Landgericht Aurich
Beschl. v. 11.01.2011, Az.: 12 Qs 5/11

Anforderungen an ein entschuldigtes Ausbleiben in der Hauptverhandlung

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
11.01.2011
Aktenzeichen
12 Qs 5/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 10042
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGAURIC:2011:0111.12QS5.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Norden - 02.12.2010 - AZ: 8b Ls 22/10

Verfahrensgegenstand

Betrug
hier: Beschwerde gegen Haftbefehl

In der Strafsache
...
hat die II. große Strafkammer des Landgerichts Aurich
auf die Beschwerde des Angeklagten vom 28.12.2010
gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Norden vom 02.12.2010 (Az: 8b Ls 22/10)
durch
die unterzeichneten Richter
am 11.01.2011
beschlossen:

Tenor:

  1. 1)

    Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Norden vom 02.12.2010 (Az: 8b Ls 22/10) aufgehoben.

  2. 2)

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen in dem Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Die Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass des Haftbefehl gem.§ 230 Abs. 2 StPO nicht vorliegen. Denn das Ausbleiben des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vom 02.12.2010 ist durch das seitens der Verteidigung eingereichte ärztliche Attest genügend entschuldigt.

2

Maßgebend für die Frage ausreichender Entschuldigung ist, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens nach den Umständen des Einzelfalls billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann (st. Rspr., vgl. nur BVerfG NJW 2007, 2318 [BVerfG 27.10.2006 - 2 BvR 473/06]). Es muss vor allem auch in subjektiver Hinsicht eine Pflichtverletzung gegeben sein ( OLG Brandenburg NJW 1998, 842). Insoweit entschuldigt - wie hier - eine Krankheit das Ausbleiben des Angeklagten, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung in der Hauptverhandlung unzumutbar macht ( Burhoff, Hdb. für die strafrechtliche Hauptverhandlung6, Rz. 216). Zur Glaubhaftmachung genügt ein zeitnahes privatärztliches Attest, nach welchem der Angeklagte wegen einer näher bezeichneten Krankheit nicht reisefähig ist ( OLG Düsseldorf StV 1994, 364) bzw. das konkrete Angaben über die Art der Erkrankung enthalten muss ( KG Berlin StraFo 2007, 244).

3

Dies ist hier der Fall. In der dem Gericht vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 29.12.2010 wird dem Angeklagten ein hochfieberhafter Infekt mit Kreislaufstörungen attestiert, die eine Bettlägrigkeit und Reiseunfähigkeit zur Folge hat und eine Wahrnehmung des Termins am 03.12.2010 unmöglich macht. Eine Anreise unter diesen Umständen wäre für den Angeklagten unzumutbar gewesen bzw. sein Ausbleiben ist ihm nicht vorzuwerfen.

4

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Angeklagte auf diese Weise bereits zum ersten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist. Wenn das Gericht insoweit das vorgelegte ärztliche Attest nicht für ausreichend hält oder diesem misstraut, hätte es zunächst dessen Ergänzung oder im Freibeweisverfahren eigene Ermittlungen dazu anstellen müssen, ob die vorgetragenen Gründe ein Ausbleiben ausreichend entschuldigen ( OLG Köln NJW 1982, 2617; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 141; BayObLG NJW 1999, 879, 880; NStZ-RR 1999, 143 zu § 329 StPO; vgl. auch Gmel, in: KK-StPO6, § 230 Rz. 11; Paul, in: KK-StPO6, § 329 Rz. 8). Da aber auch in der Beschwerdeinstanz keine (weiteren) Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Entschuldigung bloß vorgetäuscht war, bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des Attestes.

5

Auch die Tatsache, dass dem Angeklagten seine Verhandlungsunfähigkeit schon wenige Tage vor dem Termin bekannt war, rechtfertigt nicht den Erlass eines Haftbefehls. Da es nämlich auf die wirkliche Sachlage ankommt und nicht auf das Vorbringen des Angeklagten, ist es unerheblich, ob der Angeklagte den Entschuldigungsgrund schon früher hätte mitteilen können (so ausdrücklichPaul, a.a.O.; vgl. ferner OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331). Die erst im Termin erfolgte Mitteilung der Verhandlungsunfähigkeit stellt insoweit kein vorwerfbares Verhalten dar, an das das Gesetz in § 230 Abs. 2 StPO den Erlass eines Haftbefehls anknüpft.