Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 14.03.2007, Az.: 6 A 5308/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
14.03.2007
Aktenzeichen
6 A 5308/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 62292
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0314.6A5308.05.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 09.12.2008 - AZ: 5 LC 204/07

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    § 14 a BeamtVG ist erweiternd dahingehend auszulegen, dass eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bei Dienstunfähigkeit auch dann in Betarcht kommt, wenn entsprechende Anwartschaften auf eine Rente einer ausländischen (mitgliedstaatlichen) gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.

  2. 2.

    Zur eingeschränkten Berücksichtigung ausländischer Vordienstzeiten als ruhegehaltfäige Dienstzeit bei der Festsetzung von Versorgungsbezügen.

Tenor:

  1. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger beginnend mit dem 1. Oktober 2004 Versorgungsbezüge nach einem vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz gemäß § 14 a des Beamtenversorgungsgesetzes zu gewähren.

    Der Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 wird aufgehoben.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

    Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein niederländischer Staatsangehöriger und zum 1. Juni 2004 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzter Universitätsprofessor (BesGr C 3 BBesO), begehrt die Festsetzung seiner Versorgung unter Berücksichtigung seiner Vordienstzeiten in den Niederlanden als ruhegehaltfähige Dienstzeit sowie die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes aufgrund in den Niederlanden erworbener Rentenansprüche.

2

Der Kläger wurde am ... in den Niederlanden geboren. Nach seinem Abitur im Juni 1968 leistete er dort den Wehrdienst (13. November 1968 - 5. Dezember 1969) und studierte zunächst - teilweise den Wehrdienst überschneidend - Niederlandistik (Lehramt) in Tilburg sowie vom 1. September 1970 bis 31. August 1974 niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität U.... In der Zeit vom 1. September 1974 bis 31. August 1989 war er volllzeitbeschäftigt als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Status eines "ambtenaar" (Beamten) - zunächst befristet ("tijd dienst") und ab dem 1. Januar 1978 unbefristet ("vaste dienst") - tätig. Währenddessen promovierte er und schloss seine Promotion am 17. Juni 1986 mit der höchsten Auszeichnung ab. Vom 1. September 1989 bis 29. Mai 1991 verwaltete er eine Professorenstelle für das Fach Niederländische Sprachwissenschaften an der Universität O. (nunmehr: C.Universität). Am 30. Mai 1991 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe C 3 BBesO eingewiesen. Gleichzeitig wurde ihm ein entsprechendes Amt bei der Universität O. übertragen, wo er am Institut für neue Philologie den Lehrstuhl für niederländische Sprachwissenschaften innehatte.

3

Mit Ablauf des 31. Mai 2004 versetzte der Präsident der C. Universität O. den Kläger wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand. Seit dem 1. Juni 2004 erhält er Versorgungsbezüge vom Beklagten. Zusätzlich hat er ab Vollendung seines 65. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente in den Niederlanden. Gemäß Mitteilung der Sociale Verzekerings Bank in Amsterdam vom 18. Januar 2005 (Blatt 80 der Beiakte A) wird hierfür die Beitragszeit vom 13. August 1963 bis 11. April 1990 berücksichtigt. Seine in den Niederlanden erworbene Anwartschaft auf eine Rente wegen Arbeitsunfähigkeit führt zu keinerlei Rentenleistungen, weil er nicht mehr im Dienst eines niederländischen Arbeitgebers steht.

4

Der Kläger wendet sich gegen die Bescheide des Beklagten vom 22. April 2004 und 14. Juni 2005 in der Gestalt des am 27. Oktober 2005 zugestellten Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005. Darin setzte der Beklagte zunächst die Versorgungsbezüge des Klägers (derzeit monatlich 2.001,66 Euro) mit einem Ruhegehaltssatz von 41,75 v.H. fest und kürzte das Ruhegehalt um einen Abschlag nach § 14 Abs. 3 des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - in Höhe von 10,80 v.H. wegen Nichterreichens der gesetzlichen Altersgrenze. Als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigte er dabei zwei Jahre für die Zeit der Promotion (18. Juni 1984 bis 17. Juni 1986), die Verwaltung einer Professorenstelle in O. (1. September 1989 bis 29. Mai 1991), die Tätigkeit dort als Universitätsprofessor im Status eines Beamten auf Lebenszeit (30. Mai 1991 bis 31. Mai 2004) und anteilig (zu 2/3) eine Zurechnungszeit (1. Juni 2004 bis 31. August 2008). Die vom Kläger in den Niederlanden absolvierten Vordienstzeiten ließ er unter Hinweis auf Nr. 2.8 des Runderlasses des Niedersächsischen Finanzministeriums - Nds. MF - vom 29. Oktober 2001 (Nds. MBl. 2001, S. 942) mit der Begründung unberücksichtigt, dass diese lediglich nach Ermessen zu beachtenden Zeiten zur Verhinderung einer Überversorgung außer Betracht bleiben müssten, nachdem durch europarechtliche Vorschriften die Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht mehr angewendet werden dürfe. Die von der bisherigen Verwaltungspraxis abweichende landesweite Ermessensausübung verhindere eine Überalimentierung und liege im Interesse der Allgemeinheit. Des weiteren lehnte der Beklagte die unter dem 7. Oktober 2004/17. Februar 2005 beantragte vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14 a Abs. 1 BeamtVG mit der Begründung ab, der Anspruch des Klägers auf eine Rente der gesetzlichen niederländischen Rentenversicherung unterfalle der Vorschrift nicht, die sich nur auf Renten der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung beziehe.

5

Der Kläger hat am 28. November 2005 - einem Montag - Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Er könne bei der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge eine Anrechnung seines Wehrdienstes (13. November 1968 - 5. Dezember 1969), seiner Studienzeit (1. September 1970 bis 31. August 1974) und seiner förderlichen hauptberuflichen Tätigkeiten an der Universität U... (1. September 1974 bis 31. August 1989) in den Niederlanden als ruhegehaltfähige Vordienstzeit verlangen. Dies folge aus §§ 67 Abs. 2, 10, 11 und 12 BeamtVG i.V.m. der vor dem Erlass des Nds. MF vom 29. Oktober 2001 geübten Verwaltungspraxis. Die Stellungnahme des Dekans der C. Universität vom 27. März 2006 (Bl. 70 f. GA), wonach er - der Kläger - während seiner Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Zeit vom 1. September 1974 bis zum 31. August 1989 (abzüglich der bereits berücksichtigten Promotionszeit vom 18. Juni 1984 bis 17. Juni 1986) die erforderlichen Erfahrungen in wissenschaftlicher Lehre und wissenschaftlicher Forschung erworben habe, belege, dass die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 Satz 1 oder jedenfalls des § 67 Abs. 2 Satz 4 bzw. des § 67 Abs. 2 Satz 5 BeamtVG erfüllt seien. Der Beklagte habe nicht überzeugend begründet, warum eine Berücksichtigung seiner Vordienstzeiten in den Niederlanden gemäß § 10 Satz 2 BeamtVG ausscheide. Die in Niedersachsen durch den genannten Erlass und den nachfolgenden Runderlass des Nds. MF vom 22. Februar 2006 (Nds. MBl. S. 220) gesteuerte Verwaltungspraxis sei zu beanstanden. Durch die das Gericht nicht bindenden Verwaltungsvorschriften habe sich lediglich die Verwaltungspraxis, nicht aber die zugrunde liegende Rechtslage geändert (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 22. September 2005 - 3 A 20/03 -). Diese Verwaltungspraxis führe zu einer gänzlichen Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten in einem Mitgliedsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums und verstoße gegen das Recht auf Freizügigkeit aus Artikel 39 des Vertrags der Europäischen Gemeinschaften - EG -. Zudem werde der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Dies gelte um so mehr, weil sich bei ihm keine Überversorgung ergebe, die eine derartige Ermessensentscheidung rechtfertige. Jedenfalls vor Vollendung seines 65. Lebensjahres könne er keine Renten- oder Versorgungsansprüche gegen niederländische Behörden bzw. Versicherungsträger geltend machen. Ebenso wenig habe er Ansprüche in den Niederlanden auf Rente wegen Dienst- bzw. Arbeitsunfähigkeit, zumal er nicht mehr bei dem Dienstherrn beschäftigt sei, der seinerzeit entsprechende Prämien abgeführt habe (vgl. Informationsbroschüre des Bureau voor Duitse Zaken "Pensionenen en renten", S. 23 f.). Die neue Verwaltungspraxis sei auch rechtswidrig, weil es andere Möglichkeiten der Vermeidung einer Überversorgung gebe, etwa durch Vergleichsberechnungen unter Einbeziehung ausländischer Dienstzeiten (vgl. Hellfeier, DÖD 2005, 31, 34).

6

Er habe ergänzend oder ersatzweise einen Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14 a Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG. Nach dem Wortlaut der Vorschrift unterfalle einer "Rente der gesetzlichen Rentenversicherung" auch eine Rente der niederländischen gesetzlichen Rentenversicherung, wie sie ihm unstreitig zustehe. Diese europarechtskonforme Auslegung sei geboten, um das Recht auf Freizügigkeit nicht zu verletzen.

7

Der Kläger beantragt,

1) den Beklagten zu verpflichten, seine Tätigkeiten an der Universität U... vom 1. September 1974 bis zum 31. August 1989 mit Ausnahme von zwei Jahren Promotionszeit, die Studienzeiten von September 1970 bis September 1974 und die Zeit des Wehrdienstes als ruhegehaltfähige Dienstzeit anzuerkennen und den Bescheid des Beklagten vom 22. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht

8

und

9

2) den Beklagten zu verpflichten, ihm Versorgungsbezüge ab dem 1. Oktober 2004 nach einem vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz zu gewähren und den Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und erwidert ergänzend: Als niederländische Vordienstzeiten könnten allenfalls drei Jahre der Studienzeiten und von der förderlichen hauptberuflichen Tätigkeit an der Universität U. fünf Jahre vollständig und weitere fünf Jahre zur Hälfte nach Ermessen berücksichtigungsfähig sein, nicht aber die Wehrdienstzeit. Eine Anrechnung der Vordienstzeiten an der Universität U... gemäß § 10 Abs. 1 BeamtVG scheide aus, weil lediglich Zeiten im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn, nicht aber Zeiten im Dienste ausländischer Arbeitgeber erfasst würden. Seine Entscheidung über die Nichtberücksichtigung dieser "Kann-Zeiten" sei ermessensfehlerfrei. Die Runderlasse des Nds. MF vom 29. Oktober 2001 und 22. Februar 2006 seien nicht zu beanstanden. Sie seien Folge der europarechtlichen Bestimmungen, die eine Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG zur Verhinderung einer Überversorgung nicht mehr zuließen. Durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. EG Nr. L 209 S. 1) seien die "Sonderversorgungssysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen" mit Wirkung vom 25. Oktober 1998 in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, mit der Folge einbezogen worden, dass die Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht mehr angewandt werden dürfe. Daher sei geboten, das Ermessen für die Anrechnung von Kann-Zeiten so auszulegen, dass im Sinne der Verhinderung einer Überversorgung Zeiten von Tätigkeiten im europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr zusätzlich als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen seien. Die streitigen Vordienstzeiten würden gemäß der Bescheinigung des niederländischen Versicherungsträgers dort erfasst und könnten nach § 11 Nr. 2, 12 Abs. 1, 2, 4 und 67 Abs. 2 Satz 3 und 4 BeamtVG hier nicht mehr als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Die neue Verwaltungspraxis sei aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung geboten und liege im Interesse der Allgemeinheit. Die Entscheidung des VG Göttingen betreffe einen anderen Fall, da dem Kläger hier kein "Vorab"-Bescheid über die Anerkennung bestimmter ruhegehaltfähiger Dienstzeiten erteilt worden sei. Die neue Verwaltungspraxis verstoße weder gegen das Recht auf Freizügigkeit noch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine vom Kläger behauptete gänzliche Nichtberücksichtigung liege nicht vor, da für den streitigen Zeitraum eine Rente gezahlt werde und lediglich Kann-Zeiten unberücksichtigt blieben.

12

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes. Der Wortlaut des § 14 a Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG stehe dem engen Verständnis, dass nur Rente der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung gemeint seien, nicht entgegen. Die Entstehungsgeschichte bestätige diese Auslegung, da sich die Vorschrift allein am deutschen Rentenrecht und der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung orientiere (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 14 a Erläuterung 11 a Nr. 3.3).

13

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.

15

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass ihm der Beklagte ab dem 1. Oktober 2004 Versorgungsbezüge nach einem vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz gemäß § 14 a des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - gewährt (2.). Der dem entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die Versagung der Berücksichtigung weiterer Vordienstzeiten in den Niederlanden als ruhegehaltfähige Dienstzeit bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge in dem Bescheid des Beklagten vom 22. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Insoweit kann er weder die Berücksichtigung bestimmter Vordienstzeiten in den Niederlanden als ruhegehaltfähige Dienstzeit noch eine erneute Bescheidung seines Begehrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verlangen (1.).

16

1. Rechtsgrundlage für die Berechnung der Ruhegehaltsbezüge des Klägers ist § 4 Abs. 3 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) in der zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl. I S. 322, ber. S 847 und 2033), geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3926). Da das Beamtenverhältnis, aus dem der Kläger (vorzeitig) in den Ruhestand getreten ist, bereits am 31. Dezember 1991 bestanden hat, erhält er gemäß § 85 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 BeamtVG Ruhegehalt nach der sogenannten Mischberechnung nach § 85 Abs. 1 BeamtVG. Das Klagebegehren ist gemäß § 85 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtVG entsprechend der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechtslage für die Anrechnung der Vordienstzeiten in den Niederlanden nach § 67 Abs. 2 bzw. §§ 10, 11 und 12 BeamtVG i. d. F. vom 12. Februar 1987 (BGBl. I S. 570, 1339) zu beurteilen.

17

Nach § 4 Abs. 3 BeamtVG wird das Ruhegehalt auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet. Die ruhegehaltfähige Dienstzeit ist regelmäßig nur die im Beamtenverhältnis verbrachte Dienstzeit; grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Versorgung entsprechend der Dauer des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG). Unter Durchbrechung dieses Grundsatzes sehen §§ 10 und 11 BeamtVG - und speziell für Professoren an Hochschulen auch § 67 BeamtVG - vor, auch Zeiten zu berücksichtigen, die außerhalb eines Beamtenverhältnisses zurückgelegt worden sind. Die Anrechnung solcher Vordienstzeiten hat Ausnahmecharakter. Ihre Berücksichtigung ist sachlich gerechtfertigt, weil sie ein besonders qualifiziertes Verhältnis zum später erreichten Beamtenstatus aufweisen. Während dieser Zeiten haben die Beamten entweder Erfahrungen und Kenntnisse erworben, die förderlich für die Ausübung ihres Amtes waren, oder ihre Tätigkeit außerhalb des Beamtenstatus war derjenigen vergleichbar, die sie später als Beamte ausgeübt haben. Durch die Anrechnung soll dem Beamten annähernd diejenige Versorgung ermöglicht werden, die er erhalten hätte, wenn er sich während der Zeit, in der er die für die Wahrnehmung seines späteren Amtes erforderliche Qualifikation erworben hat, bereits im Beamtenverhältnis befunden hätte. Hierdurch werden unbillige Benachteiligungen gegenüber sogenannten "Nur"-Beamten ausgeglichen (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 2 C 38.03 - ZBR 2005, 164 = IÖD 205, 178).

18

Hiervon ausgehend liegen zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung weiterer Vordienstzeiten in den Niederlanden als ruhegehaltfähige Dienstzeit nach Ermessen vor, allerdings nur hinsichtlich Teilen der Studienzeiten und Teilen der förderlichen hauptberuflichen Tätigkeit an der Universität U. (abzüglich der bereits berücksichtigten Promotionszeiten), nicht aber hinsichtlich der Wehrdienstzeit.

19

Soweit der Kläger die weitere Berücksichtung seiner Studienzeit in den Niederlanden begehrt (Studium der Niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft vom 1. September 1970 bis 31. August 1974), kommt eine Anrechnung nach § 12 Abs. 1 und 2 BeamtVG in der hier maßgeblichen alten Fassung (vgl. oben) in Frage. Danach kann die nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung (Fachschul-, Hochschul- und praktische Ausbildung, Vorbereitungsdienst, übliche Prüfungszeit) als ruhgehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wobei die die Regelstudienzeit einschließlich der Prüfungszeit übersteigende Dauer unberücksichtigt bleibt. Dementsprechend könnten maximal vier Jahre Studium in Ansatz gebracht werden, zumal nach Angaben des Beklagten nach altem Recht für bestimmte deutsche Studiengänge Regelstudienzeiten einschließlich Prüfungszeit von bis zu 4 Jahren angesetzt wurden. Soweit in der Mischberechnung nach § 85 Abs. 1 BeamtVG auf die derzeit geltende Fassung des § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG abzustellen ist, ergibt sich hingegen eine höchstens zu berücksichtigende Studienzeit von 3 Jahren.

20

Soweit der Kläger die (weitere) Berücksichtigung seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Beamter bzw. Mitarbeiter an der Universität U. (1. September 1974 bis 31. August 1989 abzüglich der bereits berücksichtigten Promotionszeit vom 18. Juni 1984 bis 17. Juni 1986) begehrt, kommt eine Anrechnung nach der Spezialvorschrift § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG in der hier maßgeblichen alten Fassung (entspricht § 67 Abs. 2 Satz 4 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 a.a.O., allerdings ohne die dort vorgesehenen zeitlichen Einschränkungen) in Frage. Danach soll die nach erfolgreichem Abschluss eines Hochschulstudiums vor der Ernennung zum Professor, Hochschuldozenten, Oberassistenten, Oberingenieur, Wissenschaftlichen oder Künstlerischen Assistenten liegende Zeit einer hauptberuflichen Tätigkeit, in der besondere Fachkenntnisse erworben wurden, die für die Wahrnehmung des Amtes förderlich sind, im Falle des - hier nicht einschlägigen - § 44 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b des Hochschulrahmengesetzes - HRG - als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden; im Übrigen kann sie als ruhgehaltfähig berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Bestätigung des Dekans der C. Universität O. vom 27. März 2006 (Bl. 70 d. GA) sind die inhaltlichen Voraussetzungen für einen nach Ermessen anerkennenswerte förderliche Tätigkeit gegeben und werden auch vom Beklagten nicht angezweifelt. Soweit in der Mischberechnung nach § 85 Abs. 1 BeamtVG auf § 67 Abs. 2 Satz 4 1. und 2. Alternative BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 abzustellen ist, sind die zeitlichen Begrenzungen einer Berücksichtigung (5 Jahre voll und 5 Jahre zu Hälfte, nicht mehr als 10 Jahre insgesamt) zu beachten.

21

Die vorstehend genannten Tätigkeiten finden außerdem nach der daneben anwendbaren allgemeinen Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG in der maßgeblichen alten Fassung (entspricht § 11 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 a.a.O.) Berücksichtigung, weil der Kläger seinerzeit hauptberuflich im ausländischen öffentlichen Dienst (vgl. Bescheinigungen der Universität U... in der Beiakte B, S. 79 ff.) stand. Hingegen scheidet eine Anrechnung dieser Vordienstzeiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der maßgeblichen alten Fassung aus, weil "Zeiten im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn" lediglich bei Ableistung "im Reichsgebiet" berücksichtungsfähig sind, nicht aber auch solche im Ausland. Im Übrigen ist die für ausländische Beamte geltende Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG ohnehin spezieller.

22

Für eine Berücksichtigung der Wehrdienstzeit (13. November 1968 - 5. Dezember 1969) findet sich hingegen keine Rechtsgrundlage. Die für die Berücksichtigung nicht berufsmäßigen Wehrdienstes allein maßgebliche Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG in der hier maßgeblichen alten Fassung (entspricht im Wesentlichen § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. März 1999) bezieht sich - wie sich aus der Systematik zu § 8 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. für den berufsmäßigen Wehrdienst erschließt - allein auf einen nicht berufsmäßigen Wehrdienst (oder vergleichbaren Dienst), der in der Bundeswehr, in der früheren Wehrmacht, im Zivilschutzcorp, im früheren Reichsarbeitsdienst oder im Vollzugsdienst der Polizei geleistet wurde. Eine Berücksichtigung ausländischer Wehrdienstzeiten ist nicht vorgesehen und auch nicht geboten.

23

Die Nichtberücksichtigung der nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich in Frage kommenden ausländischen Vordienstzeiten im Rahmen der Ermessensausübung in dem angefochtenen Bescheid vom 22. April 2004 in der Gestalt dies Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2005 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Jedenfalls im Hinblick auf die nach Auffassung der Kammer gebotene erweiternde Auslegung des § 14 a BeamtVG (vgl. unter 2.) lässt sich ein nach § 114 Satz 1 VwGO bedeutsamer Ermessensfehler nicht feststellen. Wenn die gravierenden Versorgungsnachteile, die der Kläger infolge vorzeitiger Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit und mangelnder Kompensation durch eine niederländische Arbeitsunfähigkeitsrente oder gesetzliche Rente vor Erreichung der Altersgrenze erleidet, durch eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes entsprechend § 14 a BeamtVG ausgeglichen werden, verbleiben keine weiteren Versorgungsnachteile, die eine Erhöhung des Ruhegehalts im Wege der Berücksichtung niederländischer Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nach Ermessen gebieten könnten. Die strikten Vorgaben zu einer entsprechenden Ermessensausübung des Niedersächsischen Finanzministeriums - Nds. MF - geben daher jedenfalls in diesem Fall keinen Anlass zu Beanstandungen. Ebenso wenig ergeben sich Ermessensbindungen aus früheren Auskünften des Beklagten oder seines Rechtsvorgängers zum (voraussichtlichen) Versorgungsniveau des Klägers.

24

Das Ermessen des Beklagten ist insbesondere nicht bereits durch frühere Vorabentscheidungen nach § 49 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 und § 67 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG zu Gunsten des Klägers gebunden (vgl. zu dieser Fallkonstellation VG Göttingen, Urteil vom 22. September 2005 - 3 A 20/03 - juris, sowie Nr. 2.8 Abs. 2 des Runderlasses des Nds. MF vom 22. Juni 2006 - Nds. MBl. S. 220). Denn derartige bindende Vorabentscheidungen über die (voraussichtliche) Berücksichtigung der begehrten ausländischen Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit sind dem Kläger nicht erteilt worden. Ohne Zweifel genügt die vom Deutschen Hochschulverband - DHV - unter dem 3. November 1994 erfolgte Aufstellung (Bl. 37 d. BA A) nicht den Anforderungen, zumal sie nicht dem Beklagten oder seinem Rechtsvorgänger zugerechnet werden kann. Auch die "Vorabauskünfte zu Versorgungsanwartschaften" des Nds. Landesverwaltungsamtes vom 24. Januar 1994 (Bl. 39 d. BA A) genügt nicht den Anforderungen an eine verbindliche Vorabentscheidung (vgl. auch VG Lüneburg, Urteil vom 25. Februar 2004 - 1 A 24/03 -). Dort finden sich allgemein gehaltene Auskünfte zur Berechnung der Versorgungsbezüge, ohne dass verbindliche und konkrete Anrechnungen von Vordienstzeiten in den Niederlanden bescheinigt werden. Folglich handelt es sich auch aus Sicht des Empfängerhorizontes und damit der des Klägers lediglich um eine unverbindliche Auskunft über die seinerzeit bestehende Rechtslage und nicht um eine belastbare Zusicherung im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG oder gar eine bindende Vorabentscheidung nach den eingangs genannten Vorschriften des BeamtVG.

25

Die Ermessensentscheidung, die begehrten Vordienstzeiten in den Niederlanden nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen, beruht auf der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung geltenden Vorgabe in Nr. 2.8 des Erlasses des Nds. MF vom 29. Oktober 2001 (Nds. MBl. S. 942), die auf den Rundschreiben des Bundesinnenministeriums - BMI - vom 21. Dezember 2000 (GMBl. 2001, S. 193) und 23. Juli 2001 (GMBl. S. 708) beruht. Danach sind bei der (Neu-)Festsetzung von Versorgungsbezügen ab sofort ausländische (mitgliedstaatliche) Beschäftigungszeiten und sonstige Zeiten zur Verhinderung einer Überversorgung nicht (mehr) als ruhehaltfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen, wenn ihre Berücksichtigung im Ermessen liegt (z.B. § 11 Nr. 2, § 12 Abs. 1, 2 und 4, § 67 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG) und für sie im Ausland (Mitgliedstaat) eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf Alterssicherung besteht. Diese zwar nicht das Gericht, aber den Beklagten grundsätzlich bindende Vorgabe führt zu einer gänzlichen Nichtberücksichtung entsprechender Vordienstzeiten im Ausland, für die eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf Alterssicherung besteht. Da die streitigen Vordienstzeiten nach der Bescheinigung des niederländischen Versicherungsträgers dort erfasst werden (Bl. 80 d. BA A), zwingt die ermessensbindende Vorgabe hier den Beklagten zur Nichtberücksichtigung der begehrten Zeiten. Hintergrund dieser Vorgabe ist, dass durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. EG Nr. L 209 S 1) die "Sonderversorgungssysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen" mit Wirkung vom 25. Oktober 1998 in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, (Wanderarbeitnehmerverordnung) mit der Folge einbezogen worden sind, dass die zur Vermeidung einer Überalimentation zuvor angewandte Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht mehr angewandt werden darf (vgl. hierzu VG Aachen vom 19. Oktober 2006 - 1 K 3089/03 - juris; VG München, Urteil vom 14. Februar 2006 - M 12 K 043749 - juris; differenzierende Auffassung zum Ausschluss der Ruhensvorschrift: Nds. OVG, Beschluss vom 9. Januar 2001 - 2 L 4192/00 - juris; Hellfeier; DÖD 2005, 31).

26

Der Auffassung, diese ermessensbindenden Vorgaben seien wegen Verstoßes gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 39 EG, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und die Vorgaben des BeamtVG und hierzu ergangener Verwaltungsvorschriften rechtswidrig mit der Folge, dass eine hierauf gründende Ermessensentscheidung zu beanstanden sei (so: VG Göttingen, Urteil vom 22. September 2005 - 3 A 20/03 - juris; Hellfeier, a.a.O.), folgt die Kammer in dieser Allgemeinheit nicht. Problematisch könnte insoweit allenfalls ein Ausnahmefall sein, in dem sich der Beklagte durch die Bindung an den Erlass daran gehindert sieht, gravierende Versorgungsnachteile eines Beamten mit ausländischen (mitgliedstaatlichen) Vordienstzeiten im Vergleich zu einem ausschließlich innerstaatlich tätigen Beamten durch die Berücksichtigung von "Kann-Zeiten" abzufedern und damit eine unbillige Härte auszugleichen. Ein solcher Härtefall liegt hier aber nicht vor.

27

In diesem Zusammenhang bedeutsame gravierende Versorgungsnachteile können sich in zweierlei Hinsicht ergeben. Zum Einen können sie - wie hier - Folge einer vorzeitigen Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit geraume Zeit vor Erreichen der Altergrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) sein. Dann sind lediglich wenige Dienstjahre im Innland bei der Berechnung der Versorgungsbezüge zu berücksichtigen und es entstehen Ausfälle wegen der Wartezeiten bis zur Gewährung einer ausländischen gesetzlichen Rente bei Erreichen der Altersgrenze. Derartige Nachteile sind nach Auffassung der Kammer allerdings durch erweiternde Auslegung der Spezialvorschrift des § 14 a BeamtVG über die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auszugleichen (vgl. unten 2.). Denn es handelt sich um die vom Gesetzgeber geschaffene spezielle Regelung für vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzte Beamte mit Anwartschaften eines anderen Alterssicherungssystems. Sie gibt den Betroffenen einen Anspruch und der Versorgungsbehörde einen klaren Berechnungsmaßstab. Demgegenüber gestaltet sich ein Ausgleich der Versorgungsnachteile über die Berücksichtigung von "Kann-Zeiten" als ruhegehaltfähige Dienstzeit schwieriger und birgt die Gefahr einer Überkompensation, zumal die einmal anerkannten (zusätzlichen) ruhegehaltfähigen Dienstzeiten auch über den Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze und des Einsetzens ausländischer Renten- oder Versorgungszahlungen hinaus gelten könnten, ohne dass eine Anrechnung über die Ruhensvorschrift des § 55 Abs. 8 BeamtVG erfolgen könnte. Führt die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes entsprechend § 14 a BeamtVG zu einer deutlichen Kompensation von Versorgungsnachteilen bei vorzeitiger Zurruhsetzung wegen Dienstunfähigkeit, ergibt sich insoweit kein Anlass die getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten auf Grundlage des ermessensbindenden Erlasses zu beanstanden. Dies gilt hier um so mehr, als sich die vollständige Nichtberücksichtigung ausländischer Vordienstzeiten für die Berechnung der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes eher vorteilhaft auswirkt (vgl. Berechnungen des Beklagten im Schriftsatz vom 1. März 2007 (Bl. 56 der GA)).

28

Zum Anderen könnten sich gravierende Versorgungsnachteile infolge der geringen Höhe einer nach Erreichen der Altersgrenze gewährten ausländischen (mitgliedstaatlichen) Rente bzw. Versorgung ergeben, falls diese zusammen mit der inländischen Versorgung lediglich ein Niveau erreicht, dass im Vergleich zu derjenigen Versorgung eines rein inländisch tätigen Beamten gleicher Laufbahn deutlich geringer ausfällt, und die Differenz nicht durch einen sachlichen Grund (etwa überwiegende Dienstzeiten in Mitgliedstaaten mit von vornherein deutlich niedrigeren Versorgungsniveau) gerechtfertigt würde. Demgegenüber reicht für die Annahme eines Ermessensfehlers (Ermessensausfalls0) nicht bereits der Hinweis darauf aus, dass sich im Einzelfall gar keine Überalimentation des in mehreren Mitgliedstaaten tätig gewesenen Beamten ergibt. Anhaltspunkte für gravierende Versorgungsnachteile nach Erreichen der Altersgrenze im Hinblick auf die dann gegebene Aufstockung seiner Versorgungsbezüge durch Leistungen der gesetzlichen niederländischen Rentenversicherung sind weder vom Kläger dargetan noch sonst ersichtlich. Derartige Versorgungsnachteile sind auch eher fernliegend, zumal der niederländische Versicherungsträger gemäß seiner Bescheinigung vom 18. Januar 2005 (Bl. 80 d. BA A) Versicherungszeiten von 26 Jahren, 7 Monaten und 29 Tagen (13. August 1963 bis 11. April 1990) bescheinigt und jegliche Anhaltspunkte dafür fehlen, dass niederländische Rentenleistungen trotz der langen Versicherungszeiten bei Versicherten, die auf Dauer aus dem Versicherungssystem wegen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschieden sind, nur sehr niedrig ausfallen. Demgemäss sah die Kammer auch keine Veranlassung, die konkrete Höhe der niederländischen Rentenleistungen bei Erreichen der Altersgrenze zu ermitteln oder ermitteln zu lassen. Strukturell bedingte Unterschiede im Versorgungsniveau des Klägers zu dem eines Hochschulprofessors mit ausschließlich innerstaatlichen Tätigkeiten gebieten hingegen nicht ein Abweichen von den Ermessenvorgaben des Nds. MF. Die darin vorgegebene Nichtberücksichtigung ausländischer Vordienstzeiten, die im dortigen Versorgungssystem angerechnet werden, dient nicht nur der Verwaltungspraktikabilität, weil sie aufwändige Vergleichsberechnungen vermeidet. Sie verhindert jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung grundsätzlich eine Überversorgung des Beamten führt und im Interesse der Allgemeinheit zu einem sparsamen und wirtschaftlichen Einsatz öffentlicher Mittel der Beamtenversorgung.

29

Die sich im Einzelfall ergebenden gravierenden Härtefälle können durch ein dann mögliches Abweichen von der vorgezeichneten Ermessenspraxis angemessen gelöst werden, ohne dass es geboten wäre, die Ermessensvorgaben generell zu beanstanden. Ein derartiger Fall liegt hier indessen ersichtlich nicht vor.

30

2. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des Beklagten Anspruch darauf, dass sein Ruhegehalt vom Beginn des Antragsmonats Oktober 2004 an nach einem um 24,08 v.H. auf 65,83 v.H. erhöhten Ruhegehaltssatz bemessen wird.

31

Gemäß § 14 a BeamtVG in der zum Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand am 1. Juni 2004 maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl. I S. 322), insoweit geändert durch Art. 1 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3926), erhöht sich unter den in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nach Abs. 4 von Beginn des Antragsmonats an gemäß Abs. 2 der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz um 0,95667 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge für je 12 Kalendermonate der anrechnungsfähigen Pflichtversicherungszeiten. Streitig ist insoweit zwischen den Beteiligten allein die Frage, ob unter den in § 14 a Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG genannten Begriff "Rente der gesetzlichen Rentenversicherung" auch eine Rente der gesetzlichen niederländischen Rentenversicherung fällt. Dies ist entgegen der Auffassung des Beklagten und der von ihm zitierten Literaturstelle (Stegmüller/Schmalhöfer/Bauer, § 14 a BeamtVG, Erläuterung 11 a Nr. 3.3; vgl. auch Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer § 14 a BeamtVG, Rn. 15, der auf SGB VI abstellt) zu bejahen.

32

Der Wortlaut der genannten Vorschrift steht dieser erweiternden Auslegung nicht entgegen. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass die Entstehungsgeschichte des mit Wirkung vom 1. Januar 1986 durch das 4. Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2466) eingefügte Vorschrift dafür spricht, dass in erster Linie ein Ausgleich für vorangegangene Einschränkungen im Recht der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung geschaffen werde sollte (BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 - 2 C 25.99 - BVerwGE 111, 93 m.w.N.). Eine Erweiterung ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die Freizügigkeit aus Art. 39 EG und der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebieten aber eine Einbeziehung vergleichbarer Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen von Staaten des europäischen Wirtschaftsraums, also auch der Niederlanden.

33

Nach Sinn und Zweck des § 14 a BeamtVG sind solche Zeiten zu berücksichtigen, für die auf einer Versicherungspflicht beruhende Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden sind, ohne dass zeitgleich zu der beamtenrechtlichen Versorgung auch eine Leistungspflicht des Trägers der Rentenversicherung entstanden ist. § 14 a BeamtVG greift über das System der Beamtenversorgung hinaus und gleicht versorgungsrechtlich diejenigen Nachteile aus, die wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus der Rentenversicherung und aus der Beamtenversorgung für die Zeit eintreten können, während der einerseits ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht und andererseits die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen entsprechend den erworbenen Anwartschaften noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden können. Demnach soll § 14 a BeamtVG Nachteile ausgleichen, die durch einen "Statuswechsel" und den dadurch bedingten Wechsel des Systems der Alterssicherung eintreten. Die "Versorgungslücke", die sich aus dem vorübergehenden Ausschluss des Beamten von einer gesetzlichen Rente bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand ergibt, wird dadurch geschlossen, dass für jeweils 12 Kalendermonate einer Pflichtversicherung der Ruhegehaltssatz vorübergehend - in der Regel bis zum Bezug der Altersrente - erhöht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 a.a.O.). Diese Zielsetzung erfasst grundsätzlich auch Beamte in gleicher Weise, die - wie der Kläger - Beiträge in eine ausländische gesetzliche Rentenversicherung entrichtet und die in § 14 a Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG vorgeschriebene Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt haben, aber ihre Ansprüche noch nicht realisieren können - sei es, weil sie die vorgeschriebene Altersgrenze noch nicht erreicht haben oder sonstige Voraussetzungen (hier die fortbestehende Beschäftigung beim Arbeitgeber, der die früheren Arbeitsunfähigkeitversicherungsbeiträge abgeführt hat) nicht erfüllen. Insofern ist kein Grund ersichtlich, vorzeitig dienstunfähige Beamte mit gegenwärtig (noch) nicht realisierbaren Rentenansprüchen gegenüber Trägern der gesetzlichen ausländischen Rentenversicherung von der Begünstigung des § 14 a BeamtVG auszuschließen. Vielmehr erscheint ihre Einbeziehung jedenfalls für die Staaten des europäischen Wirtschaftsraums wegen der garantierten Freizügigkeit aus Art. 39 EG geboten.

34

Die Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14 a BeamtVG mag zwar verfassungsrechtlichen nicht im Rahmen der Alimentationspflicht (Art. 33 Abs. 5 GG) gefordert sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 a.a.O., das diesen Maßstab nicht erwägt; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer § 14 a BeamtVG, Rn. 10). Allerdings ist der Gesetzgeber bei (geschaffenen) fakultativen Regelungen verpflichtet, die Anforderungen des grundrechtlichen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG ebenso zu beachten wie die Freizügigkeit aus Art. 39 EG, auf die sich auch der Kläger zu berufen vermag. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1980 - 1 BvL 50, 89 und 240/79 - BVerfGE 55,72; BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 a.a.O.). Einen diesen Anforderungen genügenden Differenzierungsgrund sieht die Kammer nicht und hat auch der Beklagte nicht benannt. Soweit er darauf verweist, dass auch diejenigen vorzeitig dienstunfähigen Beamten Härten hinzunehmen hätten, die die geforderte Wartezeit von 5 Jahren (§ 14 a Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG) nicht erfüllen, bezeichnet er eine sich deutlich unterscheidende andere Vergleichsgruppe, die dem System der gesetzlichen Rentenversicherung erst sehr kurze Zeit zugehört hat. Demgegenüber bestehen bei ausländischen gesetzlichen Rentenversicherungsverhältnissen, bei denen - wie hier - die geforderte Wartezeit in gleicher Weise erfüllt ist, keine gewichtigen Unterschiede.

35

Aus dem Recht auf Freizügigkeit aus Art. 39 EG (früher: Art. 48 EGV) ergibt sich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Gebot, alle Unionsbürger bei der Suche nach einer Beschäftigung und bei ihrer Ausübung gleich zu behandeln, und das Verbot, Arbeitnehmer bei der Wahrnehmung ihres Rechts zu beschränken, sich in einem Mitgliedstaat um eine angebotene Stelle zu bewerben, dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Mitgliedstaates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften einer Beschäftigung nachzugehen und nach deren Beendigung weiter im Aufenthaltsstaat zu verbleiben. Personen, die gegen Entgelt wissenschaftliche, seelsorgerische oder sonstige Leistungen erbringen, sind - ungeachtet ihres Beamtenstatus nach deutschem Recht - Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG (vgl. etwa VG Göttingen, Urteil vom 22. September 2005 - 3 A 20/03 - juris). Eine verbotene Beschränkung kann auch eine Regelung sein, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates daran hindert oder ihn davon abhält, sein Herkunftsland zu verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem freizügigkeitsrechtlich gleichgestellten anderen Staat zu arbeiten (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 2003 - Rechtssache C - 224/01 - Gerhard Köbler ./. Republik Österreich - NVwZ 2004, 79, 82). Die restriktive Auslegung des § 14 a BeamtVG durch den Beklagten führt unter Umständen bei vorzeitig dienstunfähig werdenden Beamten - trotz seiner in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Anwartschaft auf eine gesetzliche Rente - zu (vorübergehenden) gravierenden Versorgungsausfällen, die eine relevante (hinreichend direkte) Behinderung der Freizügigkeit darstellen. Zwingende Gründe des Gemeininteresses, die diese Beeinträchtigung der Freizügigkeit rechtfertigten könnten, sind weder von dem Beklagten benannt worden noch sonst ersichtlich. Folglich ist die erweiternde Auslegung des § 14 a BeamtVG auch geboten, um der garantierten Freizügigkeit keine Hindernisse entgegen zu setzen.

36

Die demnach gebotene Berechnung der Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14 a BeamtVG unter Berücksichtigung aller rentenrechtlichen Zeiten, die nach Vollendung des 17. Lebensjahres liegen und nicht schon als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt sind, ergibt nach den unstreitigen Berechnungen des Beklagten im Schriftsatz vom 1. März 2007 und der Anlage 1 (Bl. 56 f. GA) den um 20,04 erhöhten Ruhegehaltssatz von 65,83 v.H. (und ein erhöhtes Ruhegehalt von zurzeit 3.156,15 Euro statt 2.001,66 Euro).

37

Die Kosten des Verfahrens waren entsprechend dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen mit den verschiedenen Klagebegehren gem. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Kläger zu 2/3 und dem Beklagten zu 1/3 aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.

38

Gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO war die Berufung zuzulassen, weil die Rechtssache in mehrfacher Hinsicht (Rechtmäßigkeit der aufgrund ministerieller Ermessensrichtlinien geforderten Nichtberücksichtigung ausländischer Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit bei der Ruhegehaltsberechnung; erweiternde Auslegung des § 14 a BeamtVG auf ausländische gesetzliche Rentenversicherungen) grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO hat.