Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.09.2005, Az.: 2 V 4/05
Zuordnung der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung in der Insolvenz über das Vermögen einer Personengesellschaft; Begünstigung der Anschaffung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens; Auslegung der Begriffe des Fördergesetzes nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts; Verbleiben eines Hopperbaggerschiffs im Fördergebiet
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.09.2005
- Aktenzeichen
- 2 V 4/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 30590
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:0914.2V4.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 06.02.2006 - AZ: VIII B 198/05
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 2 FördG
- § 2 Nr. 2 FördG
- § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO
- § 69 Abs. 2 S. 2 FGO
- § 69 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 FGO
Fundstelle
- NWB direkt 2006, 11
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Nach § 2 Nr. 2 FördG ist die Anschaffung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens begünstigt, die mindestens 3 Jahre nach ihrer Anschaffung zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte des Stpfl. im Fördergebiet gehören und während dieser Zeit in einer solchen Betriebsstätte verbleiben.
- 2.
Begriffe im Investitionszulagenrecht sind nach den für das Einkommensteuerrecht geltenden Grundsätzen auszulegen. Das gilt auch für die Begriffe des FördG.
- 3.
Ein sog. Hopperbaggerschiff, das zur Kiesgewinnung dient und im ersten Betriebsjahr u.a. an 122 Tagen in den alten Bundesländern und an 61 Tagen im Gebiet A eingesetzt wird, das in der Ostsee außerhalb der sog. Drei-Seemeilen-Zone vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns liegt, erfüllt die Voraussetzung des "Verbleibens" im Fördergebiet. Denn das A-Gebiet ist sowohl einkommensteuerlich wie nach den Vorschriften des FördG zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu rechnen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz für das Hopperbaggerschiff X für das Jahr 1994 zu gewähren sind, insbesondere, ob die Verbleibensvoraussetzungen im ersten Jahr der Nutzung erfüllt sind.
Der Antragsteller war bis zum 31.12.2004 Gesellschafter der Firma Z GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) und zu ca. 78% am Gewinn und Verlust der KG beteiligt. Die KG, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, erwarb im Jahre 1994 das Hopperbaggerschiff X. Sie setzte das Schiff ein, um in der Ostsee Kies zu gewinnen und im Hafen der Stadt S anzulanden. Die Anschaffungskosten für das Hopperbaggerschiff betrugen ca. 15 Mio. DM. Die KG setzte das Schiff im ersten Betriebsjahr u.a. an 122 Tagen in den alten Bundesländern und an 61 Tagen im Gebiet V ein. Bei den Fahrten zum Gebiet A startete die X jeweils vom Hafen der Hansestadt S aus. Das Kiesfördergebiet A liegt in der Ostsee außerhalb der so genannten Drei-Seemeilen-Zone vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Die Entfernung zur Küste beträgt 21,6 Seemeilen; das Seegebiet ist zudem ca. 40 km von Rügen und der dänischen Insel Bornholm entfernt.
Die KG nahm in der Bilanz Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz in Höhe von ca. 7 Mio. DM in Anspruch. Nach Durchführung einer Außenprüfung versagte das Finanzamt die Berücksichtigung der geltend gemachten Sonderabschreibungen mit der Begründung, die Verbleibens- und Betriebszugehörigkeitsvoraussetzungen nach § 2 Nr. 2 Fördergebietsgesetz seien nicht erfüllt. Nach dem BMF-Schreiben vom 28. August 1991 lägen die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Investitionszulagen nicht vor. Denn die KG habe das Schiff im ersten Betriebsjahr, also innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraumes, an 183 Betriebstagen - nämlich an 122 Tagen in den "alten Bundesländern" und an 61 Tagen im A-Gebiet, somit mehr als 5 Monate - außerhalb des Fördergebiets eingesetzt.
Der Ast. ist der Auffassung, die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1994 sei auch insoweit auszusetzen, wie das Finanzamt Sonderabschreibungen für die X nach dem Fördergebietsgesetz in Höhe von ca. 7 Mio. DM abzüglich von Mehrabschreibungen nicht anerkannt habe.
Die Verbleibensvoraussetzungen für das Hopperbaggerschiff X lägen vor. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners seien auch im ersten Jahr die Verbleibensvoraussetzungen erfüllt. Das Hopperbaggerschiff habe sich nicht mehr als 5 Monate außerhalb des Fördergebietes befunden, da das Gebiet Bestandteil des Fördergebietes sei. Das Hopperbaggerschiff habe sich im ersten Jahr lediglich an 122 Tagen außerhalb des Fördergebietes befunden. Das Gebiet, in dem sich der Hopperbagger an 61 Tagen befunden habe, befinde sich nämlich auf dem deutschen Teil des Festlandssockels. Wie sich auch aus dem BMF-Schreiben vom 28. August 1991 ergebe, umfasse das Fördergebiet auch das so genannte Drei-Seemeilen-Gebiet vor der Küste des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Das Fördergebiet beziehe sich aber - selbst nach Verwaltungsmeinung - nicht nur auf das Binnenland, sondern auch auf das Hoheitsgewässer. Auch der Festlandssockel gehöre zum Fördergebiet. Zwar handele es sich bei den Bereichen außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone (Küstenmeer) um internationale Gewässer; auch der Festlandssockel gehöre völkerrechtlich nicht selbst zum Inland. Den Küstenstaaten stehe jedoch nach Art. 2 des GenferÜbereinkommens vom 29. April 1958 eine auf die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze begrenzte Souveränität zu. Von diesem Recht habe die Bundesrepublik Deutschland in der Proklamation vom 20. Januar 1964 BGBl II S. 104, I S. 497 (Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandssockel) geändert durch Gesetz vom 2. September 1974, BGBl I S. 2149, Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund gehöre aber der Festlandssockel nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 1 Abs. 3 EStG zum steuerrechtlichen Inland, soweit in diesem Gebiet Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes erforscht und ausgebeutet würden. Derselbe Inlandsbegriff wie der des EStG müsse aber auch für das Investitionszulagenrecht bzw. Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz gelten.
Überdies sei die KG selbst dann, wenn der Festlandsockel nicht zum Fördergebiet gehören würde, berechtigt zur Vornahme von Sonderabschreibungen. Der Hopperbagger starte nämlich jeweils von einem Hafen im Fördergebiet, um im A-Gebiet Kies aufzunehmen und kehre anschließend wieder zu einem Hafen im Fördergebiet zurück. Analog zur Behandlung von Transportfahrzeugen im Investitionszulagenrecht sei der gesamte Einsatz somit dem Fördergebiet zuzurechnen (vgl. auch BMF v. 30.12.1994, BStBl. I 1995, 18).
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1994 hinsichtlich des Ergebnisanteils des Antragstellers in Höhe von ... DM auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist weiterhin der Auffassung, der Hopperbagger habe sich im ersten Jahr mehr als 5 Monate außerhalb des Fördergebiets befunden, und zwar an 122 Tagen in den "alten" Bundesländern und an 61 Tagen im Gebiet A. Dem stehe nicht entgegen, dass das Gebiet einkommenssteuerlich gem. § 1 EStG zum "Inland" gehöre. Der Begriff des Fördergebiets sei mit dem Inlandsbegriff des EStG nicht teilidentisch.
Gründe
Der Antrag ist begründet.
1.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durchüberwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984, III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996, I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Ast. war als ausgeschiedener Gesellschafter nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO antragsbefugt. Bei der Zuordnung der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung in der Insolvenz über das Vermögen einer Personengesellschaft betreffen die Folgen der Gewinnfeststellung grundsätzlich nicht den nach Konkurs- bzw. Insolvenzrecht abzuwickelnden Vermögensbereich der Personengesellschaft, sondern die Gesellschafter persönlich. Die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung wird deshalb als sog. konkursfreie Angelegenheit behandelt (BFH-Urteil vom 24. Juli 1990, VIII R 194/84, BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508, 509; BFH-Beschluss vom 12. November 1992, IV B 83/91, BFHE 169, 490, BStBl II 1993, 265).
Nach summarischer Prüfung dürfte die KG dazu berechtigt gewesen sein, Sonderabschreibungen für den Hopperbagger in Anspruch zu nehmen. Nach § 2 Nr. 2 Fördergebietsgesetz (FördG) sind die Anschaffung und die Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens sowie nachträgliche Herstellungsarbeiten an abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens begünstigt, die mindestens 3 Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Fördergebiet gehören und während dieser Zeit in einer solchen Betriebsstätte verbleiben. Die Voraussetzung des "Verbleibens" im Fördergebiet dürfte auch im ersten Jahr nach der Anschaffung der Hopperbaggers erfüllt sein. Das A-Gebiet dürfte nämlich - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - zum Fördergebiet zu rechnen sein, so dass sich der Hopperbagger lediglich an 122 Tagen und damit nicht mehr als 5 Monate außerhalb des Fördergebietes befunden haben dürfte. Entsprechend dem Investitionszulagenrecht dürfte hier maßgeblich sein, ob die KG den Hopperbagger nicht länger als 5 Monate außerhalb des Fördergebietes eingesetzt hat (vgl. Tz. 49 des BMF-Schreibens vom 28. August 1991). Wie auch bei im Investitionszulagenrecht verwendeten Begriffen dürfte aber auch für Zwecke der Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz der dem Einkommensteuerrecht entnommene Begriff des Inlands nach den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden Grundsätzen auszulegen sein. Denn grundsätzlich sind Begriffe im Investitionszulagenrecht nach den für das Einkommensteuerrechts geltenden Grundsätzen auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15. November 1985, III R 110/80, BFHE 145, 482, BStBl II 1986, 367, vom 3. August 2000, III R 75/96, StuB 2001, 312). Nichts anderes kann für die Begriffe des FördG gelten. Zwar verwendet das FördG den Begriff "Fördergebiet", und nicht - wie § 1 EStG - den Begriff des Inlands. Das Fördergebiet besteht nach § 1 Abs. 2 FördG indes aus den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Gebietsstand vom 3. Oktober 1990 und dürfte als Teilbestandteil des Inlandsbegriffes des § 1 EStG anzusehen sein. Da das A-Gebiet sowohl einkommenssteuerlich wie nach den Vorschriften des FördG zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu rechnen sein dürfte, sind Sonderabschreibungen mithin nach summarischer Prüfung zulässig. Es erscheint nach Aktenlage hingegen nicht wahrscheinlich, das A-Gebiet einem Bundesland in den "alten Bundesländern" oder dem steuerlichen Ausland oder Niemandsland zuzuordnen. Denn die Genehmigung für den Kiesabbau im Sinne des § 137 Bundesberggesetz hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern erteilt. Die Ergebnisse werden auch ertragsteuerlich im Inland besteuert. Daraus ist zu schließen, dass - auch wenn das Gebiet nicht zum Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gehört - steuerrechtlich auch für Zwecke der Sonderabschreibungen nach dem FördG zum Inland, und zwar zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zu rechnen ist. Nicht der Begriff des Staatsgebiets im Sinne der Staatsrechtslehre, sondern der steuerrechtliche Begriff des "Fördergebiets" ist nämlich im Streitfall maßgeblich. Es dürfte einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn einerseits die im A-Gebiet erzielten Erträge der Besteuerung unterworfen werden sollen, andererseits aber eine Förderung in Form einer Abschreibung nach dem FördG nicht gewährt wird, obwohl der Gewinn aus der Betriebsstätte im Inland nach Vorschriften des Ertragsteuerrechts besteuert wird und das Gebiet nur einem der "neuen" Bundesländer zugeordnet werden kann.
2.
Dahinstehen kann hier, ob die KG den Hopperbagger überwiegend als Transportmittel nutzte. Bei Transportmitteln ist grundsätzlich entscheidend, von wo aus bzw. nach wohin ein Transport vorgenommen wird (vgl. auch BMF v. 28.08.1991, IV B 3 - InvZ 1010 - 13/91 für das Investitionszulagenrecht). Der Ast. hat allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass die KG den Hopperbagger primär in seiner Funktion als Transportmittel nutzte. Bei einem Hopperbaggerschiff handelt es sich aber grundsätzlich um ein schwimmendes Arbeitsgerät (vgl. BFH v. 23.03.2000, VII S 26/99, BFHE 191, 184).
3.
Die Kostenfolge beruht auf § 135 FGO. Die Beschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, ob das A-Gebiet zum Fördergebiet gehört bzw. ob das Fördergebiet teilidentisch mit dem Gebiet des Inlands i.S.v.§ 1 Abs. 1 Satz 2 EStG ist.