Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.10.2020, Az.: 5 A 11015/17
Abschiebungsverbote; humanitäre Lage; Sudan; Überschwemmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 29.10.2020
- Aktenzeichen
- 5 A 11015/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71618
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 5 AufenthG
Tenor:
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte – unter Aufhebung ihres Bescheides vom F. 2017 hinsichtlich der Ziffern 4. bis 6. des Tenors – verpflichtet, in Bezug auf den Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich der Republik Sudan festzustellen.
Die Beklagte trägt 1/3 und der Kläger 2/3 der Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Entscheidung ist – soweit streitig entschieden wurde – wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages durch die Beklagte.
Der Kläger stellte am 25. August 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 21. Juli 2017 vor dem Bundesamt habe er laut der diesbezüglichen Protokolle angegeben, im Jahr 1993 im Sudan (Darfur) geboren und sudaneischer Staatsbürger zu sein. Er gehöre zum Stamm der Zaghawa und sei Moslem. Ab Oktober 2003 habe er in G. bei sei seinem Onkel gelebt. Im Dorf seines Onkels habe es keine Schule gegeben; es sei aber über einen Zeitraum von acht Jahren jemand gekommen, der die Kinder – darunter den Kläger – etwas gelehrt habe. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Eines Tages seien fünf Personen zum Kläger gekommen, von denen eine einen Militäranzug getragen habe. Sie hätten ihn gefragt, ob er der Sohn des H. sei, was er bejaht habe. Sie hätten weiter gefragt, wo sein Vater sei. Er habe geantwortet, dass er dies nicht wisse. Weiterhin hätten sie ihn nach seinem Bruder Ahmed gefragt. Auch diesbezüglich habe der Kläger bekundet, es nicht zu wissen. Abschließend hätten sie ihm gesagt, er solle seinem Onkel nicht erzählen, dass sie da gewesen seien. Als sein Onkel gekommen sei, habe er dennoch alles erzählt. Dieser habe ihm gesagt, er solle das nächste Mal keine Antwort geben, wenn sie kämen und nicht mit ihnen reden solle. Beim nächsten Mal – im Januar 2006 – seien sie mit zwei Autos gekommen und hätten Masken über dem Kopf getragen. Die Frau seines Onkels und einige kleine Kinder hätten dort gesessen und sie hätten ersterer gesagt, sie suchten nach dem H.. Sie habe gesagt, dass sie auch nicht wisse, wo dieser sei; nur sein Sohn (der Kläger) sei da. Sie hätten dann den Kläger mitgenommen und ihn zum Auto geschleppt. Er habe die Augen verbunden bekommen und nach einer Stunde Autofahrt habe man ihn aus dem Auto gelassen, seine Hände „angekettet“ und ihn an eine andere Person übergeben. Diese habe ihn in ein Gefängnis gebracht. Dort habe es einen Offizier mit dem Namen D. gegeben. Diesem hätten sie berichtet, dass sie einen aus „Tora Bora“ gebracht hätten; so würde man die Zaghawa bezeichnen. Dann hätten sie ihm – dem Kläger – die Ketten abgenommen und ihm gesagt, er solle sich hinsetzen. Man werde ihn entlassen, wenn er die Wahrheit erzähle. Dann habe man ihm gesagt, dass sein Vater für die Opposition arbeite, worauf der Kläger gefragt habe: „Welche Opposition?“. Er habe noch gesagt, dass er sich nicht auskenne. Ihm sei geantwortet worden, es gehe um die Oppositionsleute aus dem Darfur; die meisten Zaghawa seien Oppositionelle. Er habe dann gesagt, dass er seinen Vater seit 2003 nicht mehr gesehen habe, woraufhin ihm entgegnet worden sei, dass er nicht die Wahrheit sage. Dann habe ein Offizier gerufen, dass er seinen Spaß mit ihm haben wolle und ihn zu den anderen Hunden schicken sollte. Seine Hände seien ihm auf den Rücken gebunden und er sei dann in ein kleines Zimmer verbracht worden. Man habe ihm dann vorgeworfen, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, woraufhin er entgegnet habe, dass er die Wahrheit gesagt habe. Er sei daraufhin mit einem Schlauch geschlagen worden, bis das Blut gekommen sei. Der Offizier habe ihn dann mitgenommen und in einen Gefängnisraum geworfen, wo bereits viele andere Leute gewesen seien. Letztere hätten ihn gefragt, wo er herkomme und zu welchem Stamm er gehöre. Auf seine Antwort hin, habe man ihm gesagt, dass er im Gefängnis „vernichtet“ werden würde. Er sei insgesamt ein Jahr und drei Tage dort in Haft gewesen. Die letzten drei Monate davon habe er nicht viel gegessen. Er habe eine Entzündung gehabt und nicht gut essen und schlafen können. Während seiner Haftzeit seien drei Leute verstorben. Am 3. Januar 2007 sei ein Offizier in die Zelle gekommen und habe gefragt, wer hier „unschuldig sei“. Die anderen Gefangenen hätten dann gemeint, es sei der Junge und auf den Kläger gedeutet. Der Offizier habe ihn dann gefragt, wer ihn ins Gefängnis gebracht habe, woraufhin er geantwortet habe, es seien irgendwelche Leute gewesen. Daraufhin sei er aus der Zelle genommen worden und der Offizier habe ihm gesagt, dass er – der Kläger – krank sei und er ihn nicht im Gefängnis sterben lassen würde. Er habe ihm gesagt, dass sie ihn entlassen, aber „wieder kriegen würden“. Dann habe ihn der Offizier zum Haupttor begleitet und ihn hinausgelassen. Er sei anschließend dorthin zurückgegangen, wo er zuvor gewohnt habe, aber er habe dort niemanden gefunden, weder seinen Onkel noch dessen Frau oder deren Kinder. Ein Nachbar habe ihm erzählt, dass sie einfach weggegangen seien und schon lange nicht mehr dort. Er – der Kläger – sei dann auf den Markt gegangen, wo es Jugendliche gegeben habe. Diese hätten ihm Arbeit angeboten. Er habe dann dort vier Monate lang gearbeitet. Nach vier Monaten habe er seinen Vater in I. wiedergesehen. Dieser habe ihm berichtet, dass er lange nach ihm gesucht, ihn aber nicht gefunden habe. Sein Vater habe in J., in der Nähe von K., gewohnt. Er sei dann mit ihm dorthin gegangen, wo er auch seine Mutter getroffen habe. Dies sei im Januar 2008 gewesen. Nachts seien bewaffnete Pferdereiter gekommen. Sie hätten seinen Vater gefragt, ob „er es gewesen sei“, was dieser verneint habe. Sie hätten ihn – den Kläger – dort sitzen sehen und dann die Wohnung durchsucht. Dort hätten sie einen Militärausweis seines Vaters gefunden. Sie hätten dann seinen Vater gefragt, warum er nicht gleich zugegeben habe, wer er sei und warum er gelogen habe. Daraufhin hätten sie gesagt, dass an diesem Tag „die Uhr der ganzen Familie enden würde“ und dann seinen Vater umgebracht. Er – der Kläger – habe flüchten können und auch seine Mutter habe man nicht erwischt. Dann sei die Polizei gekommen und habe gesagt, dass sein Vater ein Oppositioneller gewesen sei. Sie seien noch drei Monate im selben Haus geblieben und hätten von der Landwirtschaft gelebt. Im September 2008 sei seine Schwester von drei Männern vergewaltigt worden, die sie gefragt hätten, wer sie seien. Es sei ein Mann in Militäruniform zu ihnen nach Hause gekommen, der sie habe mitnehmen wollen. Er – der Kläger – habe nicht mitgehen wollen, da dieser Mann eine Militäruniform getragen habe. Letzterer habe dann seine Schwester mitgenommen. Er selbst sei noch drei Monate bei seiner Mutter geblieben und sei im August 2010 nach L. gegangen. Sie hätten das Vieh verkauft, weshalb er Geld für die Reise nach L. gehabt habe. Nachdem er sich dort einen Monat aufgehalten habe, sei er mit dem Zug nach Khartum gefahren und habe dort von 2010 bis 2013 gelebt. In Khartum habe er mitbekommen, dass sie auch dort nach ihm suchten. Dies habe er daran gemerkt, dass sie ihn immer wieder gefragt hätten, von welchem Stamm er sei und wo er wohne. Die Fragenden seien die Menschen im Basar gewesen; meist habe er Soldaten die Schuhe geputzt. Er habe dort nicht seinen richtigen Namen, sondern den Namen Sadek angegeben und auch nicht gesagt, dass er Zaghawa sei. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass er nicht in Khartum leben und das Land verlassen solle. In seiner Zeit in Khartum habe er im November 2010 an einer Demonstration von Studenten gegen die Regierung teilgenommen. Viele seien dabei festgenommen worden, darunter auch er selbst. Er habe dann gesagt, dass er kein Student sei und nur zufällig vor Ort gewesen sei. Da er Schuhputzer gewesen sei, habe er seine Arbeitsmaterialien bei sich gehabt, weshalb man ihm geglaubt und ihn freigelassen habe. Danach sei nichts mehr passiert. Er habe darüber nachgedacht, was seine Mutter ihm geraten habe und sei deshalb 2013 ausgereist. Es habe letztlich keinen Grund gegeben, warum er erst dann ausgereist sei; er habe zuvor noch nicht die 150 sudanesischen Pfund für die Ausreise beisammengehabt.
Im August 2013 habe er den Sudan gen Libyen verlassen, wo er zwei Jahre gelebt habe. Danach sei er über Italien in die Beklagte eingereist, wo er am 4. August 2015 eingetroffen sei. Im Sudan lebten noch ein Bruder und eine Schwester; eine weitere Schwester und ein weiterer Bruder lebten in Israel. Wo seine Mutter lebte, könne er nicht sagen. Im Falle der Rückkehr in den Sudan bestehe die Möglichkeit, dass er verhaftet werde; vielleicht würde man ihn beschuldigen, ein Oppositioneller zu sein, wie sein Vater oder auch sein Bruder. Er gehe davon aus, dass der Ausweis, den man bei seinem Vater von der JEM gewesen sei. In Khartum habe man ihn nie beschuldigt, weil er dort unter falschem Namen gelebt habe. Gesundheitlich gehe es ihm gut; wenn es kalt werde habe er Bauch- und Rückenschmerzen.
Mit Bescheid vom F. 2017, lehnte das Bundesamt unter Ziffer 1. den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, unter Ziffer 2. den Antrag auf Asylanerkennung und unter Ziffer 3. den Antrag auf subsidiären Schutz ab. Unter Ziffer 4. stellte es fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorlägen und drohte unter Ziffer 5. die Abschiebung in den Sudan an. Schließlich befristete es unter Ziffer 6. das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die von dem Kläger geschilderten Verfolgungshandlungen seien nicht der Auslöser für seine Ausreise aus dem Sudan gewesen, zumal dazwischen eine sehr lange Zeitspanne gelegen habe. Soweit er vorgetragen habe, auch in Khartum gesucht worden zu sein, habe er diesbezüglich keinen erheblichen Vortrag leisten können. Zudem lebten nach seinem Vortrag auch keine Familienmitglieder mehr im Sudan, denen ein oppositionelles Handeln unterstellt würde bzw. werden könne. In Bezug auf seine Herkunft aus dem Darfur, stünde ihm eine inländische Fluchtalternative – beispielsweise in Khartum, wo er auch schon drei Jahre lang gelebt habe – zur Verfügung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
Am 17. November 2017 hat Kläger gegen den o. g. Bescheid Klage erhoben. Er behauptet aufgrund politischer Tätigkeiten seines Vaters und seines Bruders in das Blickfeld der Behörden geraten und dann für den Zeitraum von einem Jahr inhaftiert worden zu sein. Eine Freilassung sei nur aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes erfolgt. In der Haftanstalt sei er vom Sicherheitspersonal vergewaltigt worden, um ihn zu demütigen und zu erniedrigen. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 2007 habe ständig eine erneute Inhaftierung gedroht. Er habe sich beobachtet gefühlt und die Polizei habe ständig bei seiner Mutter vorgesprochen. Er habe nicht zu Hause gelebt, sondern sich bei Freunden versteckt, bei denen er auch jeweils nur kurzweilig geblieben sei, um dann nach einigen Tagen weiterzuziehen. Ständig habe er hinter sich geschaut und immer das Gefühl gehabt, beobachtet und verfolgt zu werden. Als dann Freunde und Nachbarn erklärt hätten, man habe sie nach seinem Verbleib gefragt und diese bedroht, falls sie ihm Unterkunft gewährten, seien diese nicht mehr bereit gewesen, ihm zu helfen. Er habe diese auch nicht in Gefahr bringen können und sich dann immer weiter von seinem Zuhause entfernt. Zudem habe seinen Vater vor seinen Augen getötet. Die örtliche Polizei habe diesen Vorfall aufgenommen und ihm und seiner Familie erklärt, sein Vater sei für die Opposition politisch aktiv gewesen; jetzt, wo er getötet worden sei, hätten er und seine Familie nichts mehr zu befürchten. Dies habe sich aber als Irrtum erwiesen, da die Mörder seines Vaters im September 2008 zurückgekehrt würden und seine Schwester vergewaltigt und einige Zeit später verschleppt hätten. Er selbst habe sich auch oppositionell betätigt. Seine Mutter habe ihn dann gedrängt, das Land zu verlassen, da er in Gefahr sei; diese Menschen würden wiederkommen und er liefe dann Gefahr zwangsrekrutiert und im Falle einer Weigerung getötet zu werden. In Khartum habe er stets falsche Angaben zu seinem Namen und seiner Stammeszugehörigkeit getätigt. Er habe dann aber den Fehler begangen, an einer Demonstration teilzunehmen und verhaftet zu werden. Er sei dann vernommen worden und habe dann darlegen können, nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein. Dies habe er durch das Vorzeigen seiner Schuhputzerausrüstung erreichen können. 2013 sei er dann dem Drängen seiner Mutter nachgekommen und habe auf ihren Wunsch den Sudan verlassen. Ihm sei auch bekannt, dass er auf Fahndungslisten mit Foto abgebildet sei, weshalb ihm keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Er könne im Sudan auf keinen Familienverbund zurückgreifen, zumal er den Aufenthaltsort seiner Mutter unbekannt sei (sie sei bei den Unruhen im Sudan verschwunden) und zwei seiner Geschwister das Land verlassen hätten. Seine beiden anderen Geschwister seien ebenfalls verschollen. Deshalb sei im Falle einer Rückkehr in den Sudan nicht damit zu rechnen, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Er leide unter Angstzuständen und werde sich diesbezüglich um Hilfe bemühen. Zudem nimmt er Bezug auf seinen in der Anhörung vor dem Bundesamt geleisteten Vortrag.
Soweit der Kläger ursprünglich beantragt hat, ihm die Flüchtlingseigenschaft und hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hat er die Klage zurückgenommen und beantragt nunmehr nur noch,
die Beklagte zu verpflichten Abschiebungsverbote bezogen auf seine Person festzustellen und den Bescheid vom F. 2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung (in Bezug auf den aufrechterhaltenen Teil der Klage) auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.
II.
Im Übrigen ist die zulässige Klage, über die der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, begründet.
1.
Soweit die Beklagte in ihrem Bescheid vom F. 2017 festgestellt hat, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist dieser rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn in Bezug auf die Republik Sudan besteht für den Kläger ein Anspruch auf Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S.685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Dies kann unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen für den Kläger nicht festgestellt werden.
In besonderen Ausnahmefällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Abschiebungszielstaat ein Abschiebungsverbot begründen. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 –, Rn. 11 f., juris m. w. N. (ähnlich auch Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 –, Rn. 50f., juris) aus:
„Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; s.a. Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".“
Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch diejenige des Bundesverwaltungsgerichts machen somit deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, wenn die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind (VG Würzburg, Urteil vom 23. Juli 2020 – W 5 K 20.30327 –, Rn. 35, juris). Die Beurteilung, ob eine solche Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegt, hängt von den individuellen Umständen – wie etwa Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, familiären und freundschaftlichen Verbindungen, Vermögensverhältnissen, (Aus-)Bildungsstand und anderen auf dem Arbeitsmarkt nützlichen Eigenschaften des Klägers – ab (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 23. März 2020 – 2 A 357/19 –, Rn. 11, juris; VG Stade, Urteil vom 21. Juli 2020 – 4 A 2524/17 – m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen spricht wegen der aktuellen schweren Überflutungen im Sudan eine ausreichend beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse in Sudan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.
Mit Urteil des Einzelrichters auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2020 (Az. 5 A 2783/17) hat das Verwaltungsgericht Hannover ausgeführt:
„(…) Werden die Überflutungen im Sudan ausgeblendet, gilt zur dortigen Lage das Folgende:
Nach dem aktuellen Lagebericht vom 28. Juni 2020 ist die Versorgungslage des Landes besorgniserregend. Hauptursachen seien die hohe Armut, Vertreibungen aufgrund andauernder Spannungen in Darfur und der Grenzregion zum Südsudan (Süd-/Westkordufan, Blue Nil), chronische Ernährungsunsicherheit aufgrund klimatischer und sozioökonomischer Faktoren sowie die seit Beginn 2018 anhaltende Wirtschaftskrise. 60 Prozent der Bevölkerung seien von extremer Armut betroffen, in Regionen wie Südkordufan oder Darfur teilweise sogar bis zu 90 Prozent. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gebe mindestens 75 Prozent der Einkünfte für die Sicherung der Ernährung aus. 2,4 Millionen Kinder seien von akuter Unterernährung betroffen. Aktuell werde die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen seien, von den UN-Organisationen mit 9,3 Millionen beziffert. Der deutliche Anstieg zum Vorjahr (plus 5,5 Prozent) hänge in erster Linie mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zusammen. Besonders betroffen seien die 1,9 Millionen Binnenvertriebenen und 1,1 Millionen Flüchtlinge (hauptsächlich Südsudanesen und Eritreer, zuletzt zunehmend aber aus der Zentralafrikanischen Republik), die seit Jahren auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Ein Wegfall der Subventionen würde diese Gruppen besonders treffen und ihre prekären Lebensverhältnisse verschärfen. Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie habe sich die Versorgungslage zunehmend verschärft, insbesondere für Tagelöhner, die nun noch schwerer Arbeit finden würden. Im Vergleich zu den Peripherien existiere in der Hauptstadt Khartoum ein recht gutes Warenangebot. Über den zum Leben benötigten Mindestbedarf hinausgehende Güter seien aber auch hier für den Großteil der Bevölkerung kaum erschwinglich. Mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung könne ihren täglichen Kalorienbedarf nicht mehr aus eigener Kraft decken, da ihnen die nötige Kaufkraft fehle. Ein ausreichendes Nahrungsmittelangebot wäre verfügbar, sei für die meisten aber nicht bezahlbar. Besonders betroffen seien die Krisenregionen, wo staatliche Daseinsvorsorge kaum oder gar nicht existiere (Lagebericht, Seiten 8 und 25).
Auch in dem Lagebericht des (UN) Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) vom 6. August 2020 (OCHA Situation Report, Last updated: 6 Aug 2020 (Archive), https://reports.unocha.org/en/country/sudan) wird die Ernährungssituation in Sudan, insbesondere in Nord-Kordufan, als besorgniserregend beschrieben. Mehr als 9,6 Millionen Menschen, fast ein Viertel der gesamten sudanesischen Bevölkerung, benötigten dringend Hilfe, wie sich aus dem jüngsten Bericht der Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET), einem von der US-Agentur für internationale Entwicklung und dem US-Außenministerium betriebenen Hungersnot-Frühwarnsystem (vgl. https://fews.net/) ergebe. Nach der von FEWS NET erstellten „Integrated Phase Classification (IPC)“, wonach die Ernährungssituation eines Landes anhand der fünf Phasen „1: Minimal“, „2: Stressed“, „3: Crisis“, „4: Emergency“ und „5: Famine“ bewertet wird, sind im Sudan 2,2 Millionen Menschen der ICP-Phase 4 (Notstand) und 7,4 Millionen Menschen der Phase 3 (Krise) zugeordnet. Weitere 15,9 Millionen Menschen befänden sich in der ICP-Phase 2 (s. OCHA, a.a.O., Seiten 10, 11; siehe hierzu auch radio dabanga, Bericht vom 5. Juni 2020, https://www.dadngasudan.org/en/all-news/article/staple-food-prices-continue-to-increase-in-sudan).
Wenn demnach die Ernährungssituation in Sudan für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schlecht bzw. schlecht ist, ergibt sich aus den genannten Quellen allerdings auch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung hiervon nicht so stark betroffen ist. Dabei spielen auch regionale Unterschiede und die Zugehörigkeit zur Gruppe der Flüchtlinge aus Südsudan, Eritrea und Zentralafrikanischer Republik und der Binnenvertriebenen eine Rolle. Der Kläger gehört nicht zu diesen Flüchtlingsgruppen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ferner nicht bekundet, dass er sich nicht hätte versorgen können. Wenn er danach auch nicht explizit gefragt worden ist, hätte es zumindest nahegelegen, dass er Angaben aus eigenem Interesse hierzu macht, wenn dies der Fall gewesen wäre. Ein Großteil seiner Familie lebt zudem noch im Sudan. Dass sie besondere Probleme wirtschaftlicher Art hätten, hat der Kläger ebenfalls nicht angesprochen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich seinen Lebensunterhalt – beispielsweise in Khartoum – nicht verdienen könnte. Soweit laut OCHA Lagebericht (a.a.O. Seiten 9, 10) sudanesische Kinder besonders stark von der schlechten Ernährungslage betroffen sind, 1,1 Millionen Kinder würden unter starkem Hunger leiden, ihre in die ICP-Phase 4 einzuordnende Anzahl habe sich seit 2019 verdoppelt, von den insgesamt 9,6 Millionen von großer Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen (ICP 3 und 4) seien die Hälfte Kinder, betrifft dies den Kläger ebenfalls nicht.
Es gab bislang auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die schlechte Versorgungslage in Sudan weiter ungebremst ausbreiten wird. Vielmehr unternimmt die sudanesische Übergangsregierung mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft große Anstrengungen, um die humanitäre Situation in Sudan zu verbessern.
Zum Stand bei den staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung führt das VG Braunschweig unter Berufung auf diverse Veröffentlichungen im Urteil vom 26. Juni 2020 – 3 A 51/20 –, aus:
„Zwar ist die soziale Krise in Sudan, die sich nach der Ankündigung von deutlichen Preiserhöhungen u.a. für Grundnahrungsmittel im Dezember 2018 zu den sog. Hungeraufständen gesteigert und letztlich den Umsturz herbeigeführt hat, nicht beseitigt und nicht zuletzt durch die hohe Inflation eher gesteigert. Die gegenwärtige Regierung steuert ihr aber - unterstützt durch finanzielle Hilfen aus dem Ausland, u.a. auch von der EU (vgl. dazu etwa die Berichte in der Sudan Tribune vom 01.03.2020 https://www.sudantrbune.com/spip.php?article69046 und 23.06.2020 https://www.sudantribune.com/spip.php?article69506) - entgegen; sie hat nicht nur die angekündigten Preiserhöhungen für Nahrungsmittel nicht realisiert, sondern u.a. kostenlose Schulmahlzeiten eingeführt und die Mindestlöhne deutlich erhöht (vgl. dazu etwa den Bericht vom 26.05.2020 https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-this-week-s-news-in-brief-12 ). Außerdem hat sie erklärt, dass sie beabsichtige, die Unterstützung armer Menschen dadurch zu verbessern, dass sie anstelle von subventionierten Waren, die nicht selten ins Ausland verbracht (und die Armen nicht erreichen) würden, Bargeld erhalten und die Subventionen für die Weizen und Kochgas-Subvention beizubehalten sowie lediglich die Brennstoffsubventionen schrittweise zu kürzen (vgl. vgl. dazu den Beitrag in der in Paris herausgegebenen Sudan Tribun vom 13.01.2020, https://www.sudantribune.com/spip.php?article68848, Abfrage vom 15.01.2020; https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/cash-support-project-kicks-off-in-sudan vom 15.06.2020, Abfrage vom 24.06.2020). Die zugesagte direkte finanzielle Unterstützung hat die Regierung einem Presse-Bericht zufolge mittlerweile eingeleitet mit dem Ziel, dass Ende des Jahres 2020 alle bedürftigen Familien davon profitieren werden (vgl. dazu https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/cash-support-project-kicks-off-in-sudan vom 15.06.2020, Abfrage vom 245.06.2020).“
Dass – auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie – im Sudan verstärkte Hilfsmaßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage erfolgen, ergibt sich auch aus dem OCHA-Lagebericht. Danach haben die Vereinten Nationen und die humanitären Partner am 19. Juli 2020 einen Nachtrag zum humanitären Reaktionsplan 2020 veröffentlicht, um auf den wachsenden humanitären Bedarf im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie im Sudan zu reagieren. Der Plan sehe zusätzliche 283 Millionen Dollar vor, um die Regierung bei der Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie und deren Folgen zu unterstützen und mehr als 6,7 Millionen Menschen im ganzen Land lebensrettende Hilfe zu leisten. (OCHA, a.a.O., Seite 8). Darüber hinaus hätten Organisationen der Vereinten Nationen und humanitäre Partner in den letzten neun Monaten 350.000 Menschen in den zuvor unzugänglichen Teilen des Gebiets Jebel Marra in Süd-Darfur Lebenshilfe geleistet (OCHA, a.a.O. Seite 11). Ferner hätten der Zentrale Nothilfefond der Vereinten Nationen (CERF) und der Sudan Humanitarian Fund (SHF) gemeinsam 23,5 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um Hilfsorganisationen im Sudan zu unterstützen und auf den durch Covid-19 im Land verursachten steigenden Bedarf zu reagieren (OCHA, a.a.O. Seiten 12 und 13). Weiter heißt es, das von der Übergangsregierung mit Unterstützung des Welternährungsprogramms initiierte Programm zur Unterstützung von schutzbedürftigen Familien erfasse 600.000 Familien und damit etwa 36 Millionen und fast 80 Prozent der Bevölkerung und stelle fünf US-Dollar pro Person und Monat zur Verfügung. Bei der Sudan Partnerships Conference am 25. Juni 2020 in Berlin hätten die Geber schätzungsweise 582 Millionen Dollar für dieses Programm zugesagt (OCHA, a.a.O., Seite 7). Auch in dem Bericht der European Council on foreign relations aus Juni 2020 mit dem Titel „BAD COMPANY: HOW DARK MONEY THREATENS SUDAN´S TRANSISTION“, Verfasser Jean-Baptiste Gallopin (https://www.ecfr.eu/publications/summary/bad_company_how_dark_money_threatens_sudans_transition) werden die verschiedenen Hilfsmaßnahmen thematisiert, wenn deren Wirkung auch eher kritisch bewertet wird (Seiten 7 ff., insbesondere Seiten 11 und 12 des Berichts).
Der Kläger ist im Sudan aufgewachsen, hat sich dort nach eigenen Angaben bis in das Alter von 18 Jahren aufgehalten. Trotz seiner längeren Abwesenheit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass er mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist und sich in diese bei einer Rückkehr wieder einfinden kann. Außerdem hat er nach seinen Angaben noch Familienangehörige im Sudan, die ihn bei einer Rückkehr unterstützen können. Der Einzelrichter geht auch davon aus, dass der Kläger unter gewöhnlichen Bedingungen in der Lage sein wird, langfristig eine Erwerbstätigkeit zu finden. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig, sodass er im Sudan sein Existenzminimum, einschließlich elementarer Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, aus eigener Kraft oder eventuell mit ergänzender Unterstützung seiner Familie bestreiten kann.
Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa, weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem das wirtschaftliche Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, ist hingegen keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 – 1 C 24/06 –, Rn. 11, juris).
Dass der Kläger nach dem Ende der gegenwärtigen Flutkatastrophe einer zumutbaren Tätigkeit nicht nachgehen könnte, ist nicht erkennbar, wobei die künftige Entwicklung im Sudan selbstverständlich abzuwarten bleibt. Er behauptet das zwar im Rahmen seiner Klagebegründung vom 10. Juli 2017. Beim Bundesamt hat er allerdings mitgeteilt, als Händler auf dem Markt gearbeitet zu haben. Es erschließt sich nicht, weshalb dafür besondere familiäre und ethnische Strukturen notwendig seien. Zu berücksichtigen ist auch, dass für Rückkehrer und rückgeführte Personen die Möglichkeit besteht, durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterstützt zu werden, was die Ausgangslage des Klägers für eine wirtschaftliche Integration verbessern könnte (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Braunschweig vom 13. September 2018, Gz. 508-516.80/05.04.2002 und vom 17. Oktober 2018, Gz. 508-516.80/50266; aktueller Lagebericht, Seite 26).
Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich aufgetretenen Corona-Pandemie ergibt sich nichts Anderes. Die im Internet ohne weiteres verfügbaren (bekannten) Zahlen weisen für den Sudan im Vergleich zu Deutschland jedenfalls keine deutlich stärkere Betroffenheit durch das Virus aus. Nach den auf ihrer einschlägigen Internetseite (https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdahboard/index.html#bda7594740fd40299423467b48e9ecf6, Abfrage am 12. August 2020) veröffentlichten Zahlen der weltweit bekannten und geachteten Johns Hopkins Universtiy (JHU) gab es am 12. August 2020 im Sudan 2.033 Infizierte, 6.282 Genesene und 786 Tote, woraus sich 4.965 aktive Fälle errechnen lassen. Für Deutschland wurden 219.623 Infizierte, 181.389 Genesene und 9.213 Tote angegeben, woraus sich 29.021 aktive Fälle errechnen lassen. Unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von 43 Millionen in Sudan (vgl. dazu https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-population-eceeds-43-million-nearly-on- in-four-in need-of-aid;) ergibt sich demnach keine wesentlich höhere Betroffenheit als in der Bundesrepublik Deutschland mit ca. 80 Millionen Einwohnern. Wie valide die festgestellten Zahlen angesichts nicht einschätzbarer Dunkelziffern sind und wie sich die Verhältnisse in Zukunft entwickeln werden, kann gegenwärtig nicht festgestellt bzw. nicht hinreichend sicher prognostiziert und demnach hier auch nicht berücksichtigt werden.
Da jedenfalls die verfügbaren Zahlen an Infizierten im Sudan im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht exorbitant hoch sind, kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die medizinische Versorgung jedenfalls außerhalb Khartoums allenfalls auf geringem niedrigen Niveau gewährleistet ist (siehe aktueller Lagebericht, Seite 25), viele Kliniken während der Pandemie geschlossen haben und der Sudan nur über 184 Intensivbetten (hiervon 160 mit Beatmungsgeräten) verfügt (OCHA, a.a.O., Seite 69), nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der im Zeitpunkt der Entscheidung offenbar gesunde Kläger im Falle seiner Rückkehr aufgrund des mangelhaften Gesundheitssystems im Sudan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Dies gilt nicht auch zuletzt mit Blick auf die bereits geschilderten Anstrengungen der sudanesischen Übergangsregierung und der internationalen Staatengemeinschaft zur Verbesserung der humanitären Lage im Sudan.
Ein Anspruch auf das Abschiebungsverbot besteht jedoch aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen schweren Fluten im Sudan. Nach dem OCHA-Lagebericht vom 10. September 2020 (Update vom 24. September 2020) handelt es sich bei der Flut um die schwerste im Sudan innerhalb der letzten 30 Jahre. Die Häuser von etwa 830.000 Menschen seien zerstört oder beschädigt worden; über 120 Personen seien gestorben. Besonders betroffen seien die Regionen Nord Darfur, Khartoum, West Darfur und Sennar. Nicht nur Häuser und die Infrastruktur seien zerstört worden, sondern ebenfalls Farmen. Im Staat Khartoum seien in Um Durman 67 Prozent der Farmen überflutet worden, in Karari etwa 60 Prozent und etwa 30 Prozent in Nord Khartoum. Framen in anderen Staaten habe es ähnlich schlimm getroffen. Etwa 10 Millionen Personen bräuchten nun Unterstützung.
Aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. September 2020 (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/sudan-der-kampf-gegen-ueberschwemmungen-16959799.html) ergibt sich zudem, dass mittlerweile sämtliche 18 sudanesischen Bundesstaaten in Mitleidenschaft gezogen seien. Solche Wassermassen habe es zuletzt im Jahr 1988 gegeben. Besonders verheerend sei die Lage an den Ufern des Nils. Die Regenzeit werde voraussichtlich noch bis Oktober anhalten. Noch nie sei am Nil so ein hoher Wasserstand gemessen worden. Die Regierung habe den Notstand ausgerufen. Einem der ärmsten Länder der Welt drohten nun Hungersnöte. Tausende Hektar Ackerland, 360 Lagerhallen und mehr als 12.000 Latrinen seien zerstört worden. 11.000 Nutztiere seien erkrankt oder von den Fluten fortgespült worden. Im Südosten des Staates Blue Nile sei der Bout-Staudamm gebrochen. Er habe 5 Millionen Kubikmeter Wasser gestaut. Allein durch den Dammbruch sei die Trinkwasserversorgung von rund 100.000 Menschen in Gefahr.
Ein Bericht des Tagesspiegels vom 27. September 2020 (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/extreme-ueberschwemmungen-afrikas-sintflut/26223006.html) spricht davon, dass die Überflutungen im Sudan besonders schlimm seien. In der Hauptstadt seien ganze Stadtteile überflutet, zigtausende Häuser zerstört und über 100 Menschen getötet worden. In einem Artikel des greenpeace magazin vom 16. September 2020 (https://www.greenpeace-magazin.de/ticker/von-den-fluten-des-nils-mitgerissen-jahrhundertflut-im-sudan-von-gioia-forster-und-hipa) heißt es, 650.000 Menschen seien einer Jahrhundertflut zum Opfer gefallen. Sintflutartiger Regen habe überall im Wüstenstaat Straßen in Flüsse und Ackerland in Seen verwandelt. Sturzfluten hätten ganze Dörfer vernichtet. Über 111.000 Häuser seien beschädigt oder zerstört worden. Die Menschen müssten nun mit dem allernötigsten versorgt werden und das in einem Land, das ohnehin schon unter einer desaströsen Wirtschaft leide. Grundbedürfnisse könnten teilweise nicht mehr befriedigt werden. Betroffene hätten kein Dach über dem Kopf, kein sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittel oder Sanitäranlagen. Besonders schlimm sei die Hauptstadt betroffen. Viele Bauern hätten ihre Ernte verloren. Schon zwischen Juni und September 2020 seien bereits 9,6 Millionen Menschen – rund ein Fünftel der Bevölkerung – akut vom Hunger betroffen gewesen. Das liege vor allem an der schlechten Wirtschaftslage, sowie an der Dürre, Konflikten und dem Corona-Lockdown. Dies könnte sich durch die Überschwemmungen nun noch verschärfen. Weitere Gefahren drohen. Es werde erwartet, dass sich Krankheiten ausbreiten. Vielerorts könne das Wasser nicht abfließen. Ebenfalls bedrohe bei mangelndem Zugang zu sauberem Trinkwasser ein Ausbruch von Cholera und anderen Durchfallerkrankungen.
Bestätigt werden diese Ausführungen in einem Videobericht des ZDF vom 21. September 2020 (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/videos/ueberschwemmungen-sudan-100.html). Der Weiße Nil und der Blaue Nil würden gigantische Wassermassen ins Land tragen. Die Hauptstadt sei besonders schwer betroffen. Ganze Städte seien weggeschwemmt worden. Ein Kamerateam habe sich von der Hauptstadt 200 Kilometer Richtung Norden begeben und sei dort lediglich auf Wassermassen getroffen. Menschen und Tiere würden sich vor den Überflutungen in Sicherheit bringen. Es mangele an Nahrung und sauberem Trinkwasser. Mangelnde Hygiene habe viele krankgemacht und Hilfe würde nur schleppend ankommen. Die Lebensgrundlage von 100.000 Menschen sei zerstört und es drohe Hunger. Betroffen seien weite Teile des Sudans. Die Regenzeit dauere noch bis Ende Oktober.
Unter diesen Umständen ist es dem Kläger derzeit nicht zumutbar, in den Sudan zurückzukehren. Es kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass er sich – auch durch Arbeit – während der Überschwemmungen eine Lebensgrundlage schaffen und sich mit den notwendigsten Grundbedürfnissen ausstatten kann.
Den Beteiligten waren die zu den Überflutungen genutzten Erkenntnismittel bislang nicht bekannt. Für den Kläger haben sie jedoch zu einer günstigen Entscheidung geführt und die Beklagte hat im Rahmen ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf die Übersendung von Erkenntnismittellisten verzichtet. Daher konnten diese Quellen vom Einzelrichter genutzt werden, auch wenn die Beteiligten hierzu bislang nicht Stellung nehmen konnten. (…)“
Diesen Ausführungen schließt sich der Einzelrichter an.
Die Frage, ob darüber hinaus noch (psychische) Erkrankungen bestehen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führten, kann insoweit dahinstehen.
2.
Da sich die Feststellung unter Ziffer 4. des Tenors des angegriffenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, als rechtswidrig erweist (s.o.), sind auch die darauf beruhenden Ziffern 5. und 6. rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist, aus § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.