Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.10.2003, Az.: 5 K 236/03
Aufteilung umsatzsteuerpflichtiger und umsatzsteuerfreier Umsätze; Vermietung zu gewerblichen und privaten Zwecken; Einkünfte einer Grundstücksgesellschaft; Schätzung der nicht abziehbaren Vorsteuer-Teilbeträge ; Wahl der Schätzungsmethode durch Unternehmer; Verhältnis der Ausgangsumsätze
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.10.2003
- Aktenzeichen
- 5 K 236/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19301
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:1030.5K236.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 4 UStG
- § 15 Abs. 4 S. 1 UStG 1993
- § 15 Abs. 4 S. 2 UStG 1993
- § 15a UStG
- § 15a Abs. 3 UStG
Fundstellen
- BTR 2004, 94
- EFG 2004, 308-309
- ImmoStR 2004, 101-102
- StuB 2004, 661
- UStB 2004, 109 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bezieht ein Unternehmer Leistungen für ein gemischt genutztes Gebäude, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S.v. § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen.
- 2.
Es ist Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt. Das FA kann lediglich nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Grundstücksgesellschaft, erzielt aus der Vermietung von Grundstücken teilweise umsatzsteuerpflichtige Umsätze (Vermietung zu gewerblichen Zwecken), teilweise umsatzsteuerfreie Umsätze (Vermietung zu Wohnzwecken). Streitig ist, nach welchem Maßstab Vorsteuerbeträge aufzuteilen sind, die auf Instandsetzungskosten und sonstige laufende Bewirtschaftungskosten entfallen.
Für die Streitjahre (1997, 1998 und 2000) gab die Klägerin jeweils Umsatzsteuererklärungen ab, die gemäß § 168 Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden. In diesen Steuererklärungen wandte die Klägerin - ebenso wie in den Vorjahren und in dem bereits bestandskräftig veranlagten Zeitraum 1999 - das Verhältnis der umsatzsteuerpflichtig zu den umsatzsteuerfrei genutzten Flächen als Aufteilungsmaßstab für die nicht direkt zurechenbaren Vorsteuerbeträge im Sinne des § 15 Abs. 4 Umsatzsteuergesetz (UStG) an.
Mit Schreiben vom 31.10.2002 beantragte die Klägerin eine Änderung der Steuerfestsetzungen gemäß § 164 Abs. 2 AO unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 17.08.2001 (V R 1/01, BStBl II 2002, 833). Nunmehr bat die Klägerin, die Vorsteuern, die auf Instandhaltungsmaßnahmen und Bewirtschaftungsaufwendungen entfallen, nach dem Verhältnis der umsatzsteuerpflichtigen zu den umsatzsteuerfreien Umsätzen zu ermitteln. Sie begehrt deshalb, weitere Vorsteuern in Höhe von ... DM zum Abzug zuzulassen.
Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab, da die neuere BFH-Rechtsprechung nach einer für die Finanzverwaltung bindenden Anweisung nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden ist (BMF-Schreiben vom 19.11.2002, BStBl I 2002, 1369). Auch bei Anwendung der neueren BFH-Rechtsprechung ergäbe sich keine andere Beurteilung, da der BFH ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass der Unternehmer an seine einmal getroffene Wahl des Aufteilungsmaßstabs gebunden sei. Da die Klägerin in den bestandskräftig veranlagten Vorjahren und im Jahr 1999 die nicht direkt zurechenbaren Vorsteuern nach dem Verhältnis der umsatzsteuerpflichtigen zu den umsatzsteuerfrei genutzten Flächen aufgeteilt habe, sei sie in den Streitjahren und auch in Zukunft an den einmal gewählten Flächenaufteilungsmaßstab gebunden.
Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Klägerin hiergegen die vorliegende Klage, die sie wie folgt begründet: Ursprünglich sei die Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Maßstab der früheren BFH-Rechtsprechung und der entsprechenden Verwaltungsanweisungen erfolgt. Nachdem der BFH mit Urteil vom 17.08.2001 entschieden habe, dass der Umsatzschlüssel als Regel-Aufteilungsmaßstab sachgerecht im Sinne des § 15 Abs. 4 UStG sei, wähle die Klägerin nunmehr eine Aufteilung nach dem für sie günstigeren Umsatzschlüssel. Eine Bindung an den früher angewandten Nutzflächenschlüssel sei nicht eingetreten, da die Klägerin in der Vergangenheit nicht zwischen mehreren sachgerechten Aufteilungsverfahren gewählt habe, sondern denjenigen Aufteilungsschlüssel angewandt habe, der von der früheren Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung als allein zulässiger Aufteilungsmaßstab angesehen wurde.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer...herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, Vorsteuerbeträge seien bei gemischt genutzten Umsätzen - entgegen der neueren BFH-Rechtsprechung - nach dem Verhältnis der tatsächlichen Nutzflächen, nicht jedoch nach einem Umsatzschlüssel aufzuteilen (Hinweis auf BMF-Schreiben vom 19.11.2002, BStBl I 2002, 1368).
Darüber hinaus habe die Klage auch dann keinen Erfolg, wenn man der neueren BFH-Rechtsprechung folge. Der BFH habe ausdrücklich entschieden, dass der Unternehmer an ein einmal gewähltes Aufteilungsverfahren auch in den nachfolgenden Veranlagungszeiträumen gebunden sei. Da die Klägerin für die Aufteilung der Vorsteuerbeträge aus den streitbefangenen Gebäuden ursprünglich einen Flächenschlüssel gewählt habe, sei sie auch für die Streitjahre an diesen einmal gewählten Aufteilungsmaßstab gebunden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1.
Bezieht ein Unternehmer Leistungen für ein Gebäude mit Wohn- und Gewerbeflächen, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S.v. § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen.
a)
Da die Klägerin die von ihr vermieteten Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger Vermietungsumsätze und teilweise zur Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnungen) verwendet, ist gemäß § 15 Abs. 4 UStG der Teil der Vorsteuerbeträge auf die Gebäudeherstellung nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.
Aus § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG 1993 folgt somit, dass "der Unternehmer" eine sachgerechte Schätzung der nicht abziehbaren Vorsteuer-Teilbeträge vorzunehmen hat. Es ist also Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt. Das FA kann nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (BFH-Urteile vom 12. März 1998 V R 50/97, BStBl II 1998, 525; vom 17. August 2001 V R 1/01, DStR 2001, 1977 = UR 2001, 552).
Kriterien für eine "sachgerechte Schätzung" im Sinne der Vorschrift umschreibt das Umsatzsteuergesetz nicht ausdrücklich. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG 1993 stellt lediglich das Erfordernis einer "wirtschaftlichen Zurechnung" von Vorsteuerbeträgen zu den mit der bezogenen Leistung ausgeführten Umsätzen auf.
Diese Methode "wirtschaftlicher Zurechnung" ist seit 1990 die im Umsatzsteuergesetz allein vorgesehene Zurechnungsmethode. Aufteilungsmethoden nach einem Umsatzschlüssel (allgemeine Aufteilungsmethode nach § 15 Abs. 3 UStG 1967/1973, eingeschränkt gemäß § 15 Abs. 5 und 6 UStG 1980) wurden aufgehoben (letztere mit der Begründung, eine sachgerechte Zuordnung der - nicht schon ausschließlich zurechenbaren Umsätze - lasse sich zutreffender und einfacher im Weg der nach Absatz 4 allgemein zugelassenen Schätzung erzielen, vgl. BTDrucks 11/2157, 191, Zu Nr. 6, § 15 UStG). Aus der Entwicklung der Regelungen zur Vorsteueraufteilung in § 15 UStG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel nicht allgemein als sachgerechte Methode der "wirtschaftlichen Zurechnung" ansah.
b)
Demgegenüber schreibt Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der 6. EG-Richtlinie für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen in Fällen gemischter (d.h. zum Vorsteuerabzug berechtigender und nicht berechtigender) Umsätze ausdrücklich als Regel-Aufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel (Pro-rata-Regel) vor. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist als "sachgerecht" i.S.d. § 15 Abs. 4 UStG deshalb ein den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie entsprechendes Aufteilungsverfahren anzuerkennen, das - objektiv nachprüfbar - nach einheitlicher Methode die beiden "Nutzungsteile" eines gemischt verwendeten Gegenstandes bzw. einer sonstigen Leistung den damit ausgeführten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen zurechnet (ständige BFH-Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 17. August 2001 V R 1/01, BStBl II 2002, 833). Der vom Kläger angewandte Umsatzschlüssel ist EG-rechtlich präferiert und sachgerecht i.S.d. § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG.
c)
Die Regelung des Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie berechtigt die Mitgliedstaaten zwar zum Ausschluss des EG-rechtlich vorgesehenen Regel-Aufteilungsmaßstabs. Ein solch ausdrücklicher Ausschluss des Umsatzschlüssels ist der gesetzlichen Regelung in § 15 Abs. 4 UStG jedoch nicht zu entnehmen.
Der Wortlaut des § 15 Abs. 4 UStG schließt die Anwendung des Umsatzschlüssels nicht eindeutig aus. Das in Satz 1 genannte Kriterium der "wirtschaftlichen Zurechnung" stellt darauf ab, inwieweit die betreffenden Vorbezüge in die steuerpflichtige Ausgangsumsätze gegenständlich oder wertmäßig eingeflossen sind. Die Ermittlung der nichtabziehbaren Teilbeträge kann dabei nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG im Wege einer sachgerechten Schätzung erfolgen. Damit eröffnet Satz 2 dem Unternehmer einen gewissen Spielraum; Satz 2 relativiert den Grundsatz der in Satz 1 vorgesehenen "wirtschaftlichen Zurechnung" insofern als der Aufteilungsmaßstab nicht ausschließlich anhand geeigneter Abrechnungsunterlagen wie z.B. Betriebsauswertungsbögen oder Kostenträgerrechnungen zu führen ist, sondern auch mittels "vergröbernder" bzw. pauschalierender Schätzung geführt werden darf (vgl. Heidner, UR 2002, 193, 195).
Der Umsatzschlüssel ist demnach eine - vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte - Schätzungsmethode. Die Finanzverwaltung erkennt den Umsatzschlüssel bei der Aufteilung sonstiger gemischter Ausgangsumsätze auch an (z.B. Zahnarzt mit eigenem Labor). Ein Ausschluss dieser Schätzungsmethode bei der Vermietung gemischt genutzter Gebäudeteile ist in § 15 Abs. 4 UStG nicht zwingend angelegt.
2.
Die Klägerin war befugt, für die streitbefangenen Erhaltungsaufwendungen und laufenden Bewirtschaftungskosten eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach Maßgabe eines Umsatzschlüssels vorzunehmen, obwohl die Aufteilung der auf die Herstellung der Gebäude entfallenden Vorsteuerbeträge nach Maßstab eines Nutzflächenschlüssels erfolgte.
Allerdings weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass die einmal getroffene Wahl eines Aufteilungsschlüssels hinsichtlich der Aufteilung von Herstellungskosten eines Gebäudes für den gesamten Berichtigungszeitraum (§ 15 a UStG) bindend ist; nach Bestandskraft eines Steuerbescheides des Berichtigungszeitraumes kann kein anderes Aufteilungsverfahren gewählt werden (BFH-Urteil vom 17.08.2001 V R 1/01 BStBl II 2002, 833; BFH-Beschluss vom 29.07.2003 V B 156/02, noch nicht veröffentlicht). Diese Bindungswirkung nach Maßgabe des § 15 a UStG betrifft jedoch lediglich die Aufteilung der Herstellungskosten eines Gebäudes. Sie gilt dagegen nicht für die hier streitbefangenen Erhaltungsaufwendungen.
Das Recht auf den Vorsteuerabzug für Gegenstände und Dienstleistungen, die für die Nutzung und Wartung eines Wirtschaftsgutes bezogen werden, ist eine eigenständige Frage, die von der Zuordnung des Investitionsguts zum Unternehmen selbst zu trennen ist (EuGH-Urteil vom 08.03.2001 C-415/98, Bakci, UR 2001, 149 Ziff. 33). Da somit der Vorsteuerabzug für Erhaltungsaufwendungen und Bewirtschaftungskosten eigenständig - unabhängig von dem Schicksal des Wirtschaftsguts selbst - zu prüfen ist, kann der Unternehmer insoweit gemäß § 15 Abs. 4 UStG eine eigenständige Zuordnungsentscheidung treffen, ohne an den für das Wirtschaftsgut selbst gewählten Aufteilungsmaßstab gebunden zu sein.
Dies wird dadurch bestätigt, dass die Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG lediglich Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 15 a Abs. 1 UStG) sowie nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 15 a Abs. 3 UStG) betrifft. Für Bewirtschaftungs- und Erhaltungsaufwendungen dagegen kann in jedem Jahr eine eigenständige Zuordnungsentscheidung getroffen werden. Sie fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 15 a UStG (ebenso FG Hamburg vom 12.11.2002 VII 249/00, EFG 2003, 654).
3.
Da die Wahl eines sachgerechten Aufteilungsmaßstabes und auch der Wechsel eines einmal gewählten Aufteilungsmaßstabes bis zur Bestandskraft der jeweiligen Steuerfestsetzung möglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 29.07.2003 V B 156/02), war der Beklagte gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO verpflichtet, dem Antrag der Klägerin auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für die Streitjahre zu folgen und die nunmehr geltend gemachten Vorsteuerbeträge zum Abzug zuzulassen.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).