Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 24.05.2005, Az.: S 6 KR 566/05 ER

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
24.05.2005
Aktenzeichen
S 6 KR 566/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42706
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2005:0524.S6KR566.05ER.0A

In dem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes

...

hat das Sozialgericht Hannover - 6. Kammer -

am 24. Mai 2005

durch den Vorsitzenden, Richter C.,

beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den telefonisch gestellten Antrag vorläufig als pflichtversichertes Mitglied zu führen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten um den Krankenversicherungsschutz der Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

2

Die 1970 geborene Antragstellerin hat ein Gewerbe angemeldet. Die Einkünfte hieraus betragen nach ihren Angaben weniger als 400,00 EUR. Sie ist seit dem 1. September 2004 bei der Antragsgegnerin als Selbständige freiwillig versichert. Der Monatsbeitrag beträgt 262,63 EUR. Seit dem 1. Januar 2005 erhält die Antragstellerin für sich und ihre Angehörigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 1 247,46 EUR. Die Antragstellerin beantragte bei der Antragsgegnerin fernmündlich die Feststellung eines Pflichtversicherungsverhältnisses. Dies wurde ebenfalls fernmündlich abgelehnt.

3

Die Antragstellerin hat das Gericht am 28. April 2005 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht. Zur Begründung verweist sie darauf, dass sie nach Angaben des Arbeitsamtes pflichtversichert sei.

4

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den telefonisch gestellten Antrag vorläufig als pflichtversichertes Mitglied zu führen.

5

Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. den Antrag zurückzuweisen.

6

Die Antragstellerin sei trotz des Bezuges von Arbeitslosengeld II nicht pflichtversichert. Zwar unterlägen Bezieher von Arbeitslosengeld II gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V grundsätzlich der Versicherungspflicht. Dies gelte jedoch nach Ansicht der Spitzenverbände der Krankenkassen nicht bei hauptberuflich Selbständigen. Dies folge aus dem § 5 Abs. 5 SGB V innewohnenden Grundsatz, dass hauptberuflich Selbständige von der Versicherungspflicht ausgeschlossen seien.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

8

II.

Der gem. § 86b Abs. 1 (Abs. 2) Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist zulässig und begründet.

9

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, bemisst sich an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).

10

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Die summarische Prüfung hat zum Ergebnis, dass die Antragstellerin seit dem 1. Januar 2005 pflichtversichertes Mitglied der Antragsgegnerin ist. Dies folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Danach sind Personen versicherungspflichtig für die Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden; dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt wird. Diese Voraussetzungen sind unstreitig erfüllt. Die Versicherungspflicht ist nach summarischer Prüfung auch nicht wegen der selbständigen Tätigkeit der Antragstellerin ausgeschlossen. Ein Ausschluss gem. § 5 Abs. 5 SGB V ist nicht gegeben. Die Vorschrift bezieht sich alleine auf die gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 bis 12 SGB V versicherungspflichtigen. Hierzu zählt die Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin ist nach vorläufiger Prüfung von der Versicherungspflicht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht wegen des Rechtsgedankens des § 5 Abs. 5 SGB V ausgeschlossen. Einer analogen Anwendung von § 5 Abs. 5 SGB auf die Fälle des § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB II steht bereits § 31 SGB I entgegen. Danach dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Für eine ungewollte Gesetzeslücke ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nichts ersichtlich. Hiergegen spricht insbesondere, dass gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 5 auch die hauptberuflich selbständig erwerbstätigen Bezieher von Arbeitslosengeld versicherungspflichtig sind. Infolgedessen kommt es auch nicht zu der von der Antragsgegnerin befürchteten Ungleichbehandlung von Beziehern von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck von § 5 Abs. 5 SGB V. Denn die Vorschrift hat erkennbar das Ziel, zu verhindern, dass Selbständige über eine sozialversicherungspflichtige (Neben-) Tätigkeit in den Genuss eines günstigen Krankenversicherungsschutzes gelangen können. Es soll verhindert werden, dass Personen, die aus der selbständigen Tätigkeit über erhebliche Einkünfte verfügen, bei der Beitragsberechnung lediglich aufgrund der niedrigeren Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung bevorzugt werden. Diese Gefahr besteht jedoch bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II nicht. Erhebliche Einkünfte aus der jeweiligen selbständigen Tätigkeit sind nicht zu erwarten, da diese ansonsten einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II entgegenstünden.

11

Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ist nicht zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass an den Anordnungsgrund umso geringere Anforderungen gestellt werden müssen, je höher der Grad der Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache ist (Landessozialgericht für das Land Niedersachsen, 4. Senat , Beschluss vom 14. September 1998, Az: L 4 KN 4/98  KR ER, SGb 1999, 254). In Anbetracht der Ausführungen über den Anordnungsanspruch sind an den Anordnungsgrund nur geringe Anforderungen zu stellen. Insofern reicht es aus, dass die Antragstellerin, die mit ihrer Familie Arbeitslosengeld II bezieht, durch die Zahlung von wahrscheinlich ungerechtfertigten Beiträgen in Höhe von 262,63 EUR finanziell erheblich belastet ist.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.