Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.07.2024, Az.: 3 W 58/23
Voraussetzungen für die Anordnung eines Gewahrsams zur Durchsetzung eines Platzverweises; Vorliegen einer erheblichen Gefahr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.07.2024
- Aktenzeichen
- 3 W 58/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 20662
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2024:0708.3W58.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wolfsburg - 09.08.2023 - AZ: 3 a XIV 361
Rechtsgrundlagen
- § 38 BPolG
- 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG,NI
- § 17 Abs. 1 NPOG,NI
Amtlicher Leitsatz
Ein sogenannter Vollstreckungs- oder Durchsetzungsgewahrsam im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG muss angedroht werden und setzt voraus, dass die durchzusetzende Platzverweisung nach § 17 Abs. 1 NPOG ihrerseits rechtmäßige ist.
- 1.
Die Anordnung eines Gewahrsams zur Durchsetzung eines Platzverweises gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG (sogenannter Vollstreckungs- oder Durchsetzungsgewahrsam) setzt voraus, dass die durchzusetzende Platzverweisung nach § 17 Abs. 1 NPOG ihrerseits rechtmäßig ist (Anschluss an OLG Celle, Beschluss vom 16. April 2024 - 22 W 10/23 -, juris, Rn. 19 f.).
- 2.
Vor der Anordnung eines Durchsetzungsgewahrsams muss grundsätzlich eine Ankündigung erfolgen, dass für den Fall der Nichtbefolgung der Platzverweisung zu deren Durchsetzung eine Ingewahrsamnahme in Betracht gezogen wird, und eine - je nach Gefahrenlage kürzere oder längere - Frist zur Befolgung der Platzverweisung gewährt werden.
- 3.
Die Dauer eines Durchsetzungsgewahrsams darf nicht über die zulässige Dauer des durchzusetzenden Platzverweises hinausgehen; der Wegfall der Rechtmäßigkeit der Platzverweisung zieht den Wegfall der Rechtmäßigkeit des Durchsetzungsgewahrsams nach sich.
In der Beschwerdesache
A., ...,
- Betroffener und Beschwerdeführer -
gegen
Polizeiinspektion ...,
- Beschwerdegegnerin -
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Richter am Oberlandesgericht Stephan als Vorsitzenden, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer-Altmann und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Otto am 8. Juli 2024 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 30. August 2023 wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 9. August 2023 - 3a XIV 361 - aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 9. August 2023 von ca. 12.00 Uhr bis ca. 16.00 Uhr andauernde Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Beschwerdegegnerin rechtswidrig war.
- 2.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
Gründe
Der Betroffene wendet sich nachträglich gegen eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises gemäß §§ 17 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG.
I.
Am 9. August 2023 demonstrierten etwa 15 Personen vor dem Gebäude der IG Metall in ... Gegen einige dieser Personen wurden Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung eingeleitet; sie wurden ab ca. 10:45 Uhr zum Hauptgebäude der Polizeiinspektion ... (B-Straße ...) gebracht. Von dort wurden sie nacheinander mit einem Polizeifahrzeug zur erkennungsdienstlichen Behandlung in die Nebenstelle der Polizeiinspektion (C-Straße ...) gebracht, da eine erkennungsdienstliche Behandlung ausschließlich in einem Raum der Nebenstelle stattfinden kann.
Der Betroffene und eine weitere Person saßen ab ca. 11:45 Uhr vor dem Hauptgebäude der Polizeiinspektion ... auf einer Wiese und warteten dort auf die Personen, die erkennungsdienstlich behandelt wurden. Zwei Polizeibeamte nahmen die Personalien des Betroffenen und seiner Begleiterin auf; diese teilten mit, es handele sich um eine Spontanversammlung und die Begleiterin des Betroffenen erklärte sich zur Versammlungsleiterin, was von den Polizeibeamten so akzeptiert wurde.
Gegen 12:00 Uhr ging der Betroffene in Richtung des Polizeifahrzeugs, mit dem eine Person zur erkennungsdienstlichen Behandlung zur Nebenstelle gebracht werden sollte. Zwei Polizeibeamte forderten den Betroffenen auf, sich zu entfernen; dem kam der Betroffene nicht nach, sondern begann mit den Polizeibeamten über die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen zu diskutieren. Daraufhin sprachen die Beamten einen Platzverweis aus, den der Betroffene auch wahrnahm. Einer der Beamten zählte von drei herunter; nachdem er bei eins angekommen war, griffen die beiden Polizeibeamten den Betroffenen und führten ihn in das Gebäude sowie dort in eine Gewahrsamszelle; Details zu diesem Geschehen sind zwischen den Beteiligten streitig.
Gegen 12:45 Uhr wurde der Betroffene im Gebäude der Polizeiinspektion von dem telefonisch informierten Richter des Amtsgerichts Wolfsburg angehört; er gab an, er habe lediglich wissen wollen, wohin die Person in dem Polizeifahrzeug gebracht werden solle; den Platzverweis und das Herunterzählen habe er zwar gehört, aber keine Zeit gehabt, zu reagieren, da er sofort in Gewahrsam genommen worden sei.
Mit angegriffenem Beschluss vom 9. August 2023 hat das Amtsgericht Wolfsburg die Ingewahrsamnahme des Betroffenen höchstens bis zum 9. August 2023, 16:00 Uhr für zulässig erklärt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung befänden sich noch drei bis vier weitere Beschuldigte im Gebäude der Polizeiinspektion; mit dem letzten Transport zur erkennungsdienstlichen Behandlung sei erst um 16:00 Uhr zu rechnen. Der Beschluss ist dem Betroffenen am 9. August 2023 um 13:35 Uhr durch Verlesen der Beschlussformel bekanntgegeben worden (Vermerk Bl. 6 d. A.) und mit Verfügung vom selben Tage formlos per Post übersandt worden (Verfügung Bl. 9. d. A.).
Am Vorfallstag befand sich spätestens um 14:27 Uhr die letzte der Personen, die erkennungsdienstlich behandelt worden sind, in der Nebenstelle der Polizeiinspektion; der Betroffene wurde um 16:00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2023 - bei dem Amtsgericht eingegangen am 4. September 2023 - hat der Betroffene Beschwerde gegen den Beschluss vom 9. August 2023 eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2023 unter anderem wie folgt begründet: Als - während er mit seiner Begleiterin auf der Wiese gesessen habe - eine Person aus dem Gebäude gebracht worden sei, sei er zu dem Polizeifahrzeug gegangen und habe gefragt, wohin die Person gebracht werden solle. Er habe zu keiner Zeit vor dem Polizeifahrzeug gestanden; dieses habe den Platz jederzeit ohne Behinderung verlassen können. Auf seine Frage habe er keine Antwort erhalten und ein Polizeibeamter habe sofort einen Platzverweis ausgesprochen. Der Betroffene habe gefragt, für welchen Bereich und welchen Zeitraum der Platzverweis gelte und darauf keine Antwort bekommen. Der zweite Polizeibeamte habe sofort begonnen, von drei herunterzuzählen; der Betroffene habe sich zum Gehen abgewendet, sei aber - nachdem der zweite Polizeibeamte bei eins angekommen sei - von hinten gepackt und ins Gebäude gezerrt worden. Auf die Frage, warum er mitgenommen werde, sei er angeschrien worden, das ginge ihn nichts an. Der gesamte Vorgang von der Frage, wo die Person mit dem Polizeifahrzeug hingebracht werde über den Platzverweis bis zum von hinten Fassen habe nur etwa fünf Sekunden gedauert. Er habe zwar den Platzverweis und das Herunterzählen wahrgenommen, aber keine Zeit gehabt, auf den Platzverweis zu reagieren, weil die Polizeibeamten ihn sofort in Gewahrsam genommen hätten. Der Betroffene ist der Ansicht, die Polizeibeamten hätten sich zunächst an die Versammlungsleiterin wenden müssen; jedenfalls sei von ihm keine Gefahr im Sinne des § 2 Abs. 1 NPOG ausgegangen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 8. Oktober 2023 (Bl. 13-15 d. A) Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22. November 2023 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt; aus dem Anhörungsvermerk ergebe sich eindeutig, dass der Betroffene den Platzverweis sowie das Rückwärtszählen wahrgenommen habe; dieses habe eindeutig dazu gedient, dem Betroffenen Zeit zu gewähren, um den Platz zu verlassen. In Anbetracht des Umfangs des Polizeieinsatzes sei ein weiteres Abwarten der Polizeibeamten nicht erforderlich gewesen. Der Betroffene habe die Maßnahmen massiv gestört und sich unkooperativ verhalten, so dass seine Ingewahrsamnahme "ausnahmslos verhältnismäßig" gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss (Bl. 21-21 R. d. A.) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 21. November 2023 - auf den nebst Anlagen (B. 25-31 d. A.) Bezug genommen wird - hat der Betroffene weiter zur Begründung seiner Beschwerde ausgeführt.
Die Beschwerdegegnerin hat dazu ausgeführt, der Betroffene habe im Rahmen der Demonstration das Gebäude der IG Metall in ... mit Farbe bemalt, habe dies auf Anweisung der Polizei beendet und sei dort vorsorglich als Beschuldigter belehrt worden. Gegen 11:15 Uhr habe er sich zum Dienstgebäude der Polizeiinspektion in der B-Straße begeben und habe sich dort mit seiner Begleiterin auf die Wiese gesetzt. Als gegen 12:00 Uhr eine Person zur erkennungsdienstlichen Behandlung habe gebracht werden sollen, habe sich der Betroffene "aus der Versammlung heraus" gelöst und habe sich zu dem Polizeifahrzeug begeben. Er habe zu diesem Zeitpunkt seine Teilnahme an der Versammlung aufgegeben gehabt, da er sich räumlich von dieser entfernt habe. Gegen ihn sei ein Platzverweis für den Bereich des Polizeigebäudes und der zugehörigen Wiese bis 16:00 Uhr ausgesprochen worden. Dies - sowie die wiederholte Aussprache dieses Platzverweises - habe der Kläger ignoriert. "Da durch die Anwesenheit des Klägers auf der Zuwegung zum Dienstgebäude Fahrzeuge das Dienstgebäude nicht verlassen konnten" sei der Kläger nach einem Herunterzählen zur Durchsetzung des Platzverweises mit einfacher körperlicher Gewalt in Gewahrsam genommen worden; dies sei gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG rechtmäßig gewesen, insbesondere habe den Polizeibeamten kein milderes gleichgeeignetes Mittel zur Verfügung gestanden. Der Betroffene habe auch genügend Zeit gehabt, um auf den Platzverweis zu reagieren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 12. März 2024 nebst Anlagen (Bl. 34-41 d. A.) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag statthaft und auch ansonsten zulässig (1); sie hat auch in der Sache Erfolg (2).
1. Die Beschwerde ist statthaft und auch ansonsten zulässig.
a) Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ergibt sich aus § 19 Abs. 4 Satz 3 NPOG. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Betroffene unter dem 20. Oktober 2023 auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig erhoben hatte (vgl. Bl. 1-3 d. BA 5 A 433/23); diese hat er mit Schriftsatz vom 17. November 2023 zurückgenommen (Bl. 87 d. BA 5 A 433/23).
b) Zur Beschwerdefrist ist darauf hinzuweisen, dass diese gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 NPOG i. V. m. § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG erst mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an den jeweiligen Beteiligten beginnt. Diese Bekanntgabe kann gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird. Eine Aufgabe zur Post in diesem Sinne liegt aber nicht schon dann vor, wenn ein Dokument formlos auf dem Postweg versandt wird. Bei der Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FamFG ist vielmehr entsprechend § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO in den Akten zu vermerken, zu welcher Zeit und unter welcher Anschrift das Schriftstück zur Post gegeben worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 283/15 -, DNotZ 2016, S. 195 [197]). Zudem dürfte eine wirksame Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post auch den Hinweis an den Empfänger erfordern, dass mit der Übersendung des Beschlusses dessen (fristauslösende) Bekanntgabe erfolgen soll, um nicht den irrigen Eindruck zu erwecken, es handele sich lediglich um eine formlose Übersendung (OLG München, Beschluss vom 20. Februar 2012 - 31 Wx 565/11 -, Rn. 13, juris; vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1966 - IV ZR 264/65 -, BeckRS 1966, 31400628). Nach diesen Maßgaben liegt in der formlosen Übersendung des Beschlusses mit Verfügung vom 9. August 2023 keine fristauslösende Bekanntgabe im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG.
c) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass die angegriffene Maßnahme zwischenzeitlich abgeschlossen ist. Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde als statthafter Fortsetzungsfeststellungsantrag im Sinne des § 62 FamFG auszulegen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. März 2021 - 3 W 104/20 -, juris, Rn. 44 m. w. N.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. März 2023 - 3 W 532/22 -, NVwZ-RR 2023, S. 481 [Rn. 9 f.] m. w. N.; Neuhäuser, in: BeckOK PolR Nds., 26. Edition, Stand: 1. Februar 2023, § 24 NPOG, Rn. 68 m. w. N.). Im Falle einer Freiheitsentziehung ergibt sich das erforderliche berechtigte Interesse nach Erledigung der Maßnahme gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG aus dem mit einer Freiheitsentziehung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. März 2021 - 3 W 104/20 -, juris, Rn. 45 m. w. N.).
2. Die Beschwerde ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag begründet.
Der Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises gemäß §§ 17 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG war hier nicht rechtmäßig, weil er nicht zuvor angedroht worden ist (a); vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Gewahrsam "unerlässlich" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG war (b); unabhängig davon war der Gewahrsam jedenfalls teilweise nicht rechtmäßig, weil er über den zur Gefahrenabwehr hier höchstens erforderlichen Zeitraum hinausgegangen ist (c). Es kann daher dahinstehen, ob hier das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht oder vorrangig Versammlungsrecht maßgeblich ist (d).
a) Der Gewahrsam war hier insgesamt nicht rechtmäßig, weil er nicht - für den Fall der Nichtbefolgung der Platzverweisung - angedroht worden ist.
Ein Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises (sogenannter Vollstreckungs- oder Durchsetzungsgewahrsam) kann angeordnet werden, wenn er unerlässlich ist, um eine - ihrerseits rechtmäßige - Platzverweisung nach § 17 Abs. 1 NPOG durchzusetzen (OLG Celle, Beschluss vom 16. April 2024 - 22 W 10/23 -, juris, Rn. 19 f. m. w. N.; Beckermann, in: Saipa u. a., NPOG, 29. EL, November 2022, § 18, Rn. 13). Ein Platzverweis stellt einen Verwaltungsakt dar, der bei Nichtbefolgung grundsätzlich im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Da der Platzverweis auf eine unvertretbare Handlung gerichtet ist, kommen als Zwangsmittel Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang in Betracht (Beckermann, in: Saipa u. a., NPOG, 29. EL, November 2022, § 17, Rn. 18; Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 17 NPOG, Rn. 90; Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 38 BPolG, Rn. 14; Enders, in: BeckOK PolR BW, 31. Edition, 1. Dezember 2023, § 30 BWPolG, Rn. 31; Horn, in: Gornig/Horn/Will Öffentliches Recht in Hessen, 2. Auflage 2022, 2. Teil, Rn. 463 f. zu § 32 HSOG). Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG kommt zudem der Vollstreckungs- oder Durchsetzungsgewahrsam - also die Ingewahrsamnahme als Vollstreckungsmittel der Platzverweisung (Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 17 NPOG, Rn. 91; Beckermann, in: Saipa u. a., NPOG, 29. EL, November 2022, § 18, Rn. 13) - in Betracht, wenn dieser unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 NPOG durchzusetzen.
Wie bei Vollstreckungsmitteln regelmäßig, muss vor der Anordnung des Durchsetzungsgewahrsams grundsätzlich eine Ankündigung erfolgen, dass für den Fall der Nichtbefolgung der Platzverweisung zu deren Durchsetzung eine Ingewahrsamnahme in Betracht gezogen wird, und eine - je nach Gefahrenlage kürzere oder längere - Frist zur Befolgung der Platzverweisung gewährt werden (OLG Celle, Beschluss vom 16. April 2024 - 22 W 10/23 -, juris, Rn. 45 m. w. N.; Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 18 NPOG, Rn. 52; vgl. auch LG Aachen, Urteil vom 14. September 2021 - 12 O 559/19 -, juris, Rn. 16, 22; Lesting, in: Marschner/Lesting/Stahmann, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 6. Auflage 2019, Teil E, Rn. 171; Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Teil E, Rn. 499; Basteck, in: BeckOK PolR NRW, 28. Edition, Stand 1. Februar 2024, § 35 PolG NRW, Rn. 54; Kuch, in: Barczak, BKAG, 1. Auflage 2023, § 57, Rn. 46). Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Vollstreckung mittels der regelmäßig milderen Zwangsmittel Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang gemäß § 70 NPOG grundsätzlich anzudrohen ist, wobei sich die Androhung gemäß § 70 Abs. 3 NPOG auf bestimmte Zwangsmittel im Sinne des § 65 NPOG beziehen muss, bei mehreren unter Angabe ihrer Reihenfolge. Dasselbe muss im Falle der regelmäßig eingriffsintensiveren Durchsetzung mittels der Ingewahrsamnahme gelten. Dies berücksichtigte die Gegenansicht nicht, die davon ausgeht, dass sich eine Androhung bereits aus der Platzverweisung selbst ergebe (Beckermann, in: Saipa u. a., NPOG, 29. EL, November 2022, § 18, Rn. 13); letzteres ergibt sich auch nicht aus der von der Gegenansicht angeführten Entscheidung, denn das Oberverwaltungsgericht Lüneburg äußert sich dort nicht zu einem Durchsetzungsgewahrsam (der einem Zwangsmittel jedenfalls ähnlich ist, siehe oben), sondern zu der Frage, welch ein "Warnhinweis" der Anordnung eines Präventivgewahrsams - also einer polizeirechtlichen Standartmaßnahme - vorauszugehen hat (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Februar 2014 - 11 LC 228/12 -, juris, Rn. 48). Ist eine Androhung rechtswidrig ganz versäumt worden, ist eine darauf folgende Anwendung eines Zwangsmittels ebenfalls rechtswidrig (Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 70 NPOG, Rn. 29). Dasselbe gilt für den Durchsetzungsgewahrsam.
Eine solche Androhung der Ingewahrsamnahme ist nach der insoweit einheitlichen Darstellung des Geschehens von Seiten des Betroffenen und der Beschwerdegegnerin hier nicht erfolgt. Zwar hat einer der Polizeibeamten nach Anordnung der Platzverweisung von drei nach unten gezählt. Hierin liegt aber lediglich eine - sehr kurze - Frist zur Befolgung der Platzverweisung. Allein in dem "Herunterzählen" kann keine Androhung eines Durchsetzungsgewahrsams gesehen werden, denn es ist nur ersichtlich, dass beim Erreichen der Eins oder Null irgendetwas passieren wird; allein das Herunterzählen enthält aber keinerlei Aussage dazu, was dieses "Etwas" sein wird. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass es sich dabei nur um einen Durchsetzungsgewahrsam handeln kann, zumal zunächst die regelmäßig milderen Zwangsmittel Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang in Betracht kommen.
Eine Androhung war hier auch nicht entbehrlich, denn die sofortige Anwendung eines Zwangsmittels im Sinne des § 65 NPOG oder des Durchsetzungsgewahrsams waren zur Gefahrenabwehr gerade nicht erforderlich: In Betracht kommt hier die Abwehr einer Gefahr für die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen - die im Falle der Störung oder Behinderung einer polizeilichen Maßnahme anzunehmen ist (OVG Koblenz, Urteil vom 27. März 2014 - 7 A 10993/13 -, BeckRS 2014, 51003 m. w. N.; Ullrich, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, 1. November 2023, § 2 NPOG, Rn. 22), nicht aber bereits bei lediglich unerheblichen Beeinträchtigungen wie bloßen Belästigungen, Unannehmlichkeiten oder Unbequemlichkeiten (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 4. Oktober 2002 - 1 S 1963/02 -, NVwZ 2003, S. 115 [116]; Ullrich, a. a. O., Rn. 49) - durch die Verzögerung des Transports eines Beschuldigten zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Eine Androhung der Ingewahrsamnahme hätte die Durchsetzung des Platzverweises und damit die Fortsetzung der polizeilichen Maßnahme nur ganz unwesentlich verzögert und keinesfalls unmöglich gemacht; ein Überraschungsmoment war für den Erfolg der Gefahrenabwehr gerade nicht notwendig (vgl. dazu Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 70 NPOG, Rn. 26).
b) Danach kann dahinstehen, ob der Durchsetzungsgewahrsam hier "unerlässlich" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG gewesen ist - woran allerdings einige Zweifel bestehen:
Der Begriff "unerlässlich" bedeutet, dass das Mittel der polizeilichen Ingewahrsamnahme nur angewendet werden darf, wenn es geeignet und erforderlich ist, um den Platzverweis durchzusetzen; kann dieser mit einem weniger beeinträchtigenden Mittel durchgesetzt werden, ist die Ingewahrsamnahme nicht erforderlich und daher auch nicht unerlässlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - I C 31/72 -, NJW 1974, S. 807 [808] zu § 48 HSOG a. F.). Der Begriff betont die besonders strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Die Gefahrenabwehr darf ausschließlich auf diese Weise möglich sein, weniger beeinträchtigende Maßnahmen dürfen von vornherein nicht in Betracht kommen (Horn, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Auflage 2022, 2. Teil, Rn. 463 f. zu § 32 HSOG; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, 6. Auflage 2023, § 17 PAG, Rn. 74).
Legte man hier - mit der Beschwerdegegnerin - zugrunde, dass der Betroffene auf eine Art und Weise "mitten auf der Zufahrt" zu dem Polizeigebäude gestanden habe, dass das Polizeifahrzeug ihn nicht habe passieren können, und sich auch nach zweifacher Aufforderung nicht entfernt habe, drängt sich als milderes Mittel zur Ingewahrsamnahme jedenfalls die Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form eines Abdrängens oder gegebenenfalls Wegtragens auf (vgl. VG Hannover, Urteil vom 1. März 1999 - 10 A 3867/97 -, NVwZ-RR 1999, S. 578 a. E.). Nur wenn das Verhalten des Polizeipflichtigen - zum Beispiel durch erhebliches Zurwehrsetzen gegen den polizeilichen Zwang - greifbare Anzeichen für eine Wiederholungsgefahr bietet, etwa dafür, dass er die Örtlichkeit erneut aufsuchen wird, sobald er Gelegenheit dazu erhält, kommt eine Ingewahrsamnahme in Betracht (Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 18 NPOG, Rn. 55 m. w. N.; Basteck, in: BeckOK PolR NRW, 28. Edition, Stand 1. Februar 2024, § 35 PolG NRW, Rn. 54; BayVerfGH, Entscheidung vom 2. Augst 1990 - 3-VII-89, 4-VII-89 und 5-VII-89 -, NVwZ 1991, S. 664 [668]: "extreme Fallgestaltungen"). Für eine Wiederholungsgefahr bestehen hier aber keine Anzeichen; insbesondere hat der Betroffene nach dem Vortrag der Beschwerdegegnerin am selben Tag ca. eine Stunde vorher eine andere polizeiliche Anweisung unmittelbar befolgt. Einer Ingewahrsamnahme dürfte aber selbst im Falle einer Wiederholungsgefahr eine Prüfung voranzugehen haben, ob nicht Personal für einen bestimmten Zeitraum zur Sicherung der Platzverweisung abgestellt werden kann (Basteck, a. a. O.; vgl. BayVerfGH, a. a. O.).
Das Vorstehende gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Platzverweisung gemäß § 17 Abs. 1 NPOG bereits angeordnet werden kann, um eine "einfache" Gefahr abzuwehren, die Platzverweisung aber nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG mit einem Mittel durchgesetzt werden kann, das nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 NPOG ansonsten nur bei Überwindung einer höheren Eingriffsschwelle angeordnet werden kann, namentlich zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben oder zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit (vgl. Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 18 NPOG, Rn. 55; vgl. auch Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Teil E, Rn. 500). Diese Wertung spiegelt sich auch in den Ausführungsbestimmungen zu § 18 NPOG wider (Neufassung der Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz - AB NGefAG, RdErl. d. MI vom 16. Juli 1998, Nds. MBl. 1998, S. 1078): Gemäß Ziffer 18.1 Abs. 2 AB NGefAG ist eine Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG "im Hinblick auf das Übermaßverbot nur dann ein geeignetes Mittel, wenn die abzuwehrende Gefahr nach ihrem Umfang oder ihrer Intensität mehr als geringfügig angesehen werden kann. Eine Ingewahrsamnahme ist daher nicht wegen jeder Ordnungswidrigkeit zulässig."
c) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen war der Gewahrsam jedenfalls von 14:22 Uhr bis zur Entlassung des Betroffenen um 16:00 Uhr nicht rechtmäßig, da er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich war, um eine etwaige vom Betroffenen ausgehende Gefahr für den Abtransport der Personen, die erkennungsdienstlich behandelt werden sollten, abzuwehren. Um ca. 14:22 Uhr hätte der Betroffene auf jeden Fall entlassen werden müssen.
Da es sich bei dem Gewahrsam um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, müssen seine gesetzlichen Voraussetzungen nicht nur bei seiner Anordnung, sondern während seiner gesamten Dauer vorliegen; die Dauer des Gewahrsams darf insbesondere nicht über die zulässige Dauer des durchzusetzenden Platzverweises hinausgehen (Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 2023, § 18 NPOG, Rn. 22a, 55; vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16. April 2024 - 22 W 10/23 -, juris, Rn. 19 ff. m. w. N.; Horn, in: Gornig/Horn/Will Öffentliches Recht in Hessen, 2. Auflage 2022, 2. Teil, Rn. 464 zu § 32 HSOG; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, 6. Auflage 2023, § 17 PAG, Rn. 73 a. E.). Der Wegfall der Rechtmäßigkeit der Platzverweisung zieht damit auch den Wegfall der Rechtmäßigkeit des Durchsetzungsgewahrsams nach sich.
Hier war aber die Platzverweisung jedenfalls ab 14:22 Uhr nicht mehr rechtmäßig, denn ab diesem Zeitpunkt war sie zur Gefahrenabwehr nicht mehr erforderlich: Spätestens um 14:27 Uhr befand sich die letzte der Personen, die erkennungsdienstlich behandelt worden sind, in der Nebenstelle der Polizeiinspektion (C-Straße ...), denn zu diesem Zeitpunkt ist dort das letzte erkennungsdienstliche Foto aufgenommen worden (vgl. Bl. 48 d. A); die Fahrtzeit dorthin beträgt ca. 5 Minuten, so dass die letzte Transportfahrt - die der Betroffene gegebenenfalls hätte beeinträchtigen können - das Gelände der Polizeiinspektion (B-Straße ...) spätestens gegen 14:22 Uhr verlassen haben muss.
Dass die Beschwerdegegnerin im Falle eines früheren Wegfalls der Gefahr auch die Ingewahrsamnahme früher hätte beenden müssen, ergibt sich im Übrigen auch aus dem angegriffenen Beschluss, in dessen Tenor es heißt, dass die Ingewahrsamnahme höchstens bis zum 9. August 2023, 16:00 Uhr dauert.
d) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Beschwerdegegnerin hier auf Maßnahmen nach dem Niedersächsischen Versammlungsgesetz beschränkt gewesen ist ("Polizeirechtsfestigkeit" der Versammlung), weil der Betroffene zum Zeitpunkt der Platzverweisung - wie er meint - Teilnehmer einer Versammlung gewesen ist, oder die Beschwerdegegnerin sich unbeschränkt auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht stützen konnte, weil schon keine Versammlung im Sinne des § 2 NdsVersG vorgelegen hat oder der Betroffene sich - wie die Beschwerdegegnerin meint - aus der Versammlung "herausgelöst" habe und die "Teilnahme an der Versammlung aufgegeben" habe.
III.
Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Beschwerdegegnerin auf § 2 Abs. 1 Satz 1 GNotKG i. V. m. § 19 Abs. 4 Satz 5 NPOG; außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht angefallen.
Die Rechtsbeschwerde ist gegen diese Entscheidung nicht statthaft, § 19 Abs. 4 Satz 4 NPOG (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 12. Juni 2020 - 3 W 88/20 -, juris, Rn. 34; Waechter, in: BeckOK PolR Nds., 29. Edition, Stand 1. November 20203 § 19 NPOG, Rn. 66).