Landgericht Oldenburg
Urt. v. 10.06.1998, Az.: 5 O 741/98

Ersatzpflicht für das Beschädigen von Straßenabsperrungen durch einen Unfall; Voraussetzung für die Unabwendbarkeit eines Ereignisses

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
10.06.1998
Aktenzeichen
5 O 741/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 16215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1998:0610.5O741.98.0A

Fundstelle

  • VersR 1999, 1416-1417 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

...

- Prozeßbevollm.: Rechtsanw. L., Friedhofstr. 6, 49401 Damme - Geschz.: 402/97

Prozessgegner

...

In dem Rechtsstreit
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 13.05.1998
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Kramarz,
die Richterin am Landgericht Schmidt-Lauber und
die Richterin Dr. Jaspert
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 767,53 DM nebst 4% Zinsen seit dem 21.08.1997 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien machen mit Klage und Widerklage wechselseitige Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

2

Am 09.11.1996 um ca. 14.20 Uhr befuhr die Tochter des Beklagten, mit dem PKW Kadett E LS, Kennzeichen die Mühlenstraße in Damme in Richtung Hubertusplatz und Einmündung Große Straße. Dieser Bereich ist als Tempo 30-Zone ausgewiesen. Kurz vor der Einmündung der Mühlenstraße in die Große Straße fuhr sie gegen einen in der Mitte der Fahrbahn aufgestellten Metallpoller.

3

Diese Absperrung erfolgte aufgrund einer Anordnung des Ordnungsamtes der Stadt Damme vom 31.10.1996, um eine innerörtliche Verkehrsberuhigung zu erreichen. Die Klägerin behauptet, daß die Absperrung durch die Metallpoller durch die Aufstellung von Sackgassenschildern angezeigt worden sei. Ferner seien die aufgestellten Metallpoller durch weiße Reflektoren kenntlich gemacht worden.

4

Die Klägerin verlangt den Ersatz der Wiederherstellungskosten am Poller und der Fahrbahn. Wegen der Berechnung wird auf die Rechnung vom 12.11.1996 nebst Anlage verwiesen (Bl. 9, 10 d.A.).

5

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 824,20 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01.08.1997 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

widerklagend,

die Klägerin zu verurteilen, an ihn 2.791,05 DM nebst 12 % Zinsen seit dem 09.11.1996 zu zahlen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

8

Er meint, daß es sich bei dem Unfall um ein nicht abwendbares Ereignis gehandelt habe, da die rücksichtslosen und verkehrsgefährdenden Absperrungen nicht hinreichend gekennzeichnet gewesen seien.

9

Er begehrt unter Vorlage eines Gutachtens Ersatz der Schäden am Fahrzeug, der Gutachterkosten und einer Kostenpauschale.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist bis auf einen Teil der Zinsen begründet, während die Widerklage keinen Erfolg hat.

11

Die Klägerin hat nach § 7 Abs. 1 StVG gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz ihrer durch den Verkehrsunfall eingetretenen Schäden.

12

Nach dieser Vorschrift ist der Halter eines Kraftfahrzeuges zum Schadensersatz verpflichtet, wenn beim Betrieb des Fahrzeuges ein Personen- oder Sachschaden entsteht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

13

Der Beklagte ist der Halter des verunfallten KFZ. Der von der Klägerin geltend gemachte Sachschaden an dem Absperrpoller wurde bei Betrieb des vorgenannten PKW verursacht.

14

Bei dem Unfall handelt es sich nicht um ein die Halterhaftung ausschließendes, unabwendbares Ereignis gem. § 7 Abs. 2 StVG. Unabwendbar ist ein Ereignis nur, wenn es durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet kann (BGHZ 117, 337). Jedes Verschulden schließt ein unabwendbares Ereignis aus.

15

Unabwendbar war das Ereignis nicht, denn der Unfall ereignete sich an hellichtem Tage in der Innenstadt im Bereich einer Tempo 30-Zone. Zwar ist streitig, ob die die Absperrung ankündigenden Sackgassenschilder zum Unfallzeitpunkt bereits aufgestellt waren, jedoch muß bei einem sorgfaltsbewußten Kraftfahrer erwartet werden, daß er sein Fahrzeug rechtzeitig und innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann und Hindernisse rechtzeitig erkennt. Das gilt besonders bei normalen Licht- und Witterungsverhältnissen. Aufgrund der Verletzung der Sorgfaltspflicht gem. § 3 Abs. 1 StVO kann sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, daß die Sperrung der befahrenen Straße seiner Tochter als Fahrerin völlig neu und unbekannt gewesen ist. Ferner sind die Poller nach ihrer Größe von ca. einem Meter bei sorgfältiger Verkehrsraumbeobachtung gut genug erkennbar.

16

Diese, für einen aufmerksamen Fahrer genügende Erkennbarkeit ergibt sich für die Kammer aus den vorgelegten Fotos. Danach erforderte die Örtlichkeit besondere Aufmerksamkeit. Die baulichen Maßnahmen verhinderten einen flüssigen, hindernisfreien Verkehr. Es waren mehrere Poller vorhanden, so daß wegen der dadurch hervorgerufenen Unübersichtlichkeit eine gesteigerte Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers erforderlich war. Bürgersteig und Straße sind ohne Absatz gepflastert, wie in einer verkehrsberuhigten Zone mit den Verkehrszeichen Nrn. 325, 326 der StVO. Auch wenn der hier streitige, mitten auf der Fahrbahn aufgestellte Abtrennpoller entfernt war, ermöglichten die übrigen Poller nur eine sehr enge Durchfahrt. Der Autofahrer, der die in dieser Situation gebotene Aufmerksamkeit vornimmt und angepaßt langsam und vorsichtig fährt, erkennt den streitigen Sperrpoller und hält innerhalb der zu übersehenden Strecke an.

17

Die Schadenshöhe ist genügend belegt. Das sichtbare Schadensbild ist auf den Fotos erkennbar. Der in Rechnung gestellte Aufwand ist plausibel. Der Beklagte hat diesen nur unsubstantiiert bestritten. Einer weiteren Beweisaufnahme bedarf es unter diesen Umständen nicht. Es ist dem Gericht nicht verwehrt, allein aufgrund des Parteivortrags und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (BGH, Urteil vom 30.01.1996 - VI ZR 386/94, AfP 96, 144, 147 = GRUR 97, 396, 400 - Polizeichef; BGHZ 82, 13, 20 [BGH 06.10.1981 - X ZR 57/80]; BGH, Beschluß vom 29. Oktober 1987 - III ZR 54/87 - BGHR ZPO § 141 - Würdigung 1). Das Gericht darf lediglich keine Gegenbeweisantritte übergehen (BGH FamRZ 82, 779, 781). Solche hat der Beklagte nicht angetreten.

18

Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ist gem. §§ 284, 285, 291 BGB gerechtfertigt. Zinsbeginn ist aber erst durch die Zustellung des Mahnbescheides eingetreten; einen früheren Verzugsbeginn hat die Klägerin nicht vorgetragen.

19

Dem Beklagten steht dagegen der mit der Widerklage verfolgte Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 839 BGB, Art. 34 GG, § 10 NStrG nicht zu, da eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorliegt.

20

Dabei mag unterstellt werden, daß der schadensursächliche Poller keine auffälligen Strahler oder Markierungen aufwies und auch die Sackgassenschilder (noch) nicht aufgestellt waren.

21

Nach § 10 Abs. 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes obliegen der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Straßen einschließlich der Bundesfernstraßen sowie die Überwachung ihrer Verkehrssicherheit den Organen und Bediensteten der damit befaßten Körperschaften als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit. Diese öffentlichrechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460; Kodal, StraßenR, 3. Aufl., S. 999). Ihr Umfang wird dabei von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfaßt die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes. Grundsätzlich muß sich der Straßenbenutzer allerdings den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muß in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten läßt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH NJW 80, 2193, 2194;  79, 2043, 2044).

22

Dabei kann eine mit zumutbaren Mitteln nicht erreichbare völlige Gefahrlosigkeit nicht verlangt werden (Sörgel/Zeuner, BGB, 11. Aufl., § 823 RdNr. 161, 162 mwNw.; Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 22. Aufl., 14, Kap. RN 37).

23

Wie oben im Zusammenhang mit § 7 Abs. 2 StVG ausgeführt, beruht der Unfall maßgeblich darauf, daß die Fahrerin des Unfallfahrzeuges nicht auf Sicht gefahren ist und damit gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen hat. Dieses Verhalten muß sich der Beklagte in entsprechender Anwendung des § 831 BGB zurechnen lassen.

24

In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob Absperrpoller ein Hindernis im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 2 StVO darstellen (verneinend OLG Düsseldorf, NJW 95, 2172; bejahend OLG Frankfurt, NJW 92, 318). Es kann auch unterstellt werden, daß Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung keine Quelle der Gefährdung sein dürfen (so BGH NJW 91, 2824). Hier lag die Besonderheit vor, daß sich die Verkehrsteilnehmer bei der gebotenen Aufmerksamkeit auf die Verkehrssituation einstellen konnten und die Absperrung genügend erkennbar war. Die bauliche Situation in der Tempo 30-Zone entsprach einer solchen, wie sie in Spielstraßen anzutreffen ist. Ein Vertrauen in einen ungehinderten, flüssigen Durchgangsverkehr war nicht gewährleistet.

25

Unentschieden kann bleiben, ob der fragliche Poller bei Dunkelheit, Regen oder sonstiger schlechter Witterung genügend erkennbar war, da ein solcher Sachverhalt hier nicht vorliegt.

26

Unerheblich ist weiter, daß die Klägerin die Absperrmaßnahme später wieder aufgehoben hat. Daraus ist nicht auf ein Fehlverhalten und eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu schließen. Dem Verkehrssicherungspflichtigen bleibt es unbenommen, einen nicht pflichtwidrigen Zustand zu verbessern; auf eine vorherige Pflichtverletzung läßt dies nicht schließen. Wenn der Träger der Straßenbaulast eine mögliche Gefahrenmöglichkeit auf optimale Weise sichert, steht dieses in seinem Ermessen; ein Anspruch auf die Herstellung eines solchen überobligationsgemäßen Zustandes besteht nicht (OLG Hamm, a.a.O., S. 466; ständige Kammerrechtsprechung).

27

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Kramarz
Schmidt-Lauber
Dr. Jaspert