Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.09.2005, Az.: 3 K 635/04
Anforderungen an den Nachweis von Krankheitskosten; Einkommensmindernde Berücksichtigung bei krankheitsbedingter Heimunterbringung; Krankheitsbedingte Unterbringung eines Angehörigen in einem Altenpflegeheim als außergewöhnliche Belastung; Koppelung der Zwangsläufigkeit der Kosten an eine bestimmte Qualität der Krankheit oder eine Pflegestufe/Behinderungsmerkmale
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.09.2005
- Aktenzeichen
- 3 K 635/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 35809
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:0914.3K635.04.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 25.07.2007 - AZ: III R 64/06
Rechtsgrundlagen
- § 33 EStG
- § 33a Abs. 5 EStG
- § 33b Abs. 7 EStG
- § 64 Abs. 2 EStDV
- § 65 EStDV
- § 15 SGB XI
Fundstelle
- NWB direkt 2007, 5
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 2003
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Nachweis von Krankheitskosten i.S.d. § 33 EStG ist an keine förmlichen Kriterien gebunden.
Tatbestand
Die Kläger begehren für das Steuerjahr 2003 eine einkommensmindernde Berücksichtigung des Betrages i. H. v. 21.473,80 EUR als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) wegen krankheitsbedingter Heimunterbringung.
Die Kläger machten in Ihrer gemeinsamen Steuererklärung Heimunterbringungskosten geltend, die ihnen wegen der Auflösung des bisherigen Haushalts und des Umzugs in ein Seniorenheim im Streitjahr entstanden waren. Von den angemeldeten Kosten - für den Kläger i.H.v. 9695; EUR und für die Klägerin i.H.v. 12.909; EUR - beabsichtigte der Beklagte einen Betrag i. H. v. 1230; EUR nach § 33 a EStG. Wegen der 90-% Behinderung der Klägerin mit Behinderungsmerkmalen "G" "aG" und "B" wurde ansonsten ein einkommensmindernder Abzug i.H.v. 1230; EUR nach § 33b EStG vorgenommen.
Im Einspruchsverfahren machten die Kläger die unberücksichtigt gebliebenen Ausgaben als Kosten einer krankheitsbedingten Heimunterbringung geltend. Sie legten ein im Laufe des Einspruchsverfahrens ausgestelltes ärztliches Attest vor. Daraus ergab sich, dass die Kläger wegen de Progredienz ihrer Erkrankungen nicht in der Lage waren, sich zu Hause alleine zu versorgen. Die Hausärztin befürwortete daher das Übersiedeln in ein Heim.
Der Beklagte wies den Einspruch zurück, da die von ihm geforderten Nachweise der Pflegebedürftigkeit durch Bescheinigung einer Pflegestufe bzw. einen Ausweis der Behinderungsmerkmale "blind" oder "hilflos" nicht erbracht wurden.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Aus dem erst im Klageverfahren vorgelegten Attesten ergab sich, dass die Klägerin bereits seit ihrer Herzoperation 2001 nicht mehr in der Lage war, den Haushalt zu versorgen. Vor der Übersiedlung in das Seniorenheim kam es bei der Klägerin häufig zu Stürzen. Beim letzten Sturz zog sie sich eine Schädelprellung zu. Seitdem kam bei ihr eine allgemeine Ängstlichkeit hinzu. Aufgrund eines totalen Gelenkersatzes beider Kniegelenke und einer Spondydolistesis im Bereich der Lendenwirbelsäule in den Abschnitten III/IV und iV/V benötigte die Klägerin vor dem Umzug ins Heim Hilfe bei der Körperpflege und beim gehen von Strecken länger als 50 m bzw. 5-10 Min.
Beim Kläger stellte die Hausärztin eine B 12-Vitaminmangel-Nervenfunktionsstörung der Beine fest. Wegen der dadurch Altershinfälligkeit war er nicht in der Lage, einen Haushalt zu führen.
Krankheitsbedingte außergewöhnliche Belastungen seien nach der Meinung der Kläger auch ohne die vom beklagten geforderten Nachweise einer Pflegestufe bzw. bestimmter Behinderungsmerkmale anerkennungsfähig. Zum Nachweis der Pflegebedürftigkeit i.S. des § 33 EStG reiche auch ein ärztliches Attest aus. Selbst wenn die Kläger lediglich aus Altersgründen im üblichen Umfang pflegebedürftig wären, seien bei Ihnen wenigstens Aufwendungen zu berücksichtigen, die den Klägern zusätzlich zu dem Pauschalentgelt für die Unterbringung in der Pflegestation in der unstreitigen Höhe von jeweils 3971,68 EUR anfielen.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 15.03.2004 i.d.F. des Einspruchsbescheides vom 19.07.2004 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0,00 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein ausschließlich krankheitsbedingter Aufenthalt der Kläger im Seniorenheim liege mangels der bereits im Einspruchsverfahren unterbliebenen Nachweise nicht vor. An die formellen Anforderungen für den Pflegebedürftigkeitsnachweis aufgrund des BMF-Schreibens vom 20.01.2003 und der R 188 Abs. 1 S. 2 EStR 2003 sei der Beklagte gebunden. Die vorliegenden Atteste seien zudem nicht geeignet die krankheitsbedingte Heimunterbringung darzulegen, da sie erst nach dem Umzug in das Seniorenheim ausgestellt seien und nur allgemein gehaltene Formulierungen zum Gesundheitszustand enthalten hätten.
Die Parteien haben Ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erteilt und auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2003 des Finanzamts vom 15.03.2004 in der Gestalt der Einspruchentscheidung vom 19.07.2004 ist rechtswidrig, soweit darin eine Berücksichtigung der Aufwendungen für die Pflege der Klägerin anlässlich derer Heimunterbringung abgelehnt wird.
1.
Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen - hier dem Kläger - für die krankheitsbedingte Unterbringung eines Angehörigen in einem Altenpflegeheim entstehen, stellen als zwangsläufige Kosten eine außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG dar. Zwangsläufigkeit von Kosten liegt dann vor, wenn sich der Steuerpflichtige ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Demgegenüber rechnen zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung regelmäßig die Kosten für eine altersbedingte Unterbringung in ein Altersheim, die allenfalls eine Berücksichtigung nach § 33 a EStG finden (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile vom 30. August 1972, BStBI II 1973, 159; vom 12. Januar 1973 VI R 207/71, BStBI II 1973, 442;vom 29. September 1989 II R 129/86, BStBI II 1990, 418, m.w.N., und vom 12. November 1996 III R 38/95, BStBI II 1997; vom 24. Februar 2000 III R 80/97, BStBI II 2000, 294 m.w.N.).
Der § 33 a Abs. 5 EStG schließt die Anwendung des § 33 dann nicht aus, wenn dem Steuerpflichtigen durch außergewöhnliche Umstände zusätzliche, durch die Pauschalregelungen des § 33 a EStG nicht abgegoltene Aufwendungen entstehen. Dies kann insbesondere bei Krankheitskosten der Fall sein, auch wenn diese ein unterhaltspflichtiger Dritter zu tragen hat (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juli 1990 III R 111/86, BStBI II 1991; 62; vom18. Juni 1997 III R 60/96, BFH/NV 1997, 755, jeweils m.w, V.). In Anwendung dieser Grundsätze sieht die Rechtsprechung Aufwendungen für die durch Krankheit oder Pflegebedürftigkeit bedingte Unterbringung in einem Altenpflegeheim stets als außergewöhnliche Belastung an (BFH-Urteile vom 22. August 1980, BStB II 1981, 23,025; vom10. August 1990 III R 2/86, BFH/NV 1991, 231; vom 23. Mai 2002, BStBI II 2002, 567). Zu den Krankheitskosten gehören nicht nur die Aufwendungen für medizinischen Leistungen im engeren Sinn, sondern auch solche für eine krankheitsbedingte Unterbringung (BFH-Urteil vom 18. April 2002 III R 15/00, BStBI II 2003, 70).
2.
Aufgrund des attestierten Krankheitsbildes der Klägerin steht fest, dass deren Unterbringung im Seniorenheim ausschließlich krankheitsbedingt war. Insbesondere liegt es auf der Hand, dass sich der gesundheitliche Zustand de Klägerin zeitnah vor deren Übersiedlung in das Seniorenheim qualitativ und quantitativ verschlechtert hat. Seit ihrer Herzoperation im Oktober 2001 kam es bei ihr, außer zur Progredienz bisheriger Krankheiten, zu Stürzen, worauf schließlich allgemeine Angstzuständigkeit folgte. Dies spiegelte die darauf folgende Erhöhung ihres Behinderungsgrades von 80% auf 90% wieder. Anderthalb Jahre später, nachdem Die Klägerin nicht mehr in der Lage gewesen war, ihren Haushalt zu führen, folgte die Entscheidung über die Heimunterbringung. Die Entwicklung des Krankheitszustands der Klägerin ging über die übliche Alterung hinaus.
Der Fortschritt der Krankheit der Klägerin ist im Laufe des Verfahrens ausreichend durch die Vorlage der ärztlichen Atteste und des Schwerbehindertenausweises nachgewiesen worden. Die Nachweise beziehen sich dabei unmissverständlich auf den Zeitraum, der der Heimunterbringung vorherging, so dass die Ausstellung der Atteste deren Beweiswert nicht entkräftet. Das in den Nachweisen dargestellte Krankheitsbild der Klägerin ist detailliert und daher nicht zu allgemein beschrieben.
Der Beweiseignung der vorgelegten Unterlagen steht ansonsten nicht entgegen, dass nach den BMF-Schreiben vom 20.01.2003, dem § 65 EStDV und der R 188 Abs. 1 S.2 EStR 2003 höhere Anforderungen an den Krankheitsnachweis gestellt werden. Der Nachweis i.S. § 33 EStG ist keinerlei an formale Kriterien gebunden (FG Saarland, Urteil vom 26. November 2002 2 K 157/00, [...]; FG Rheinland.Pfalz, Urteil vom 16. März 2000 4 K 1899/98, DStRe 2000, 636; FG München, Urteil vom 29. September 2004, Az. 9 K 3169/03, [...]). Die Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten i.S.v. § 33 EStG hängt nicht von einer bestimmten Qualität der Krankheit ab und ist nicht daran gekoppelt, dass die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nach § 15 SGB XI bzw. die Behinderungsmerkmale gegeben sind. Es gibt auch keine Rechtsgrundlage dafür, das Vorliegen von bestimmten Behinderungsmerkmalen i. S. § 64 Abs. 2 EStDV zu verlangen , denn im § 33 EStG hat der Gesetzgeber keine dem § 33b Abs. 7 EStG in Verbindung mit § 65 EStDV entsprechende Regelung getroffen. Zudem ist mit der Systematik des Einkommensteuerrechts nicht vereinen, dass bei außergewöhnlichen Belastungen, die durch eine krankheitsbedingte Heimunterbringung eines Angehörigen entstanden sind, höhere Anforderungen bei sonstigen Krankheitskosten gelten würden (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1990-III R 111/86, BStBl II 1991, 62).
3.
Im Falle des Klägers gibt es dagegen keine ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass seine Heimunterbringung ausschließlich krankheitsbedingt war. Vielmehr war für das Übersiedeln des Klägers in das Seniorenheim der gleichzeitige Umzug seiner Ehefrau prägend.
Insbesondere lässt sich den vorgelegten Nachweisen nicht entnehmen, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers unmittelbar vor der Heimunterbringung auf irgendwelche Weise verschlechtert hätte. Der Hinweis auf Progredienz der bestehenden Krankheiten ist zu allgemein formuliert, um daraus Rückschlüsse auf die Notwendigkeit der Übersiedlung des Klägers in ein Seniorenheim zu begründen. Alleine die Tatsache, dass beim Kläger dieselben Pflegekosten wie bei der Klägerin entstehen, was bei ihm zur Annahme eines mit der Erkrankung der Klägerin vergleichbaren Gesundheitszustands sprechen könnte, kommt hier nicht zum Tragen. Die tarifliche Einstufung der Heimunterbringung des Klägers betrifft nur den internen Abrechnungsbereich des Seniorenheims, ohne irgendwelche Rückschlüsse auf den tatsächlichen Gesundheitszustand des Klägers zu erlauben.
Leitend hierfür ist die Erwägung, dass Heimkosten, mögen sie wegen altersbedingter Hilfsbedürftigkeit auch zwangsläufig sein, ihrer Art und dem Grund nach nicht außergewöhnlich sind, weil sie anderen in vergleichbaren Verhältnissen lebenden Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass ein älterer Mensch in einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder will (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BStBI II 1990, 418 und in BFHE 191, 280, BStBII 2000, 294, m.w.N.). Derartige Kosten sind durch die allgemeinen Freibeträge abgegolten (BFH Urteil vom 23. Mai 2002, BStBII 2002, 567).
Daran ändert auch nichts, dass der Kläger schon vor seiner Heimunterbringung der Hilfe der Klägerin bedurfte und nach ihrem Auszug nunmehr nicht in der Lage wäre, sich alleine zu versorgen. Soweit alte Menschen zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen sind, hat der Gesetzgeber den hierdurch bedingten Aufwendungen, soweit sie das übliche Existenzminimum überschreiten und damit durch den Grundfreibetrag nicht erfasst werden, durch die Gewährung eines Pauschbetrages in Höhe von 624; EUR nach § 33 a Abs. 3 S. 2 EStG Rechnung getragen (Niedersächsisches FG 13. Senat Urteil vom 19. März 2002, StE 2002, 652).
4.
Im Rahmen des § 33 EStG stellen nur die Mehrkosten der Klägerin i. H. v. 3971,68 EUR, die gegenüber Aufwendungen bei normaler Lebensführung entstehen, eine außergewöhnliche Belastung dar (BFH, BSIBI II 2000, 294).
Wie der BFH in seiner ebenfalls einen Fall der Kostentragung durch Dritte betreffenden Entscheidung in BFH/NV 1991, 231, unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BStBI II 1981, 25 aufgeführt hat, gehören zu den nach § 33 EStG zu berücksichtigenden Mehraufwendungen nicht nur die Kosten für die medizinischen Leistungen. Zu berücksichtigen sind daneben auch die Pflegekosten (so auch die BFH-Urteile vom 24. April 1964 VI 1/63 U, BStBI III 1964, 363; vom 19. Februar 1965 VI 306/64 U BStBI III 1965, 284; vom 11. Februar 1065 IV 213/64 U, BStBI III 1965, 407 und BStBI II 1973, 442).In diesem Fall sind die gesamten vom Heim in Rechnung gestellten Kosten für Unterbringung und Verpflegung abzüglich einer Haushaltsersparnis in Höhe der ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen (vgl. FG München, Urteil vom 29. September 2004, Az: 9 K 3169/03, [...]).Hat der Steuerpflichtige mit der Unterbringung in einem Pflegeheim seinen bisherigen Hausstand aufgelöst, tritt eine Haushaltsersparnis ein, die die außergewöhnliche Belastung mindert. Eine Haushaltsersparnis tritt aber nicht ein, wenn der Berechnung lediglich die reinen Pflegeleistungen, nicht aber auch die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung zugrunde gelegt werden.
Der von der Klägerin errechnete Betrag wegen der Pflegekosten ist mithin als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Alle darüber hinausgehenden Unterbringungskosten, die s ich ausschließlich auf entsprechende Ausgaben beziehen, die der Klägerin bei der Führung des bisherigen Haushalts entstanden wären, sind als Haushaltsersparnis außer Betracht zu lassen.
Da die Geltendmachung der Heimunterbringungskosten nach § §§ EStG eine gleichzeitige Gewährung der subsidiären pauschalen Aufwendungen nach §§ 33 a und 33 b EStG ausschließt, ist eine über den im Tenor genannten Betrag hinausgehende Berücksichtigung der Heimunterbringungskosten für die Klägerin nicht möglich. Hinsichtlich des Klägers verbleibt es bei der bereits berücksichtigten Pauschbeträgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 137 Abs. 1 S. 1 FGO. Die Kläger haben erst im Klageverfahren die notwendigen Nachweise erbracht, obwohl sie bereits im Rahmen des behördlichen Verfahrens vorlegt werden konnten.
Die Ausrechnung der Einkommensteuer wird dem Finanzamt übertragen (§ 100 Abs. II Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).