Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 03.05.2006, Az.: L 8 SO 26/06 ER

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung; Anspruch auf Leistung von Sozialhilfe; "Bekanntwerden" von für die Zahlung von Sozialleistungen notwendige Umstände

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
03.05.2006
Aktenzeichen
L 8 SO 26/06 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 18209
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0503.L8SO26.06ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 09.03.2006 - AZ: S 53 SO 120/06 ER

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 9. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (folgend: Antragsteller), der seit dem 1. Oktober 2005 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhält, begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes statt dessen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialhilfe - (SGB XII), hilfsweise die Zahlung der Differenz zwischen den beiden Leistungsarten. Der aus dem Iran stammende Antragsteller wurde 1989 als Asylberechtigter anerkannt. Anschließend wurde er straffällig und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. 1995 wurde er ausgewiesen und ist seither ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt wird wegen Abschiebungshindernissen nach § 60a Aufenthaltsgesetz geduldet.

2

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Beschluss vom 9. März 2006 den am 21. Dezember 2005 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt und der rechtzeitig eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen.

3

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG liegen hier nicht vor. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können.

4

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist unter anderem, dass ein streitiges Rechtsverhältnis vorliegt. Hierbei kann es sich um einen noch nicht vom Leistungsträger beschiedenen Antrag oder einen noch nicht bindend gewordenen Bescheid handeln. Im vorliegenden Fall hat die für Leistungen nach dem SGB XII zuständige Antragsgegnerin erstmals vom SG Hannover durch Übersendung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von dem Begehren des Antragstellers erfahren und sich mit Schriftsatz vom 24. Januar 2006 dahingehend geäußert, dass "ein diesbezüglicher Widerspruch" dort nicht vorliegt. Damit lag jedenfalls bei Eingang des Antrags beim SG im Verhältnis zur Antragsgegnerin kein streitiges Rechtsverhältnis vor, dessen Regelung einer einstweiligen Anordnung zugänglich gewesen wäre.

5

Die Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII setzt allerdings im Regelfall keinen ausdrücklichen Antrag voraus. Die Sozialhilfe setzt nach § 18 Abs. 1 SGB XII ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Wird einem nicht zuständigen Träger der Sozialhilfe oder einer nicht zuständigen Gemeinde im Einzelfall bekannt, dass Sozialhilfe beansprucht wird, so sind die darüber bekannten Umstände dem zuständigen Träger der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stelle unverzüglich mitzuteilen und vorhandene Unterlagen zu übersenden (§ 18 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Ergeben sich daraus die Voraussetzungen für die Leistung, setzt die Sozialhilfe zu dem nach Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ein (Satz 2 der Vorschrift). Ein "Bekanntwerden" in diesem Sinne könnte am 15. September 2005, spätestens am 30. September 2005 eingetreten sein, als der Antragsteller bei der Landeshauptstadt D. auf die Beendigung der laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zum 30. September 2005 hingewiesen bzw. einen Formularantrag auf Leistungen nach dem AsylbLG gestellt hat.

6

Ein Anordnungsanspruch für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit folgt daraus jedoch nicht, weil dem Antragsteller jedenfalls bei Eingang des Antrags beim SG keine Leistungen nach dem SGB XII zustanden. Er verfügte nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Antragsgegnerin jedenfalls bis zum 14. Februar 2006 über einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung und war zumindest bis Juni 2005 auch entsprechend dieser Erlaubnis in einem Pflegeheim 14,5 Stunden wöchentlich tätig. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Antragsteller nicht erwerbsfähig ist, ist er im Falle der Bedürftigkeit grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB II; § 8 Abs.. 2 SGB II steht einem Anspruch nicht entgegen, da ihm ersichtlich die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt war oder hätte erlaubt werden können. Dementsprechend hat der Antragsteller auch bis September 2005 Leistungen nach dem SGB II erhalten. Die Einstellung der Leistungen ab dem 1. Oktober 2005 mit Bescheid der Arbeitsgemeinschaft in der Region D. vom 1. September 2005 ist insoweit nicht nachvollziehbar und bedürfte, falls gegen den Bescheid Rechtsbehelf eingelegt worden ist, näherer Klärung.

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Als grundsätzlich Leistungsberechtigter nach dem SGB II erhält der Antragsteller keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII (vgl § 21 Satz 1 SGB XII, § 5 Abs.. 2 SGB II). Das gilt auch dann, wenn zustehende Leistungen nach dem SGB II aus welchen Gründen auch immer nicht gewährt werden. Anders als nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht hat die Sozialhilfe keine generelle Auffangfunktion mehr; für erwerbsfähige Hilfebedürftige hat das SGB II diese Aufgabe übernommen.

8

Auch für die Zeit nach dem 14. Februar 2006 stellt sich die Rechtslage nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht anders dar. Wenn der Antragsteller über keinen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung mehr verfügt, weil er einen entsprechenden Verlängerungsantrag nicht gestellt hat, könnte ihm die Aufnahme einer Beschäftigung - wie bisher dennoch erlaubt werden mit der Folge, dass er nicht unter die Ausnahmeregelung des § 8 Abs.. 2 SGB II fällt.

9

Dem Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II steht § 7 Abs.. 1 SGB II nicht entgegen. Voraussetzung für einen Leistungsbezug ist nach Satz 1 Nr. 4 der Vorschrift, dass die hilfesuchende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat; Ausländer haben gemäß Satz 2 der Vorschrift ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erhalten Leistungen nach dem SGB II, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs.. 2 SGB II vorliegen. Das ist beim Antragsteller, wie oben ausgeführt, der Fall. Allerdings bestimmt § 7 Abs.. 1 Satz 2 2.Halbsatz, dass die Aufenthaltsfiktion nicht für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG gilt.

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Der Antragsteller bezieht zwar Leistungen nach dem AsylbLG, er ist jedoch tatsächlich nicht nach diesem Gesetz leistungsberechtigt. Das Verwaltungsgericht (VG) Hannover hat mit Beschluss vom 18. September 2000 - 7 B 4136/00 - in einem die gleiche Rechtsproblematik betreffenden Verfahren des Antragstellers gegen die Landeshauptstadt D.) folgendes ausgeführt:

"Zwar verfügt der Antragsteller nur über eine Duldung und fiele damit grundsätzlich unter die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs.. 1 Nr. 4 AsylbLG. Jedoch schließt § 1 Abs. 3 Nr. 2 AsylbLG den Antragsteller von allen Ansprüchen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus. Danach endet die Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG mit Ablauf des Monats, in dem ein Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wurde. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes sind damit anerkannte Asylbewerber nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz anspruchsberechtigt, ohne dass das Gesetz zusätzlich noch auf den aufenthaltsrechtlichen Status des Ausländers abstellt. An diesem Wortlaut kommt das Gericht nicht vorbei."

11

Dieser Rechtsansicht schließt sich der Senat nach summarischer Prüfung an. Der Antragsteller, dessen Asylberechtigung bisher nicht widerrufen worden ist, hat unverändert keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG und ist deshalb bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen anspruchsberechtigt für diejenigen staatlichen Leistungen, deren Bezug für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG ausgeschlossen ist.

12

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

13

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.