Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.10.2007, Az.: 15 K 647/04
Steuerrechtlicher Erstattungsanspruch einer Familienkasse als nachrangiger Leistungsträger hinsichtlich eines von einem Träger von Sozialleistungen bewilligten und gezahlten Kindergeldes; Voraussetzungen einer nachrangigen Verpflichtung eines Leistungsträgers zur Leistung von Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 16.10.2007
- Aktenzeichen
- 15 K 647/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 50766
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:1016.15K647.04.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: III R 67/08
Rechtsgrundlagen
- § 74 Abs. 2 EStG
- § 31 S. 2 EStG
- §§ 62 ff. EStG
- § 102 SGB X
- § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 1 Abs. 1 ff. BSHG
- § 2 Abs. 1 BSHG
- §§ 11 ff. BSHG
Verfahrensgegenstand
Kindergeld:
Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X,
Voraussetzungen einer allgemeinen Leistungsklage
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten als Träger von Sozialleistungen einen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) X für die Zeit vom 1. November 2003 bis Juli 2004 in Höhe von 1.260,56 EUR geltend.
Streitig ist ein Kindergeldanspruch für A. (geb. am ... 1982), den Sohn der Beigeladenen. A lebte seit Juli 2002 in einer eigenen Wohnung ... in H. Im Anschluss an ein freiwilliges soziales Jahr (vom 1. August 2002 bis 31. Juli 2003) besuchte er ab 26. August 2003 bei der Volkshochschule H einen 10-monatigen Tageskurs mit dem Ziel, den Realschulabschluss zu erwerben.
Die Klägerin gewährte A in der Zeit vom 18. September 2003 bis zum 30. September 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Klägerin zahlte A in den Monaten Januar und Februar 2004 jeweils 91,28 EUR und in den übrigen Monaten Beträge, die das Kindergeld in Höhe von 154 EUR übersteigen. Wegen der Zahlungen für den Zeitraum September 2003 bis Juli 2004 im Einzelnen wird auf die Berechnungsnachweise in dem nicht paginierten Verwaltungsvorgang der Klägerin Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 25. Juli 2003 bewilligte der Beklagte der Beigeladenen Kindergeld für A für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2003.
Am 23. September 2003 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie A Sozialhilfe nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zahle. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf Kindergeld im berechtigten Interesse gemäß § 67 Abs. 1 EStG und meldete einen Erstattungsanspruch des von der Beigeladenen beantragten Kindergeldes gemäß "§ 74 Abs. 5 EStG i.V.m. §§ 103, 104 SGB X" bis zur Höhe ihrer Aufwendungen an.
Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2003 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass keine Nachzahlungsbeträge gemäß § 74 Abs. 2 EStG zur Verfügung stünden. Außerdem forderte er die Klägerin auf, einen Heranziehungsbescheides gegenüber der Beigeladenen zu übersenden und Nachweisen dafür vorzulegen, dass die Beigeladene aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit nicht zum Unterhalt herangezogen werden könne oder aus sonstigen Gründen ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkomme. Für den Fall, dass sich die Klägerin nicht bis zum 30. Oktober 2003 melde, werde er nach Aktenlage entscheiden. Auf dem Schreiben befindet sich ein auf den 6. Oktober 2003 datierter Absendevermerk. Eine Antwort auf dieses Schreiben enthält die Kindergeldakte nicht.
Mit Bescheid vom 23. März 2004 bewilligte der Beklagte der Beigeladenen Kindergeld für A für die Zeit von November 2003 bis Juli 2004. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hatte die Beigeladene dem Beklagten als Anlage ihres Kindergeldantrages vom 11. März 2004 auch Berechnungsnachweise der Klägerin über die Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Oktober bis Dezember 2003 eingereicht.
Die Klägerin, in deren Verwaltungsvorgängen sich das Schreiben des Beklagten vom 2. Oktober 2003 nicht befindet, wandte sich mit Schriftsatz vom 30. März 2004 erneut an den Beklagten.
Im Anschluss an einen regen Schriftwechsel zwischen Klägerin und Beklagtem lehnte der Beklagte mit förmlichem Bescheid vom 30. Juli 2004 einen Antrag auf Erstattung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 5 EStG vom 23. September 2003 und nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 ff. SGB X vom 22. Juli 2004 ab. Eine Erstattung nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfordere grundsätzlich, dass ein Anspruch auf Kindergeld für einen Zeitraum in der Vergangenheit bestehe, für den ein Sozialhilfeträger trotz nachrangiger Leistungsverpflichtung Leistungen ohne Anrechnung des Kindergeldes dem Berechtigten für seine Kinder oder den Kindern allein erbracht habe. Soweit die Familienkasse das Kindergeld bereits an den Berechtigten bzw. einen Dritten geleistet habe, bestehe keine Ersatzpflicht.
Ein Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X setze ferner die Gleichartigkeit der Leistungen voraus. An der Gleichartigkeit mangele es bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, da es sich hierbei um Sozialleistungen und nicht um Steuerleistungen handele. Lägen weder Nachrangigkeit noch Gleichartigkeit vor, komme ein Erstattungsanspruch nur unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X in Betracht: Der Leistungsträger müsse vom Berechtigten bzw. vom Hilfe empfangenden Kind einen Kostenbeitrag erhoben oder Aufwendungsersatz verlangt haben. Der Leistungsträger habe durch detaillierte Angaben im Erstattungsantrag darzulegen, dass er über einen entsprechenden Erstattungsanspruch verfüge. In den Fällen des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X sei zusätzlich durch die Vorlage einer Kopie des Kostenfestsetzungsbescheides nachzuweisen, dass von ihm eine Entscheidung über die Heranziehung der Eltern zu den Kosten durch Verwaltungsakt getroffen worden sei.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 25. November 2004 als unbegründet zurück. Der Antrag auf Erstattung des Kindergeldes für die Zeit vom 1. November 2003 bis 31. Juli 2004 in Höhe von 1.260 EUR sei zu Recht abgelehnt worden, da die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 4 SGB X vorgelegen hätten. Erforderlich wäre gewesen, dass die Klägerin von der Beigeladenen als Kindergeldberechtigten einen Kostenbeitrag als Ersatz für die ihrem Sohn gegenüber gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt gefordert hätte. Dieses hätte durch Vorlage eines entsprechenden Kostenfestsetzungsbescheides nachgewiesen werden müssen. Mangels eines solchen Nachweises sei der Erstattungsanspruch abzulehnen.
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Dezember 2004 Klage erhoben, mit der sie die Erstattung von Kindergeld in Höhe von 1.260 EUR begehrt. Zu deren Begründung trägt sie folgendes vor:
Ihr stehe gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegen die beklagte Familienkasse ein Erstattungsanspruch zu: A habe von der Klägerin in der Zeit vom 18. September 2003 bis 30. September 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bezogen. Bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt sei Kindergeld als Einkommen nicht berücksichtigt worden.
Am 23. September 2003 sei der Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten auf die vorrangige Leistung angemeldet worden. Soweit der Beklagte die Auffassung vertrete, dass dem Erstattungsanspruch entgegenstünde, dass es sich bei der Hilfe zum Lebensunterhalt um keine nachrangige und keine gleichartige Leistungen handele, gehe diese Auffassung fehl.
Die nachrangige Leistungsverpflichtung der Klägerin ergebe sich aus § 2 Abs. 2 BSHG.
Auch die Gleichartigkeit der Leistungen sei gegeben. Dabei setze die Gleichartigkeit insofern keinen einheitlichen Leistungsgrund voraus. Ferner müsse die der Erstattung zugrunde liegenden Leistung nicht auf demselben Rechtsgrund beruhen. Eine Gleichartigkeit sei daher zwischen Kindergeld und der Hilfe zum Lebensunterhalt anzunehmen.
Der Beklagte werde durch die Zahlung an die Beigeladene von der Leistungs- bzw. Erstattungspflicht nicht befreit. So habe die Klägerin die Beklagte am 23. September 2003 und damit vor Auszahlung der Kindergeldnachzahlungen für die Zeit ab November 2003 davon in Kenntnis gesetzt, dass die Klägerin nachrangige Hilfen erbracht habe.
Dass die Leistungen der Klägerin nicht an die kindergeldberechtigte Mutter, sondern an ihren Sohn erfolgt seien, stehe dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen. Gemäß § 104 Abs. 2 SGB X werde die in Abs. 1 der genannten Vorschrift benannte Personenidentität aufgehoben.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld in Höhe von 1.260,56 EUR für die Zeit von November 2003 bis Juli 2004 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Klagabweisungsantrages trägt der Beklagte folgendes vor:
Die Hilfe zum Lebensunterhalt sei gegenüber dem Kindergeld nicht gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X nachrangig, weil die Hilfe zum Lebensunterhalt bei rechtzeitiger Erfüllung des Kindergeldanspruchs nicht wegfalle. Das Kindergeld stehe steuerrechtlich nicht dem Kind zu, sondern werde einem Kindergeldberechtigten gezahlt.
Eine Gleichartigkeit sei ebenfalls nicht gegeben: Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt handele es sich um eine Sozialleistung. Demgegenüber sei das Kindergeld eine allgemeine staatliche Geldleistung zur steuerlichen Freistellung des Kinderexistenzminimums und der Familienförderung. Damit scheide ein Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X aus, weil es an der erforderlichen Nachrangigkeit und Gleichartigkeit der Leistungen mangele.
Ein Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X komme ebenfalls nicht in Betracht. So habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie von der Berechtigten mit bestandskräftigem Bescheid Aufwendungsersatz verlangt habe.
Im Übrigen habe die Klägerin einen Erstattungsanspruch auf Kindergeld für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht. So erfolgten die Zahlungen des Kindergeldes bis 31. Juli an die Mutter, da aus Sicht des Beklagten kein Erstattungsanspruch der Klägerin nachgewiesen worden sei. Über eine Festsetzung des Kindergeldes ab 1. September 2004 und einen erneuten Erstattungsantrag der Klägerin sei noch zu entscheiden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Bei der Klage, mit der der nachrangige Leistungsträger seinen Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X geltend macht, handelt es sich um eine zulässige allgemeine Leistungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da zwischen den Leistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, das zu einer Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde. Die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X sind als eigenständige Ansprüche normiert, die selbständig neben einem Anspruch des Berechtigten gegen den zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger entstehen und (nur) von der Erfüllung der in §§ 102 ff. SGB X geregelten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig sind (vgl. Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156).
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
Nach § 74 Abs. 2 EStG gelten für die Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 SGB X entsprechend.
Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig ist, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Nach § 104 Abs. 2 SGB X gilt Abs. 1 der Vorschrift auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat.
Die Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 1 Abs. 1, 11 ff. BSHG) ist gegenüber dem Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. EStG insoweit eine nachrangige Leistung, als das Kindergeld der Förderung der Familie dient (§ 31 Satz 2 EStG).
§ 2 Abs. 1 BSHG bestimmt, dass Sozialhilfe u.a. nicht erhält, wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (sog. Systemsubsidiarität). Für das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) anerkannt, dass es sich um eine gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangige Sozialleistung i.S. des § 104 SGB X handelt; das Kindergeld sei eine mit der Hilfe zum Lebensunterhalt zweckidentische Leistung und damit anrechenbares Einkommen i.S. von §§ 76, 77 BSHG, das anspruchsmindernd auf die Sozialhilfe anzurechnen sei (vgl. BVerwG Urteil vom 25. November 1993 5 C 8.90, BVerwGE 94, 326, m.w.N.; BSG Urteil vom 28. August 1997 14/10 Rkg 11/96, SozR 3-1300 § 104 SGB X Nr. 12, m.w.N.).
Der Gesetzgeber hat durch das JStG 1996 das Kindergeld im X. Abschnitt des EStG (§§ 62 bis 78) neu geregelt und es gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung (§ 37 Abs. 1 der Abgabenordnung -AO-) ausgestaltet. Er hat das bisherige duale System von Kindergeld und Kinderfreibetrag mit Wirkung ab dem 1. Januar 1996 dahin geändert, dass nach § 31 Satz 1 EStG die steuerliche Freistellung des Einkommensbetrages der Eltern in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG bewirkt wird. Soweit das Kindergeld für die (verfassungsrechtlich) gebotene steuerliche Freistellung nicht erforderlich ist, dient es gemäß § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie.
Der Teil des Kindergeldes gemäß §§ 62 ff. EStG, der der Förderung der Familie dient, stellt zwar keine Sozialleistung im formellen Sinne, sondern eine einkommensteuerliche Förderung der Familie durch eine Sozialzwecknorm dar (BFH Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BStBl II 2001, 279). Dies ändert aber nichts daran, dass das Kindergeld insoweit, als es der Förderung der Familie dient, wie bisher gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt als vorrangige Leistung i.S. des § 104 SGB X anzusehen ist. Die in § 74 Abs. 2 EStG angeordnete entsprechende Anwendung u.a. des 104 SGB X ergäbe keinen Sinn, wenn der Teil der Kindergeldes, der der Förderung der Familie dient, nicht ebenso wie bisher das Kindergeld nach dem BKGG als vorrangige Leistung anzusehen wäre. Nach der Gesetzesbegründung sollte durch § 74 Abs. 2 EStG sichergestellt werden, dass die aufgeführten Vorschriften des SGB X "weiterhin" anwendbar bleiben (BTDrucks 13/1558, S. 162). Das ist aber nur der Fall, wenn ungeachtet der formalrechtlichen Ausgestaltung des Kindergeldes als Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) der Teil des Kindergeldes, der der Familienförderung dient (vgl. § 31 Satz 2 EStG), weiterhin als vorrangige Sozialleistung behandelt wird (BFH Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156).
Ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt außerdem voraus, dass die von den verschiedenen Sozialleistungsträgern erbrachten Leistungen in der Weise gleichartig sind, dass sie demselben Zweck dienen (BFH vom 7. Dezember 2004, VIII R 57/04, BFH/NV 2005, 862). Dies ist bei Kindergeld und laufender Hilfe zum Lebensunterhalt als Geldleistung nach dem BSHG der Fall (FG Münster Urteil vom 14. März 2006 15 K 4885/02, EFG 2007, 539, FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Oktober 2002, 3 K 1503/02, [...]).
Der Beklagte ist auch nicht durch die Zahlung an die Beigeladene von der Erstattungspflicht befreit. So hat die Klägerin den Beklagten am 23. September 2003 und damit vor Auszahlung der Kindergeldnachzahlungen für die Zeit ab November 2003 davon in Kenntnis gesetzt, dass die Klägerin dem Sohn der Beigeladenen "zur Zeit" Sozialhilfe zahle. Damit hatte die Familienkasse vor Auszahlung des Kindergeldes an die Beigeladene positive Kenntnis von der der Leistung durch die Klägerin. Auch vor Auszahlung des Kindergeldes für künftige Zeiträume hätte sich der Beklagte daher - ggf. durch weitere Nachfragen - vergewissern müssen, ob die Klägerin ihre Sozialhilfezahlungen an A eingestellt hat. Im Übrigen hat die Beigeladene dem Beklagten auch die Berechnungsnachweise der Klägerin über die Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Oktober 2003 bis Dezember 2003 vorgelegt.
Danach steht der Klägerin ein Erstattungsanspruch des für die Zeit von November 2003 bis Juli 2004 bewilligten Kindergeldes in Höhe von 1.260,56 EUR zu, nämlich in Höhe von 1.078 EUR (7*154 EUR) für die Monate November und Dezember 2003 sowie März bis Juli, weil die Klägerin in diesen Monaten A Geldleistungen in Höhe von mehr als 154 EUR zahlte, zuzüglich 2*91,28 EUR für die in den Monaten Januar und Februar 2004 geleisteten Zahlungen.
Der Beklagte trägt als unterlegene Beteiligter die Kosten des Rechtsstreits, § 135 Abs. 1 FGO.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet, § 139 Abs. 4 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.