Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 02.07.2021, Az.: 6 A 2745/19

Corona; COVID-19; Italien; Rücküberstellung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
02.07.2021
Aktenzeichen
6 A 2745/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70932
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Derzeit ist es unter Berücksichtigung der bereits eingetretenen und zu erwartenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der sogenannten Corona-Krise beachtlich wahrscheinlich, dass auch dem nicht vulnerablen Kläger im Falle seiner Rücküberstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. September 2019 wird mit Ausnahme der Regelung, dass der Kläger nicht nach Somalia abgeschoben werden darf, aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – künftig: Bundesamt – vom 10. September 2019.

Der Kläger beantragte am 25. April 2018 in Deutschland Asyl.

Er ist eigenen Angaben zufolge somalischer Staatsangehöriger und will nach ersten Angaben vom 3. Mai 2018 sein Herkunftsland im Jahr 2016 verlassen haben. Er sei über Äthiopien, den Sudan und Libyen im Juli 2016 nach Italien eingereist. Am 3. April 2018 sei er über die Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Am 3. Mai 2018 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an die italienischen Behörden.

Mit Bescheid vom 22. Mai 2018, dem Kläger ausgehändigt am 30. Mai 2018, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab und entschied weiter, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Dagegen erhob der Kläger am 4. Juni 2018 Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2018 erklärten die italienischen Behörden, dass dem Kläger in Italien Flüchtlingsstatus zuerkannt sei und eine Überstellung im Dublin-Verfahren deshalb nicht möglich sei. Das Verwaltungsgericht Osnabrück hob den Bescheid des Bundesamtes vom 22. Mai 2018 mit Urteil vom 14. Dezember 2018 auf.

Mit Bescheid vom 10. September 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Italien abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Er dürfe nicht nach Somalia abgeschoben werden. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung werde ausgesetzt. Der Bescheid wurde am 11. September 2019 zur Post aufgegeben.

Am 18. September 2019 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. September 2019 aufzuheben,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg – 6. Kammer – hat mit Beschluss vom 25. Juni 2021 den Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Mit Schriftsätzen vom 23. September 2019 und 10. Mai 2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 10. September 2019 begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Der Bescheid vom 10. September 2019 ist, mit Ausnahme der den Kläger ausschließlich begünstigenden Feststellung, dass er nicht nach Somalia abgeschoben werden darf, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Mit dieser Vorschrift setzt der nationale Gesetzgeber Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32 in das nationale Recht um, der ein solches Ablehnungsrecht vorsieht. Entsprechend der Umsetzung im deutschen Recht unterfallen dem Begriff des internationalen Schutzes nach Art. 2 Buchst. i der Verfahrensrichtlinie sowohl die Flüchtlingseigenschaft als auch der subsidiäre Schutzstatus.

Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG für den vom Kläger gestellten Asylantrag grundsätzlich vor, weil dem Kläger in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32 aber dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Juni 2016 (ABl. C 202/389 - GR-Charta -), der mit Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) inhaltsgleich ist, zu erfahren, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17, C-541/17 - juris, Rn. 34, 35, 43, und Urteil vom 19. März 2019 - C 297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 -, juris, Rn. 101, vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 30 ff).

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers nicht als unzulässig ablehnen, da diesem im Falle einer Abschiebung nach Italien aufgrund der gegenwärtigen Umstände eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK droht.

Abzustellen ist auf die Situation des Klägers als nicht vulnerablem, gesundem und arbeitsfähigem in Italien anerkannten Schutzberechtigten. Für den Kläger besteht bei einer Rückkehr nach Italien derzeit gleichwohl die Gefahr, einer den Grundsätzen des Art. 4 GR-Charta zuwiderlaufenden Behandlung oder Situation extremer materieller Not unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen ausgesetzt zu sein.

An das Vorliegen einer solchen Gefahr stellt der Europäische Gerichtshof sehr strenge Anforderungen (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 82 f. und 87 bis 98; und vom 13. November 2019 - C-540/17 -, juris, Rn. 39).

Im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gilt danach die Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller und Schutzberechtigten in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Allerdings kann nach der vorstehenden Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 82 f. und 87 bis 98).

Art. 4 der GR-Charta und in gleicher Weise auch Art. 3 EMRK sind dahin auszulegen, dass sie einer Überstellung entgegenstehen, wenn das zuständige Gericht auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben feststellt, dass der Antragsteller einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta zu erfahren, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 98; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -, juris, Rn. 39; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 15).

Dabei ist es für die Anwendung des Art. 4 GR-Charta gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person auf Grund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Die Überstellung eines Antragstellers oder Schutzberechtigten in einen Mitgliedstaat ist in all jenen Situationen ausgeschlossen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung in eine solche Gefahr geraten wird. Insoweit ist das zuständige Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Derartige Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GR-Charta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt.

Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -, juris, Rn. 38, 39).

Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person reichen nicht aus, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Das Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta nicht aus. Der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise zuständigen Mitgliedstaat, kann nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Grundrechtecharta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 93 f. und 96 f.; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -, juris, Rn. 39).

Art. 4 GR-Charta verpflichtet die Konventionsstaaten auch nicht, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen das Recht auf eine Unterkunft und eine finanzielle Unterstützung zu gewährleisten, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (vgl. zu Art. 3 EMRK: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, EuGRZ 2011, 243, 245, Rn. 249).

Erst recht lässt sich aus Art. 4 GR-Charta kein Anspruch auf Bevorzugung gegenüber der einheimischen Bevölkerung herleiten (vgl. zu Art. 3 EMRK: EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 -, NVwZ 2017, 1187, Rn. 189).

Schutzberechtigte müssen sich auf den für Staatsangehörige des schutzgewährenden Landes vorhandenen Lebensstandard verweisen lassen (siehe etwa Art. 26 Abs. 2 und 3, Art. 29 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU).

Durch Missstände im sozialen Bereich wird die Eingriffsschwelle von Art. 4 GR-Charta nur unter strengen Voraussetzungen überschritten. Neben den rechtlichen Vorgaben ist dabei aber auch auf den (Arbeits-) Willen und reale Arbeitsmöglichkeiten abzustellen; zudem sind die persönlichen Entscheidungen des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -, juris, Rn. 40, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 - (Jawo), juris, Rn. 92; OVG Schleswig-Holstein (OVG SH), Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 LB 27/17 -, juris, Rn. 60, m.w.N).

Der Verstoß gegen Art. 4 der GR-Charta muss unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen (vgl. OVG SH, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 134 f).

Entsprechend vorstehender Ausführungen ging die Einzelrichterin mit dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage insbesondere des Urteils vom 6. April 2018 (-10 LB 109/18-, juris, Rn. 27 ff) und der weiteren Entscheidungen vom 21. Dezember 2018 (-10 LB 201/18-), 6. August 2018 (-10 LA 320/18-), 6. Juni 2018 (-10 LB 167/18-), 28. Mai 2018 (-10 LB 202/18-), 9. April 2018 (-10 LB 92/17-) und 4. April 2018 (-10 LB 96/17-) davon aus, dass keine systemischen Mängel einer Rücküberstellung von Schutzberechtigten nach Italien entgegenstehen (vgl. dazu auch: OVG NRW, Urteile vom 19. Mai 2016 - 13 A 516/14.A - juris, Rn. 65 ff.; vom 21. Juni 2016 - 13 A 604/16.A - juris. Rn. 44 ff.; vom 18. Juli 2016 - 13 A 1859/14.A -, juris, Rn. 41 ff.; Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 - 13 A 1624/16.A -, juris, Rn. 6; vom 16. Februar 2017 - 13 A 316/17.A -, juris, Rn. 3 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -, juris, Rn. 42 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26. Februar 2020 - 1a K 887/18.A -, Rn. 58, juris, m.w.N.; siehe auch VG Köln, Urteil vom 29. Mai 2019 - 23 K 401/16.A -, juris, Rn. 22 ff.; VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2019 - 5 K 5990/17.A -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 - W 2 S 19.50498 -, juris, Rn. 30; VG Magdeburg, Urteil vom 2. Mai 2019 - 8 A 126/19 -, juris, Rn. 14 - 15; VG Lüneburg, Beschluss vom 15. März 2019 - 8 B 59/19 -, juris, Rn. 15; a.A. VG Minden, z.B. Urteile vom 10. Mai 2016 - 10 K 2248/14.A -, juris, Rn. 50 ff., vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -, juris ,Rn. 24 ff., und vom 13. November 2019 - 10 K 7608/17.A -, juris, VG Hannover, Beschlüsse vom 13. August 2019 - 5 B 3516/19 -, juris, Rn. 16 ff., und vom 4. September 2019 - 5 B 11115/17 -, juris, Rn. 16 ff.; VG Berlin, Urteil vom 31. Januar 2018 - 28 K 452/17.A -, juris, Rn. 41 ff).

Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist es jedoch insbesondere unter Berücksichtigung der bereits eingetretenen und zu erwartenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der sogenannten Corona-Krise beachtlich wahrscheinlich, dass auch dem nicht vulnerablen Kläger im Falle einer Rückkehr nach Italien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht. Es handelt sich um eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die das Gericht nicht unbeachtet lassen darf (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 -10 LA 114/20-, V.n.b.).

Bezüglich der Unterbringungssituation war für anerkannt Schutzberechtigte in Italien vor Beginn der Corona-Pandemie grundsätzlich Folgendes feststellbar: Anerkannte Flüchtlinge haben im Rahmen der bestehenden Kapazitäten und sofern die maximale Aufenthaltsdauer von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen (bei Gesundheitsproblemen oder im Hinblick auf bestimmte Integrationsziele) um weitere sechs Monate verlängert werden kann, noch nicht ausgeschöpft ist, Zugang zum Zweitaufnahmesystem SAI (früher: SIPROIMI bzw. noch früher: SPRAR), das zur Zeit über 30.049 Plätze verfügt (vgl. https://www.retesai.it/i-numeri-dello-sprar/ (Aufruf am 28. Juni 2021); SFH, Romer, Asylmagazin 2021, 207, 210).

Bei den SAI handelt es sich um dezentrale, auf lokaler Ebene organisierte (Zweit-)Unterbringungssysteme, die aus einem Netzwerk von Unterkünften und überwiegend aus Wohnungen bestehen, auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basieren und die Teilhabe am kommunalen Leben fördern sollen. Die Unterbringung wird von Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachkurse, psychosoziale Unterstützung, Jobtrainings, Praktika, Unterstützung bei der Suche einer Stelle auf dem Arbeitsmarkt) begleitet (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 53f. Ergänzung vom 10. Juni 2021, S. 11f.).

Diese Einrichtungen, bei denen es sich um die umbenannten früheren SIPROIMI bzw. SPRAR-Einrichtungen handelt, standen infolge des sog. Salvini-Dekrets seit Herbst 2018 nur noch anerkannten Schutzberechtigten sowie unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden offen (vgl. borderline europe (b-e), Italien: Salvinis Dekret der Asylrechtsverschärfungen, 25. September 2018; Danish Refugee council (DRC)/SFH, Mutual trust is still not enough - The Situation of Persons with Special Reception Needs Transferred to Italy under the Dublin III Regulation, 12. Dezember 2018, S. 12 f.; BFA, Länderinformationsblatt Italien, Stand: 26. Februar 2019, S. 9; SFH; Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8. Mai 2019, S. 5), wodurch die Zahlen von Berechtigten sanken. Durch das Lamorgese-Dekret (Gesetzesdekret Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020), bestätigt durch das Gesetz Nr. 173/2020 vom 18. Dezember 2020) haben nunmehr jedoch auch Dublin-Rückkehrer wieder Zugang zu den SAI-Einrichtungen. Diese Erweiterung des berechtigten Personenkreises wird allerdings nicht von einer Erhöhung der Anzahl der bereitgestellten Plätze begleitet (SFH, Aufnahmebdingungen in Italien, 10. Juni 2021, S. 7). Die Anzahl der Plätze reichte aber nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bereits vor der Erweiterung des Kreises der Berechtigten bei Weitem nicht aus, um der Nachfrage gerecht zu werden (ebenso Anfragebeantwortung von ProAsyl und der SFH an Hess. VGH vom 20. Oktober 2020; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation Italien, 11.11.2020, S. 22).

Das Recht auf Unterkunft wird in Italien darüber hinaus erheblich dadurch eingeschränkt, dass Personen, die bereits einmal in einer staatlichen Unterkunft für Asylsuchende oder anerkannte Schutzberechtigte untergebracht waren oder einen ihnen dort zugewiesenen Unterkunftsplatz nicht angenommen haben, regelmäßig keinen Anspruch darauf haben, dort erneut aufgenommen zu werden. Die einschlägige gesetzliche Regelung, Art. 23 Abs. 3 des Decreto Legislativo 18 agosto 2015, n. 142 (Dekret 142/2015), sieht vor, dass der Präfekt der Region, in welcher die Unterbringungseinrichtung liegt, im Einzelfall über den Entzug des Rechts auf Unterbringung entscheidet, wenn die untergebrachte Person die Einrichtung ohne Benachrichtigung der Präfektur verlassen hat oder dort, obwohl sie einer solchen Einrichtung zugewiesen wurde, gar nicht erst einzieht. Diese Regelung findet sowohl auf Erst- als auch auf Zweitaufnahmeeinrichtungen und damit auch auf die SAI-Einrichtungen Anwendung (vgl. Anfragebeantwortung von ProAsyl und der SFH an Hess. VGH vom 20. Oktober 2020; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 17, 55 f).

Ist eine in einer solchen Einrichtung untergebrachte Person für mehr als 72 Stunden unentschuldigt abwesend oder bezieht sie eine ihr zugewiesene Unterkunft gar nicht erst, wird ihr Name durch den Betreiber der Einrichtung der zuständigen Präfektur gemeldet. Daraufhin entzieht der Präfekt der betreffenden Person das Recht auf Unterbringung, indem er ihren Namen, ohne ihr dies mitzuteilen, auf eine bei der Präfektur geführte Liste setzt. Mit dem Entzug der Unterkunft verliert die betreffende Person auch den Zugang zu allen weiteren in der Unterkunft erbrachten staatlichen Leistungen. Die Wiederaufnahme der betreffenden Person in die Unterkunft kann unter Berufung auf höhere Gewalt, unvorhersehbare Umstände oder schwerwiegende persönliche Gründe beantragt und von der Präfektur verfügt werden. Jedoch haben sowohl ein solcher Antrag als auch ein sich ggf. anschließendes Gerichtsverfahren nur äußerst geringe Erfolgsaussichten; zudem dauern sowohl das behördliche als auch im Falle einer abschlägigen Entscheidung des Präfekten das gerichtliche Verfahren in Abhängigkeit von der jeweiligen Region mehrere Monate. In dieser Zeit hat die betreffende Person kein Recht auf (staatliche) Unterbringung (vgl. aida, Country Report: Italy, Update 2018, von April 2019, S. 86 f.; SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8. Mai 2019, S. 14; b-e, Stellungnahme zu der derzeitigen Situation von Geflüchteten in Italien mit besonderem Blick auf die Unterbringung, 3. Mai 2019, S. 5; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 17, 55 f., 61; SFH, Anfragebeantwortung an das VG Berlin vom 16. Dezember 2019, S. 3).

Neben den SAI-Einrichtungen existieren auch gemeindliche Sozialwohnungen, die anerkannten Schutzberechtigten unter denselben Bedingungen offenstehen, wie sie für italienische Staatsbürger gelten. Die Stellung eines Antrags auf Zuteilung einer solchen Wohnung setzt jedoch in einigen Regionen einen Mindestaufenthalt in Italien voraus. Darüber hinaus ist die Warteliste lang, so dass es mehrere Jahre dauern kann, bis eine Person eine Wohnung erhält (vgl. aida, Country Report: Italy, Update 2018, von April 2019, S. 146, SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 66 f).

Derzeit ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Versorgungslücken in der Unterbringung durch karitative und soziale Einrichtungen ausgeglichen werden können. Zwar existieren von den Gemeinden, insbesondere in Großstädten wie Rom oder Mailand, angebotene Unterkünfte und Notschlafplätze sowie Hilfen karitativer Einrichtungen (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 71 f).

In diesem Zusammenhang bietet beispielsweise die Gemeinde Rom eine telefonische Notfallhotline an, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Notfallplätze an bedürftige Personen vermittelt. Auf der Homepage werden sieben Zentren für erwachsene Obdachlose und fünf Zentren für Mütter mit Kindern aufgelistet. Diese Zentren sind ausschließlich Schlafunterkünfte, die nur in der Nacht bis zum nächsten Morgen zur Verfügung stehen und für die eine Reservierung nicht möglich ist (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 72 f).

Ebenso existieren auch in Mailand besondere Notunterkünfte. Während der Winterzeit werden die Plätze in Notunterkünften hier erhöht und diese sollen für alle Bedürftigen verfügbar sein. Während der restlichen Zeit des Jahres wird die Kapazität reduziert. Das CASC im Hauptbahnhof ist bei der Suche nach Notunterkünften behilflich. Es befindet sich im Hauptbahnhof Mailands und ist jeden Tag geöffnet (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 73 f).

Valide Zahlen zum tatsächlichen Vorhandensein von Notunterkünften sind kaum erhältlich.

Vor Beginn der Corona-Pandemie ergab sich aus den vorgenannten Umständen zur Unterkunftssituation für sich genommen (noch) kein Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK aufgrund der Aufnahmebedingungen für nicht vulnerable rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte. Dies galt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass für nicht vulnerable Schutzberechtigte, die nach einer Rückkehr nach Italien tatsächlich von jeglicher staatlicher Versorgung ausgeschlossen gewesen sein sollten, zwar die Situation eintreten konnte, zumindest für eine Übergangszeit auf wohltätige Hilfe der Einrichtungen von Kirche, der Kommunen oder NGOs angewiesen zu sein, sollten sie kein erspartes Geld für eine Unterkunft mehr bei sich haben.

In der aktuellen Situation der Corona-Krise liegen jedoch belastbare Anhaltspunkte dafür vor, dass die vorstehend geschilderten Defizite in der Unterbringungssituation auf absehbare Zeit nicht (mehr) durch kirchliche Organisationen oder wohltätige Nichtregierungsorganisationen effektiv ausgeglichen werden. Denn im Zuge der Pandemie ist ein starker Anstieg an Unterstützungsanfragen durch Bedürftige zu verzeichnen. Demgegenüber hat sich die Anzahl der Plätze in Notunterkünften, welche nicht spezifisch für Personen aus dem Migrationsbereich reserviert sind, im Zuge der Pandemie halbiert (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 12f.). Auch ist die finanzielle Situation der Hilfsorganisationen oft schwierig, sodass die Kontinuität der Projekte nicht gesichert ist (ProAsyl/SFH, Anfragebeantwortung an Hess. VGH vom 29.102020, S. 10) Bereits zuvor haben die vorhandenen Notunterkünfte nur eine mäßige Entlastung der Situation (vorübergehend) obdachloser Schutzberechtigter bewirkt. Nunmehr ist jedoch beachtlich wahrscheinlich, dass die Rücküberstellung des Klägers einem "real risk" der drohenden Obdachlosigkeit gleichkäme (vgl. zur Situation eines minderjährigen Rückkehrers: BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 23 ff.; vgl. auch VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 - 10 K 7608/17.A -, juris; VG Hannover, Urteil vom 25. Februar 2021 - 5 A 5474/18 -, V.n.b. und Urteil vom 12. Februar 2021 - 4 A 2210/18 -, V.n.b. und Urteil vom 9. Oktober 2020 - 5 A 3239/16 -, juris, Rn. 145).

Dieser Gefahr werden anerkannt Schutzberechtigte, die nach Italien rückgeführt werden, voraussichtlich in absehbarer Zeit auch nicht durch die Aufnahme bezahlter Arbeit, den Bezug staatlicher Sozialleistungen, die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen oder die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes wirksam entgegenwirken können.

Insoweit ist zwar bezüglich der nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zu stellenden Kernfrage des unter Berücksichtigung der hohen Schwelle der Erheblichkeit länger andauernden Fehlens von "Bett, Brot, Seife" auch die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme in den Blick zu nehmen, die in Italien derzeit jedem Flüchtling 60 Tage nach Registrierung erlaubt ist. Denn kann der Betroffene nach Rücküberstellung in den grundsätzlich zuständigen Dublinstaat seine Grundbedürfnisse dort durch Arbeitseinkommen decken, kann eine Situation extremer materieller Not nicht "unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen" eintreten und damit gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch kein Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019- A 4 S 749/19 -, juris, Rn. 118 ff).

Die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs, dass gesunde und arbeitsfähige bzw. nichtvulnerable Flüchtlinge sowohl während des Asylverfahrens als auch vor allem nach erfolgter Zuerkennung internationalen Schutzes arbeiten, deckt sich mit den Erwartungen des italienischen Asylsystems. Um die Erzielung eines Arbeitseinkommens zur Sicherung der Grundbedürfnisse zu ermöglichen, wird Flüchtlingen in Italien grundsätzlich bereits zwei Monate nach Asylantragstellung der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.

Es ist jedoch in der derzeitigen Situation beachtlich wahrscheinlich, dass auch der – soweit ersichtlich - nicht vulnerable Kläger bei einer Rückkehr nach Italien eine Situation vorfinden wird, in welcher er keine Arbeitsstelle findet.

Die juristisch ermöglichte Arbeitsaufnahme ließ sich bereits vor Beginn der Corona-Krise in der Praxis nicht immer einfach realisieren. Für Asylsuchende war es schon seit Jahren kaum möglich, in Italien eine legale Arbeit zu finden (vgl. VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 - 10 K 7608/17.A -, juris, Rn. 129 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 68 f.).

Die hohe Arbeitslosenquote Italiens, die 2019 bei zehn Prozent und im April 2021 bei 10,7 Prozent lag (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/ (Aufruf: 28. Juni 2021), könnte nach derzeitigen Prognosen bis 2023 weiter steigen (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14).

Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass bereits jetzt die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie in Italien dramatisch sind. So kamen beispielsweise im Jahr 2020 69% weniger Touristen nach Italien (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14). Gerade im Tourismussektor finden aber anerkannt Schutzberechtigte Arbeitsmöglichkeiten. Diese zuvor noch in den Tourismus- und Gaststätten-Sektoren vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten für Migranten fallen damit auf absehbare Zeit umfangreich weg. Eine vollständige Erholung des Wirtschaftssektors ist erst mit einem weitgehenden Zurückdrängen der Viruserkrankung zu erwarten.

Nicht allein durch den zu erwartenden Rückgang im Tourismussektor, sondern vor allem durch die Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage haben sich die bereits zuvor bestehenden massiven Schwierigkeiten bei der Erlangung legaler Arbeitsmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie zum gegenwärtigen Zeitpunkt derart ausgeweitet, dass nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass ein anerkannt Schutzberechtigter in Italien die reale Möglichkeit haben wird, in absehbarer Zeit eine legale Arbeitsstelle zu finden, um sich seine Unterkunft und seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren (SFH, Aufnahmebedingungen Italien, 10. Juni 2021, S. 14; Accord, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 10; Romer, Asylmagazin 2021, 207, 2012). Damit besteht derzeit keine Möglichkeit für den Kläger, durch Aufnahme einer Arbeit seine Grundbedürfnisse zu decken und damit im Sinne der restriktiven Vorgaben des Jawo-Urteils eine Situation extremer Not gemäß Art. 4 GR-Charta selbst abzuwenden (so auch VG Hannover, Urteil vom 9. Oktober 2020, a.a.O.)..

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit zur Aufnahme einer legalen Arbeit auch vom Vorhandensein einer gültigen Aufenthaltserlaubnis abhängen dürfte, welche wiederum ohne festen Wohnsitz bei Verlust oder Ablauf schwierig zu erlangen ist (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 49 f., 71 f).

Die Schwierigkeiten beruhen insoweit insbesondere auf dem Umstand, dass für die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis eine Adresse angegeben werden muss und die Einladung in die Questura für die Ausstellung sodann an diese Adresse gesendet wird (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 49 f).

Demgegenüber müssen sich anerkannt Schutzberechtigte nicht auf illegale, unversicherte Arbeit in der Schattenwirtschaft, in der die ständige Gefahr der Ausbeutung besteht, verweisen lassen (vgl. hierzu etwa VG Minden, Urteile vom 6. Februar 2020 - 12 K 491/19.A -, juris, Rn. 135, sowie vom 6. Februar 2020 - 12 K 492/19.A -, juris, Rn. 138; VG Meiningen, Urteil vom 28. Januar 2020 - 2 K648/19 -, juris, Rn. 49; VG Oldenburg, Urteil vom 20. November 2019 - 11 A 265/19 -, juris, Rn. 37; VG Magdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 6 A 390/19 -, juris, Rn. 39; VG Aachen, Urteil vom 16. März 2020 - 10 K 157/19.A -, juris, Rn. 137 f).

Weiter kommt in der gegenwärtigen Situation erschwerend hinzu, dass anerkannt Schutzberechtigte in Italien in der Regel keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, wie sie in Deutschland üblich sind. Zwar ergibt sich hieraus im Grunde noch kein Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK nach den vorstehend dargestellten Maßstäben. Anerkannte Schutzberechtigte sind in Italien nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen in der Regel ab dem Moment der Schutzgewährung sowohl hinsichtlich sozialer Unterstützung als auch in Bezug auf medizinische Versorgung italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 35 und 69; Vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 62 ff., 67; aida, Country Report: Italy, April 2019, S. 147 ff).

Dies gilt jedoch faktisch nicht hinsichtlich des zum 1. Mai 2019 eingeführten Bürgergeldes (Reditto di cittadinanza). Dieses Bürgergeld, das einschließlich eines Mietzuschusses in Höhe von bis zu 200,- EUR für Alleinstehende bis zu 780,- EUR und für eine Familie mit zwei Kindern bis zu 1.180,- EUR beträgt, erhalten Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzen, erst, wenn sie einen permanenten Aufenthaltsstatus und seit zehn Jahren ihren Wohnsitz in Italien haben. Darüber hinaus müssen diese Ausländer zusätzliche Nachweise vorlegen; zum einen einen Nachweis, dass sie innerhalb der letzten zwei Jahre ununterbrochen einen Wohnsitz in Italien hatten, und zum anderen einen Nachweis der Behörden ihres Heimatlandes über ihre dortige Vermögenslage (vgl. aida, Country Report: Italy, Update 2018, von April 2019, S. 147 f.; Vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 63 f).

Damit haben anerkannte Schutzberechtigte, die - wie der Kläger - diese Voraussetzungen nicht erfüllen, anders als italienische Staatsangehörige grundsätzlich keinen Anspruch auf Unterstützung zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 66).

Dies führt zwar grundsätzlich nicht zu einer relevanten Verletzung von Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK. Zwar mag es zutreffen, dass in Italien anerkannten Schutzberechtigten (also auch dem Kläger) nach Art. 20 ff. Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU - namentlich deren Art. 29 - und den Wohlfahrtsvorschriften des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - namentlich dessen Art. 23 - ein Anspruch auf "Inländergleichbehandlung" zusteht. Die Verletzung dieser Grundsätze durch den Ausschluss von Asylberechtigten von einem staatlichen Transferleistungssystem, das Inländern zugutekommt, führt jedoch nicht ohne weiteres zu einer menschenrechtswidrigen Behandlung, die sich zu einem Anspruch auf Abschiebungsschutz verdichtet (a. A. VG Hannover, Beschluss vom 13. August 2019- 5 B 3516/19 -, juris).

Denn Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta ist im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Verhalten eines Staates, der mit Gleichgültigkeit auf eine gravierende Mangel- und Notsituation reagiert, und begründet beispielsweise keinen individuellen Anspruch auf Versorgung mit einer Wohnung oder die allgemeine Verpflichtung, Flüchtlinge finanziell zu unterstützen (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 6. April 2018 - 10 LB 109/18 -, juris).

Dies muss auch grundsätzlich dann gelten, wenn etwa Inländern eine Leistung gewährt wird, von der Schutz- oder Asylberechtigte ausgeschlossen sind. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta verpflichtet die Vertragsstaaten z.B. nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 - 13 A1490/13.A -, juris).

Hiernach ist maßgeblich, dass für Schutz- oder Asylberechtigte bei einer Rückkehr nach Italien keine Verschlechterung gegenüber den auch vor Einführung des Bürgergeldes geltenden und von der Rechtsprechung grundsätzlich als hinnehmbar eingeschätzten Verhältnissen eingetreten ist. Diese Personen sind unverändert darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt selber sicherzustellen oder auf karitative und gemeinnützige Organisation zurückzugreifen. Da die bisherigen Verhältnisse nicht als menschenrechtswidrig einzustufen waren, kann die gesonderte Privilegierung italienischer Staatsangehöriger nicht ohne weiteres dazu führen, dass nunmehr Schutz- bzw. Asylberechtigte in Italien grundsätzlich menschenrechtswidrig behandelt werden (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2019 - 5 K 5990/17.A -, juris, Rn. 49 ff).

Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist jedoch darüber hinaus zu berücksichtigen, dass das Fehlen staatlicher Unterstützung durch Sozialleistungen in der gegenwärtigen Situation zu einer nicht mehr vertretbaren Verschlechterung der existentiellen Situation des Klägers führen wird, da dieser auch mangels real bestehender legaler Arbeitsmöglichkeiten keine realistische Chance haben wird, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen und die derzeitigen Angebote karitativer Einrichtungen nach den vorstehenden Ausführungen nicht ausreichen, um dem Risiko einer Obdach- und Mittellosigkeit zu begegnen.

Darüber hinaus ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Defizite in der Versorgung und die dadurch bedingte existentielle Notsituation durch den Kläger mittels Geltendmachung von Ansprüchen auf Gewährung von Unterstützung gegenüber den italienischen Behörden oder vor den Gerichten realistisch abgewendet werden kann. Wie aus den vorstehenden Ausführungen folgt, steht anerkannten Schutzberechtigten nach dem italienischen Recht in der Regel kein Anspruch auf Gewährung von Unterstützung zu. Dass Behörden gesetzlich nicht vorgesehene Leistungen gewähren, erscheint ausgeschlossen. Dementsprechend müssten anerkannte Schutzberechtigte den Rechtsweg beschreiten, um zu versuchen, derartige Ansprüche gestützt auf Unionsrecht oder die Europäische Menschenrechtskonvention geltend zu machen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Italien grundsätzlich ein funktionierendes Rechtssystem aufweist. Doch dauern Gerichtsverfahren in Italien außerordentlich lange, wofür Italien in der Vergangenheit wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt wurde. Zudem werden Anträge auf unentgeltliche Rechtspflege in der Regel als unzulässig abgelehnt, wenn keine vom Konsulat des Herkunftsstaates erteilte Einkommensbestätigung vorgelegt wird. Angesichts dessen ist die gerichtliche Geltendmachung von Leistungsansprüchen für anerkannte Schutzberechtigte, die unter prekären Bedingungen leben, mit unüberwindlichen Hindernissen verbunden (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 77; VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 - 10 K 7608/17.A -, juris, Rn. 146 f).

Zudem dürften die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, im Falle der in der aktuellen Situation und aus den vorstehenden Ausführungen über einen nicht absehbaren Zeitraum mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Wohnungslosigkeit voraussichtlich stark eingeschränkt sein, weil bereits eine durchgängige Erreichbarkeit des Schutzberechtigten für Behörden und Gerichte nicht gewährleistet werden kann.

Das VG Braunschweig hat in seinem Urteil vom 6. Mai 2020 – 3 A 34/18 - unter Hinweis auf seine Ausführungen im Urteil vom 21. April 2020 – 3 A 112/19 – zu den derzeitigen tatsächlichen Verhältnissen in Italien dargelegt:

„Die in Italien ohnehin schon seit längerem bestehende angespannte wirtschaftliche Lage, die durch eine in den letzten 40-50 Jahren nicht erreichte Arbeitslosenquote von 10 % gekennzeichnet ist und bei Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren im Juli 2019 sogar 28 % erreicht hat (vgl. hierzu und zum Folgenden den Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe [SFH] „Reception conditions in Italy“ vom Januar 2020, hier insbes. Abschnitt 7.1 und passim), hat sich zunehmend verschlechtert und zwar auch zu Lasten der schutzberechtigten Ausländer. Sie müssen um die ohnehin knappen Arbeitsstellen mit Einheimischen konkurrieren, obgleich sie nur über geringere Sprachkenntnisse und meist auch nur über eine unzureichende oder über eine Berufsausbildung verfügen, die nicht anerkannt wird (SFH, a.a.O.). Der dadurch bestehende Druck, in den nicht-regulären Arbeitsmarkt auszuweichen, der 13 % aller Arbeitsplätze ausmacht und sektoral auch deutlich größer ist (z.B. im Bereich Krankenpflege und Hausarbeit bis zu 44 %), geht regelmäßig mit dem hohen Risiko einher, nur ein äußerst geringes Arbeitseinkommen zu erzielen und damit erst recht keine Chance zu haben, eine Unterkunft zu finden bzw. auch finanzieren zu können (vgl. dazu im Einzelnen SFH, a.a.O., insbes. Abschn. 7.2 und 7.3). Abgesehen davon, dass ein im irregulären Niedriglohnsektor erzieltes Arbeitseinkommen selten ausreichen wird, die insbesondere in städtischen Ballungsgebieten sehr hohen Mieten bezahlen zu können, wird die Möglichkeit einer Anmietung oft dadurch erschwert, dass Vermieter zur Absicherung ihrer Mieterwartungen nicht selten darauf bestehen, dass ein Arbeitsvertrag vorgelegt wird. Hinzu kommt, dass Vermieter das Risiko scheuen, der in Italien kriminalisierten Unterbringung „irregulärer Migranten“ beschuldigt zu werden, weshalb sie zusätzlich fordern, dass gültige Aufenthaltspapiere vorgelegt werden. Gerade sie zu bekommen, kann aber ein weiteres ernsthaftes Problem darstellen und in einem Dilemma münden, aus dem jedenfalls ein hinreichend kurzfristiges Entrinnen nicht möglich ist. Wer schon vor mehr als 5 Jahren als Schutzberechtigter anerkannt worden ist, muss im Falle seiner Rücküberstellung nach Italien zunächst dafür Sorge tragen, dass seine regelmäßig auf 5 Jahre befristete italienische Aufenthaltserlaubnis (permesso di soggiorno) verlängert wird. Dies sollte mindestens 60 Tage vor Ablauf der Geltungsdauer beantragt werden, die Verlängerung kann aber nach der italienischen Behördenpraxis nicht selten bis zu einem Jahr auf sich warten lassen. Schon bei der Stellung des Verlängerungsantrags muss der Schutzberechtigte seine postalische Erreichbarkeit belegen, wofür er einen angemeldeten Wohnsitz oder eine anerkannte Beherbergungsadresse („registered residence or an authorised declaration of hospitality“, SFH, a.a.O., S. 47) benötigt, die er wiederum ohne Aufenthaltstitel, zumindest aber ohne hinreichendes eigenes Einkommen nicht wird erhalten können. Wenn dann noch in den Blick genommen wird, dass potentielle Arbeitgeber wohl auch im irregulären Sektor aus größer werdender Angst vor einer Strafbarkeit von Hilfen für „illegale“ Personen es zunehmend ablehnen, Personen einzustellen, die keine gültige Aufenthaltserlaubnis vorzeigen können (vgl. auch dazu SFH, a.a.O., Abschn. 5.2, S. 45 ff, insbes. S. 46 und passim), kann der Betroffene diesem Teufelskreis regelmäßig nicht entrinnen.

Diese Situation hat sich im Zuge der durch die COVID-19-Virus ausgelösten Corona-Pandemie noch drastisch verschlechtert. Es ist allgenmein bekannt, dass diese Pandemie Italien so schwer getroffen hat, dass es eine grundsätzliche Einreisesperre verhängt und sehr weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens angeordnet hat. Nicht zuletzt dadurch wird sich auch die Wirtschaftslage weiterhin dramatisch zuspitzen. Selbst wenn, was derzeit keinesfalls gesichert ist, angenommen würde, dass der Italienische Staat jedenfalls im Zeitpunkt der Vollziehbarkeit der vom Bundesamt bestimmten Abschiebungsandrohung in Italien keine Reisebeschränkungen und Quarantänegebote mehr praktiziert und der Kläger (wieder) nach Italien einreisen dürfte, wäre er – wahrscheinlicher noch als bei seinem vergangenen Aufenthalt in Italien – von Obdachlosigkeit und sozialer Verelendung bedroht. Er wäre mit all den vorgenannten Problemen konfrontiert, da er zunächst seine im April 2015 ausgestellte und nur 5 Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis verlängern bzw. eine Ersatzbescheinigung beschaffen müsste, was ihm aus den genannten Gründen wahrscheinlich nicht rechtzeitig gelingen wird. Vor diesem Hintergrund ist es im Sinne einer realen Gefahr vorhersehbar und kaum abzuwenden, dass er sich in einer für ihn nicht mehr beherrschbaren sozialen Notlage wiederfinden würde, der er nicht wird entrinnen könnte, und die ihm schließlich auch mit Blick auf die fortbestehende und für Obdachlose gesteigert gefährliche Gesundheitsgefährdung durch das COVID-19-Virus nicht zugemutet werden darf.“

Diese Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse in Italien entspricht den der Einzelrichterin vorliegenden Erkenntnissen und zeigt zur Überzeugung der Einzelrichterin, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Italien der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta ausgesetzt würde. Ihm droht eine nicht nur vorübergehende Obdachlosigkeit für mehr als wenige Tage, kein Zugang zu staatlichen Leistungen, keine reale Chance, eine Arbeit aufnehmen zu können um ein Arbeitseinkommen zu erzielen, das seine Grundbedürfnisse sichert und damit keinen Zugang zu „Bett, Brot, Seife“ zu haben.

Angesichts der vorstehend geschilderten Umstände ist in der aktuellen Situation beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger im Falle seiner Überstellung nach Italien seitens der dortigen Behörden keine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden wird, so dass er entweder obdachlos bleiben oder in einem verlassenen Gebäude oder einer informellen Siedlung zu den in einer solchen Unterkunft üblichen schlechten Bedingungen, insbesondere in hygienischer Sicht, unterkommen wird. Darüber hinaus ist das Gericht auch mit Blick auf die vorstehend geschilderten aktuellen Umstände davon überzeugt, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht über ausreichende Mittel zur Bestreitung seines unabdingbaren Lebensunterhalts, insbesondere Nahrung, verfügen wird, sei es durch Aufnahme legaler Arbeit oder durch die Unterstützung karitativer Einrichtungen. Ein Anspruch auf staatliche Leistungen, die zur Bestreitung seines unabdingbaren Lebensunterhalts ausreichen, steht ihm nicht zu. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass er vor seiner Ausreise aus Italien über die zur Bestreitung seines unabdingbaren Lebensunterhalts erforderlichen finanziellen Mittel verfügt hat und in Zukunft über diese Mittel verfügen wird, liegen nicht vor. Angesichts der dargestellten Lage auf dem italienischen Arbeitsmarkt steht auch nicht zu erwarten, dass er in Italien eine Arbeitsstelle finden wird, die es ihm erlaubt, den unabdingbar notwendigen Lebensunterhalt für sich zu bestreiten. Dementsprechend ist festzustellen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung nach Italien dort über einen längeren Zeitraum ohne gesicherten Zugang zu jeglicher Versorgung sein wird. Deshalb ist es beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Überstellung nach Italien unabhängig von seinen Eigenbemühungen elementare Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann und damit einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Eine individuelle Zusicherung der italienischen Behörden, wonach dem Kläger nach seiner Überstellung nach Italien eine Unterkunft zur Verfügung gestellt und sein unabdingbarer Lebensunterhalt gesichert wird, liegt nicht vor.

Es zeigt sich nach der beschriebenen Gesamtsituation in Italien, dass Italien mit der Situation der Corona-Pandemie an seine maximalen Grenzen gelangt ist und sich diese Situation daher derzeit trotz aller vorangegangenen Anstrengungen des italienischen Staats für die Betroffenen wie eine staatliche Gleichgültigkeit auswirkt und daher für die Frage, ob zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten in Italien eine Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK droht, relevant ist (vgl. zur Situation anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland insoweit: VG Aachen, Urteil vom 16. März 2020 - 10 K 157/19.A -, juris, Rn. 166).

Ist danach die Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids aufzuheben, so muss Gleiches auch für die Ziffern 2., 3., 4. und 5. des streitgegenständlichen Bescheids gelten.

Da eine Abschiebung des Klägers derzeit nicht zulässig ist, ist die unter Ziff. 2. des Bescheides getroffene Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG aufzuheben.

Die unter Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Androhung der Abschiebung nach Italien ist - mit Ausnahme der nicht angefochtenen Feststellung in Satz 4, dass der Kläger nicht nach Somalia abgeschoben werden darf - aufzuheben. Gemäß § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war, wenn ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 AsylG vorliegt. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt - wie ausgeführt - nicht vor und § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist nicht einschlägig.

Die in Ziffer 4. des Bescheids enthaltene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist nach alledem gegenstandslos und ebenfalls aufzuheben. Für die in Ziffer 5. des Bescheids enthaltene Aussetzung der Vollziehung fehlt die Grundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.