Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 07.02.2005, Az.: S 52 SO 37/05 ER
Gewährung der auf Grund des Umgangsrechts mit den Kindern entstehenden Fahrtkosten; Eigener Sozialhilfeanspruch der Kinder bei fehlender Leistungsfähigkeit der Eltern; Kosten für den Umgang mit den getrennt lebenden minderjährigen Kindern als Teil des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II; Vorrang des Arbeitslosengeldes II bei der Annahme einer sonstigen Lebenslage; Ausschluss bei Unerheblichkeit der Kosten
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 07.02.2005
- Aktenzeichen
- S 52 SO 37/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 29816
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2005:0207.S52SO37.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 19.02.1999
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 5 SGB II
- § 28 Abs. 3 SGB XII
- § 34 SGB XII
Fundstelle
- JAmt 2005, 146-147
In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Hannover - 52. Kammer -
am 7. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Wilcke
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller seine durch Ausübung des im Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 19.2.1999 beschriebenen Umgangsrechts entstehenden Fahrtkosten (nicht die seiner Kinder) vorläufig zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 9/10, die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1/10 zu erstatten.
Gründe
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller 50 % des für jedes Kind maßgeblichen Sozialhilfesatzes als Grundbedarf, sowie für jeden Aufenthaltstag und für jedes der Kinder 1/30 des im maßgeblichen Regelsatz enthaltenen Ernährungsanteils seit dem 1.11.2004 zu gewähren und dem Kläger die Fahrtkosten für die Wahrnehmung seines Umgangsrechtes seit dem 1.1.2005 zu erstatten, hat nur hinsichtlich der dem Antragsteller selbst im Rahmen seines Umgangsrechtes entstehenden Fahrtkosten Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht nach § 86 b Abs. 2 SGG treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche Nachteile zu entstehen drohen (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, soweit es um die Regelsatzleistungen für seine Kinder und deren Fahrtkosten geht.
Eine einstweilige Anordnung dient nicht als Widerspruchs- und Klageersatz sondern soll gegenwärtige oder zukünftige wesentliche Nachteile abwenden. Soweit Leistungen für die Zeit vor Antragstellung bei Gericht auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, d.h. vor dem 27.1.2005 begehrt werden, fehlt es bereits an einem fortwirkenden Nachteil, den es abzuwenden gilt. Insoweit ist der Antragsteller auf das Widerspruchs- bzw. Klageverfahren zu verweisen.
Hinsichtlich der übrigen begehrten Leistungen fehlt es mit Ausnahme der dem Antragsteller entstehenden Fahrtkosten an einem Anordnungsanspruch.
Der Antragsteller macht keinen eigenen Bedarf, sondern einen Bedarf seiner Kinder geltend, wenn er einen Grundbedarf von 50 % des für jedes Kind maßgeblichen Regelsatzes, sowie für jeden Aufenthaltstag und für jedes der Kinder 1/30 des im maßgeblichen Regelsatz enthaltenen Ernährungsanteil begehrt.
Sein Hinweis auf seine Unterhaltspflicht geht fehl. Eine Unterhaltspflicht besteht bei entsprechender Leistungsfähigkeit. In Höhe fehlender Leistungsfähigkeit des Antragstellers und Fehlens anderweitigen Einkommens haben die Kinder einen eigenen Sozialhilfe- oder Sozialgeldanspruch.
Der Anspruch der Kinder erfasst sowohl den Grundbedarf, den Ernährungsanteil, wie auch den notwendigen Bedarf an Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts, die ebenfalls nicht beim Antragsteller anfallen, soweit nicht er sondern die Kinder Reiseaufwendungen haben. Die insoweit entstehenden Kosten des Umgangsrechts müssen mithin von den Kindern geltend gemacht werden.
Hinsichtlich der dem Antragsteller entstehenden Fahrtkosten besteht ein Anordnungsanspruch.
Der Antragsteller bezieht Arbeitslosengeld II, so dass von seiner Erwerbsfähigkeit auszugehen ist. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass es an der Erwerbsfähigkeit fehlt.
Liegt es aber so, so sind zwar grundsätzlich Kosten, die durch den Umgang mit den getrennt lebenden minderjährigen Kindern entstehen, im Regelsatz des Arbeitslosengeldes II enthalten.
Dies gilt aber nur, soweit nicht eine sonstige (andere) Lebenslage anzunehmen ist. Bei der Annahme einer sonstigen Lebenslage gilt der Vorrang des SGB II nicht (nach § 5 Abs. 2 sind nur die Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (mit Ausnahmen des § 34 SGB XII, soweit nicht § 22 Abs. 5 SGB II vorliegt) ausgeschlossen, nicht aber Leistungen aufgrund sonstiger Lebenslagen. § 34 SBG XII scheidet aus, da es sich nicht um eine dem drohenden Wohnungsverlust vergleichbare Notlage handelt.
Die Übernahme derartiger Umgangskosten ist nach der bisherigen Rechtssprechung als Teil des notwendigen Lebensunterhaltes angesehen worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt( BVerwG, FEVS 46, 89-94):
"Das Berufungsgericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit getrennt lebenden Kindern, obwohl zur Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens gehörend, nicht durch die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Verbindung mit § 1 Regelsatzverordnung in der hier maßgeblichen Fassung vom 10. Mai 1971 <BGBl I S. 451>) abgedeckt sind. Denn durch Regelsatzleistungen ist nur der Regelbedarf aus den in § 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung genannten Bedarfsgruppen abzudecken. Das ist aber nur der ohne die Besonderheit des Einzelfalles bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf (vgl. BVerwGE 87, 212 <216>[BVerwG 13.12.1990 - 5 C 17/88]). Daran fehlt es bei dem aus der Ausübung des Umgangsrechts entstehenden Bedarf; denn dieser Bedarf besteht nicht bei vielen Hilfeempfängern aus der Regelsatzgruppe der Haushaltsvorstände bzw. Alleinstehenden (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Regelsatzverordnung) gleichermaßen, sondern nur bei nicht sorgeberechtigten, von ihren Kindern getrennt lebenden Elternteilen. Er stellt deshalb - je nach Lage des Einzelfalles - einen einmaligen oder besonderen Bedarf dar, für den einmalige Leistungen nach § 21 Abs. 1 BSHG oder besondere Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG in Betracht kommen. Dass Elternbesuche bei getrennt lebenden Kindern als Besonderheit des Einzelfalles nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG eine von den Regelsätzen abweichende Bemessung laufender Leistungen rechtfertigen können, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. November 1992 (BVerwGE 91, 156 <158>[BVerwG 05.11.1992 - 5 C 15/92]) angemerkt."
Richtig ist allerdings, dass mit der Ablösung des BSHG durch das SGB XII einmalige Leistungen regelmäßig im Regelsatz enthalten sind. Darüber hinausgehende Leistungen können allenfalls darlehensweise erbracht werden, was wiederum deutlich macht, dass auch diese aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung vom Regelsatz abgedeckt sind. Gleichwohl gilt das nur dann, wenn es sich um eine "normale Lebenslage" ("normale Bedarfslage) handelt. Kam es nach der bisherigen Rechtslage mit der Möglichkeit einmalige Bedarfe zu gewähren auf eine Unterscheidung zwischen einmaligen Leistungen nach § 21 BSHG und dem § 27 Abs. 2 BSHG (jetzt § 73 SGB XII) nicht an, so hat sich das mit der Aufsplitterung der Zuständigkeiten (Leistungen nach SGB II durch die ARGE und Leistungen nach SGB XII durch den Sozialhilfeträger) geändert. Es bedarf nunmehr einer genauen Zuordnung der Leistung zu einer Regelleistung oder zu einer Hilfe in anderen (sonstigen) Lebenslagen.
Entscheidend ist bei der Zuordnung, ob es sich um eine "normale Lebenslage" handelt, d.h. eine Lebenslage, die entsprechend dem Bedarfsdeckungsprinzip durch die Regelleistungen abgedeckt wird, oder um eine andere Lebenslage. Wenn auch getrennt lebende Familien keine Seltenheit mehr sind, sind sie gleichwohl nicht die Regel und deshalb sind ihre Bedürfnisse nicht durch die normalen Regelleistungen abgedeckt, soweit ein für den "Normalhaushalt untypischer Bedarf entsteht, weil diese nur die typischen Haushalte unterer Einkommensgruppen (§ 28 Abs. 3 SGB XII) abdecken. Entscheidend ist, dass die Lebenslage des Antragstellers in ihrer sie kennzeichnenden Typik von dem Regeltatbestand der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erfasst wird. So ist eine Trennung, deren Überwindung erhebliche Kosten verursacht, nicht zu vergleichen mit einer Trennung, die nicht mit einem Ortswechsel verbunden ist. Dementsprechend handelt sich jedenfalls dann um eine sonstige Lebenslage nach § 73 SGB XII (ähnlich LPK § 27 BSHG Rdnr. 7f), wenn nicht unerhebliche Reisekosten anfallen. Die jeweilige Reisen Hamburg- Hannover übersteigen die Unerheblichkeit deutlich. Da es sich beim Umgangsrecht um notwendigen Bedarf handelt, ist das Ermessen auf die Gewährung der Fahrtkosten reduziert (BVerwG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.