Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 20.10.2020, Az.: 6 B 5352/20

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
20.10.2020
Aktenzeichen
6 B 5352/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71825
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Vertreter der Presse hat gegenüber einer Behörde einen presserechtlichen Auskunftsanspruch in Bezug auf die Staatsangehörigkeit(en) des an der Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen Beschuldigten.

Diese begehrte Auskunft dient der Erfüllung der „öffentlichen Aufgabe“ der Presse i.S.d. § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 NPresseG, welche konkret darin besteht, sich in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse publizistisch zu betätigen.

An Berichterstattungen über die Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen, wie beispielsweise dem sogenannten „Ku’damm-Raser-Fall“, besteht ein öffentliches Informationsinteresse. Neben dem generellen öffentlichen Interesse an besagter medialer Berichterstattung besteht darüber hinaus auch ein konkretes Informationsinteresse in Bezug auf die Staatsangehörigkeit(en) der in Rede stehenden Beschuldigten.

Unter Bezugnahme auf verschiedene bisherige mediale Berichterstattungen hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der soziokulturelle Hintergrund im Hinblick auf die Feststellung etwaiger Häufungen in Rede stehender Verhaltensweisen bei bestimmten Tätergruppen von Bedeutung sein kann. Nach diesen Berichterstattungen handele sich bei den Teilnehmern an besagten verbotenen Kraftfahrzeugrennen meist um junge Männer, die häufig einen Migrationshintergrund aufwiesen und hochmotorisierte Fahrzeuge führen.

Dem Auskunftsanspruch steht auch kein Auskunftsverweigerungsrecht der Behörde nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 NPresseG entgegen. Denn das private Interesse des Beschuldigten daran, dass seine Staatsangehörigkeit nicht offengelegt werde, überwiegt nicht gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller sämtliche Staatsangehörigkeiten des beschuldigten fünfundzwanzigjährigen Hannoveraners, der am 20.09.2020 in A-Stadt am Ae...platz an einem illegalen Autorennen beteiligt gewesen sein soll, mitzuteilen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller sämtliche Staatsangehörigkeiten des beschuldigten fünfundzwanzigjährigen Hannoveraners, der am 20.09.2020 in A-Stadt am Ae...platz an einem illegalen Autorennen beteiligt gewesen sein soll, mitzuteilen,

hat Erfolg.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S.d. § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens wäre. Begehrt der Antragsteller, wie hier, die Vorwegnahme der Hauptsache, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und den Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17. Oktober 2017 – OVG 3 S 84.17 und OVG 3 M 105.17 – juris, Rn. 2; sowie vom 28. April 2017 – OVG 3 S 23.17 u.a. – juris, Rn. 1; vgl. ferner Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 13 ff. m.w.N.).

Vorliegend hat der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (I.) und eines Anordnungsgrundes (II.) auf eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Weise glaubhaft gemacht.

I. Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die vorliegend begehrte Auskunftserteilung hat.

Ein solcher Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Niedersächsisches Pressegesetz (NPresseG). Hiernach sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Gem. § 3 NPresseG erfüllt die Presse eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.

Die vorliegend begehrte Auskunft hinsichtlich der Saatsangehörigkeit(en) des in Rede stehenden Beschuldigten dient der Erfüllung besagter „öffentlicher Aufgabe“ der Presse im Sinne des § 3 NPresseG, welche konkret darin besteht, sich in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse publizistisch zu betätigen. Zu berücksichtigen hierbei ist, dass die Bewertung des Informationsanliegens der Presse selbst obliegt. Die Pressefreiheit umfasst sowohl die freie Entscheidung darüber, was berichtenswert erscheint und was nicht, als auch die Freiheit, selbst zu beurteilen, welche Informationen vonnöten sind, um ein bestimmtes Thema zum Zweck einer möglichen Veröffentlichung aufzubereiten (vgl. BVerwG, ZUM 2016, 794 [BVerwG 16.03.2016 - BVerwG 6 C 65.14] Rn. 19; OVG Lüneburg, ZUM-RD 2015, 32 (33 f.)).

Zunächst besteht an Berichterstattungen über die Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen ein öffentliches Informationsinteresse. Exemplarisch wird diesbezüglich nur auf den sogenannten „Ku’damm-Raser-Fall“ beziehungsweise die vom Antragsteller als Anlage „A8“ zu seiner Antragsschrift beigefügten entsprechenden medialen Berichterstattungen Bezug genommen. Aufgrund der in den letzten Jahren stetig steigenden Anzahl solcher verbotener Kraftfahrzeugrennen sah sich zudem der Gesetzgeber veranlasst, durch die zum 13.10.2017 erfolgte Implementierung des neuen § 315d Strafgesetzbuch (StGB) entsprechende Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen (vgl. hierzu Kulhanek, in: BeckOK StGB, 47. Edition vom 01.08.2020, § 315d StGB, Rn. 4 ff.).

Neben dem generellen öffentlichen Interesse an besagter medialer Berichterstattung besteht darüber hinaus auch ein konkretes Informationsinteresse in Bezug auf die Staatsangehörigkeit(en) der in Rede stehenden Beschuldigten. Diesbezüglich hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der soziokulturelle Hintergrund im Hinblick auf die Feststellung etwaiger Häufungen in Rede stehender Verhaltensweisen bei bestimmten Tätergruppen von Bedeutung sein kann. Sofern die Antragsgegnerin diesbezüglich vorträgt, es gebe keine polizeiliche Erfahrung, dass es sich bei den Teilnehmern an illegalen Autorennen häufig um Menschen mit Migrationshintergrund handele, das Phänomen sei keinem besonderen Kulturkreis zuzurechnen, ist dem nicht zu folgen. Zur Glaubhaftmachung dieses Umstandes hat der Antragsteller – als Anlage „A11“ – mehrere Berichterstattungen vorgelegt, nach denen es sich bei den Teilnehmern an besagten verbotenen Kraftfahrzeugrennen meist um junge Männer, die häufig einen Migrationshintergrund aufwiesen und hochmotorisierte Fahrzeuge führen, handele. In Bezug auf die Frage, ob sich in A-Stadt ebenfalls eine entsprechende „Raser-Szene“ etabliere, besteht ein schutzwürdiges öffentliches Informationsinteresse, welches vorliegend einen entsprechenden Auskunftsanspruch des Antragstellers rechtfertigt.

Dem Auskunftsanspruch steht auch kein Auskunftsverweigerungsrecht der Antragsgegnerin entgegen. Ein solches Recht ergibt sich nicht aus dem, vorliegend einzig in Betracht kommenden, § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 NPresseG. Hiernach können Auskünfte verweigert werden, soweit sie ein schutzwürdiges privates Interesse verletzen würden.

Die Schutzwürdigkeit wird im Wege einer „umfassenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegenstehenden privaten Interessen“ ermittelt (vgl. OVG Lüneburg, ZUM-RD 2015, 32 (34); Löffler/Burkhardt LPG, § 4 Rn. 121 m.w.N). Hierbei werden das publizistische Interesse der Presse und das private Vertraulichkeitsinteresse je für sich und im Verhältnis zueinander bewertet (Fiedler, in: BeckOK InfoMedienR, 29. Edition vom 01.08.2020, § 4 NPresseG, Rn. 34).

Zwar stellt die (Offenbarung der) Staatsangehörigkeit, welche dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unterfällt, ein grundsätzlich schutzwürdiges privates Interesse des in Rede stehenden Beschuldigten dar. Vorliegend überwiegt jedoch das öffentliche Informationsinteresse das private Interesse des Beschuldigten. Denn nicht nur hinsichtlich der Berichterstattung über verbotene Straßenrennen als solcher, sondern insbesondere auch in Bezug auf den soziokulturellen Hintergrund des jeweils in Rede stehenden Beschuldigten besteht, wie bereits ausgeführt, ein besonderes öffentliches Informationsinteresse.

Der begehrten Auskunft steht auch nicht Ziff. 12.2 des „Pressekodex“ entgegen. Hiernach ist in der Berichterstattung über Straftaten darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Besagte Regelung vermag vorliegend ebenfalls keine Auskunftsverweigerung der Antragsgegnerin zu rechtfertigen, da der „Pressekodex“ kein Auskunftsverweigerungsrecht einer Behörde statuiert, sondern es sich bei ihm vielmehr um eine rechtlich nicht bindende freiwillige Selbstverpflichtung handelt, welcher der Antragsteller als Vertreter der Presse unterliegt. Wie zuvor konstatiert, obliegt die Bewertung des Informationsanliegens allein der Presse selbst. Der Pressekodex vermag insofern einzig die persönliche Abwägungsentscheidung des Pressevertreters in Bezug auf den konkreten Inhalt seiner beabsichtigten Berichterstattung zu beeinflussen.

II. Neben einem Anordnungsanspruch kann sich der Antragsteller zudem auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes in einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Weise berufen. Die erforderliche Eilbedürftigkeit ergibt sich hier aus dem Umstand, dass der Antragsteller ein schutzwürdiges, legitimes Interesse an einer möglichst zeitnahen Berichterstattung hat, an welcher, wie bereits ausgeführt, ein gesteigertes öffentliches Informationsinteresse besteht. Die ausnahmsweise zulässige Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt sich vorliegend daraus, dass effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG einzig in dieser Weise zu erlangen ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Höhe des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei hier eine Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des für ein Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts in Höhe von 5.000,00 EUR unterbleiben musste, da der Erlass der begehrten Anordnung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache faktisch vorwegnimmt, vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).