Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 10.01.2017, Az.: 13 A 6253/16
Abschiebungsverbot; Betreuungsperson; Krankheit; Schizophrenie; medizinische Versorgung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 10.01.2017
- Aktenzeichen
- 13 A 6253/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53571
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 7 AufenthG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Sie ist türkische Staatsbürgerin, nach eigenen Angaben kurdische Volkszugehörige und yezidischen Glaubens. Sie reiste zusammen mit ihrem Bruder wohl im August 2013 auf dem Landweg in Deutschland illegal ein. Sie steht unter Betreuung einer ihrer Brüder.
Anfang März 2014 stellte sie einen Asylantrag. Die Anhörung erfolgte am 01.09.2015. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift in den Beiakten (Bl. 46 ff.) Bezug genommen. Unter anderem erwähnte die Klägerin einen weiteren Bruder in der Türkei Namens A., auch von einer Stiefmutter B. war die Rede. Mit Schreiben vom 15.09.2015 legte der jetzige Prozessbevollmächtige ein psychiatrisches Gutachten, zwei Entlassungsbriefe und eine Bescheinigung des C. GmbH vor. Auch insoweit wird wegen der Einzelheiten auf Bl. 55 ff. der Beiakte Bezug genommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.10.2016 wurde der Asylantrag und der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als abgelehnt, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG verneint, die Klägerin zur Ausreise aufgefordert und ihre Abschiebung in die Türkei angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 15 Monate befristet. Der Bescheid wurde am 07.10.2016 als Einschreiben zur Post gegeben.
Die Klägerin hat am 24.10.2016 Klage erhoben.
Sie nimmt auf ihr Vorbringen vor dem Bundesamt Bezug und legt eine Bescheinigung des Klinikums D. vom 12.12.2016 vor, auf die verwiesen wird.
Die Kläger beantragt ursprünglich,
unter Aufhebung des Bescheides vom 05.10.2016 die Beklagte zu verpflichten, sie als asylberechtigt anzuerkennen, ihr die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
In der mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin nunmehr
festzustellen, dass ihr Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen bzw. die Beklagte zu dieser Feststellung zu verpflichten, und den Bescheid des Bundesamtes für Migration vom 05.10.2016 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe ihres Bescheides.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 07.11.2016 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch den Einzelrichter.
Die Klage wurde in der mündlichen Verhandlung auf die Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt. Daher wird das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 VwGO hinsichtlich der übrigen Begehren (Anerkennung als Asylberechtigte, Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes) insoweit eingestellt.
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen keine Abschiebungsverbote zur Seite.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Klägerin ist es nicht gelungen, diese Gründe zu entkräften.
Daran, dass die Klägerin an hebephrenen Schizophrenie leidet, hegt das Gericht zwar keinen Zweifel. Die hebephrene Schizophrenie führt zu einer flachen Stimmungslage ohne Schwingungsfähigkeit, teilweise resonanzlos, depressiv, ohne emotionale Wärme (schizophrene Negativsymptomatik, Verhaltensdefizite). Dann wieder kommt es manchmal zu auffallend läppisch-heiterem oder überhaupt läppischem Benehmen, wie z. B. durch ein nicht nachvollziehbar starkes Lachen und eine Unangepasstheit zwischen äußerer Situation und Reaktion. Das Bewusstsein und die Orientierung bleiben meist erhalten. Die Persönlichkeit verliert jedoch ihr eigentliches, vor der Erkrankung vorhandenes Wesen (schleichender Verlust der Persönlichkeitsstruktur). Das zeigt sich unter anderem durch zunehmende Willens- und Entscheidungsschwäche, wobei letztere häufig auf einer als quälend empfundenen Unfähigkeit, die richtigere Entscheidung zu treffen, beruht. Oft geht das Denken an die eigene Zukunft verloren, die Erkrankten können nicht mehr arbeiten gehen (Frühberentung) oder sehen auch keine Notwendigkeit zu arbeiten. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik ist meist ebenso verlorengegangen wie die soziale Kompetenz. Häufig kommt es bei den Patienten begleitend zu Manierismen (zweckmäßige Bewegungen werden sonderbar anmutend, unnatürlich-gekünstelt und verschroben ausgeführt) und Grimassieren. Krankheitseinsicht ist bei den betroffenen Patienten meist nicht vorhanden (nach Wikipedia).
Dieses Krankheitsbild kann allein jedoch für sich genommen nicht zu einem Abschiebeschutz führen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und insbesondere Absatz 7 AufenthG hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid zu Recht verneint.
Nach der „SFH-Länderanalyse vom 18. August 2016 vom 18.8.2016 hinsichtlich der Behandlung und Pflege einer schizophrenen Person im Südosten der Türkei“ unter Bezugnahme u.a.a auf einem Bericht von ENIL (2015) gibt es in der Türkei insgesamt neun sogenannte spezialisierte «Mental Health Hospitals», die direkt dem Gesundheitsministerium unterstehen. Diese befinden sich laut einer in der Stadt Izmir tätigen psychiatrischen Fachperson in den Städten Istanbul (2), Manisa, Bolu, Samsun, Elazığ, Adana, Trabzon und Tokat. Nach Angaben von ENIL (2015) bieten diese kurz- und langfristige Behandlungen für Betroffene in Abteilungen für Akutpsychiatrie und solchen für chronische Erkrankungen. Die Kapazität der einzelnen Einrichtungen liegen laut der aktuellen Angaben von ENIL zwischen 88 bis 1434 Plätzen. Insgesamt gibt es laut ENIL insgesamt 4159 Plätze in den neun psychiatrischen Fachkliniken. Die psychiatrischen Fachkliniken decken laut eines Projekt-Dokuments vom Juli 2015 von der ELC Group Consulting and Engineering Inc. als regionale Spitäler jeweils mehrere Provinzen in einer definierten Region ab. Wenn lokale Spitäler psychiatrische Patien-tinnen und Patienten nicht mit den benötigten Diagnosen, Behandlungen und Rehabilitationsmassnahmen versorgen können, werden diese an die zuständige regionale Fachklinik überwiesen.
Auch nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand August 2015) ist eine Behandlung der Krankheit der Klägerin in der Türkei möglich. In dem Lagebericht heißt es, „die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Die landesweite Anzahl von Psychiatern liegt dennoch 2014 bei unter 5 pro 100.000 Einwohnern. (OECD 2014). Insgesamt standen 2011 türkeiweit zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Dem im Oktober 2011 vorgestellten „Aktionsplan für Mentale Gesundheit“ zufolge sollen die bestehenden Fachkliniken jedoch zugunsten von regionalen, verstärkt ambulant arbeitenden Einrichtungen bis 2023 geschlossen werden.
Die Klägerin war bereits nach eigenen Angaben zehn Jahre erkrankt, bevor sie aus der Türkei ausgereist ist, ohne dass sich in dieser Zeit ihr Gesundheitszustand so verschlechterte, dass er lebensbedrohend wurde. Auch aus den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ist nicht ersichtlich, dass eine Behandlung ohne Gefahr des Eintritts schwerwiegender weiterer Schäden für die Gesundheit nur in Deutschland möglich wäre. Nach der Stellungnahme des Klinikums Wahrendorff bedarf die Klägerin einer kontinuierlichen psychiatrischen-psychotherapeutischen Behandlung mit transkultureller Expertise. Dieser transkulturelle Hintergrund für die behandelnden Ärzte dürfte in der Türkei sogar ausgeprägter und besser gewährleistet sein als in Deutschland. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die erforderliche Behandlung der Klägerin ihr in der Türkei verwehrt werden würde. Schließlich wurde sie vor ihrer Ausreise dort ebenfalls bereits behandelt. Auch ist zu erwarten, dass sie von in Deutschland lebenden Familienangehörigen soweit erforderlich auch finanziell unterstützt wird.
Im Übrigen gewährleistet der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelte Abschiebungsschutz nicht, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geeignet sein müssen, eine bestehende Erkrankung optimal zu versorgen oder gar auszuheilen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren (vgl. statt vieler: Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 30. Juli 2008 - AU 7 K07.30299 -, zit. n. jur., Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18. Juli 2006 - 2 K 2694/06.A - zit. n. jur., m.w.N.).
Nach der Bescheinigung des Klinikums D. vom 12.12.2016 geht zwar auch das Gericht davon aus, dass derzeit die Klägerin nicht in der Lage sein dürfte, im erforderlichen Maße für sich allein zu sorgen, sondern der Betreuung und Unterstützung Dritter bedarf.
Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass die Klägerin entgegen ihrem Vortrag eine persönliche Unterstützung in der Türkei durch Verwandte erreichen kann. Dabei lässt das Gericht offen, ob mit dem Vortrag, ihre Eltern seien tot, ausschließlich die leiblichen Eltern gemeint sind oder auch die in der Anhörung vor dem Bundesamt genannte Stiefmutter. Die Klägerin hat neben dem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bruder, der zu ihrem Betreuer bestellt worden ist, und dem Bruder, mit dem sie zusammen hier eingereist, noch einem weiteren Bruder, der jedenfalls nach den Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt noch in der Türkei lebt. Nachdem in der mündlichen Verhandlung zuerst nur auf die Brüder D. und E. hingewiesen wurde, wurde auf Vorhalt auch die Existenz des Bruders A. eingeräumt. Die Angabe, sie und ihre anderen Brüder wüssten nicht, wo sich dieser Bruder aufhält, ist nicht glaubhaft. Die Klägerin war ersichtlich bestrebt, lediglich ihre in Deutschland derzeit sich aufhaltenden Verwandten herauszustellen. Ggf. ist es ihr bzw. ihrem Betreuer zuzumuten, den Aufenthaltsort ihres in der Türkei lebenden Bruders zu ermitteln.
Da der Bruder A. sich in der Türkei um die Klägerin kümmern kann, kann hier offen bleiben, ob der Klägerin nicht auch zuzumuten sein könnte, mit ihrem Bruder, mit dem sie zusammen in Deutschland eingereist ist, wieder in die Türkei zurückkehren. Es ist daher für die vorliegende Entscheidung nicht abzuwarten, wie das vor Gericht anhängige Klageverfahren auf Anerkennung als Asylberechtigter des Bruders ausgehen wird. Der Asylantrag des Bruders wurde jedenfalls mit Bescheid vom 05.10.2016 der Beklagten abgelehnt. Weil die Klägerin auf ihren Bruder A. verwiesen werden kann, ist hier ebenfalls nicht zu diskutieren, ob die Beklagten ggf. dafür Sorge tragen müsste, dass die die Klägerin nur zusammen mit ihrem Bruder E. abgeschoben wird oder dass die Klägerin in der Türkei in die Obhut eines Betreuers oder Heimes übergeben werden kann.
Auch der Vortrag der Klägerin, sie gehöre der yezidischen Glaubensgemeinschaft an, kann der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Der 11. Senat des Nds.OVG hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass es seit dem Jahre 2003 in der Türkei keine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden wegen ihrer Religionszugehörigkeit mehr gibt. Die erkennende Kammer hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen.
Ob und unter welchen Voraussetzungen ggf. die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels außerhalb des Asylrechtes hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.