Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.02.2020, Az.: 7 B 3604/19

Beißkorbzwang; Gefahrenabwehr; Leinenzwang; Vorläufiger Rechtsschutz; Zuständigkeit der Gemeinde bei laufender Prüfung der Gefährlichkeit eines Hundes

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
10.02.2020
Aktenzeichen
7 B 3604/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72111
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Gemeinde bleibt auch im Falle eines laufenden Gefährlichkeitsfeststellungsverfahrens bei der Fachbehörde für die Abwehr allgemein von der Hundehaltung ausgehender Gefahren sachlich zuständig.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Das nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 21. Dezember 2019 gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2019, durch welchen ihm befristet bis zum Abschluss des Verfahrens zur Prüfung der Gefährlichkeit seines Hundes (Ziffer 7) und unter Androhung von Zwangsgeld (Ziffer 6) aufgegeben wird, den von ihm gehaltenen Hund außerhalb des Grundstücks an einer festen, höchstens 2 Meter langen Leine (Ziffer 1) und mit einem Beißkorb (Ziffer 2) zu führen, ihn nur zuverlässigen und geeigneten Personen zu überlassen (Ziffer 3) sowie sicherzustellen, dass der Hund das Grundstück, auf dem er gehalten wird, nicht ohne fremde Hilfe verlassen kann (Ziffer 4), wiederherzustellen bzw. anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Hinsichtlich der Ziffern 1 bis 4 des Bescheides vom 3. Dezember 2019 ist ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft, da die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung in Ziffer 5 angeordnet hat. Dagegen ist der vorläufige Rechtsschutzantrag gegen die Androhung des Zwangsgeldes in Ziffer 6 auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO gerichtet, da diese Maßnahme gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.

Die im Bescheid vom 3. Dezember 2019 ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 4 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin begründet die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf Seite 2 des Bescheides in knapper, aber hinreichender Weise mit dem besonderen Interesse an einer umgehenden Verhinderung von Schäden an der Gesundheit von Menschen und Tieren, die nicht gewährleistet wäre, wenn sich die Umsetzung der Anordnung durch ein eventuell eingeleitetes Rechtsbehelfsverfahren verzögern würde.

In materieller Hinsicht ist für den Erfolg eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidend, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich zu berücksichtigen. Bei einem offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse vorliegend das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über seine Klage die Verfügung vom 3. Dezember 2019 nicht befolgen zu müssen, da sich der Bescheid der Antragsgegnerin aller Wahrscheinlichkeit nach als rechtmäßig erweisen wird.

Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen.

Die Antragsgegnerin war für den Erlass der angefochtenen Verfügung sachlich zuständig. Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 NHundG sind die Gemeinden zum Erlass von Verfügungen sachlich zuständig, mit denen – wie hier – allgemein den von der Hundehaltung ausgehenden Gefahren entgegengewirkt werden soll. Hierbei handelt es sich um solche Gefahren, die nicht bereits speziell im Fachgesetz, also insbesondere in den für „gefährliche Hunde“ geltenden Vorschriften der §§ 7 bis 14 NHundG geregelt sind. Gefahrenabwehrmaßnahmen wie u.a. die Anordnung eines Leinen- und Beißkorbzwangs, die wie im vorliegenden Fall während der laufenden Prüfung der Gefährlichkeit eines Hundes ergriffen werden, sind nicht solche nach §§ 7 bis 14 NHundG und obliegen daher der Gemeinde nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NHundG und nicht dem Landkreis als Fachbehörde nach § 17 Abs. 1 Satz 2 NHundG (VG Oldenburg, Beschl. v. 7. Dezember 2018 – 7 B 4138/18 – V.n.b.; VG Oldenburg, Beschl. v. 15. Dezember 2014 – 7 A 3040/14 – V.n.b.; a.A. VG Hannover, Beschl. v. 3. September 2019 – 10 B 3307/19 – juris, Rn. 24 m.w.N.; VG Braunschweig, Beschl. v. 19. April 2016 – 5 B 48/16 – juris, Rn. 24 m.w.N.).

Die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung scheitert vorliegend auch nicht daran, dass die Antragsgegnerin von einer vorherigen Anhörung des Antragstellers abgesehen hat. Das Vorliegen von Gefahr im Verzug gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ist im vorliegenden Fall zu bejahen und allenfalls deshalb zweifelhaft, da die im Bescheid vom 3. Dezember 2019 getroffenen Anordnungen die beabsichtigte Wirkung wohl auch nach einer – gegebenenfalls kurz bemessenen – Anhörungsfrist zugunsten des Antragstellers entfaltet hätten. Zu den hier maßgeblichen zwei Beißvorfällen, auf die die Kammer hier abstellt (s.u.), hatte sich aber der Antragteller bereits früher ausführlich geäußert, so dass es darauf hier nicht ankommt, vgl. Verwaltungsvorgang bis Blatt 50. Daneben kann die Antragsgegnerin die Anhörung jedenfalls gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. §§ 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens außergerichtlich (BVerwG, Beschluss vom 18. April 2017 – 9 B 54.16 – juris, RN 4) nachholen. Unter dem Begriff des „verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ ist dabei das Hauptsacheverfahren zu verstehen. Der Abschluss eines Eilverfahrens führt somit nicht zur Beendigung der Heilungsmöglichkeit. Eine ordnungsgemäße, ihre Funktion erfüllende Anhörung kann (außergerichtlich, siehe zuvor) mit heilender Wirkung bis zum Abschluss des gegenwärtig noch anhängigen Hauptsacheverfahrens nachgeholt werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 24. Mai 2019 – 11 ME 189/19 – juris, Rn. 4 m.w.N.; vgl. Urteil der Kammer vom 14. Januar 2011 – 7 A 1212/09 -).

Auch in materieller Hinsicht begegnet der Bescheid keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Rechtliche Grundlage für die in dem Bescheid vom 3. Dezember 2019 unter den Ziffern 1 bis 4 getroffenen Anordnungen ist § 17 Abs. 4 NHundG. Hiernach kann die zuständige Behörde die zur Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Gemeinde kann Hundehalterinnen und Hundehaltern nach § 17 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 NHundG insbesondere aufgeben, den Hund außerhalb ausbruchsicherer Grundstücke anzuleinen oder mit einem Beißkorb zu versehen, wenn sie wiederholt oder gröblich gegen Vorschriften des NHundG verstoßen haben.

Vorliegend hat der Antragsteller wiederholt und auch in grober Weise gegen die Vorschrift des § 2 NHundG verstoßen. Nach dieser Vorschrift sind Hunde so zu halten und zu führen, dass von ihnen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Für den Gefahrenbegriff und die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist dabei auf das (nunmehr geltende) Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) zurückzugreifen (vgl. LT-Drs. 16/3277, S. 15). Eine Gefahr ist hiernach gemäß § 2 Nr. 1 NPOG eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen sowie die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger (Saipa in PdK, § 1 NSOG Rn. 5 m.w.N.; vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Juni 2018 – 11 LC 147/17 – juris, Rn. 36).

Die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts verlangt nach einer Gefahrenprognose auf Grundlage einer ex-ante-Betrachtung, an die umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je höherrangig das betroffene Rechtsgut und je größer der ihm drohende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. Juli 2002 – 6 CN 8/01 – juris, Rn. 41 m.w.N.). Eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit setzt dabei nicht zwingend voraus, dass vor dem Erlass entsprechender Anordnungen bereits (Beiß-)Zwischenfälle stattgefunden haben (VGH München, Urt. v. 21. Dezember 2011 – 10 B 10.2806 – juris, Rn. 18 m.w.N.). Ist es jedoch zu einem Beißvorfall gekommen, bei dem ein Hund eine Person oder einen anderen Hund angegriffen hat, so hat sich die von jedem Hund ausgehende abstrakte Gefahr bereits realisiert (VG Oldenburg, Beschl. v. 7. Dezember 2018 – 7 B 4138/18 – V.n.b.).

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin im Ergebnis nicht zu beanstanden. Von der Hundehaltung des Antragstellers ging sowohl im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens als auch noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin biss der Hund des Antragstellers einem zwölfjährigen Jungen am 11. Mai 2019 in den linken Oberschenkel. Auch einer Radfahrerin, die am 28. Juni 2019 die Gartenstraße befuhr, eilte der Hund des Antragstellers hinterher und biss ihr ebenfalls in den linken Oberschenkel. Beide Vorfälle sind durch ausführliche schriftliche Darstellungen der Geschädigten (BA 1, Bl. 23 f., 27 f., 34 f.), ärztliche Behandlungsberichte (BA 1, Bl. 25, 36) und Lichtbilder (BA 1, Bl. 29-32, 45 f.) in nachvollziehbarer Weise belegt. Die Annahme einer sich aus diesen beiden Vorfällen ableitenden konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit wird dabei auch nicht durch die – gerade bei einem Blick auf die Verletzungsbilder den Eindruck der Verharmlosung erweckenden – Ausführungen des Antragstellers entkräftet, wonach der zwölfjährige Junge gestürzt sei und sein Hund ihn dabei mit dem Oberkiefer am Oberschenkel „getroffen“ habe (BA 1, Bl. 39) bzw. dass die Radfahrerin durch seinen Hund in das Bein „gezwickt“ worden sei (BA 1, Bl. 41, trotz Nennung eines anderen Datums (eine Woche später) ist offensichtlich dieser Vorfall gemeint).

Die beiden Vorfälle vom 11. Mai 2019 und vom 28. Juni 2019 gaben hinreichenden Anlass, um die angegriffenen Gefahrenvorsorgemaßnahmen zu treffen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es insbesondere am 28. Juni 2019 unstreitig (vgl. BA 1, Bl. 41) zum Biss eines Menschen durch den Hund des Antragstellers gekommen ist. Eine besondere Ausnahme liegt dabei nur dann vor, wenn dem Beißvorfall ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten zu Grunde liegt (VG Oldenburg, Beschl. v. 7. Dezember 2018 – 7 B 4138/18 – V.n.b.). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich; nach den eigenen Angaben des Antragstellers (BA 1, Bl. 41) war es vielmehr so, dass sein Hund aus dem Auto sprang, das Grundstück verließ und sich aktiv auf die Radfahrerin im öffentlichen Straßenverkehr zubewegte.

Der auf die beiden Bisse gestützten Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit steht im Übrigen nicht die Tatsache entgegen, dass diese Vorfälle sich bereits im Mai 2019 bzw. Juni 2019 und somit etwa sieben bzw. fünf Monate vor dem Erlass des angegriffenen Bescheides ereigneten. Ungeachtet der Tatsache, dass im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 3. Dezember 2019 ein noch immer hinreichender zeitlicher Zusammenhang zu den Beißvorfällen im Mai bzw. Juni 2019 bestand, kann von einem Wegfall der konkreten Gefahr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn über den bloßen Zeitablauf hinaus Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem Hund bzw. seiner Haltung inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht (VGH München, Urt. v. 26. November 2014 – 10 B 14.1235 – juris, Rn. 27). Dies ist hier nicht der Fall. Ganz im Gegenteil deutet der Umstand, dass die Antragsgegnerin zuletzt zwei weitere Mitteilungen über den wiederholten Biss eines anderen Hundes am 29. Oktober 2019 und am 2. Dezember 2019 durch das Tier des Antragstellers erhielt, darauf hin, dass von diesem auch weiterhin eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen und Tieren ausgeht.

Als unschädlich stellt sich dabei dar, dass die Antragsgegnerin die Anordnungen in ihrem Bescheid vom 3. Dezember 2019 ausschließlich mit den ihr gegenüber zuletzt mitgeteilten Bissen eines anderen Hundes am 29. Oktober 2019 und am 2. Dezember 2019 begründete. An diese Begründung ist das Gericht nicht gebunden; stattdessen ist die Gefahrenprognose der Verwaltungsbehörde der vollständigen gerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 25. Juni 2015 – 11 LB 34/14 – juris, Rn. 33 f.). Hierbei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, sodass vorliegend nicht ausschließlich die der Antragsgegnerin mitgeteilten Beißvorfälle gegenüber einem anderen Hund am 29. Oktober 2019 und am 2. Dezember 2019, sondern auch jene Bisse gegenüber Menschen am 11. Mai 2019 und am 28. Juni 2019 in die Betrachtung einzustellen sind.

Der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 3. Dezember 2019 getroffenen Anordnungen steht im Übrigen auch nicht der Umstand entgegen, dass eine Einstufung des Hundes des Antragstellers als gefährlicher Hund im Sinne des § 7 NHundG vom zuständigen Landkreis Leer im August 2019 und somit noch zeitlich nach den beiden Beißvorfällen gegenüber Menschen abgelehnt worden ist (BA 1, Bl. 48-51). Unabhängig davon, dass für eine Ablehnung der Gefährlichkeit des Hundes im Sinne des § 7 NHundG im konkreten Fall aufgrund der in engem zeitlichen Abstand erfolgten Bisse zweier Personen nach Überzeugung der Kammer kein Raum war (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 18. Januar 2012 – 11 ME 423/11 – juris, Rn. 7), ist das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht schlechthin dadurch ausgeschlossen, dass einem Hund von der Fachbehörde keine solche „Gefährlichkeit“ im Sinne des NHundG attestiert wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13. August 2009 – 11 ME 287/09 – juris, Rn. 5).

Die Anordnungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 3. Dezember 2019 sind schließlich auch nicht ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO. Hiernach ist das Gericht darauf beschränkt, die Ermessensentscheidung daraufhin zu überprüfen, ob die Anordnungen deshalb rechtswidrig sind, weil die Antragsgegnerin die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Vorliegend sind derartige Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat das ihr obliegende Ermessen gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 40 VwVfG erkannt und in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Die im Bescheid vom 3. Dezember 2019 getroffenen Anordnungen verstoßen insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das unter Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides verfügte Gebot, den Hund außerhalb des Grundstücks an einer festen, höchstens zwei Meter langen Leine zu führen, stellt sich als geeignetes, erforderliches und auch angemessenes Mittel dar, um der von dem Hund des Antragstellers ausgehenden Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen und anderen Tieren zu begegnen. Insbesondere die Vorfälle am 11. Mai 2019 (BA 1, Bl. 23 f., 27 f., 38 f.), am 28. Juni 2019 (BA 1, Bl. 34 f., 40 f.) und am 2. Dezember 2019 (BA 1, Bl. 61; GA, Bl. 44) lassen erkennen, dass sein Hund dazu neigt, in bestimmten Situationen auf andere Hunde oder Menschen zuzurennen und andere Hunde in „Auseinandersetzungen“ zu verwickeln, ohne dass der Antragsteller dies stets und rechtzeitig verhindern kann. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Hund um einen zwei Jahre alten Berner Sennenhund (BA 1, Bl. 48) und somit um ein recht kräftiges Tier handelt, kann ein solch ungestümes „Zurennen“ bei Menschen und auch anderen Tieren das Gefühl der Bedrohung hervorrufen. Dem gesteigerten Kontroll- und Einwirkungsbedarf, welcher in den genannten Vorfällen zum Ausdruck kommt, kann durch die Anordnung eines Leinenzwangs außerhalb des eigenen Grundstücks in angemessener Weise begegnet werden.
Auch die Anordnung, dass die Hundeleine eine Länge von zwei Metern nicht überschreiten darf, stellt sich als verhältnismäßig dar. Ein ungestümer Hund kann durch eine kurze Leine schneller und mit weniger Kraftaufwand gehalten werden. Es besteht darüber hinaus ein geringerer Bewegungsspielraum des Hundes, sodass dieser etwa nicht unbeherrscht auf die Straße laufen oder andere Menschen im öffentlichen Raum anspringen kann. Gründe dafür, dass im vorliegenden Fall auch eine Leine mit einer Länge von über zwei Metern dem Ziel der Gefahrenabwehr Genüge tun würde, wurden von Seiten des Antragstellers nicht vorgetragen.
Die gleichzeitige Anordnung eines Beißkorbzwangs in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides ist vorliegend ebenfalls verhältnismäßig. Ein Beißkorbzwang zusätzlich zu einem Leinenzwang, also eine Kombination beider Mittel, verstößt nicht von vornherein gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. VGH München, Beschl. v. 5. Februar 2014 – 10 ZB 13.1645 – juris, Rn. 4 m.w.N.). Er kann verfügt werden, wenn er im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar ist, weil etwa eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (vgl. VGH München, Beschl. v. 17. April 2013 – 10 ZB 12.2706 – juris, Rn. 5). Ersteres ist hier der Fall. Der Hund des Antragstellers fügte einem zwölfjährigen Jungen am 11. Mai 2019 in bewohntem Gebiet eine Bisswunde im linken Oberschenkel zu, obwohl das Tier zu diesem Zeitpunkt angeleint war. Die angelegte Leine war somit schon in der Vergangenheit nicht ausreichend, um der von dem Hund des Antragstellers ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit in hinlänglicher Weise zu begegnen.
Zuletzt wurde die Antragsgegnerin über einen weiteren Vorfall am 29. Oktober 2019 informiert, bei dem der Hund des Antragstellers einen anderen Hund trotz angelegter Leine gebissen haben soll (BA 1, Bl. 60). Ob diese Mitteilung tatsächlich zutreffend ist, kann die Kammer aufgrund der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung der Antragsgegnerin gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (es fehlen – trotz ausreichender Zeit – die hierfür erforderlichen Nachweise etwa durch eine schriftliche Erklärung des Geschädigten, Lichtbilder, tierärztliche Bescheinigungen) und der dieser Mitteilung entgegenstehenden eidesstattlichen Versicherung der Tochter des Antragstellers (GA, Bl. 43), die den Hund ausgeführt hat und keinen Biss gesehen haben will, nicht aufklären.
Hierauf kommt es jedoch auch nicht entscheidend an, da jedenfalls der Biss durch den angeleinten Hund am 11. Mai 2019 feststeht und dieser einmalige Biss eines Menschen bereits einen zusätzlich angeordneten Beißkorbzwang rechtfertigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29. Januar 2019 – 11 ME 14/19 – V.n.b.).
Auch die Verhältnismäßigkeit der in Ziffer 3 des Bescheides getroffenen Anordnung, den Hund nur zuverlässigen und geeigneten Personen zu überlassen, die auch körperlich in der Lage sind, das Tier zu halten bzw. zu führen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie ergänzt den gleichzeitig verfügten Leinenzwang vor dem Hintergrund des bereits dargelegten, gesteigerten Kontroll- und Einwirkungsbedarfs dahingehend, dass hierdurch sichergestellt wird, dass der wesentliche Zweck des Leinenzwangs – nämlich die sichere Beherrschung des Tieres im öffentlichen Raum – nicht durch die fehlende Kraft oder Eignung des jeweiligen Tierführers vereitelt wird. Die Erforderlichkeit einer entsprechenden Anordnung folgt dabei aus dem Umstand, dass der Antragsteller seinen Hund offensichtlich nicht ausnahmslos selbst ausführt, sondern diese Aufgabe auch Dritten – insbesondere seiner Tochter – überträgt (vgl. GA, Bl. 43).
Die in Ziffer 4 des Bescheides getroffene Anordnung, sicherzustellen, dass der Hund das Grundstück, auf dem er gehalten wird, nicht ohne fremde Hilfe verlassen kann (z.B. durch eine ausbruchsichere Umzäunung, durch eine Anbinde- oder Zwingerhaltung oder durch Einschließen im Haus), gibt ebenfalls keinen Grund zu Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung ist geeignet, einem unbemerkten bzw. unkontrollierten Verlassen des Grundstücks vorzubeugen. Sie ist auch erforderlich, da der Hund bereits in der Vergangenheit wiederholt das Grundstück in selbstständiger Weise verlassen hat. So rannte er am 28. Juni 2019 einer am Grundstück des Antragstellers vorbeifahrenden Radfahrerin hinterher und biss ihr in den linken Oberschenkel. Auch am 2. Dezember 2019 verließ der Hund des Antragstellers – wie dieser selbst ausführt (GA, Bl. 44) – dessen Grundstück, da er auf der anderen Seite der Hecke einen anderen Hund witterte. Bemühungen, das Tier von einem Verlassen des Grundstücks durch dessen „Zurückrufen“ zu verhindern, scheiterten. Da insofern auch zukünftig zu befürchten steht, dass der Hund das Grundstück selbstständig verlässt und es in diesem Zusammenhang zu einer (weiteren) Gefährdung von Menschen und Tieren kommt, verlangt es nach entsprechenden Vorkehrungen, um dies zu verhindern. Ein milderes Mittel ist dabei nicht ersichtlich, da die Antragsgegnerin insbesondere keine konkrete Maßnahme angeordnet hat und es stattdessen dem Antragsteller überlässt, selbst darüber zu entscheiden, wie er einen Ausbruch seines Hundes in den öffentlichen Raum verhindert. Die Anordnung ist zuletzt auch angemessen, da der Schutz des vor allem durch die beiden Beißvorfälle am 11. Mai 2019 und am 28. Juni 2019 nachweislich gefährdeten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit der sich in der Nähe des Hundes aufhaltenden Personen gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Eingriff in die Allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers gemäß Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigt.
Abschließend ist in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Ziffern 1 bis 4 des Bescheides ergänzend anzuführen, dass es sich hierbei ausweislich der in Ziffer 7 ausgesprochenen Befristung um vorläufige Anordnungen handelt, die dem Antragsteller nur bis zum Abschluss des Verfahrens über die Gefährlichkeitsfeststellung durch die Fachbehörde die Umsetzung der darin angeführten Sicherungsmaßnahmen auferlegt. Auch aufgrund dieser zeitlich begrenzten Rechtswirkung ist eine unzumutbare Beeinträchtigung des Antragstellers durch die in Ziffer 1 bis 4 getroffenen Anordnungen nicht zu erkennen.
Die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 6 des Bescheides enthaltenen Zwangsgeldandrohungen folgt aus § 70 Abs. 1 NVwVG i.V.m. §§ 64 Abs. 1 Alt. 2, 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 67, 70 NPOG. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar, insbesondere ist die Höhe der angedrohten Zwangsgelder angemessen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Ziffer 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11). Hiernach ist bei Streitigkeiten über Anordnungen gegenüber Tierhaltern ein Streitwert in Höhe von 5.000,00 € anzusetzen. Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren (2.500,00 €).