Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.1996, Az.: V 17/95

Umsatzsteuerbefreiung bei heilberuflicher Tätigkeit; Bindungswirkung an die ertragssteuerliche Qualifizierung der Einkünfte für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.05.1996
Aktenzeichen
V 17/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16654
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0509.V17.95.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 1244 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1992

Amtlicher Leitsatz

Die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG ist unabhängig von der Rechtsform in der die heilberufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 9. Mai 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Angestellte
ehrenamtlicher Richter ... Kfm. Leiter
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 1992 vom 6. April 1994 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 5. Januar 1995 wird die Umsatzsteuer auf 0 DM herabgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 13.684,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen satzungsgemäßer Zweck die Vorhaltung eines Systems der ärztlichen Notfallrettung im Einsatzbereich L. ist. Mitglieder des Klägers können sowohl Ärzte als auch Nichtärzte sein, allerdings waren im Streitjahr 1992 ausschließlich Ärzte Mitglieder des Klägers.

2

Ab 1991 führte der bereits 1988 gegründete Kläger Gespräche mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), die im Jahr 1992 mit einer vertraglichen Vereinbarung abgeschlossen wurden. Dieser Vertrag galt ab 1. Oktober 1992 und sah u.a. vor, daß das DRK dem Kläger ein Notarztfahrzeug mit Ausstattung zur Verfügung stellte und der Kläger hierfür ständig einen einsatzbereiten Notarzt stellte. Als Entgelt für die Leistungen des Klägers war ein Betrag von 500,00 DM je Kalendertag vereinbart.

3

Hintergrund dieser Vereinbarung ist das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz (NRettDG), das in § 3 Abs. 1 und 2 den Landkreisen den Rettungsdienst als eigenen Wirkungsbereich übertragen hat. Der Altkreis L. übertrug diese Aufgabe für seinen Zuständigkeitsbereich dem DRK, das seinerseits die Durchführung des Notarztdienstes mit der oben genannten Vereinbarung dem Kläger weiterübertrug.

4

Im Streitjahr 1992 erklärte der Kläger steuerfreie Umsätze i.H.v. 97.746,00 DM. Der Beklagte folgte dieser Rechtsauffassung nicht und unterwarf diesen Betrag als Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer.

5

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Der Kläger vertritt die Auffassung, er sei nicht Unternehmer gewesen, weil er keine ärztlichen Leistungen habe erbringen können. Er habe praktisch nur als Zahlstelle für die Weiterleitung der Honorare der beteiligten Ärzte gedient.

6

Sollte er aber umsatzsteuerrechtlich als Unternehmer anzusehen sein, so meint er, Kleinunternehmer i.S.d. § 19 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) gewesen zu sein. Sein Umsatz habe 1992 100.000,00 DM nicht überstiegen und im Vorjahr nicht mehr als 25.000,00 DM betragen. Sollte er, der Kläger, überhaupt Unternehmer gewesen sein, so sei dies jedenfalls seit spätestens 1991 der Fall gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits die Verhandlungen mit dem DRK begonnen hätten.

7

Im übrigen meint der Kläger, seien seine Umsätze nach § 4 Nr. 17 b UStG von der Umsatzsteuer befreit. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Januar 1995, wonach auch der Betrieb einer Rettungswache unter diese Befreiungsnorm falle, ergebe sich, daß die Bestimmung des § 4 Nr. 17 b UStG weit auszulegen sei.

8

Schließlich vertritt der Kläger die Auffassung, seine Leistungen seien zumindest gemäß § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit, weil es sich um typische ärztliche Leistungen gehandelt habe. Sowohl die Erstversorgung am Einsatzort als auch die Einsatzbereitschaft als solche seien ärztliche Leistungen, die von der Umsatzsteuer befreit seien.

9

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuer auf 0 DM herabzusetzen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er vertritt die Auffassung, der Kläger sei erst seit dem 1. März 1992 Unternehmer. Für die Beurteilung der Kleinunternehmereigenschaft sei folglich die Grenze von 25.000,00 DM maßgebend. Diese habe der Kläger im Streitjahr 1992 nachhaltig überschritten. Auch die vom Kläger verfaßte Dokumentation "Notfallmedizinischer Fortbildungsbedarf niedergelassener Ärzte" stelle keine vorbereitende Handlung für das Unternehmen "Rettungsdienst" dar. Durch diese bereits 1991 verfaßte Dokumentation sei der Kläger noch nicht Unternehmer geworden.

12

Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 b UStG komme vorliegend nicht in Betracht, weil der Kläger keinen Krankentransport durchführe. Die bei ihm tätigen Ärzte führen lediglich mit dem Einsatzfahrzeug zum Einsatzort und leisteten dort die Erstversorgung. Der Transport ins Krankenhaus werde daraufhin mit Krankenwagen des DRK durchgeführt.

13

Auch die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG seien nicht erfüllt. Der Kläger sei als eingetragener Verein eine juristische Person, die keine ärztlichen Leistungen erbringen könne. Dies sei lediglich bei freiberuflicher Tätigkeit möglich.

14

Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Steuerakten zu Steuernummer ... sowie die Gerichtsakte.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist begründet.

16

Die Leistungen, für die der Kläger im Streitjahr Entgelte vereinnahmt hat, sind von der Umsatzsteuer befreit. § 4 Nr. 14 UStG befreit u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Mithin ist die Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 14 UStG tätigkeitsbezogen. Dabei muß sie tatsächlich von Angehörigen der Heil- und der Heilhilfsberufe ausgeübt worden sein. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Bei den Tätigkeiten, zu denen sich der Kläger gegenüber dem DRK verpflichtet hat, handelt es sich um typische ärztliche Tätigkeiten. Der Kläger erbrachte Leistungen im Rahmen der Notfallrettung i.S.d. § 2 Abs. 2 des NRettDG. Soweit er den vereinbarten Tagessatz für nicht tatsächlich durchgeführte Notfallrettungstätigkeit bekam, ändert dies nichts. Insoweit gilt, daß die Leistungsbereitschaft, zu der sich der Kläger verpflichtete, mit der zu leistenden Tätigkeit umsatzsteuerlich gleichzustellen ist. Tatsächlich sind die Leistungen des Klägers durch seine Mitglieder, die sämtlich Angehörige der Heilberufe gewesen sind, erbracht worden.

17

Die Umsatzsteuerliche Beurteilung kann nicht davon abhängen, daß die in Rede stehenden Tätigkeiten tatsächlich von Mitgliedern des Klägers, also von Ärzten, erbracht worden sind, steuerrechtlich aber dem Kläger als Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG zuzurechnen sind. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wie sie im BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 90/92, BStBl II 1995, 84 zum Ausdruck kommt. Hiernach ergibt sich keine Bindungswirkung an die ertragssteuerliche Qualifizierung der Einkünfte aus der betreffenden Tätigkeit für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung. Entscheidend ist vielmehr, daß eine Tätigkeit als Angehöriger eines bestimmten Berufs im Sinne der Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG vorliegt.

18

Der Zweck der Befreiung heilberuflicher Umsätze von der Umsatzsteuer besteht in der Entlastung der Sozialversicherungsträger. Diesem Zweck wird eine Gesetzesinterpretation aber nur dann gerecht, wenn die heilberufliche Berufsausübung unabhängig von der Rechtsform, die der Berufsausübende wählt, befreit wird. Ärztliche Leistungen, die von einer juristischen Person erbracht werden, sind deshalb von der Umsatzsteuer zu befreien.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

20

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).

21

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 13.684,00 DM festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 13 Abs. 2, 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).