Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.1996, Az.: V 53/95
Umsatzsteuerfreiheit von durch eine juristische Person erbrachten ärztlichen Leistungen; Bindungswirkung an die ertragsteuerliche Qualifizierung der Einkünfte aus einer Tätigkeit für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung; Zweck der Befreiung heilberuflicher Umsätze von der Umsatzsteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.05.1996
- Aktenzeichen
- V 53/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 16461
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0509.V53.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Nr. 14 UStG
- § 2 Abs. 2 NRettDG
Fundstellen
- DStRE 1997, 391 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 1996, 1130-1131 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
§ 4 Nr. 14 UStG auf juristische Personen anwendbar
Umsatzsteuer 1992
In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. Mai 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides vom 6. April 1994 und der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 1995 wird die Umsatzsteuer auf 0 DM herabgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen satzungsgemäßer Zweck die Vorhaltung eines Systems der ärztlichen Notfallrettung im Südteil des Altkreises H ist. Mitglieder des Vereins können nur Ärzte werden, die ihren Praxissitz in diesem Bereich haben.
Der Kläger traf mit dem Deutschen Roten Kreuz - Kreisverband Land H - (DRK) eine Vereinbarung, durch die er sich verpflichtete, ständig einen einsatzbereiten Notarzt für das vom DRK gestellte Notarzteinsatzfahrzeug zur Verfügung zu stellen. Hierfür war eine Vergütung von 500,00 DM je Kalendertag vereinbart. Mit der Vergütung waren alle Kosten für die Notarztbereitstellung, die Notfallbehandlung, die Dienstorganisation und die Einsatzdokumentation abgegolten. Die Vereinbarung hatte Gültigkeit ab 1. Oktober 1992. Sie war auf sechs Monate befristet.
Hintergrund der Vereinbarung war, daß der Landkreis C als gesetzlicher Träger des Rettungsdienstes das DRK mit der Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes nach § 2 Abs. 2 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes (NRettDG) beauftragt hatte. Nach dieser Vorschrift hat der Rettungsdienst bei lebensbedrohlich Verletzten oder Erkrankten lebensrettende Maßnahmen am Einsatzort durchzuführen, die Transportfähigkeit dieser Personen herzustellen und sie unter fachgerechter Betreuung mit dafür besonders ausgestatteten Rettungsmitteln in eine für die weitere Versorgung geeignete Behandlungseinrichtung zu befördern (Notfallrettung). Da das DRK nicht selbst über geeignetes Personal verfügte, bediente es sich im Ergebnis aufgrund der o.a. getroffenen Vereinbarung des Klägers und für ihn handelnd seiner Mitglieder.
Der Beklagte nahm an, der Kläger habe steuerbare und steuerpflichtige Leistungen erbracht. Er schätzte die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Steuerbescheid vom 6. April 1994 die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf 14.000,00 DM fest.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründet der Kläger im wesentlichen wie folgt: Er bestreite die Steuerpflicht der erzielten Einnahmen dem Grunde nach. Im übrigen komme für ihn im Streitjahr mindestens § 19 Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) zur Anwendung. Die Einnahmen des Vorjahres, bestehend aus Spenden und Zinserträgen hätten nur 989,00 DM ausgemacht. Im Streitjahr habe er für die Zeit vom März bis September vom DRK 57.000,00 DM erhalten. Dieses Geld sei für tatsächlich durchgeführte Notfalleinsätze gezahlt worden. Aufgrund der seit Oktober 1992 gültigen Vereinbarung habe er im Streitjahr nur die Zahlung für Oktober i.H.v. 15.752,00 DM vereinnahmt.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf 0 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht für anwendbar, weil der Kläger spätestens bei Aufnahme seiner Tätigkeit für das DRK im März des Streitjahres davon habe ausgehen müssen, daß der maßgebliche Jahresumsatz von 25.000,00 DM überschritten werde. Der Kläger erbringe gegenüber dem DRK Dienstleistungen. Diese seien steuerbar und steuerpflichtig. Mangels Abgabe einer Umsatzsteuererklärung sei der Beklagte zur Schätzung befugt gewesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte. Dem Gericht haben die beim Beklagten für den Kläger unter St.-Nr. geführten Steuerakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Leistungen, für die der Kläger im Streitjahr Entgelte vereinnahmt hat, sind von der Umsatzsteuer befreit. § 4 Nr. 14 UStG befreit u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Mithin ist die Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 14 UStG tätigkeitsbezogen. Dabei muß sie tatsächlich von Angehörigen der Heil- und der Heilhilfsberufe ausgeübt worden sein. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Bei den Tätigkeiten, zu denen sich der Kläger gegenüber dem DRK verpflichtet hat, handelt es sich um typische ärztliche Tätigkeiten. Der Kläger erbrachte Leistungen im Rahmen der Notfallrettung i.S.d. § 2 Abs. 2 des NRettDG. Soweit er den vereinbarten Tagessatz für nicht tatsächlich durchgeführte Notfallrettungstätigkeit bekam, ändert dies nichts. Insoweit gilt, daß die Leistungsbereitschaft, zu der sich der Kläger verpflichtete, mit der zu leistenden Tätigkeit umsatzsteuerlich gleichzustellen ist.
Tatsächlich sind die Leistungen des Klägers durch seine Mitglieder, die sämtlich Angehörige der Heilberufe sind, erbracht worden.
Die umsatzsteuerliche Beurteilung kann nicht davon abhängen, daß die in Rede stehenden Tätigkeiten tatsächlich von Mitgliedern des Klägers, also Ärzten, erbracht worden sind, steuerrechtlich aber dem Kläger als Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG zuzurechnen sind. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wie sie im BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 90/92, BStBl II 1995, 84 zum Ausdruck kommt. Hiernach ergibt sich keine Bindungswirkung an die ertragsteuerliche Qualifizierung der Einkünfte aus der betreffenden Tätigkeit für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung. Entscheidend ist vielmehr, daß eine Tätigkeit als Angehöriger eines bestimmten Berufs im Sinne der Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG vorliegt.
Der Zweck der Befreiung heilberuflicher Umsätze von der Umsatzsteuer besteht in der Entlastung der Sozialversicherungsträger. Diesem Zweck wird eine Gesetzesinterpretation aber nur dann gerecht, wenn die heilberufliche Berufsausübung unabhängig von der Rechtsform, die der Berufsausübende wählt, befreit wird. Ärztliche Leistungen, die von einer juristischen Person erbracht werden - wie im Streitfall vom Kläger - sind deshalb von der Umsatzsteuer zu befreien.
Mithin war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 13 Abs. 2, 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 14.000,00 DM festgesetzt.