 Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft.

Soweit die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt hat, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 und des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juni 2007 zur Bewährung auszusetzen, ist die sofortige Beschwerde gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft.

Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere steht ihr nicht der von dem Verurteilten erklärte Rechtsmittelverzicht entgegen. Dieser ist unwirksam.

Bedenken gegen die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts folgen bereits aus dem Umstand, dass der Verurteilte über seine Verteidigerin vorgetragen hat, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er einen Rechtsmittelverzicht unterschrieben habe. Ihm seien von der Klinikleitung bzw. seinem behandelnden Arzt diverse Papiere zur Unterschrift vorgelegt worden, die er automatisch unterschrieben habe. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er das Belehrungsprotokoll über die Bedeutung der Führungsaufsicht unterschreibe. Den in der letzten Zeile gedruckten Rechtsmittelverzicht habe er übersehen. Er sei auch von niemandem hierauf hingewiesen worden.

Der Chefarzt des MRVZN Brauel, Dr. med. H. S, hat mit Schreiben vom 22. März 2012 ausgeführt, dass es bei dem Formular mit der Überschrift "Belehrungsprotokoll über die Bedeutung der Führungsaufsicht" in erster Linie darum gehe, dem Patienten die Bedeutung der Führungsaufsicht darzulegen und die gegebenenfalls erteilten Auflagen mitzuteilen. In diesem Zusammenhang sei der Rechtsmittelverzicht "eher eine Appendix". Auch im vorliegenden Fall sei es so gewesen, dass er dem Verurteilten die einzelnen Dokumente zur Durchsicht und Unterschrift vorgelegt habe. Ob der Verurteilte den Rechtsmittelverzicht explizit wahrgenommen habe, könne er nicht beurteilen. Aus der bisherigen Praxis könne er aber mitteilen, dass in gleichgelagerten Fällen trotz erklärten Rechtsmittelverzichts auf dem Belehrungsprotokoll die durch den Patienten eingelegten Rechtsmittel (Beschwerden) seitens der zuständigen Instanz geprüft worden seien.

Dagegen, dass der Verurteilte die vorformulierte Verzichtserklärung übersehen hat, spricht, dass diese sich mit Ausnahme eines Satzes unmittelbar über seiner handschriftlich eingefügten Unterschrift befindet. Auf der anderen Seite erscheint es weder ausgeschlossen noch abwegig, dass der Verurteilte die Verzichtserklärung, die sich in keiner Weise - im Gegensatz zu seiner neuen Anschrift, die in Fettdruck geschrieben und unterstrichen ist - von dem übrigen Schriftbild des Formulars abhebt, schlicht übersehen hat und mit seiner Unterschrift zwar die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht unterzeichnen wollte, aber hinsichtlich des Rechtsmittelverzichts ohne Erklärungsbewusstsein handelte. Hierfür spricht zum einen die Überschrift des vorformierten Formulars, die "Belehrungsprotokoll über die Bedeutung der Führungsaufsicht" lautet, und zum anderen hat der Chefarzt des MRVZN Brauel, Dr. med. S bestätigt, dass er dem Verurteilten das Formular nur vorgelegt habe. Ob der Verurteilte die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht wahrgenommen habe, könne er nicht beurteilen. Zu bedenken ist außerdem, dass der Verurteilte an dem Tag, als er das Formular mit dem Rechtsmittelverzicht unterzeichnete, von der Maßregelvollzugsklinik in die JVA Stade verlegt wurde, so dass er möglicherweise auch deswegen das Formular nicht aufmerksam durchlas.

Aus den genannten Gründen bestehen jedenfalls ernstzunehmende Zweifel an dem Erklärungswillen des Verurteilten. Wenn aber bereits dahingehend Bedenken bestehen, ob das Erklärte dem wirklich Gewollten entspricht, liegt kein wirksamer Rechtsmittelverzicht vor (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 24.08.2011 - Ws 105/11 (2 Ws 85/11) - zitiert nach juris, Rdnr. 16; Paul in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 302, Rdnr. 11).

Unabhängig davon bestehen auch aufgrund der Umstände des Zustandekommens Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verzichtserklärung.

Zwar ist ein Rechtsmittelverzicht als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2006 - 5 StR 457/05 - zitiert nach juris, Rdnr. 3; BGH, Beschluss vom 04.06.1992 - 1 StR 766/91 - zitiert nach juris, Rdnr. 19).

Hiervon ist allerdings bei bestimmten Konstellationen eine Ausnahme zu machen. Der Bundesgerichtshof erkennt dies etwa für den Fall schwerwiegender Willensmängel und vorangegangener Urteilsabsprachen ohne anschließende qualifizierte Rechtsmittelbelehrung an. Darüber hinaus kann sich die Unwirksamkeit der Verzichtserklärung unter den Gesichtspunkten der Beachtung fairer Verfahrensgestaltung und der gerichtlichen Fürsorgepflicht auch aus sonstigen Umständen ihres Zustandekommens ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2006 - 5 StR 457/05 - zitiert nach juris, Rdnr. 3; Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 24.08.2011 - Ws 105/11 (2 Ws 85/11) - zitiert nach juris, Rdnr. 17).

Die Art und Weise, wie der objektiv erklärte Rechtsmittelverzicht zustande kam, ist mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens nicht zu vereinbaren. Im Hinblick darauf, dass die Überschrift des unterzeichneten Formulars "Belehrungsprotokoll über die Bedeutung der Führungsaufsicht" lautet und sich der Rechtsmittelverzicht optisch nicht von den übrigen Ausführungen abhebt, hätte der Verurteilte vor Unterzeichnung des Belehrungsprotokolls auf den vorformulierten Rechtsmittelverzicht ausdrücklich hingewiesen und über den Umfang und die Bedeutung des Verzichts belehrt werden müssen. Darüber hinaus hätte er darauf hingewiesen werden müssen, dass er zu dem Verzicht nicht verpflichtet ist und der diesbezügliche Satz problemlos gestrichen werden kann. Andernfalls hätte für ihn der Eindruck entstehen können, er habe, wenn er das Belehrungsprotokoll unterzeichnen wolle, keine andere Wahl, als zusätzlich auch den hierin enthaltenen Rechtsmittelverzicht zu erklären. Der Verurteilte hätte, wenn er keinen Verzicht erklären wollte, von sich aus auf die Idee kommen müssen, den Satz, der den Rechtsmittelverzicht betrifft, zu streichen. Insoweit hätten bei ihm Bedenken aufkommen können, ob er zu Streichungen berechtigt ist, weil hierauf weder in dem Formular noch mündlich durch den Arzt hingewiesen wurde (vgl. hierzu auch Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 24.08.2011 - Ws 105/11 (2 Ws 85/11) - zitiert nach juris, Rdnr. 17, das in einem ähnlich gelagerten Fall den Rechtsmittelverzicht ebenfalls für unwirksam erachtete).

Auch die Reichweite des unwiderruflichen Rechtsmittelverzichts könnte für den Betroffenen zweifelhaft sein. Da es in dem Protokoll vorwiegend um Belehrungen im Rahmen der Führungsaufsicht geht, könnte der Eindruck entstehen, dass der Rechtsmittelverzicht nur die Erledigung der Maßregel und den Eintritt und die Ausgestaltung der Führungsaufsicht betrifft, nicht jedoch die Entscheidung, dass die Vollstreckung der Strafreste nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Die vorgegebene Formulierung ist daher geeignet, die freie Willensentschließung eines Betroffenen zu beeinflussen und zugleich einen Irrtum über die Reichweite der Erklärung hervorzurufen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 24.08.2011 - Ws 105/11 (2 Ws 85/11) - zitiert nach juris, Rdnr. 17).

Da der von dem Verurteilten mit seiner Unterschrift objektiv abgegebene Rechtsmittelverzicht unwirksam ist, ist die sofortige Beschwerde statthaft und insgesamt zulässig.

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

a) Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die weitere Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt, weil ihr Zweck aus Gründen, die in der Person des Verurteilten liegen, nicht mehr erreicht werden kann.

Nach § 67d Abs. 5 StGB ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB nicht mehr vorliegen, das heißt wenn keine hinreichend konkrete Aussicht mehr besteht, den Verurteilten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Um dies festzustellen, ist eine Prognose auf zuverlässiger Erkenntnisgrundlage erforderlich, wonach der Zweck der Maßregel aller Voraussicht nach nicht mehr erreicht werden kann. Bei der Prognoseentscheidung muss der Gesamtverlauf der bisherigen Maßregelvollstreckung berücksichtigt werden, wobei dem Ziel der Unterbringung, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum zu bewahren, erhebliche Bedeutung zukommt. Als Behandlungserfolg ist hierbei bereits anzusehen, dass der Süchtige eine gewisse Zeit vor einem Rückfall in die Sucht bewahrt werden kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22.02.2010 - 2 Ws 41/10 - zitiert nach juris, Rdnr. 7).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe war die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, weil die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB nicht mehr vorliegen. Der Verurteilte befand sich seit dem 17. Januar 2008 im MRVZN in Brauel. Während dieser Zeit kam es zu zwei Entweichungen des Verurteilten, wobei er jedes Mal rückfällig und einem Fall darüber hinaus sogar straffällig wurde. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein weiterer Vollzug der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt zur - zumindest zeitweiligen - Heilung von der Sucht beitragen kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verurteilte weiterhin seinen Behandlungswillen bekundet hat. Sein Verhalten in der Vergangenheit hat eindeutig gezeigt, dass er nicht bereit ist, abstinent zu leben. Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt hat, hat sich der Verurteilte als weitgehend beratungs- und behandlungsresistent erwiesen. Es ist nicht erkennbar, weshalb der Verurteilte nach mehr als vierjähriger Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die lediglich durch seine Entweichungen unterbrochen wurde, nunmehr in der verbleibenden Zeit bis zum 10. Dezember 2013 erfolgversprechend therapiert werden könnte. Insoweit hat das MRVZN Brauel in der Stellungnahme vom 17. November 2011 nachvollziehbar ausgeführt, dass es dem Verurteilten nach nunmehr fast vierjähriger Behandlungszeit im Maßregelvollzug nicht gelungen sei, eine stabile Abstinenz- und Veränderungsmotivation zu entwickeln und seine dysfunktionalen Denk- und Verhaltensweisen sich als unbeeinflussbar erwiesen hätten, so dass der Verurteilte auch heute noch in Versagungs- und Konfliktsituationen auf althergebrachte Verhaltensstile zurückgreife.

Soweit der Verurteilte ausweislich der Beschwerdebegründung seiner Verteidigerin den Rückfall auf die schwere Erkrankung seiner Freundin und die hierdurch bedingten Gesamtumstände zurückführt, ändert dies nichts an der Auffassung des Senats, dass keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB mehr besteht. Auch wenn es sich hierbei ohne Zweifel um eine sehr belastende Situation für den Verurteilten gehandelt hat, wäre dennoch nach der langjährigen Unterbringung und der dort durchgeführten Therapie von dem Verurteilten die Erkenntnis zu erwarten gewesen, dass er sich, um einen Rückfall zu vermeiden, umgehend den ihn behandelnden Ärzten und Therapeuten hätte anvertrauen und mit ihnen gemeinsam entsprechende Lösungsmodelle hätte erarbeiten müssen. Dies hat er, wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, aber gerade nicht getan, weil er ein Kontaktverbot zu seiner Freundin befürchtete. Seinen Drogenrückfall, der sich am 24. Dezember 2010 ereignete, hat er ausweislich des Anhörungsvermerks der Strafvollstreckungskammer vom 28. Februar 2011 ebenfalls mit belastenden Umständen begründet, und zwar damit, dass seine Mutter habe mitteilen lassen, dass sie keinen Kontakt mehr mit ihm wolle.

Es wird aller Voraussicht nach im Leben des Verurteilten, ebenso wie bei anderen Menschen, auch zukünftig zu mehr oder weniger belastenden Lebenssituationen bzw. Ereignissen kommen (z. B. Trennung von einem Partner, Tod eines vertrauten Menschen, Krankheit oder wirtschaftliche Not). Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt dient unter anderem auch dazu, zu lernen, in belastenden Situationen gerade nicht rückfällig zu werden bzw. offen mit den Ärzten und Therapeuten zusammenzuarbeiten. Hierzu ist der Verurteilte offensichtlich nicht willens bzw. nicht in der Lage.

Aus Sicht des Senats erschien auch eine Überweisung des Verurteilten in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, der von der Strafvollstreckungskammer nicht ausdrücklich geprüft wurde, nicht erfolgversprechend. So hat bereits der Sachverständige Dr. med. K in seinem forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 20. Juni 2010 ausgeführt, dass der Verurteilte zahlreiche stationäre psychiatrische Behandlungen durchgeführt habe. Darüber hinaus wurde bereits durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 22. Oktober 2001 die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und vollzogen. Diese war am 25. Oktober 2004 erledigt. Dass eine entsprechende Unterbringung des Verurteilten bis zum Ablauf der Höchstfrist am 10. Dezember 2013 erfolgversprechend ist, erscheint angesichts des Unterbringungsverlaufs nicht hinreichend wahrscheinlich. Darüber hinaus hat der Sachverständige Dr. med. K darauf hingewiesen, dass für die Bewertung des Tathergangs bezüglich der diesem Verfahren zugrunde liegenden Anlasstat der Persönlichkeitsstörung eine untergeordnete Bedeutung zukomme.

b) Die Strafvollstreckungskammer hat es ebenfalls zu Recht abgelehnt, die Vollstreckung der Reste der mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 11. August 2010 verhängten Freiheitsstrafe von 2 Jahren und der durch Urteil Landgerichts Hildesheim vom 07. Juni 2007 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten zur Bewährung auszusetzen.

Eine vorzeitige Entlassung setzt unter anderem gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB voraus, dass dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der Entscheidung sind nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

Derzeit kann unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten nicht verantwortet werden. Wie der ausführlich geschilderte Unterbringungsverlauf gezeigt hat, besteht bei dem Verurteilten nach wie vor die hohe Gefahr eines Suchtmittelrückfalles und damit einhergehend der Begehung von weiteren Straftaten. Diese Gefahr konnte in mehr als vierjähriger Unterbringungszeit nicht in dem erforderlichen Maß verringert werden. Daher ist auch nicht zu erwarten, dass eine ambulante Therapieweisung ausreichend sein könnte, um dieser Gefahr angemessen zu begegnen.

c) Gemäß § 67d Abs. 5 Satz 2 StGB tritt kraft Gesetzes Führungsaufsicht ein, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt erklärt.

Die mit 3 Jahren festgelegte Dauer der Führungsaufsicht hält sich in dem gemäß § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB gesetzlich vorgegebenen Rahmen und ist daher nicht zu beanstanden.

Gleiches gilt für die Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers, die in § 68a Abs. 1 StGB ausdrücklich normiert ist.

Auch die dem Verurteilten erteilte Weisung, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen, ist nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.