Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 20.01.2005, Az.: S 51 AY 1/05 ER
Leistungsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG); Ausschluss der Leistung bei rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch den Antragsteller selbst; Rechtsmissbrauch durch Nichtnachkommen der Ausreisepflicht; Zumutbarkeit der Rückkehr von Roma in den Kosovo und andere Teile Serbiens; Erhöhter Leistungsanspruch bereits nach Erfüllung der Wartezeit von 36 Monaten; Ausschluss des Rechtsmissbrauchs bei fehlender Einleitung möglicher Abschiebemaßnahmen
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 20.01.2005
- Aktenzeichen
- S 51 AY 1/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 29817
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2005:0120.S51AY1.05ER.0A
Rechtsgrundlage
- § 2 Abs. 1 AsylbLG
Fundstelle
- InfAuslR 2005, 158-159 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Hannover - 51. Kammer -
am 20. Januar 2005
durch
den A.
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern ab 11.01.2005 bis einschließlich 28.02.2005 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren.
- 2.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
- 3.
Den Antragstellern wird für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des A., bewilligt.
Gründe
Der zulässige Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen ab 11.01.2005 vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren, ist begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund vorliegen. Dabei bezieht sich der Anordnungsanspruch auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Es müssen in der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten bestehen. Für das Vorliegend eines Anordnungsgrundes ist Voraussetzung, dass dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interesse, aber auch der öffentlichen Interessen, nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Grundsätzlich ist es dabei nicht Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes, die endgültige Entscheidung der Hauptsache vorweg zu nehmen.
Diese Voraussetzung sind vorliegend erfüllt. Die Antragsteller haben ab 11.01.2005 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung. Abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch nach dieser Vorschrift auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Dass die zeitlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift bei den Antragstellern vorliegen, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Die Antragsteller haben weiterhin nicht die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.
Wohl ist der Antragsgegnerin darin Recht zu geben, dass den Antragstellern weder Abschiebungshindernisse zu Seite stehen und auch ihre freiwillige Ausreise möglich und zumutbar ist. Roma aus dem Kosovo können nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - sowohl durchaus in das Amselfeld zurückkehren. Da der Kosovo staatsrechtlich immer noch ein Teil Serbiens ist, können sie zudem auch in andere Landesteile Serbiens ausweichen (vgl. nur VG Hannover, Urteil vom 07.09.2004 - 7 A 3494/04 -). Das hier beschließende Gericht folgt dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts. Nach der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG wäre der Antrag der Antragsteller nach alledem abzulehnen gewesen.
Seit dem 01.01.2005 hat sich jedoch die maßgebende Vorschrift geändert. Seither kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist oder ob Abschiebehindernisse bestehen. Grundsätzlich steht nunmehr allen unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallenden Ausländern nach Erfüllung der Wartezeit von 36 Monaten ein Anspruch auf erhöhte Leistungen zu. Dies ist vom Gesetzgeber so beabsichtigt (vgl. BT-Drucks. 14/7387, S. 112, Zu Art. 8 - Nr. 3) Nach dem Gesetz ist nun nur noch dann ausnahmsweise ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII ausgeschlossen, wenn jemand die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat.
Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland beeinflussen, indem sie - obwohl sie es könnten - nicht freiwillig ausreisen. Die Antragsteller kommen nach alledem ihrer Ausreisepflicht schuldhaft nicht nach. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung der Vorschrift des § 2 Abs. 1 AsylbLG zwar auch zwischen denjenigen Ausländern unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können (dafür liegen bei den Antragstellern keine Anhaltspunkte vor) und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen (vgl. BT-Drucks. 14/7387, S. 112). Weil aber der Gesetzgeber und dann auch das beschlossene und verkündete Gesetz nicht nur darauf abstellen, dass Ausländer ihrer Ausreisepflicht schuldhaft verletzen, sondern als weitere Voraussetzung das Merkmal der Rechtsmissbräuchlichkeit hinzugekommen ist, ist nunmehr der Kreis der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Anspruchsberechtigten gegenüber der bis zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage deutlich erweitert. Viele Ausländer, denen, weil zumindest eine freiwillige Ausreise möglich war, nach den bis Ende Dezember geltenden Bestimmungen lediglich Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG zustanden, kommen nun in den Genuss erhöhter Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. Denn ein Rechtsmissbrauch kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Ausländer lediglich ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommen. Der Staat kann dem mit Abschiebungsmaßnahmen hinreichend begegnen.
Von einem Rechtsmissbrauch, d.h. einer missbräuchlichen Ausnutzung von Rechten und Vorschriften, kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn Ausländer versuchen, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen und auszunutzen. Etwa, in dem sie falsche Angaben machen, um einer Abschiebung zu entgehen und so ihren Aufenthalt zu verlängern, beispielsweise wenn sie eine falsche Identität vorspiegeln und/oder wahrheitswidrige Angaben zu ihrer Herkunft machen bzw. diese Daten verschweigen, so genannte Scheinehen eingehen oder, um eine Duldung zu erzwingen, bei der Beschaffung von notwendigen Reisedokumenten nicht mitwirken bzw. vorhandene Reisepässe und andere Identitätspapiere zurückhalten oder gar vernichten (vgl. auch die Beispiele in der BT-Drucks. 14/7387, a.a.O.). Von alledem kann bei den Antragstellern keine Rede sein. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass sie falsche Angaben zu ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Herkunft gemacht haben. Selbst die Antragsgegnerin hat dies nicht behauptet.
Die Antragsteller kommen - wenn auch schuldhaft - nur schlicht ihrer Ausreisepflicht nicht nach, ohne ein irgendwie geartetes Recht zum Aufenthalt missbräuchlich in Anspruch zu nehmen oder rechtlich zulässige Abschiebemaßnahmen zu verhindern. Die Antragsgegnerin als Ausländerbehörde hat es in der Hand, Abschiebemaßnahmen einzuleiten. Wenn sie dies aus welchen Gründen auch immer, etwa auf Grund von Anweisungen der übergeordneten Behörde, nicht tut, kann dies nicht den Antragstellern angelastet und ihnen deshalb Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden.
Die vorläufig zugesprochenen Leistungen waren allerdings auf die Zeit bis Ende Februar 2005 zu begrenzen. Das Gericht verpflichtet in Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG regelmäßig im Falle des Erfolgs eines Antragsstellers den jeweiligen Antragsgegner immer nur für einen begrenzten Zeitraum in die Zukunft. Es muss dem Antragsgegner unbenommen bleiben, auf Änderungen der Tatsachengrundlage bei der Leistungsgewährung jederzeit zu reagieren, da es sich bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht um rentengleiche Dauerleistungen handelt, sondern um zeitabschnittsweise zu gewährende Leistungen. Grundsätzlich spricht das Gericht, jedenfalls bei Entscheidungen in der zweiten Monatshälfte, deshalb eine Verpflichtung im Eilverfahren nur bis zum jeweiligen Ablauf des Folgemonats aus. Allerdings erwartet das Gericht, dass, wenn keine Änderungen eintreten, die Antragsgegnerin über diesen Zeitraum von sich aus auch ohne ausdrückliche Verpflichtung die Entscheidung des Gerichts weiter beachtet.
Die Kostenentscheidung erfolgt analog aus § 193 Absatz 1 SGG.
Prozesskostenhilfe war zu bewilligen, weil hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, wie sich aus den vorstehenden Gründen ergibt.