Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 30.06.2021, Az.: 6 A 1759/21

Corona; COVID-19; Familie; Italien; Rücküberstellung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
30.06.2021
Aktenzeichen
6 A 1759/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70931
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Derzeit sind spürbare Verbesserungen in der Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in Italien durch das Gesetz Nr. 173/2020 (noch) nicht eingetreten.
2. Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass Asylsuchende in Italien nicht in der Lage sind, die derzeit bestehenden Defizite in der Unterbringung von Familien mit kleinen Kindern durch eigene Anstrengung ausgleichen zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Betroffenen gerade nicht zugleich die eigene Existenz und die ihrer Familie sichern können (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris)

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom    9. März 2021 wird aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) vom 9. März 2021.

Die Kläger zu 1) und 2) sind afghanische Staatsangehörige. Die Kläger zu 3), 4) und 5) sind ihre in den Jahren 2015, 2017 und 2019 geborenen Kinder.

Nach eigenen Angaben reisten die Kläger am 22. September 2020 nach Deutschland ein. Sie stellten am 25. November 2020 förmliche Asylanträge. Mit den Klägern zu 1) und 2) wurden Gespräche zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates geführt und sie wurden persönlich angehört zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages.

Am 13. November 2020 stellte das Bundesamt für die Kläger Aufnahmegesuche an Italien, in denen es EURODAC-Treffer der Kategorie 2 (...) für die Kläger zu 1) und 2) eintrug. Die italienischen Behörden reagierten hierauf nicht.

Mit Bescheid vom 9. März 2021 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger als unzulässig ab und entschied weiter, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Am 14. April 2020 haben die Kläger gegen den am 8. April 2021 zu Post aufgegebenen Bescheid Klage erhoben.

Sie tragen im Wesentlichen vor: Es bestehe die Gefahr für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden wegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem. Als Familie mit Kleinstkindern im Alter von einem Jahr und drei und fünf Jahren gehörten sie zum vulnerablen Personenkreis und könnten wegen der anhaltend schlechten Verhältnisse in Italien nicht dorthin zurückgeschickt werden.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. März 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Mit Beschluss vom 3. Mai 2021 – 6 B 1760/21 – hat das Verwaltungsgericht Oldenburg die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 2021 unter Ziffer 3 verfügte Abschiebungsanordnung angeordnet und in den Gründen der Entscheidung ausgeführt, dass den Klägern aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie in Italien eine Art. 3 EMRK/ Art. 4 GR-Charta widersprechende Behandlung drohe.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2021 hat das Verwaltungsgericht Oldenburg – 6. Kammer – den Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Mit Schriftsätzen vom 21. April 2021 und 5. Mai 2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Er ist deshalb aufzuheben.

Die am 14. April 2021 innerhalb der Wochenfrist der §§ 74 Abs. 1 Hs. 2, 34 a Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Weist das Bundesamt einen Asylantrag mit der Begründung als unzulässig ab, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, ist eine Anfechtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32/14 – juris, Rn. 13f).

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Grundsätzlich ist Italien nach Maßgabe der sogenannten Dublin III-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zuständig. Denn die Kläger sind zunächst in Italien angekommen, was sich aus ihrem Vortrag und den für die Kläger zu 1) und 2) erzielten sog. EURODAC-Treffern ergibt. Da die italienischen Behörden nicht innerhalb von zwei Monaten auf das Aufnahmeersuchen des Bundesamtes reagierten, gilt die Überstellung gem. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO als akzeptiert. Die Überstellungsfrist ist noch nicht abgelaufen, denn das Verwaltungsgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 3. Mai 2021 – 6 B 1760/21 – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 2021 verfügte Abschiebungsanordnung angeordnet.

Für die Vergangenheit ging die Einzelrichterin grundsätzlich davon aus, dass systemische Mängel im italienischen Asylsystem nicht gegeben sind und Italien hinsichtlich der Behandlung von „Dublin-Rückkehrern“ nicht gegen Art. 3 EMRK verstößt (so auch OVG Lüneburg im Beschluss vom 21. Dezember 2018 -10 LB 201/18 -, juris, Rn. 34ff und ebenso im im Beschluss vom 06. Juni 2018 – 10 LB 167/18 – juris Rn. 25f und Urteil vom 06. April 2018 - 10 LB 109/18 -, juris, Rn. 27 ff; BayVGH, Beschluss vom 09. September 2019 – 10 ZB 19.50024 – juris, Rn. 5 m.w.N).

Diese Rechtsprechung gilt jedoch derzeit jedenfalls nicht für die Kläger, denn hinsichtlich der Lebensbedingungen für asylsuchende Familien mit minderjährigen Kindern weist das italienische Asylsystem Schwachstellen auf. Die Lebensbedingungen für Familien mit minderjährigen Kindern, die als „Dublin-Rückkehrer“ nach Italien überstellt werden, verstoßen gegen Artikel 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRC - und deshalb bedarf es derzeit einer konkret-individuellen Zusicherung der Gewährleistung ihrer aus Artikel 4 GRC folgenden Rechte durch die dortigen Behörden (so Leitsatz zum Beschluss des OVG Lüneburg vom 20. Dezember 2019 – 10 LA 192/19 – juris).

Dazu führt das OVG Lüneburg im Beschluss vom 20. Dezember 2019 – 10 A 192/19 – (juris Rn. 21) aus:

„Art. 4 GRC verbietet ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und hat mit seiner fundamentalen Bedeutung allgemeinen und absoluten Charakter (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 78). Daher ist hinsichtlich in einem Mitgliedsstaat schutzsuchender Personen für die Anwendung von Art. 4 GRC irrelevant, wann diese bei ihrer Rücküberstellung in den für ihr Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat bzw. den Mitgliedsstaat, der ihnen bereits internationalen Schutz gewährt hat, einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Die Gewährleistung von Art. 4 GRC gilt auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens, insbesondere auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 88 f.; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.10.2019 – 2 BvR 721/19 –, juris Rn. 19 f.). Hat ein Schutzsuchender oder eine als schutzberechtigt anerkannte Person hinreichend dargelegt, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihm nach einer Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist das mit der Rechtssache befasste Gericht - wie auch zuvor die mit der Sache befassten Behörden - verpflichtet, die aktuelle Sachlage aufzuklären und die deutschen Behörden haben gegebenenfalls Zusicherungen der Behörden des zuständigen Mitgliedsstaates einzuholen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris 15 f. und 18 f.). Das Gericht hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 90). Solche Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die für Art. 4 GRC bzw. für den ihm entsprechenden Art. 3 EMRK besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 91 f.). Dies ist im Allgemeinen insbesondere der Fall, wenn die rückzuüberstellende Person in dem zuständigen Mitgliedsstaat ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basis- bzw. Notbehandlung erhalten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 12). Bei Familien mit Kindern kann sich eine Gefährdung der durch Art. 4 GRC geschützten Rechte auch daraus ergeben, dass der bzw. die Betroffene(n) nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können würden (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 25 bis 28).“

Dem schließt sich die Einzelrichterin an. Danach ist die Überstellung der Kläger zu 1) und 2) mit ihren in den Jahren 2015, 2017 und 2019 geborenen Kindern nach Italien nicht zulässig, denn es ist nicht auszuschließen, dass ihnen in Italien eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC - ohne eine entsprechende Zusicherung der italienischen Behörden - droht (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – 10 LA 192/19 – juris Rn. 22; VG des Saarlandes, Urteil vom 07. Oktober 2019 – 3 K 2156/18 –, S. 9; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03. Juni 2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 23 ff.; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris Rn. 18 bis 20; a.A. Bayerischer VGH, Beschluss vom 09. September 2019 – 10 ZB 19.50024 –, juris Rn. 6).

Die Lebensumstände von Familien mit Kindern, die nach den Regelungen der Dublin III-VO nach Italien überstellt werden, verstoßen gegen Art. 4 GRC.

Nach den dem erkennenden Gericht vorliegenden Erkenntnissen erfolgt die Unterbringung von Dublin-Rückkehrern, die in Italien noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, nach wie vor nicht zeitnah nach ihrer Ankunft in Italien. Zwar steht Asylsuchenden in Italien rechtlich ein Anspruch auf Unterbringung ab ihrer Erstregistrierung (fotosegnalemento) zu, jedoch werden Dublin-Rückkehrer, die zuvor noch keinen Antrag auf internationalen Schutz in Italien gestellt haben, in der Praxis häufig erst nach der förmlichen Aufnahme ihres Asylantrags (verbalizzazione) in eine Unterkunft aufgenommen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation Italien, 11.11.2020, S. 15; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 25f.; VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 – 10 K 2747/19.A - juris Rn. 76 ff m.w.N.). Ausweislich der Erkenntnisse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien aus Januar 2020 (aktualisiert am 10. Juni 2021) beobachtet sie nach wie vor, dass Personen, die aus Dublin-Mitgliedstaaten unter der Dublin III-Verordnung nach Italien überstellt werden, dort oftmals keine oder keine ausreichende Unterstützung erhalten (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, Januar 2020, S. 36). Geldleistungen für Asylsuchende, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind, sind im italienischen Recht nicht vorgesehen. Erstregistrierung und förmliche Aufnahme des Asylantrags finden weiterhin in der Regel nicht am gleichen Tag statt. Vielmehr können dazwischen mehrere Monate liegen, in denen die Betroffenen alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden müssen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation Italien, 11.11.2020, S. 15). Durch die Corona-Pandemie haben sich die Wartezeiten verlängert (SFH, Aufnahmebedingen in Italien, 10. Juni 2021, S. 10). Dementsprechend sind betroffene Antragsteller ohne ausreichende Geldmittel auf Bekannte oder Notunterkünfte angewiesen, ansonsten droht ihnen Obdachlosigkeit oder ein Leben in informellen Siedlungen oder verlassenen Gebäuden zu den dort üblichen erbärmlichen Bedingungen, insbesondere in hygienischer Sicht. Statistische Zahlen zur Anzahl der betroffenen Antragsteller gibt es nicht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation Italien, 11.11.2020, S. 15). Es handelte und handelt sich weiterhin um mehr als ein paar Einzelfälle. Im Februar 2018 sollen mindestens 10.000 Personen faktisch von der Unterbringung ausgeschlossen gewesen sein, darunter Antragsteller, anerkannt Schutzberechtigte, abgelehnte und damit ausreisepflichtige Antragsteller, durchziehende Migranten, deren Ziel ein anderer (Mitglied-) Staat ist, und ausländische Saisonarbeiter (SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8. Mai 2019, S. 12 und 21; VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 – 10 K 2747/19.A - juris Rn. 94 ff m.w.N.). Angesichts dessen, dass eine valide statistische Datengrundlage fehlt, rechnet das Gericht mit einer beträchtlichen Dunkelziffer.

Aufgrund der geschilderten Umstände ist nicht ersichtlich, dass die Kläger unmittelbar nach ihrer Ankunft mit einer ihren Bedürfnissen entsprechenden Unterkunft versorgt werden. Schon dies wird der besonderen Verletzlichkeit der minderjährigen Kläger zu 3) 4) und 5) nicht gerecht (vgl. VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 – 10 K 2747/19.A - juris Rn. 101).

Darüber hinaus ist die überwiegende Anzahl der Erstaufnahmeeinrichtungen, die für die Unterbringung der Kläger in Betracht kommen, nur schlecht, insbesondere nicht kindgerecht, ausgestattet und für eine Unterbringung von Kindern nicht geeignet.

Theoretisch erhalten die Kläger als Dublin-Rückkehrer nunmehr nach dem Gesetzesdekret Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020, bestätigt durch das Gesetz Nr. 173/2020 vom 18. Dezember 2020, (Lamorgese-Dekret) wieder Zugang zu den SPRAR- bzw. SIPROIMI bzw. (nunmehr) SAI-Einrichtungen. Dem EGMR (Urteil vom 23.3.2021 -46595/19-) und dem Oberverwaltungsgericht des Landes Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 9.4.2021 - 7 A 11654/20.OVG -, juris (Kurztext)) ist zuzustimmen, soweit diese darauf hinweisen, dass die durch das Lamorgese-Dekret beschlossenen Änderungen die Situation von Dublin-Rückkehrern mit kleinen Kindern verbessern. Derzeit geht die Einzelrichterin aber aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel davon aus, dass die durch das Lamorgese-Dekret beschlossenen Veränderungen in der Praxis noch nicht dazu führen, dass eine kind- und familiengerechte Unterbringung von Dublin-Rückkehrern auch ohne individuelle Zusicherungen der italienischen Behörden gewährleistet ist. Denn zum einen wurde durch das Lamorgese-Dekret zwar der Personenkreis der berechtigten Personen um die Asylsuchenden erweitert, eine Erhöhung der Anzahl der Plätze ist demgegenüber nicht vorgesehen (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10. Juni 2021, S. 7). Die Anzahl der Plätze reicht nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bei Weitem nicht aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. Zum anderen existieren nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe die durch das Gesetz beschlossenen Veränderungen derzeit lediglich auf dem Papier. Spürbare Verbesserungen seien noch nicht eingetreten (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10. Juni 2021, S. 7). Eine Unterbringung der Kläger in einer Erstaufnahmeeinrichtung ist daher jedenfalls vorübergehend weiterhin wahrscheinlich. Eine solche Erstaufnahmeeinrichtung ist jedoch für die Unterbringung von Kindern in der Regel nicht ausreichend ausgestattet. Die in den Erstaufnahmeeinrichtungen lediglich angebotene Basisversorgung ist für vulnerable Personengruppen - zu denen Familien mit Kindern gehören - nicht ausreichend (VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 – 10 K 2747/19.A - juris Rn. 106 m.w.N.). Diesbezüglich hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden (OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – 10 LA 192/19 – juris Rn. 23):

„Zudem ist diese pauschale Versicherung der Gewährleistung der Grundrechte (auch von Familien mit minderjährigen Kindern) sowie der Wahrung der Familieneinheit und der Schutz von Minderjährigen für alle Unterbringungsplätze in den italienischen CDA-, CARA- und CAS-Einrichtungen (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 6) in dem Rundschreiben 01.2019 nicht schlüssig und nicht überzeugend (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris Rn. 23). Schutzsuchende, die - wie die Kläger - nicht unter die Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen und der anerkannten Schutzberechtigten fallen, sollen nach der Umgestaltung des italienischen Unterbringungssystems in großen, staatlich verwalteten Auffangzentren untergebracht werden (https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-hart-aber-fraglich-1.4144303; https://www.welt.de/politik/ausland/article181649304/Neues-Sicherheitsdekret-Italien-verschaerft-sein-Asylrecht.html; vgl. auch Senatsbeschluss vom 21.12.2018 – 10 LB 201/18 –, juris Rn. 40). Zur Schaffung dieser Zentren sollen die CAS und CARA-Einrichtungen durch Erstaufnahmeeinrichtungen ersetzt werden, in denen auch die Dublin-Rückkehrer untergebracht werden sollen (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 6). Dabei sollen Vulnerabilität und Familieneinheit berücksichtigt und Kernleistungen nicht gekürzt oder gestrichen und besondere Plätze für Familien oder Alleinreisende mit Kindern vorgesehen werden (Länderinformationsblatt 02/2019, S. 7). Soweit bereits vor der mit dem Erlass des „Salvini-Dekrets“ verbundenen Änderung des Unterbringungssystems der weit überwiegende Teil der Schutzsuchenden in den Erstaufnahme- und Notfalleinrichtungen (wie den CAS) untergebracht war und deren Aufnahmebedingungen für alleinstehende arbeitsfähige Personen grundsätzlich keine Rechtsverletzung nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC begründeten (vgl. Senatsurteil vom 04.04.2018 – 10 LB 96/17 –, juris; zur grundlegenden Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Medizin vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 20 f.), erschließt sich dem Senat allerdings nicht, weshalb in diesen Einrichtungen nunmehr auch die an die Unterbringung von Minderjährigen bzw. Familien mit Minderjährigen zu stellenden erhöhten Anforderungen gewährleistet sein sollten (so auch VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 35). Die italienische Regierung hatte im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte selbst noch erklärt, dass Familien mit Kindern als besonders verwundbar angesehen und deshalb normalerweise gerade in SPRAR-Einrichtungen untergebracht würden (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (E. /Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 121). Dass sich die Verhältnisse in den CDA-, CARA- und CAS-Einrichtungen zwischenzeitlich bereits in einer solchen Weise verbessert hätten, dass dort generell auch eine Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern entsprechend ihrer erhöhten Bedürfnisse in einer ihrer Rechte aus Art. 4 GRC wahrenden Weise möglich wäre, ist nicht ersichtlich, zumal konkrete positive Veränderungen in diesen Einrichtungen nicht bekannt sind (so auch VG Lüneburg, Beschluss vom 03.04.2019 – 8 B 65/19 –, juris Rn. 51). Angesichts dessen, dass in dem Rundschreiben vom 4. Juli 2018 an die Dublin Einheiten das italienische Innenministerium lediglich 79 Plätze in SPRAR-Einrichtungen mitgeteilt hatte, die die Rechte von Familien mit minderjährigen Kindern aus Art. 4 GRC gewährleisten würden, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass zwischenzeitlich in allen Einrichtungen des Erstaufnahmesystems (mit mehr als 100.000 Plätzen) eine entsprechende Verbesserung der Unterbringungsbedingungen eingetreten ist, die eine drohende Verletzung von Art. 4 GRC bei Familien mit Kindern ausschließen würde. Auch die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel geben hierfür nichts her, sondern gehen angesichts der Kostensenkung und Personalreduzierung vielmehr von einer Verschlechterung der bisherigen Bedingungen aus (vgl. etwa SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 6, 8 ff.; borderline-europe 05/2019, S. 5 ff.; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 03.06.2019 – 34 K 1487.17 A –, juris Rn. 31). Selbst in Fällen, in denen die italienischen Behörden - vor dem „Salvini-Dekret“ - individuelle Garantien bezüglich der Aufnahmebedingungen von Familien entsprechend der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (E. /Schweiz) abgegeben hatten, wurden die überstellten Asylsuchenden nicht immer entsprechend den erklärten Garantien aufgenommen (SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 08.05.2019, S. 13).“

Das VG Minden führt insofern in seiner Entscheidung vom 13. November 2019 – 10 K 2747/19.A – (juris Rn. 108 f) aus:

„Dies steht aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen S. in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts fest. Diesbezüglich hat die Sachverständige auf Grundlage ihrer jüngsten im September 2019 unternommenen Aufklärungsreise nach Italien sowie den durch die Beziehungen zu staatlichen Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen vor Ort gewonnen Informationen ausgeführt, dass in den von ihr besuchten Erstaufnahmeeinrichtungen separate Zimmer für die gemeinsame Unterbringung von Familien oder alleinerziehende Mütter zusammen mit ihren Kindern vorgehalten wurden. Jedoch stellte die Unterbringung von alleinerziehenden Müttern oder Familien mit Kindern in den von der Sachverständigen besuchten CAS-Zentren aufgrund des geringen Platzes eine "sehr enge und schwierige Situation" (z.B. vier Mütter mit Kindern in einem kleinen Zimmer) dar. Ferner waren die Familienbereiche oft nicht räumlich von den Unterkünften der anderen Asylsuchenden abgetrennt und sanitäre Anlagen, deren Zustand oft unzureichend war, wurden mit den daraus resultierenden Nachteilen von allen in der Einrichtung untergebrachten Personen gemeinsam benutzt. In der Mehrzahl der besuchten Zentren war abgesehen von Nahrung für Kleinkinder zudem keine spezielle Ausstattung für Kinder, insbesondere kein Spielzeug oder ein separater Raum für Kinder zum Spielen vorhanden. Die Familien wurden ferner zusammen mit Personen mit psychischen Problemen im gleichen Zentrum untergebracht. Personal war in den Einrichtungen nicht durchgängig anwesend. Insgesamt beschrieb die Sachverständige eine "schwere" und nicht kinderfreundliche Stimmung in den Unterbringungseinrichtungen, welche unter den Familien nicht nur in Einzelfällen eine Atmosphäre der Anspannung und Angst erzeugte.

Diese Lebensbedingungen werden der besonderen Verletzlichkeit von Kindern offensichtlich nicht gerecht, so dass die Behandlung von Familien mit Kindern gegen Art. 4 GrCh verstößt. Dieser Auffassung war bis Ende Mai 2017 auch das Bundesamt. Denn nach seiner bis dahin geltenden Verwaltungspraxis durften Familien mit Kindern unter 16 Jahren nur bei Vorliegen einer individuellen Garantie für eine altersgerechte Unterbringung und die Wahrung der Familieneinheit nach Italien überstellt werden.“

Dem schließt sich die Einzelrichterin auch für die aktuelle Lage an. Zwar sieht das Lamorgese-Dekret auch für die CAS eine Anpassung der Dienstleistungen an die regulären Zentren der ersten Stufe vor (Art. 4 Abs. 2c Dekret 130/2020). Nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe handelt es sich bei den durch das Lamorgese-Dekret beschlossenen Veränderungen jedoch um sehr bescheidene Verbesserungen (es soll wieder einen psychologischen Betreuungsdienst und Italienischkurse geben). Es wäre nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe verfehlt anzunehmen, dass damit die Situation vor Salvini wiederhergestellt wäre, wobei die Erstaufnahmezentren auch schon vorher in der Kritik gestanden hätten und die Qualität stark variiert habe. Insgesamt reichten die Veränderungen nicht einmal aus, um Mindeststandards zu erfüllen (SFH, Aufnahmebedingen in Italien, 10. Juni 2021, S. 5f.). Für eine Unterbringung von Familien mit kleinen Kinder erscheinen diese Einrichtungen auch unter Berücksichtigung der beschlossenen Verbesserungen nicht geeignet.

Es ist auch beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger nicht in der Lage sein werden, die derzeit bestehenden Defizite in der Unterbringung von Familien mit kleinen Kindern durch eigene Anstrengungen ausgleichen zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der bzw. die Betroffenen gerade nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris). Die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs, dass gesunde und arbeitsfähige bzw. nicht-vulnerable Flüchtlinge sowohl während des Asylverfahrens als auch vor allem nach erfolgter Zuerkennung internationalen Schutzes arbeiten, deckt sich mit den Erwartungen des italienischen Asylsystems. Für die Familie der Kläger dürfte es angesichts der drei noch nicht schulpflichtigen Kinder trotz juristisch möglicher Arbeitsaufnahme schwierig sein, ihre Existenz eigenständig zu sichern. Auch wenn es arbeitsfähigen alleinstehenden Personen bzw. Paaren ohne Kinder - jedenfalls vor der Corona-Pandemie - zugemutet werden kann bzw. konnte, sich selbst oder auch mithilfe kommunaler und karitative Einrichtungen sowie Nichtregierungsorganisationen aus einer Situation von (drohender) Obdachlosigkeit zu befreien (OVG Lüneburg, Urteil vom 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris und Beschluss vom 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.7.2019, a.a.O.), lässt sich dies nicht auf Familien mit minderjährigen Kindern übertragen. Denn diese befinden sich in der Situation, dass sowohl die Kinderbetreuung als auch der Lebensunterhalt für mehrere Personen sichergestellt werden muss. Dies führt dazu, dass Familien mit minderjährigen Kindern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Situation extremer materieller Not droht (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26.2. 2020, a.a.O.).

Diese Situation hat sich durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie weiter verschärft (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 13f.). Die juristisch ermöglichte Arbeitsaufnahme ließ sich bereits vor Beginn der Corona-Krise in der Praxis nicht immer einfach realisieren. Für Asylsuchende war es schon seit Jahren kaum möglich, in Italien eine legale Arbeit zu finden (vgl. VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 - 10 K 7608/17.A -, juris, Rn. 129 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 68 f.). Die hohe Arbeitslosenquote Italiens, die 2019 bei zehn Prozent und im April 2021 bei 10,7 Prozent lag (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/ (Aufruf: 28. Juni 2021), könnte nach derzeitigen Prognosen bis 2023 weiter steigen (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14).

Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass bereits jetzt die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie in Italien dramatisch sind. So kamen beispielsweise im Jahr 2020 69% weniger Touristen nach Italien (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14). Gerade im Tourismussektor finden aber anerkannt Schutzberechtigte Arbeitsmöglichkeiten. Diese zuvor noch in den Tourismus- und Gaststätten-Sektoren vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten für Migranten fallen damit auf absehbare Zeit umfangreich weg. Eine vollständige Erholung des Wirtschaftssektors ist erst mit einem weitgehenden Zurückdrängen der Viruserkrankung zu erwarten.

Nicht allein durch den zu erwartenden Rückgang im Tourismussektor, sondern vor allem durch die Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage haben sich die bereits zuvor bestehenden massiven Schwierigkeiten bei der Erlangung legaler Arbeitsmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie zum gegenwärtigen Zeitpunkt derart ausgeweitet, dass nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass ein anerkannt Schutzberechtigter in Italien oder ein Asylsuchender die reale Möglichkeit haben wird, in absehbarer Zeit eine legale Arbeitsstelle zu finden, um sich seine Unterkunft und seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14; Accord, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 10; Romer, Asylmagazin 2021, 207, 2012). Damit besteht derzeit keine Möglichkeit für die Kläger, durch Arbeitsaufnahme der Eltern bzw. eines Elternteils ihre Grundbedürfnisse zu decken und damit im Sinne der restriktiven Vorgaben des Jawo-Urteils eine Situation extremer Not gemäß Art. 4 GR-Charta selbst abzuwenden.

Ausgehend von der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeit einer Zusicherung der Behörden des Zielstaats der Abschiebung bei durchgreifenden Zweifeln an einer adäquaten Unterbringung von Familien mit Kindern dürfen diese aufgrund der vorstehend beschriebenen Lebensumstände nur bei Vorliegen einer belastbaren individuellen Zusicherung, dass für sie nach ihrer Ankunft eine ihren Bedürfnissen entsprechende Unterkunft zur Verfügung steht, nach Italien überstellt werden (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 120 f.; BVerfG, Beschlüsse vom 17. September 2014 - 2 BvR 939/14 -, NVwZ 2014, 1511, Rn. 16, und - 2 BvR 1795/14 -, juris Rn. 14 - zu Familien mit Kleinstkindern -, und vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, juris Rn. 23).

Eine solche Zusicherung muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in den betreffenden Unterkünften enthalten.

Die aktuelle Zusicherung der italienischen Dublin-Einheit mit Rundschreiben 1/2019 ("circular letter n. 1/2019") vom Januar 2019 entspricht diesen Anforderungen nicht. Da das Rundschreiben keine bestimmten Aufnahmeeinrichtungen benennt, liegen bereits die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten detaillierten und zuverlässigen Informationen über die materiellen Bedingungen in den betreffenden Unterkünften nicht vor. Darauf kann angesichts dessen, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die in Italien für Asylsuchende zur Verfügung stehenden Unterkünfte eine kindgerechte Unterbringung gewährleisten, nicht verzichtet werden. Ohne diese Information ist es dem Gericht nicht möglich zu prüfen, ob eine Unterbringungseinrichtung, die für die Unterbringung der Kläger vorgesehen ist, den rechtlichen Anforderungen entspricht.

Ergibt sich somit, dass die Kläger nicht nach Italien rücküberstellt werden dürfen, weil sie dort einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, und liegt keine entsprechende Zusicherung der italienischen Behörden vor, haben die Kläger aber andererseits einen Anspruch darauf, dass über ihre Asylanträge entschieden wird, ergibt sich, dass die Anträge nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Vielmehr ist Deutschland zuständig für die Entscheidung über den Asylantrag. Deshalb ist die unter Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anträge als unzulässig rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist aufzuheben.

Die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls aufzuheben, da sie - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - inhaltlich nicht zutrifft.

Die unter Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides verfügte Anordnung der Abschiebung nach Italien ist ebenfalls aufzuheben. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - nicht vor, weil nicht Italien, sondern die Beklagte für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig ist.

Die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides enthaltene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist infolge der Aufhebung der Abschiebungsanordnung gegenstandslos geworden, so dass sie aus Gründen der Klarstellung aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.