Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 18.08.2005, Az.: S 46 AS 431/05 ER

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
18.08.2005
Aktenzeichen
S 46 AS 431/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42705
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2005:0818.S46AS431.05ER.0A

Fundstelle

  • SchuR 2006, 70 (Kurzinformation)

In dem Rechtsstreit

A.

Antragstellerin,

g e g e n

B.,

Antragsgegnerin,

hat das Sozialgericht Hannover - 46. Kammer - am 18. August 2005 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht C., beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin darlehensweise Leistungen zur Anschaffung eines Schulranzens sowie insgesamt 170,45 € für die Beschaffung von Arbeits- und Übungsheften und Schulbüchern zu zahlen.

  2. 2.

    Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin (ASt) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin (AG) zur Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Schulranzens, von Arbeits- und Übungsmaterial für die Schule sowie von Schulbüchern.

2

Die ASt, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeit Suchende (SGB II) - in Höhe von monatlich ca. 1 140 € bezieht, beantragte am 03.07.2005 bei der AG einmalige Leistungen für die Beschaffung eines Schulranzens für den jetzt schulpflichtigen Sohn D., sowie für die Beschaffung von Schul- und Arbeitsmaterial für die Kinder D., E. und F.. Die Höhe der beantragten Leistungen ergibt sich aus folgender Aufstellung: Arbeits- und Übungshefte 66,05 € (E.) 59,70 € (D.) Diercke Weltatlas English Workbook insg. 44,70 € (F.) Schulranzen D.

3

Mit zwei Bescheiden vom 06. Juli 2005 lehnte die AG den Antrag mit der Begründung ab, die anfallenden Bedarfe seien nach § 20 Abs. 1 SGB II bereits in der Regelleistung enthalten.

4

Die ASt erhob rechtzeitig am 08. Juli 2005 Widerspruch und beantragte am 11. Juli 2005 beim Sozialgericht Hannover den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.

5

Sie könne als allein erziehende Mutter nicht bereits ein Jahr im voraus wissen, welche Materialien für das nächste Schuljahr benötigt werden. Dazu bedürfe es seherischer Fähigkeiten.

6

Von den Leistungen, die sie von der AG erhalte, könne sie den Bedarf jedenfalls nicht ansparen.

7

Zudem liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung vor.

8

Einem Sozialhilfeempfänger würden die einmaligen Leistungen bewilligt werden.

9

Die ASt beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

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die AG im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Anschaffung eines Schulranzens sowie zusätzlich insgesamt 170,45 € für die Beschaffung von Arbeits- und Übungsheften und Schulbüchern für die Kinder G., F. und D. zu zahlen.

11

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

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den Antrag abzulehnen.

13

Zum einem sei der Schulbedarf pauschaliert in die Regelleistung des § 20 SGB II eingeflossen.

14

In der Regelleistung sei zudem ein Anteil von 16 % für einmalige Leistungen enthalten, was - bezogen auf den Regelsatz der ASt - einen Betrag in Höhe von ca. 55 € monatlich ausmache. Daneben beziehe die ASt einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung gem. § 21 Abs. 3 SGB II in Höhe von 166,00 € monatlich, der dann eingesetzt werden könne, wenn eine Ansparung aus der Regelleistung unterblieben sei.

15

Auch eine Darlehensgewährung komme nicht Betracht, denn die ASt habe die Möglichkeit gehabt, Lernmittel bei der Schule auszuleihen. Dabei wären ihr als SGB-IILeistungsempfängerin sogar die Leihgebühren erlassen worden. Von dieser Möglichkeit habe die ASt bewußt keinen Gebrauch gemacht.

16

Zudem habe die ASt nicht glaubhaft gemacht, dass ihr der Freibetrag gem. § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II nicht zur Verfügung stehe. Dieser Freibetrag sei vorrangig einzusetzen. Entsprechende Nachweise (z.B. Girokontoauszüge etc.) seien nicht vorhanden.

17

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

18

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer solchen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind (§ 86b Absatz 2 Satz 4 i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei betrifft der Anordnungsgrund die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, während der Anordnungsanspruch die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs betrifft. Vorläufiger Rechtschutz ist nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m. w. N.).

19

Entgegen der Ansicht der AG hat die ASt vorliegend sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

20

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 23 Abs. 1 SGB II. Kann im Einzelfall eine von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Das Darlehen wird durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 von Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt. Nach dieser Konstruktion soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen Lebensunterhalt außerhalb seines Bedarfs an Unterkunft und Heizung aus der Regelleistung nach § 20, den Leistungen für Mehrbedarf nach § 21 und einmaligen Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II vollständig decken. Ein weitergehender Bedarf wird nur nach Maßgabe von § 23 Abs. 1 SGB II gedeckt. Die abweichende Erbringung von Leistungen nach dieser Vorschrift kommt hingegen nur in Betracht, wenn der Bedarf von der Regelleistung umfasst ist. Der Bedarf muss nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar sein, die Bedarfsdeckung mithin unaufschiebbar sein. Eine Deckung des Bedarfs darf ferner weder aus dem Vermögen noch auf andere Weise möglich sein.

21

Diese Voraussetzungen liegen im Fall der ASt vor. Bei der Beschaffung eines Schulranzens sowie bei der Anschaffung von Schul- und Arbeitsmaterial für den Unterricht handelt es sich grundsätzlich um einen von der Regelleistung umfassten Bedarf.

22

Dieser ist zum jetzigen Zeitpunkt auch unabweisbar, da die ASt überzeugend dargelegt hat, dass sie anläßlich des unmittelbar bevorstehenden Schuljahres für die Kinder die aufgelisteten Unterrichtsmaterialien benötigt. Es drängt sich auf, dass ohne diese Materialien der Schulalltag nicht sachgerecht zu bewältigen ist. Ähnliches gilt für die Beschaffung eines Schulranzens: die Einschulung eines ABC-Schützen ohne eigenen Schulranzen ist nahezu unvorstellbar.

23

Soweit die AG darauf verweist, die ASt habe die Möglichkeit ungenutzt gelassen, die Arbeits- und Übungshefte sowie die Schulbücher unentgeltlich zu leihen, ist der ASt diese Möglichkeit nach summarischer Prüfung der Verwaltungsakten nicht gegeben gewesen.

24

Zwar bestand grundsätzlich die Möglichkeit der kostengünstigeren Leihe von Schulbüchern.

25

Die hier streitbefangen Unterrichtsmaterialien, Arbeits- und Übungshefte, der Diercke Atlas und das English Workbook sind jedoch - was sich aus der Liste der Lernmittel ergibt - von den Schülern selbst anzuschaffen - ohne die Möglichkeit der Leihe.

26

Die Frage, ob und in welchem Umfang die ASt ggf. den Freibetrag gem. § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II hätte verwerten können, muss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren weitgehend unbeantwortet bleiben. Selbst die AG hat dieses Problem bislang unerforscht gelassen und lediglich auf bisher nicht vorliegende Kontoauszüge verwiesen. Die exakte Aufklärung bleibt daher einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten.

27

Auch der Bezug von Mehrbedarf wegen Alleinerziehung ändert nichts am Anspruch der ASt auf abweichende Erbringung von Leistungen. Denn der gezahlte Mehrbedarf wegen Alleinerziehung trägt dem Umstand Rechnung, dass Alleinerziehende zusätzliche Aufwendungen für Kontaktpflege, gelegentliche Dienstleistungen Dritter, einen erhöhten Bedarf an Spielzeug und Unterhaltung für die Kinder benötigen (Kalhorn in SGB II, K 21 Rdnr. 18). Schulmaterial jedoch ist im Falle des Schulbesuchs zu beschaffen - unabhängig davon, ob das Elternteil alleinerziehend ist oder nicht.

28

Das Vorbringen der ASt, es liege ein Verstoß gegen der Gleichheitsgrundsatz vor, kann das Gericht nicht teilen. Denn nach den Regelungen des SGB XII sind vergleichbare Leistungen auch grundsätzlich aus dem Regelsatz zu bestreiten.

29

Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Der ASt ist es nicht zuzumuten, das Widerspruchsverfahren bzw. die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, denn der Schulbeginn steht unmittelbar bevor.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.