Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 09.10.2023, Az.: 10 B 1377/23
Ausweisung; Meldeverpflichtung; Meldeverpflichtung nach inlandsbezogener Ausweisung; Zur Ermessensausübung von gesteigerten Meldeverpflichtungen
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 09.10.2023
- Aktenzeichen
- 10 B 1377/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 37851
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2023:1009.10B1377.23.00
Rechtsgrundlagen
- AufenthG § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
Tenor:
- 1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1. des Bescheids des Antragsgegners vom 04.08.2023 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
- 2.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Stadt, wird abgelehnt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; dem Antragsgegner entstandene Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1.
Die Kammer legt den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der zeitgleich erhobenen Anfechtungsklage als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aus. Der so verstandene Antrag kann zulässigerweise nur auf Ziffer 1. der Verfügung vom 04.08.2023 gerichtet sein und hat Erfolg.
Die Anordnung ist formell rechtmäßig, jedoch wegen eines Ermessensfehlers materiell rechtswidrig.
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG liegen vor (zur Entstehungsgeschichte der Norm vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9/12 -, BVerwGE 147, 261-278, Rn. 29).
Gegen den Antragsteller ist die inlandsbezogene (vgl. hierzu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 116, juris) Ausweisung ausgesprochen worden (vgl. auch G.). Hierdurch ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG iVm. §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 53 ff., 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG; vgl. hierzu auch den Beschluss der Kammer vom 29.01.2021 - H. -). Die Ausreisepflicht besteht hier aufgrund anderer als der in § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen. Die gegen den Antragsteller ergangene Verurteilung durch das AG A-Stadt, Urteil vom 28.02.2018 - I. - begründet ein Ausweisungsinteresse, das dem heutigen § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entspricht.
Das Entschließungsermessen wurde fehlerfrei ausgeübt, das Auswahlermessen jedoch nicht. Das Nds. OVG hat hierzu im Beschluss vom 12. Juni 2018 - 8 ME 36/18 - ausgeführt (Rn. 21, juris):
"Grundsätzlich sieht § 56 Abs. 1 AufenthG vor, dass die Meldung mindestens einmal wöchentlich zu geschehen hat, und ermächtigt die Ausländerbehörde zur anderweitigen Bestimmung. Auch im Falle terroristischer und extremistischer Machenschaften geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Überwachungszweck des § 56 Abs. 1 AufenthG regelmäßig erreicht werden kann, wenn der Meldepflicht im Wochenabstand nachgekommen wird (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.8.2017 - 13 ME 173/17 - InfAuslR 2017, 441, juris Rn. 11). Sieht die Behörde eine größere Häufigkeit als erforderlich an, hat sie die Gründe dafür im Rahmen der Ermessensausübung zu benennen. Daraus muss sich ergeben, warum die zeitlich engmaschigere Feststellung des Aufenthaltsortes als geboten angesehen wird. Kein taugliches Argument ist dabei, dass die Meldepflicht um so effektiver ist, je häufiger ihr nachgekommen werden muss; die häufigere Meldung ist stets ein besser geeignetes Mittel als die seltenere. Denn das ist in allen Fällen so. Denkbar ist demgegenüber beispielsweise, dass bei Terroristen eine erhöhte Bedrohungslage die Notwendigkeit häufigerer Meldungen in einem bestimmten Zeitraum nach sich zieht."
Diese Erwägungen macht sich die Kammer zu eigen. Relevante Ermessensgründe für die - im Verhältnis zur gesetzlichen Grundannahme gesteigerten - Anordnung eines zweimaligen Meldeintervalls pro Woche enthält der angefochtene Bescheid nicht. Auch ein möglicher wiederholter Verstoß gegen die bereits bestehende Aufenthaltsbeschränkung (Bescheid vom 20.10.2020, Gerichtsbescheid der Kammer vom 20.05.2021 - J. -) rechtfertigt die Maßnahme nicht. Zwar handelt es sich insoweit um eine Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, die getroffene Maßnahme ist jedoch zur Abwehr weiterer Straftaten nicht geeignet (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16. August 2017 - 13 ME 173/17 -, Rn. 10, juris). Es ist nicht erkennbar, auf welche Weise der Erlass strengerer Meldevorschriften dazu beitragen sollte, dem Verstoß gegen bereits bestehende räumliche Beschränkungen entgegenzuwirken. Zudem ist für die Kammer nicht erkennbar, auf welche Weise die Meldepflicht der Begehung der bislang beim Antragsteller beobachteten Straftaten entgegenwirken könnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16. August 2017 - 13 ME 173/17 -, Rn. 11, juris).
Abweichende Festlegungen iSd. § 56 Abs. 2 a.E. AufenthG kann der Antragsteller nicht im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erreichen (vgl. BeckOK AuslR/Fleuß, 38. Ed. 1.7.2023, AufenthG § 56 Rn. 40).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.
2.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Stadt, hat keinen Erfolg. Er war nach § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO iVm § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO abzulehnen, da die mit richterlicher Verfügung vom 24.08.2023 angeforderte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nicht vorgelegt wurde. Die bloße Übersendung des Asylbewerberleistungsbescheids vom 14.02.2023 für die Monate Februar und März 2023 ist insoweit nicht ausreichend, zumal der Antragsteller immer wieder vorgebracht hat, (verschiedene) Arbeitstätigkeiten aufgenommen zu haben oder dies zu beabsichtigen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 3 Abs. 2 GKG; 118 Abs. 1 S. 4 ZPO, 166 Abs. 1 S. 1 VwGO.