Landgericht Oldenburg
Urt. v. 27.03.1998, Az.: 2 S 1511/97
Anspruch auf Rückzahlung eines in einem Sparbuch angeführten Guthabens; Beweislastverteilung für die Erfüllung eines Rückzahlungsanspruches aus einem Sparbuch; Aufbewahrung von Unterlagen über ein Sparkonto bis zur Vorlage des Sparbuches oder bis zum Ablauf der Verjährungsfrist; Vorraussetzungen für die Annahme einer Verwirkung
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 27.03.1998
- Aktenzeichen
- 2 S 1511/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 31953
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1998:0327.2S1511.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Cloppenburg - 14.11.1997 - AZ: 16 C 96/97
Rechtsgrundlagen
- § 291 BGB
- § 362 BGB
- § 554a BGB
- § 607 Abs. 1 BGB
- § 609 Abs. 2 BGB
- § 626 BGB
- § 700 Abs. 1 BGB
- § 1922 BGB
- § 257 Abs. 4 HGB
Fundstelle
- WM 1998, 1821-1822 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Auszahlung eines Sparguthabens
In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 1998
unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten des Landgerichts ...
der Richterin am Landgericht ... und
des Richters am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.11.1997 verkündete Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Auszahlung eines in einem Sparbuch mit dem Stand 01.01.1969 angeführten Guthabens über 2.399,20 DM. Das Sparbuch ist auf den Namen der am 04.01.1969 verstorbenen Frau ... (alias Frau ...) ausgestellt. Erbe der Kontoinhaberin war der am 06.08.1996 verstorbenen Ehemann der Klägerin, den die Klägerin wiederum beerbt hat.
Das Sparbuch wurde im August 1996 bei Umzugs- und Abbrucharbeiten gefunden. Die Beklagte verweigerte in der Folgezeit die Auszahlung des Guthabens vom 01.01.1969 und legte während des Rechtsstreits eine bankinterne Kontokarte vor. Diese weist für den 21.01.1969 eine Sollbuchung über 1.229,75 DM unter dem Text "Cassa" sowie Zinsgutschriften am jeweiligen Jahresende für die Zeit von 1969 bis 1981 auf. Die Kontokarte schließt unter dem 31.12.1982 ohne Zinsgutschrift für 1982, jedoch mit einer Sollbuchung des Jahresabschlusses 1981 in Höhe von 2.230,00 DM ohne Angabe eines Buchungstextes.
Die Beklagte behauptet, Ende 1982 sei das Sparguthaben an den Berechtigten ausgezahlt worden.
Im übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückzahlung des in dem Sparbuch Nr. W 328 angeführten Guthabens in Höhe von 2.399,20 DM per 01.01.1969 aus § 607 Abs. 1 BGB zu. Es kann dahinstehen, ob Spareinlagen als unregelmäßige Verwahrungen anzusehen sind (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 57. Aufl. § 700 Rn. 1), da die Regelung in § 700 Abs. 1 S. 1 BGB auf die Darlehnsvorschriften verweist und die Rückgabevorschrift in § 700 Abs. 1 S. 3 BGB durch die Vereinbarung einer gesetzlichen Kündigungsvorschrift nach § 609 Abs. 2 BGB abbedungen ist.
Das in dem Sparbuch angeführte Guthaben beläuft sich auf 2.399,20 DM Es steht der Klägerin zu, da Rechtsnachfolger der verstorbenen Frau ... (alias ...) der Ehemann der Klägerin geworden ist. Nach dessen Tod ist die Klägerin in seine Rechtsposition eingetreten (§ 1922 BGB).
Der Rückgewähranspruch ist nicht durch eine Auszahlung am 31.12.1982 gemäß § 362 BGB erloschen. Die Beklagte hat nicht den Nachweis geführt, daß sie die Spareinlage an den Gläubiger oder einen Berechtigten ausgezahlt hat. Die Beweislast für die Erfüllung des Rückzahlungsanspruches liegt bei der beklagten Bank (vgl. OLG Frankfurt v. 22.12.1988, WM 1990, 496; KG v. 04.03.1992, NJW-RR 1992, 1195).
Gegen die Annahme, die Beklagte habe die Spareinlagen zurückgezahlt, spricht zunächst der Inhalt des Sparbuches Nr. W 328. Nach der dort enthaltenen letzten Eintragung beläuft sich das Guthaben auf 2.399,20 DM. Eine Rückzahlung an den Berechtigten ergibt sich nicht zwingend aus der von der Beklagten vorgelegten Kontokarte, die im Jahre 1968 angelegt wurde und den Namen der Mutter des Ehemannes der Klägerin als Kontoinhaberin ausweist. Die Aufstellung enthält nach der letzten Buchung im Sparbuch unter dem Datum des 21.1.1969 eine Auszahlungsbuchung "Cassa" in Höhe von 1.229,75 DM und unter dem Text "Rente" bzw. "Storno Rente" Buchungen von 132,20 DM bzw. 122,80 DM. In der Folgezeit sind lediglich Zinsgutschriften für die Zeit von 1969 bis 1981 jeweils mit Datum des 31. Dezember gebucht worden. Für 1982 fehlt eine solche Zinsgutschrift, jedoch ist unter dem Datum des 31. Dezember 1982 eine Sollbuchung 2.230,00 DM angeführt. Die letztgenannte Tatsache läßt nicht den zwingenden Schluß zu, daß die Beklagte unter dem angeführten Datum das restliche Guthaben an einen Berechtigten ausgekehrt hat. Zwar ist es denkbar, daß eine Bank Verfügungen über Sparguthaben ohne die Vorlage eines Sparbuches vornimmt. Eine solche Vorgehensweise ist in § 21 KWG und nach dem Inhalt der Mitteilung Nr. 1/64 der Vorschriften über den Sparverkehr vorgesehen bei Daueraufträgen zugunsten eines Sparkontos des Sparers bei demselben Kreditinstitut, bei Belastungen durch das kontoführende Kreditinstitut wegen fälliger Forderungen gegen den Sparer, bei Vorlage besonderer Gründe wie z.B. Krankheit, die ein Erscheinen des Sparers oder eine Einsendung als nicht zumutbar erscheinen lassen und in den Fällen der Anzeige des Verlustes des Sparbuches. Einen derart gelagerten Sachverhalt hat die Beklagte aber nicht dargetan.
Denkbar ist es auch, daß eine Bank entsprechend dem Vortrag der Beklagten bei langjährig vertrauten Kunden Auszahlungen ohne Vorlage eines Sparbuches vornimmt. Der Nachweis derartiger Auszahlungen, die nicht im Sparbuch vermerkt sind, kann dann u.U. durch bankinterne Unterlagen geführt werden. Erforderlich ist dann aber die Vorlage eindeutiger Dokumente oder der Nachweis gewichtiger Indizien (vgl. KG a.a.O., Münchner-Kommentar/Hüffer, 3. Aufl., § 808 BGB Rn. 37).
Hier ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, daß eine Verfügung des Berechtigten (des Ehemannes der Beklagten) am 31.12.1982 tatsächlich erfolgt ist. Gegen eine entsprechende Annahme spricht bereits, daß für den Fall der endgültigen Auflösung des Sparbuches ohne dessen Vorlage eindeutige Hinweise auf der Kontokarte ebenso nahegelegen hätten wie eine Zinsgutschrift für das Jahr 1982. Eine solche ist ausweislich der Kontokarte entgegen der Handhabung in den Vorjahren für 1982 nicht erfolgt. Zweifel hinsichtlich einer Verfügung durch den Ehemann der Beklagten folgen auch aus der Tatsache, daß die Kontokarte 13 Jahre nach dem Tod der ursprünglichen Kontoinhaberin keinen Hinweis auf den Erben enthält. Schließlich läßt die Kontokarte nicht ersehen, ob am 31.12.1982 eine Barauszahlung oder Überweisung auf ein anderes Sparkonto erfolgt ist. Da gegen eine Auszahlung das Fehlen eines für den 21.1.1969 verwandten Buchungstextes "Cassa" spricht, sind bankinterne Buchungsvorgänge nicht auszuschließen. Die Beklagte hätte daher Einzelheiten über den Buchungsvorgang bzw. den Verbleib des Guthabens vortragen müssen. Die angesprochenen Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit des Inhaltes der Kontokarte müssen dazu führen, daß dem gesamten auf ihr dargestellten Vorgang und damit auch der Auszahlungsbuchung vom 21.01.1969 nicht ausgeräumte Bedenken hinsichtlich der Überzeugungskraft entgegengehalten werden müssen.
Diese Bewertungen stehen nicht im Widerspruch zu Entscheidungen, nach denen ein Bankkunde die Beweislast für ein Guthaben trägt, wenn er das Sparbuch mehr als 17 bzw. 20 Jahren nach der letzten Eintragung vorlegt. Dem Urteil des Hans. OLG Hamburg vom 31. Mai 1989 (WM 1989, 1681) lagen besondere Umstände zugrunde. Der Kläger im dortigen Verfahren hatte die Spareinlage selber erbracht und aus mehreren bankinternen Unterlagen ergaben sich die Auszahlung des Guthabens sowie eine nachfolgende Löschung des Sparkontos mit gleichzeitiger Auszahlung der restlichen Zinsen. Dem hielt der Inhaber des Sparbuches mögliche Manipulationen entgegen. In diesem Fall hat der 5. Senat des Hans. OLG Hamburg konkrete Anhaltspunkte für Falscheintragungen verneint, weil solche zweimal - bei Abhebung des Kapitals und später nach Verfügung über die restlichen Zinsen - hätten erfolgen müssen. Eine ähnliche besondere Sachlage lag der Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg vom 18.01.1993 (WM 1993, 1086 [AG Hamburg 18.01.1993 - 7 C 1755/92]) zugrunde. Die Entscheidung des Kammergerichts vom 4.3.1992 hatte die Besonderheit zu berücksichtigen, daß mehrfach Beträge zu Lebzeiten des Kontoinhabers, der die Sparurkunde in seinem Besitz hatte, als ausgezahlt gebucht worden sind. Im vorliegenden Fall hingegen ist das Sparbuch erst im Jahre 1996 bei Umzugs- und Abbrucharbeiten gefunden worden.
Die Ausführungen zur Beweislast stehen nicht im Widerspruch zur Regelung in § 257 Abs. 4 HGB, wonach ein Kaufmann Unterlagen nur zehn bzw. sechs Jahre aufzubewahren hat. Diese Vorschriften haben eine unmittelbare Bedeutung für die Frage, ob die Buchhaltung ordnungsgemäß ist (vgl. Heymann/Jung, HGB, § 257 Rn. 26 f.). Für die prozessuale Beweislast spielen sie jedoch nur bei der Bewertung eine Rolle, ob es nach Jahren der Untätigkeit unbillig erscheint, an den bestehenden Beweislastregeln festzuhalten oder eine Beweislastumkehr anzunehmen, da ansonsten die Aufbewahrungsfristen gegenstandslos gemacht werden könnten (vgl. BGH WM 1972, 281, 282). Für die Fälle, in denen eine Bank Auszahlungen ohne Vorlage des Sparbuches vornimmt und das Sparkonto aufhebt, ohne das Sparbuch zu entwerten, ist es hingegen nicht unbillig, wenn sie die bedeutsamen Unterlagen bis zur Vorlage des Sparbuches oder ggf. bis zum Ablauf der Verjährungsfrist aufbewahrt. Ein geordneter Geschäftsbetrieb erfordert gerade eine entsprechende Differenzierung.
Dem Anspruch steht eine von der Beklagten behauptete Mitwirkungspflicht eines Gläubigers bei der Eintragung von Jahreszinsen nicht entgegen. Zum einen hat die Beklagte die Zinsen von 1969 bis 1981 einschließlich ohne Mitwirkung des Berechtigten und Vorlage des Sparbuches berechnet. Zum anderen ist in den im Sparbuch abgedruckten "Bedingungen für den Sparverkehr" unter Ziffer 3 angeführt, daß die Zinsen am Jahresschluß dem Kapital zugeschrieben werden, "ohne daß es der Einreichung des Sparbuches bedarf".
Der Anspruch der Klägerin ist fällig. Die Kündigungsfrist des § 609 Abs. 2 BGB ist durch das Schreiben vom 02.06.1997 gewahrt. Es kommt nicht darauf an, ob der Klägerin überdies ein Recht zur fristlosen Kündigung zustand analog §§ 554 a, 626 BGB, da in der am 29.07.1997 eingereichten Klageschrift keine Zinsforderung erhoben worden ist und damit eine Fälligkeit im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nach § 291 BGB nicht von Bedeutung ist.
Der Anspruch der Klägerin ist schließlich nicht verwirkt. Die Verwirkung setzt voraus, daß seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Anspruchsgegners in die Annahme, der Anspruchsberechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, schutzwürdig erscheinen lassen (Umstandsmoment) (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 1989, 558 m.w.N.). Es kann dahinstehen, ob hier eine besondere Sachlage vorliegt, die zur Verwirkung eines Rechtes führen kann, das noch nicht verjährt ist. Ebensowenig war zu klären, ob der Ehemann der Klägerin nach dem Tode seiner Mutter durch eine Zweitschrift der Mitteilung an das Finanzamt auf das Bestehen des Sparkontos hingewiesen worden ist. Denn die Verwirkung setzt nicht eine Kenntnis des Rechts, das zu verwirken droht, voraus (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 242 Rn. 94 m.w.N.). Jedoch konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, der Ehemann der Klägerin werde Ansprüche aus dem Sparvertrag nicht mehr geltend machen. Sie hat keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß sie den Erben gezielt über das Bestehen des Guthabens informiert hat, und konnte sich insoweit nicht auf eine eventuelle Information durch (die Mitteilung an) das Finanzamt verlassen. Da Verfügungen des Ehemannes der Klägerin über Sparguthaben aus dem Sparbuch W 328 - wie oben ausgeführt - nicht feststehen, hätte die Beklagte eindeutig auf das Guthaben hinweisen müssen. Erst danach hätte sie nach entsprechendem Zeitablauf darauf vertrauen können, daß der Berechtigte Ansprüche nicht mehr geltend machen wolle. Wenn dem Berechtigten der Anspruch aufgrund eines heimlichen Verhaltens des Verpflichteten unbekannt bleibt, kann das Recht nicht verwirkt sein (vgl. BGHZ 25, 52, 53).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.