Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.03.2018, Az.: L 4 KR 227/17 B

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.03.2018
Aktenzeichen
L 4 KR 227/17 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 36760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 25.04.2017 - AZ: S 46 KR 73/17

Tenor:

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. April 2017 aufgehoben und dem Kläger für die Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G., H. - ohne Ratenzahlung - bewilligt.

Gründe

I.

Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten darüber, ob dem Kläger Krankengeld über den 19. Januar 2015 hinaus zu gewähren ist.

Der 1952 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlichen krankenversichert. Seit dem 18. Juni 2014 bestand fortlaufend Arbeitsunfähigkeit (vgl. u.a. Bescheinigung des Chefarztes der Klinik I. Dr. J. vom 18. Juni 2014) aufgrund der Diagnose Ponsinfarkt (ICD-10 I63.3). Die Beklagte gewährte ihm aufgrund dieser Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 57,01 Euro (vgl. Bescheid vom 11. August 2014). Im Zeitraum vom 7. August 2014 bis zum 26. August 2014 befand er sich in einer stationären Anschlussheilbehandlung aufgrund der Diagnosen Ponsinfarkt links (6/2014), arterielle Hypertonie (ICD-10 I10.00), Hyperlipidämie (ICD-10 E78.5) und Diabetes mellitus Typ 2 (ICD-10 E11.90). Ausweislich des Berichts der K. Klinik vom 1. September 2014 wurde der Kläger am 26. August 2014 arbeitsunfähig entlassen. Unter dem 30. Oktober 2014 forderte die beklagte KK den Kläger nach § 116 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf, bis zum 21. November 2014 einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu stellen. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2014 bewilligte ihm die DRV eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2014 aufgrund eines Leistungsfalles vom 18. Juni 2014. Die Rente kam in Höhe von 968,63 Euro monatlich ab dem 1. August 2014 zur Auszahlung. Dagegen richtete sich der Kläger im anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahren (vgl. u.a. Widerspruchsbescheid vom 25. März 2015).

Mit Bescheid vom 7. Januar 2015 stellte die beklagte KK fest, dass mit dem Tag des Rentenbeginns der Anspruch auf Krankengeld entfalle. Für das im Zeitraum vom 31. Juli 2014 bis zum 5. Januar 2015 gezahlte Krankengeld machte die beklagte KK einen Erstattungsanspruch beim Rentenversicherungsträger geltend. Auch dagegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 12. Januar 2015. Ihm sei weiterhin Krankengeld zu zahlen.

Im Rahmen eines vor dem SG Braunschweig (S 11 R 260/15) geführten Rechtsstreits gab die DRV letztendlich - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. L. - ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass das Vorliegen eines vollschichtigen Leistungsvermögens des Klägers seit dem 18. Juni 2014 bis laufend anerkannt werde. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung seien daher nicht gegeben. Der Bewilligungsbescheid vom 30. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2015 werde aufgehoben. Die in der Zeit ab dem 1. Juli 2014 bis laufend erhaltenen Rentenbeträge seien zurückzuzahlen bzw. würden bei einer zuständigen dritten Stelle (beklagte KK) als Rückerstattungsanspruch geltend gemacht. Der Kläger nahm das Anerkenntnis an. Unter dem 9. November 2016 machte die DRV gegenüber der beklagten KK einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.486,45 Euro geltend.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 half die beklagte KK dem Widerspruch des Klägers vom 12. Januar 2015 teilweise dahingehend ab, dass sie ihm Krankengeld für den Zeitraum vom 6. Januar 2015 bis zum 19. Januar 2015 bewilligte. Nach Abzug des Erstattungsanspruchs der DRV in Höhe von 391,30 Euro werde dem Kläger die Differenz zum Krankengeld in Höhe von 332,22 Euro erstattet. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2017 wies sie den Widerspruch im Übrigen zurück. Ein Anspruch über den 19. Januar 2015 hinaus bestehe nicht. Die beklagte KK begründete dies damit, dass nach den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) eine Zahlung von Krankengeld immer nur bis zum ärztlich festgestellten Datum der Arbeitsunfähigkeit abschnittsweise gezahlt werde. Die DRV habe mit Datum vom 30. Dezember 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2014 rückwirkend gewährt. Somit ende der Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich mit dem 1. Juli 2014. Die Krankengeldzahlung sei bis einschließlich 5. Januar 2015 aufgrund der vorliegenden Auszahlscheine für Krankengeld bis zum ärztlichen Feststelltag geleistet worden. Mit dem Bescheid vom 7. Januar 2015 sei lediglich bei rückwirkender Zubilligung einer Erwerbsminderungsrente der § 50 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) umgesetzt worden, wonach der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag des Rentenbeginns entfalle. Mit dem Widerspruch sei - unter Berufung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch - beantragt worden, eine weitere Krankengeldzahlung nach dem 5. Januar 2015 durchzuführen. Der Kläger beziehe sich dabei auf das von der DRV abgegebene Anerkenntnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 18. Juni 2014 nicht mehr gegeben seien. Eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liege der beklagten KK bis zum 19. Januar 2015 vor. Damit könne dem Kläger das Krankengeld nach Abzug des Erstattungsbetrages der DRV bis zum 19. Januar 2015 gezahlt werden, da der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente rückwirkend seit dem 1. Juli 2014 weggefallen sei. In diesem Zusammenhang verwies die beklagte KK auch auf das Urteil des BSG vom 8. November 2005, B 1 KR 30/04 R, wonach als Regelfall das Gesetz davon ausgehe, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternehme, um die mögliche Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren. Der Kläger habe eine weitere Zahlung von Krankengeld über den 19. Januar 2015 hinaus beantragt. Ein weiterer Nachweis der Arbeitsunfähigkeit über diesen Zeitpunkt hinaus liege allerdings nicht vor. Bei der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handele es sich um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung oder Meldung seien deshalb grundsätzlich vom Versicherten zu tragen. Der Kläger hat am 22. Februar 2017 Klage vor dem SG Osnabrück erhoben. Er habe am 18. Juni 2014 einen Ponsinfarkt erlitten. Obwohl er sich gut erholt habe, seien Kraft und Beweglichkeit im rechten Arm und im rechten Bein beeinträchtigt. Er habe seinen Beruf als LKW-Fahrer nicht wiederaufnehmen können. In einem vor dem SG Osnabrück (Az. S 11 R2 160/15) eingeholten Gutachten sei der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht erwerbsunfähig sei. Bei den vorliegenden Gesundheitsstörungen bestehe ein Restleistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere für ungelernte Tätigkeiten. Den Feststellungen des Sachverständigen sei zu entnehmen, dass er seinen Beruf als LKW-Fahrer auch über den 19. Januar 2016 hinaus krankheitsbedingt nicht ausführen könnte.

Das SG hat mit Beschluss vom 25. April 2017 den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt. Vorliegend könne eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht bejaht werden. Der Kläger habe nach vorläufiger Prüfung keinen Anspruch auf Krankengeld über den 19. Januar 2015 hinaus, da keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die über dieses Datum hinausgehen, vorgelegt worden seien. Dabei sei grundsätzlich eine strikte Anwendung der Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V geboten, da hierdurch die KK davon freigestellt werde, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen. Der Versicherte müsse alles in seiner Macht Stehende getan haben, um die Feststellung herbeizuführen. Ausnahmen seien möglich, bei Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit oder bei Umständen, die nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten, sondern dem Verantwortungsbereich der KK zuzurechnen seien. Ein Anspruch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei bereits deshalb ausgeschlossen, da die Beklagte den Kläger nicht falsch beraten habe. Eine solche Falschberatung werde bereits nicht behauptet.

Gegen den Beschluss hat der Kläger am 10. Mai 2017 Beschwerde bei dem SG eingelegt, die an das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen Bremen weitergeleitet wurde. Dem Rehabilitation-Entlassungsbericht sowie dem Gutachten des MDK vom 30. Juli 2014 sei zu entnehmen, dass der Kläger arbeitsunfähig sei und seinen Beruf als LKW-Fahrer auf Dauer nicht mehr ausüben könne. Mit diesen Unterlagen sei seine Arbeitsunfähigkeit als LKW-Fahrer auf Dauer festgestellt worden. Die Beklagte habe diese Unterlagen zum Anlass genommen, den Kläger zu der Beantragung einer Erwerbsminderungsrente aufzufordern. Seit der Aufforderung der Beklagten vom 30. Oktober 2014, einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung zu stellen, sei der Kläger mit Ausnahme der Antragstellung von weiteren Handlungspflichten suspendiert. Es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit Schreiben vom 30. Oktober 2014 das Dispositionsrecht des Klägers nach §§ 51 SGB V, 116 SGB VI eingeschränkt habe, indem die Beklagte den Kläger aufgefordert habe, einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung zu stellen. Die Nichtvorlage von weiteren Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen. Des Weiteren könne ein Versicherter ausnahmsweise seine Arbeitsunfähigkeit rückwirkend ärztlich feststellen lassen, wenn seine KK ihm von der rechtzeitigen Feststellung durch unzutreffende Beratung abgehalten habe. Werde unterstellt, dass der Beklagten keine Belehrungspflicht obliege, ihre Versicherten darauf hinzuweisen, dass vor Ablauf einer ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit eine erneute Arbeitsunfähigkeit für den Anschlusszeitraum erforderlich sei, so habe dennoch wiederholt Anlass für eine Spontanberatung bestanden. Der Kläger mache ausdrücklich einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend. Die Beklagte habe durch ihr Schreiben vom 30. Oktober 2014 mit der Aufforderung zur Stellung eines Antrages auf Rente wegen Erwerbsminderung den Anlass für die spätere Nichtvorlage weiterer Bescheinigungen gegeben. Die Beklagte habe sich widersprüchlich verhalten, wenn sie sich darauf berufe, der Kläger habe nicht nahtlos Bescheinigungen vorgelegt. Er habe als Versicherter nicht die Folge einer Fehlentscheidung der Beklagten zu tragen. Die Aufforderung der Beklagten vom 30. Oktober 2014 habe sich im Nachhinein als im Ergebnis unrichtig herausgestellt. Gleiches gelte für den Bescheid zur Einstellung der Krankengeldzahlung. Die Folgen der unzutreffenden rechtlichen Bewertung habe die Beklagte und nicht der Kläger als Versicherter zu tragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates gewesen.

II.

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des SG Osnabrück, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt hat, ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 172, 173 SGG zulässig und begründet. Der Kläger hat für das erstinstanzliche Verfahren Anspruch auf Gewährung von PKH.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von PKH in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag PKH zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Dabei hat das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung der Streitsache zu beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) soll die Prüfung der Erfolgsaussicht im Rahmen des § 114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten, weil das PKH-Verfahren den Rechtsschutz, den der Rechtstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich machen soll (BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 2007, 1 BVR 1807/07, zitiert nach juris; BVerfGE 81, 347, 357 [BVerfG 13.03.1990 - 2 BvR 94/88]). Im Hinblick auf die fehlende Aussicht einer Klage auf Erfolg darf PKH nur verweigert werden, wenn die Klage bei summarischer Prüfung völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Es bestehen vorliegend zwar Zweifel, dass der Kläger die Anforderung an die notwendige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfüllt hat. Nach § 46 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BGBl. I 2015 S. 1211) entsteht der Anspruch auf Krankengeld 1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung, 2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an, wobei nach Satz 2 der Vorschrift der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen bleibt, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird.

Vorliegend kann in Anbetracht der Komplexität des Sachverhaltes - Stichworte: Aufforderung zur Rentenantragstellung durch die beklagte KK, nachträglicher und rückwirkender Entzug der Erwerbsminderungsrente durch die DRV - und der damit verbundenen Rechts- (und ggf. medizinischen und berufskundlichen) Fragen, der Klage nicht von Vornherein die Erfolgsaussicht aberkannt werden. In diesem Zusammenhang bedarf insbesondere die Reichweite der Obliegenheitspflichten des Klägers einer Klärung im erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren.

Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers lassen die Gewährung von PKH ohne Ratenzahlung zu (§ 120 ZPO).

Rechtsanwalt G., H., wird dem Kläger antragsgemäß beigeordnet (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).