Landgericht Oldenburg
Urt. v. 09.09.1998, Az.: 6 O 1096/98

Überholen im Sinne des § 5 Straßenverkehrsordnung (StVO); Einhalten der erforderlichen Sorgfalt beim Überholvorgang; Abwägung der Verursachungsbeiträge und Verschuldensbeiträge bei Unfall zweier Kraftfahrzeuge beim Überholvorgang

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
09.09.1998
Aktenzeichen
6 O 1096/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 31083
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1998:0909.6O1096.98.0A

Fundstelle

  • DAR 1999, 29-30 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall

In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 12.08.1998
durch
den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.920,33 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.05.1998 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 27 % und die Beklagte 73 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.000,- DM. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 10.11.1997 morgens gegen 8.16 Uhr auf der BAB A 29 kurz vor dem WHV-Kreuz geltend. Er wollte mit seinem PKW eine Sattelzugmaschine mit Auflieger, die von dem Zeugen ... gelenkt wurde und bei der Beklagten haftpflichtversichert ist, überholen. Der Zeuge ... hatte seinerseits die Absicht, ein vor ihm fahrendes Fahrzeug zu überholen. Ohne daß sich beide Fahrzeuge berührten, kam der Kläger mit seinem Fahrzeug ins Schleudern. An seinem Fahrzeug entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden. Er beziffert seinen Schaden wie folgt:

Gutachterkosten873,77 DM
Wiederbeschaffungswert14.200,- DM
Ab- und Ummeldekosten150,- DM
Kostenpauschale50,- DM
Nutzungsentschädigung 10 Tage 100,- DM1.000,- DM
Gesamtschaden16.273,77 DM
2

Der Kläger behauptet, er sei mit einer Geschwindigkeit zwischen 130 und 150 km/h auf dem Überholfahrstreifen gefahren. Kurz bevor er den Auflieger der Sattelzugmaschine erreicht habe, sei das Gespann nach links ausgeschert, wobei er sich nicht daran erinnern könne, vorher den Blinker gesehen zu haben. Der LKW sei bereits zum Teil auf der Überholfahrspur gefahren. Aus seiner Sicht habe keine andere Möglichkeit mehr bestanden, als sein Fahrzeug nach rechts zu lenken, um dann auf dem Hauptfahrstreifen rechts an dem LKW vorbeifahren zu können. Als er bereits sein Fahrzeug nach rechts gelenkt gehabt habe, sei auch der LKW wieder nach rechts auf den Hauptfahrstreifen gefahren, so daß er sein Fahrzeug wieder nach links habe lenken müssen, um eine Kollision zu vermeiden. Dabei sei er dann ins Schleudern geraten und mehrfach mit der Mittelleitplanke kollidiert. Der Unfall habe sich hinter dem Auflieger abgespielt.

3

Der Kläger beantragt mit der am 08.05.1998 zugestellten Klage unter Rücknahme der Klage hinsichtlich einer zunächst in Höhe von 1.400,- DM geltend gemachten Nutzungsentschädigung,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.273,77 DM nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.

4

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Sie behauptet, der Zeuge ... habe sich bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h ziemlich schnell einem LKW mit einer angehängten Estrichschleuder genähert. Dieses Gespann habe er überholen wollen. Weil er sich mit seinem Fahrzeug in einer leichten Rechtskurve befunden habe, habe er über den linken Außenspiegel den rückwärtigen Verkehr nur zum Teil sehen können. Er habe deshalb auch in den rechten Außenspiegel geschaut. Weil er kein sich rückwärtig näherndes Fahrzeug gesehen habe, habe er den Blinker gesetzt, ohne allerdings bereits auszuscheren. Als er dann vor dem beabsichtigten Ausscheren erneut in den rechten Außenspiegel geschaut habe, habe er einen sich mit sehr hoher Geschwindigkeit (ca. 180 km/h) von hinten nähernden PKW gesehen, der auf dem Hauptfahrstreifen gefahren sei. Daraufhin habe er den gesetzten Blinker wieder zurückgenommen. Im linken Spiegel habe er dann gesehen, wie der PKW ins Schleudern geraten sei.

6

Das Gericht hat den Kläger angehört. Es hat durch die Vernehmung des Zeugen ... und durch die Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen ... Beweis erhoben. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.08.1998 Bezug genommen.

Gründe

7

Die Klage ist gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG überwiegend begründet.

8

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, daß der Zeuge ... mit seinem Fahrzeug kurz bevor der Kläger das Gespann erreicht hatte, ausgeschert ist. Der Zeuge Sunten hat dies zwar in Abrede gestellt. Das Gericht glaubt aber insoweit dem Kläger, der dies nachvollziehbar und glaubhaft im Rahmen seiner Parteianhörung angegeben hat. Von der Richtigkeit seiner Angaben ist das Gericht deshalb überzeugt, weil nach der Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit - wenn auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises - dafür spricht, daß ein Autofahrer nur dann sein Fahrzeug beim Überholvorgang nach rechts lenkt, wenn das vorausfahrende Fahrzeug nicht nur seine Überholabsicht durch das Setzen des Blinkers ankündigt, sondern auch ausgeschert. Dabei mag der Grad des Ausscherens im vorliegenden Fall zweifelhaft sein. Das Gericht ist zumindest davon überzeugt, daß der Zeuge ... sein Gespann zur Mittellinie gelenkt hat. Der Aussage des Zeugen ... kommt insoweit kein besonderes Gewicht zu, weil er hierauf im Vorfeld des Unfalls nicht besonders geachtet haben wird. Anders ist dies aber bei dem Kläger. Nach seiner glaubhaften Einlassung war das Ausscheren gerade der Anlaß für sein eigenes Fahrmanöver. Er konnte auch - anders als der Zeuge ... dessen Augenmerk auf die sich innerhalb des Hauptfahrstreifens von rechts nach links bewegende Estrichschleuder gerichtet war und der sich dieser ziemlich schnell näherte - die (leichte) Veränderung der Fahrzeugausrichtung des LKW von hinten kommend gut beobachten. Von einer Parteivernehmung des Klägers zu dieser Frage hat das Gericht abgesehen. Sie wäre nach der erfolgten Anhörung bloße Förmelei gewesen. Die Voraussetzungen hätten jedenfalls gemäß § 448 ZPO vorgelegen.

9

Der Zeuge ... hat somit nicht nur - was das Gericht nach der Anhörung des Klägers und der Aussage des Zeugen ... als bewiesen ansieht - geblinkt, sondern ist auch ausgeschert und hat damit mit dem Überholen im Sinne des § 5 StVO begonnen. Hierbei hat er nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen, was sich bereits aus den Bekundungen des Zeugen ... ergibt, wonach er den Blinker wieder zurückgenommen habe. Der Zeuge hat demnach selbst gemerkt, daß er einen Fehler gemacht hatte. Dieser lag darin, den rückwärtigen Verkehr angesichts der Rechtskurve nicht hinreichend beobachtet zu haben.

10

Bei der im Rahmen von § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge fällt zu Lasten der Beklagten ins Gewicht, daß der Zeuge ... sich so zu verhalten hatte, daß die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war. Anderseits hat der Sachverständige ... nachvollziehbar dargelegt, daß dem Kläger bei der von ihm behaupteten Geschwindigkeit bei optimaler Reaktion genügend Zeit zur Verfügung gestanden haben muß, um durch starkes Abbremsen die Kollision zu verhindern. Er begründete dies damit, daß die im Rahmen des Schleudern zurückgelegte Wegstrecke länger gewesen sein müsse, als jene, die ohne ein Ausbrechen des Fahrzeuges zum Abbremsen bis auf eine Geschwindigkeit von 80 Km/h erforderlich gewesen wäre. Dies - eine Geschwindigkeit von ca. 180 km/h hat die Beklagte nicht beweisen können - rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.

11

Der Schaden des Klägers beläuft sich auf 873,77 DM + 14.200,00 DM + 150,00 DM + 40,00 DM + 630,00 DM = 15.893,77 DM. Als Nutzugsentschädigung kann der Kläger nur 630,- DM (10 Tage a 63,- DM) statt 1.000,- DM beanspruchen. Die Kostenpauschale beträgt 40,- DM statt 50,- DM. Hiervon stehen dem Kläger 75 % = 11.920,33 DM zu.

12

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.

13

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 709 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.