Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.04.2010, Az.: L 2 R 647/09
Vormerkung einer Anrechnungszeit für eine Übergangszeit im Hinblick auf eine angestrebte Ausbildung zur Erzieherin
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 07.04.2010
- Aktenzeichen
- L 2 R 647/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 15252
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2010:0407.L2R647.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 25.11.2009 - AZ: S 1 R 671/06
Rechtsgrundlage
- § 58 SGB VI
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die am 1. Dezember 1957 geborene Klägerin begehrt die Vormerkung einer Anrechnungszeit für eine Übergangszeit vom 15. April 1976 bis zum 31. Juli 1976. Vom 14. April 1975 bis zum 14. April 1976 absolvierte die Klägerin ein Vorpraktikum im Kindergarten St. G. in Osnabrück im Hinblick auf die von ihr angestrebte Ausbildung zur Erzieherin. Für die Dauer dieses Vorpraktikums sind (in bescheidenem Umfang) Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden; die Beklagte berücksichtigt diesen Zeitraum als Pflichtbeitragszeitraum in Form der beruflichen Ausbildung. Vom 1. August 1976 bis zum 31. Juli 1978 besuchte die Klägerin die Katholische Fachschule für Sozialpädagogik im Wilhelmstift H.; diesen Zeitraum hat die Beklagte als Fachschulausbildung anerkannt. Nach erfolgreichem Abschluss des nachfolgenden Anerkennungspraktikums ist die Klägerin als Erzieherin staatlich anerkannt worden; sie übt seitdem diesen Beruf aus. In der im vorliegenden Rechtsstreit allein zu beurteilenden Übergangszeit vom 15. April 1976 bis zum 31. Juli 1976 hat die Klägerin den Beginn der Fachschulausbildung abgewartet. Sie hat seinerzeit keine Beschäftigung ausgeübt und war auch nicht arbeitslos gemeldet. Mit Bescheid vom 2. August 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29. September 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006 lehnte die Beklagte eine Vormerkung des Zeitraums vom 15. April bis zum 31. Juli 1976 ab, da die Klägerin während dieses Zwischenzeitraums keinen rentenrechtlichen Tatbestand erfüllt habe. Mit der am 27. November 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass sie im Anschluss an das Vorpraktikum "die Hauswirtschaftsschule in H. " (gemeint offenbar: die Katholische Fachschule für Sozialpädagogik) habe besuchen wollen. Rentenrechtlich müsse berücksichtigt werden, dass es sich um eine einheitliche Ausbildung handele. Bei der Beklagten gehe "alles durcheinander". Es sei von ihrer Seite "gebetsmühlenartig" vorgetragen worden, dass sie im Zeitraum 15. April bis 31. Juli 1976 ein Praktikum im St. G. Kindergarten absolviert habe, welches Voraussetzung für die Fachschulausbildung gewesen sei. Mit Urteil vom 25. November 2009, der Klägerin zugestellt am 30. November 2009, hat das Sozialgericht Osnabrück die Klage abgewiesen. Das Vorpraktikum sei zwar Aufnahmevoraussetzung für den Besuch der Fachschule gewesen, könne jedoch seinerseits nicht bereits dem sich erst anschließenden Fachschulbesuch zugerechnet werden. Da die Klägerin während des Vorpraktikums keine Anrechnungs-, sondern eine Beitragszeit zurückgelegt habe, könne die nachfolgende Übergangszeit bis zum Beginn der Fachschulausbildung auch nicht einer Anrechnungszeit gleichgestellt werden. Mit der am 23. Dezember 2009 eingelegten Berufung weist die Klägerin erneut darauf hin, dass das Vorpraktikum Voraussetzung für den Fachschulbesuch gewesen sei. Die Wartezeit zwischen Vorpraktikum und Fachschulbesuch dürfe ihr rentenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen. Sie beantragt, 1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. November 2009 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29. September 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006 zu ändern und 2. die Beklagte zur Vormerkung des Zeitraums vom 15. April bis zum 31. Juli 1976 als Anrechnungszeit zu verpflichten. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung, über die der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheidet, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich erachtet, hat keinen Erfolg. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nehmen kann, zu entkräften. Nach § 149 Abs. 5 SGB VI stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits geklärten Daten durch Bescheid fest. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden (Satz 2 a.a.O.). Infolgedessen wird im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens nur geprüft, ob der behauptete Anrechnungszeittatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt ist. Ob und in welchem Umfang diese Zeit sodann jeweils bei der Berechnung der Rente Berücksichtigung findet, kann erst bei Eintritt des Leistungsfalles entschieden werden (BSG, U.v. 24. Oktober 1996 - 4 RA 52/95 - SozR 3-2600 § 58 Nr. 8). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zutreffend von einer solchen Vormerkung des allein zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zeitraums vom 15. April bis zum 31. Juli 1976 abgesehen. Dieser erfüllt nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Anrechnungszeit. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht angesichts des teilweise irreführenden erstinstanzlichen Vortrages der Klägerin klarzustellen, dass sich dieser Zeitraum an das zuvor bis zum 14. April 1976 absolvierte (Vor-)Praktikum im Kindergarten St. G. anschloss (vgl. auch das im Verwaltungsverfahren vorgelegte die genauen Praktikumsdaten bescheinigende Zeugnis des Kindergartens vom 12. April 1976). Während des maßgeblichen Zeitraums vom 15. April bis zum 31. Juli 1976 hat die Klägerin weder an einem Praktikum noch an einer Ausbildung teilgenommen und auch keine Beschäftigung ausgeübt; sie hat lediglich den Beginn des Fachschulbesuchs im August 1976 abgewartet. Inhaltlich zutreffend hat die Klägerin selbst diesen Zeitraum sowohl in ihrem Schreiben vom 22. Juli 2005 als auch im Schriftsatz vom 10. Februar 2010 als "Wartezeit" beschrieben. Die einzelnen Tatbestände der gesetzlichen Legaldefinition von Anrechnungszeiten in § 58 SGB VI erfassen ihrem Wortlaut nach nicht solche Wartezeiten. Namentlich hatte die Klägerin seinerzeit noch keine Fachschule im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI besucht. Bereits das vorgelegte Zeugnis der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik im Wilhelmstift H. vom 10. Juli 1978 belegt, dass der Besuch dieser Fachschule erst am 1. August 1976 begonnen hat. Allerdings hat die Rechtsprechung über die ausdrücklich in § 58 SGB VI normierten Fallgestaltungen hinaus in analoger Anwendung dieser Vorschrift auch sog. unvermeidbare Zwischenzeiten als Anrechnungszeiten anerkannt. Die Annahme einer derartigen unvermeidlichen Zwischenzeit kommt in Betracht, wenn eine solche Zeit von zwei Ausbildungsabschnitten umgeben ist, wovon der erste Ausbildungsabschnitt ein Anrechnungszeittatbestand gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI sein muss; diesem muss ein weiterer, vom Ausbildungsziel gesehen notwendiger Ausbildungsabschnitt folgen, der den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfüllen muss und nach dessen Beendigung erst der Weg ins Berufsleben und damit die Aufnahme einer regelmäßig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Berufstätigkeit eröffnet wird (BSG, U.v. 24. Oktober 1996 - 4 RA 52/95 - a.a.O.; vgl. auch BSG, U.v. 5. Dezember 1996 - 4 RA 101/95 -). Eine solche unvermeidliche Zwischenzeit ist letztlich Ausfluss der im Vordergrund stehenden ersten Anrechnungs-/Ausbildungszeit, die das Ausbildungsziel und damit die Gesamtausbildung, auch die nichtschulische, maßgeblich prägt. Der erweiternden Auslegung liegt der Gedanke zugrunde, dass auch der "zukünftige" Versicherte, dessen in Ausbildungsabschnitten gegliederte Gesamtausbildung durch eine unvermeidliche Zwischenzeit "unterbrochen" wird, nicht etwa deshalb einen rentenversicherungsrechtlichen Nachteil erleiden soll, weil die unvermeidliche Zwischenzeit nicht zwischen zwei Anrechnungszeit-/Ausbildungstatbeständen liegt, sondern zwischen einem Anrechnungszeittatbestand und einem Tatbestand einer anderen rentenrechtlichen Zeit; auf die nähere rentenrechtliche Qualifizierung des auf die Zwischenzeit folgenden Ausbildungsabschnitts kommt es also nicht an (BSG, U. v. 24. Oktober u. v. 5. Dezember 1996, a.a.O.). Auch die vorstehend erläuterten Voraussetzungen für die Vormerkung einer Anrechnungs-(Zwischen-)Zeit in analoger Anwendung des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Vorpraktikum, das allein als erster Ausbildungsabschnitt im Sinne der erläuterten Rechtsprechung heranzuziehen sein könnte, hat seinerseits keinen Anrechnungszeittatbestand gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI dargestellt; es hat sich bei diesem Praktikum vielmehr um eine Pflichtbeitragszeit gehandelt. Ein Praktikum, das - wie im vorliegenden Zusammenhang - nicht Teil, sondern Voraussetzung einer Fachschulausbildung ist, erfüllt insbesondere nicht den Anrechnungszeittatbestand i.S. des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI (BSG, U.v. 05. Dezember 1996 - 4 RA 101/95 - ). Eine noch weitergehende Ausdehnung der ohnehin bereits analogen Anwendung des § 58 SGB VI in dem Sinne, dass Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten auch dann als Anrechnungszeit vorzumerken sind, wenn der erste Ausbildungsabschnitt keinen Anrechnungszeittatbestand gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bildet, wird, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung nicht befürwortet und wäre aus der Sicht des erkennenden Senates jedenfalls als nicht sachgerecht zu werten. Schon das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke lässt sich diesbezüglich nicht feststellen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst zur Normierung eines als abschließend verstandenen Katalogs der Anrechnungszeiten entschlossen. Es fällt schon schwer zu objektivieren, dass ihm dabei verborgen geblieben sein soll, dass Wartezeiten zwischen Ausbildungs- (oder auch sonstigen Tätigkeits-)Abschnitten von dem Tatbestand nicht erfasst werden. Noch weniger vermag der Senat mit der gebotenen Verlässlichkeit festzustellen, dass nach den gesetzgeberischen Wertungen die Schließung einer eventuellen Regelungslücke allein im Sinne der analogen Zuerkennung einer Anrechnungszeit für solche Wartezeiten geboten wäre. Wegen der fehlenden Beitragsleistungen beinhaltet die Zuerkennung von Anrechnungszeiten Solidarleistungen der Versichertengemeinschaft. Sie beruhen überwiegend auf staatlicher Gewährung und sind Ausdruck staatlicher Fürsorge. Im Hinblick hierauf hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei ihrer Ausgestaltung zustehenden weiten Gestaltungsspielraums zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft gerade davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Anrechnungszeiten zu verleihen (BSG, U.v. 24. Oktober 1996 - 4 RA 52/95 - a.a.O.). Gerade in den letzten Jahren hat der Gesetzgeber zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft die Möglichkeiten zu einer rentensteigernden Inanspruchnahme von Anrechnungszeiten nachhaltig reduziert. So sieht § 74 Satz 4 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Nachhaltigkeitsgesetz - vom 21. Juli 2004, BGBl. I 1791) nunmehr vor, dass Zeiten einer Schul- oder Hochschulausbildung nicht mehr zu bewerten sind (auf Übergangsvorschriften ist im vorliegenden Zusammenhang nicht näher einzugehen); Zeiten einer beruflichen Ausbildung, Fachschulausbildung oder Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme können nur noch für insgesamt höchstens drei Jahre bewertet werden (wobei diese Dreijahresfrist konsequenterweise auch auf Tatbestände einer analogen Anwendung des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bei Wartezeiten im Zusammenhang insbesondere mit einer Fachschulausbildung zu erstrecken ist; vor diesem Hintergrund kommt dem Klagebegehren ohnehin keine greifbare wirtschaftliche Bedeutung mehr zu). Gerade angesichts dieses gesetzgeberischen Willens zur Einschränkung der in Anrechnungszeiten zum Ausdruck kommenden staatlichen Fürsorge sieht der Senat keinen rechtfertigenden Anlass, den Tatbestand des § 58 SGB VI über seinen Wortlaut und den in den letzten Jahrzehnten von der Rechtsprechung entwickelten Rahmen hinaus anzuwenden. Auch das BSG hat in seiner jüngeren Rechtsprechung keinen rechtfertigenden Anlass zu einer weitergehenden Auslegung der Anrechnungszeittatbestände gesehen (vgl. U.v 17. April 2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr. 8). Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, alle - auch ungewollt auftretenden - Versicherungslücken durch deren Berücksichtigung als beitragsfreie Zeiten zu schließen (BSG, U.v 17. April 2007 - B 5 R 62/06 R - a.a.O.). Im Übrigen lässt sich selbst unter der Annahme einer seinerzeit für die Klägerin unvermeidbaren Unterbrechung im Ausbildungsgang nicht objektivieren, dass auch die damit verbundene Lücke im Versicherungsverlauf für sie unvermeidbar war. Die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass sie sich damals ernsthaft und nachhaltig um eine (versicherungspflichtige) Aushilfstätigkeit bemüht habe; erst recht ist nichts dafür ersichtlich, dass ihr damals bezogen auf die zu beurteilende Wartezeit eine Meldung als Arbeitslose (mit dem dann in Betracht zu ziehenden Anrechnungszeittatbestand des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) nicht zuzumuten gewesen sein könnte. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.