Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.01.2003, Az.: 3 A 218/00
Nachträglicher Antrag auf Verpflichtung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Ausländergesetz (AuslG) nach vorheriger Beschränkung des Schutzbegehrens auf den Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG; Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Heimatland wegen exilpolitischer Aktivitäten; Erhöhung der Gefährdung für im Zusammenhang mit exilpolitischen Aktivitäten gefilmten oder fotografierten kurdischen erfolglosen Asylbewerbern; Gewährung von Abschiebungsschutz wegen Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.01.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 218/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 30882
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2003:0114.3A218.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 51 AuslG
- § 53 AuslG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2003, 911 (amtl. Leitsatz)
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2003
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert als Einzelrichter
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er begehrt Abschiebungsschutz.
Der Kläger wurde am 16. März 1969 in Mardin in der Türkei geboren. Er reiste 1995 nach Deutschland ein und begehrte Asyl. Sein erstes Asylverfahren blieb erfolglos (Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil vom 15.07.1996 - 6 A 61024/96 -).
Im März 1997 beantragte der Kläger als irakischer Staatsangehöriger unter dem Nachnamen Hamado Asyl. Der Antrag wurde nicht beschieden, nachdem festgestellt worden war, dass der Kläger hinsichtlich seiner Identität die Unwahrheit angegeben hatte.
Auf seinen Folgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14. August 1997 der Asylantrag abgelehnt, und es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG nicht vorliegen. Die dagegen erhobene Klage wurde als unbegründet abgewiesen (Urteil des Einzelrichters der 3. Kammer des VG Lüneburg vom 05.01.2000 - 3 A 385/97 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.02.2000 -11 L 348/00 -).
Ein weiterer Asylfolgeantrag vom März 2000 blieb beim Bundesamt ohne Erfolg (Bescheid vom 10. März 2000). Klage dagegen wurde nicht erhoben. Bereits in diesem Verfahren hatte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung von Frau Dr. Ohlen vom 27. Januar 2000 vorgelegt, wonach Verletzungen wie Verbrennungen und Narben festgestellt worden sind, die der Kläger ais Folge einer 1994 erlittenen Folterung habe.
Im Mai 2000 trug der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde eine posttraumatische Belastungsstörung vor, deretwegen er nicht abgeschoben werden könne. Hierzu legte er eine Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin und Sportmedizin Herrn Pralle vom 5. April 2000 und eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Lippmann vom 17. April 2000 vor. Nach Aussage des Arztes Pralle leidet der Kläger unter Asthma, Depressionen und Spannungskopfschmerzen. Nach der Bescheinigung des Arztes Lippmann leidet der Kläger unter verschiedenen psychomatischen Beschwerden, so unter Spannungskopfschmerz, Konversionsstörung und unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, "die vor dem Hintergrund traumatisierender Erlebnisse in der Türkei entstanden ist".
Das Bundesamt lehnte es mit Bescheid vom 25. September 2000 ab, den Bescheid vom 14. August 1997 bzgl. der Feststellung zu § 53 AuslG zu ändern.
Der Kläger hat am 9. Oktober 2000 Klage erhoben, in deren Verlauf er weitere Bescheinigungen des Arztes Lippmann vom 2. Oktober 2000 und 16. Dezember 2002 vorgelegt hat. Nach der letzten Bescheinigung befindet sich der Kläger seit April 2002 in sporadischer nervenärztlicher Behandlung. Er klageüber depressive Verstimmungszustände, Kopfschmerzen, Antriebsmangel und Schlafstörungen. Nach Sicht des Arztes handelt es sich um eine ängstlich-depressive Krise verbunden mit psychosomatischen Beschwerden, wie sie häufig in angespannten persönlichen Lebenssituationen aufträten. Nach Angabe des Klägers - so der Arzt - habe er im Heimatland traumatische Erlebnisse erlitten, sodass zunächst davon ausgegangen werden müsse, dass dies der Ausgang der Beschwerden sei. Der Kläger sei vermindert belastbar und sollte behandelt werden.
Der Kläger macht weiter geltend, durch sein exilpolitisches Engagement nicht in die Türkei zurückkehren zu können.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich seiner Person und hinsichtlich der Türkei die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen,
hilfsweise,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25, September 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides des Bundesamtes vom 14. August 1997 festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seines Begehrens befragt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und das Terminsprotokoll vom 14. Januar 2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage kann keinen Erfolg haben. Der Hauptantrag ist unzulässig, der Hilfsantrag unbegründet.
1.
Der Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, das hinsichtlich seiner Person und hinsichtlich der Türkei die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen, ist unzulässig. Denn es fehlt an einem insoweit erforderlichen Antrag beim Bundesamt.
Hat ein Ausländer - wie hier der Kläger - zu Beginn seines Verfahrens beim Bundesamt sein Schutzbegehren auf den Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG beschränkt, so kann er nicht nach dem Erlass des Bundesamtsbescheides im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht nachträglich auch eine Verpflichtung des Bundesamtes beantragen, die Voraussetzungen des § 51 AuslG festzustellen. Denn insoweit fehlt es an einer (negativen) Entscheidung des Bundesamtes, die mangels zuvor gestellten Antrages gar nicht ergehen konnte (vgl. Marx, Kommentar zum AsylVfG, 4. Aufl. 1999, § 13 RdNr. 13; GK AsylVfG, Kommentar Stand: Juni 2002, § 13 RdNr. 141).
Es bleibt dem Kläger und den Familienangehörigen unbenommen, im Hinblick auf die im Klageverfahren vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten beim Bundesamt die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens zu beantragen. Allerdings wird ein Folgeantrag aufgrund der exilpolitischen Aktivitäten inhaltlich keinen Erfolg haben können, wie im Folgenden zu § 53 AuslG ausgeführt wird (s. zu 2. a).
2.
Der Hilfsantrag ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. September 2000 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet wird, unter Abänderung des Bescheides vom 14. August 1997 festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
a.)
Abschiebungshindernisse, die im Zusammenhang mit den exilpolitischen Aktivitäten der Familienmitglieder stehen, sind nicht gegeben.
Auszugehen ist davon, dass auch in den Fällen, in denen wie hier - mangels vorherigen Antrages und vorheriger Bescheidung durch das Bundesamt - eine Prüfung nach § 51 AuslG ausscheidet, der politisch Verfolgte durch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vor Folter, Todesstrafe oder sonstiger unmenschlicher Behandlung im Heimatland geschützt wird (BVerwG, Urt. vom 30.03.1999 - 9 C 31.98 -, NVWZ 1999 S. 1346).
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse wegen der exilpolitischen Aktivitäten der Familienmitglieder liegen indes nicht vor. Hierzu ist auszuführen:
Im Zusammenhang mit der Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten ist davon auszugehen, dass die türkischen Sicherheitskräfte und der türkische Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland über ein Netz von Mitarbeitern sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer diplomatischen Vertretungen verfügen, die die Aktivitäten oppositioneller Gruppen und Individuen beobachten, überwachen und registrieren. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Mitarbeiter türkischer Auslandsvertretungen in Deutschland während des Ablaufs kurdischer Protestveranstaltungen (insbes. von gewalttätigen Aktionen gegen Generalkonsulate) Film- und Videoaufnahmen machen, die dem Zweck der späteren Identifizierung von Beteiligten dienen könnten. Die türkischen Stellen in Deutschland verfolgen die Aktivitäten kurdischer Organisationen aufmerksam und leiten die gesammelten Informationen in die Türkei weiter. Gleichwohl hat nicht jeder Kurde allein wegen einer einfachen exilpolitischen Betätigung - im Unterschied zu exponierten Regimegegnern - eine erhebliche Verfolgung im Falle der Rückkehr in die Türkei zu befürchten. Dass bloßen Teilnehmern an einer Demonstration oder an anderen Veranstaltungen von Kurden in der Bundesrepublik Deutschland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatland politische Verfolgung droht, ist mangels Darlegung einer ausreichenden Anzahl einschlägiger Referenzfälle nicht wahrscheinlich, zumal Jahr für Jahr eine große Anzahl erfolgloser (kurdischer) Asylbewerber aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei abgeschoben wird. Selbst wenn Personen, die sich in Deutschland an gegen den türkischen Staat gerichteten Demonstrationen nur als einfache Teilnehmer beteiligt haben, den türkischen Staatssicherheitskräften bekannt geworden sind, so würde eine solche Person bei einer Rückkehr in die Türkei kaum beschuldigt und strafrechtlich verfolgt werden. Angesichts der Vielzahl von Vorkommnissen in der Bundesrepublik Deutschland und der Anzahl der oft nur am Rande beteiligten Personen ist die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in der Türkei grundsätzlich nur bei größerem und öffentlichkeitswirksamen Engagement an führender Position gegeben.
Während z.B. einfache Vereinsmitgliedschaft, Teilnahme an Demonstrationen, Informationsveranstaltungen, Verteilung von Flugblättern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung in der Türkei auslösen und dementsprechend nicht Verfolgungsrelevant sind, verhält es sich anders bei Leitern von größeren Demonstrationen und Protestaktionen, den Rednern auf solchen Veranstaltungen oder den Vorstandsmitgliedern von Exilvereinen (vgl. allgemein OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.08.1998 -11 L 7162/95 -). Die Exponiertheit setzt also voraus, dass sich die Betätigung des Asylsuchenden deutlich von derjenigen der breiten Masse abhebt. Dies ist nicht der Fall, wenn der Beitrag des Einzelnen kaum sichtbar ist oder aber, obwohl individualisierbar, hinter zahllosen ähnlichen Beiträgen anderer zurücktritt (Aktivität im Sinne eines "Massenphänomens").
Im Zusammenhang mit der Fernsehübertragung von Demonstrationsteilnahmen oder die Abgabe von Statements im kurdischen Sender Medya-TV gilt Folgendes:
Zahlreiche Personen, die im Zusammenhang mit exilpolitischen Aktivitäten gefilmt oder fotografiert worden sind, können ihre Angelegenheiten ohne Schwierigkeiten in den türkischen Konsulaten regeln. Dies ist auf die unvollständige Auswertung der Berichte und Fotos durch die türkischen Stellen zurückzuführen. Die Erkenntnismittel rechtfertigen nicht die Annahme, alle abgeschobenen Kurden, die auf Demonstrationen gefilmt worden sind, und bei kurzem Kameraschwenk zu erkennen sind, müssten mit Wahrscheinlichkeit nach ihrer Abschiebung eine menschenrechtswidrige Behandlung erwarten. Die Referenzfälle rechtfertigen auch nicht die ernsthafte Befürchtung, auch einfache exilpolitische Aktivitäten und ein kurzes Auftauchen im Bild einer Fernsehsendung machten bei Rückkehr in die Türkei das Risiko menschenrechtswidriger Behandlung wahrscheinlich. 1996 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes insgesamt 6.127 Personen in die Türkei rücküberführt, 1997 dann 6.877 Personen, 1998 schließlich 6.640 und Januar bis Juli 1999 insgesamt 2.992 Personen. Darunter befindet sich ein beachtlicher Anteil von kurdischen Volkszugehörigen, von denen ein großer Teil wiederum an kurdischen Demonstrationen und Festen teilgenommen hat, und die möglicherweise auch kurz ins Bild einer Fernsehsendung genommen worden sind. Angesichts dieser Verhältnisse ist die Zahl der bekannt gewordenen Referenzfälle insgesamt zu gering, um die Sicherheit abgelehnter, in geringem Maße exilpolitisch tätiger kurdischer Asylbewerber bei ihrer Einreise in die Türkei grundsätzlich in Frage zu stellen.
Wenn Kaya (Gutachten vom 20.02.1998 an VG Gelsenkirchen und vom 16.06.1998 an VG Stuttgart) davon ausgeht, dass eine Gefährdung für kurdische erfolglose Asylbewerber bereits im Falle von exilpolitischen Aktivitäten untergeordneter Art oder niedrigen Profils dann erhöht wird, wenn diese in dem PKK-nahen Fernsehprogramm MED-TV (jetzt Medya-TV) zu sehen waren, mag dies zutreffen. Jedoch folgt daraus nicht eine ausnahmslose Gefährdung dieses Personenkreises, denn Kaya hat bereits früher (Gutachten vom 03.04.1996 an VG Neustadt) darauf hingewiesen, dass zahlreiche Personen, die im Zusammenhang mit exilpolitischen Aktivitäten gefilmt oder fotografiert worden seien, ihre Angelegenheiten ohne Schwierigkeiten in den türkischen Konsulaten hätten regeln können. Dies sei auch auf die unvollständige Auswertung der Berichte und Fotos durch die türkischen Stellen zurückzuführen. Zudem weist Kaya in seinem Gutachten vom 16. Juni . 1998 zutreffend auf Folgendes hin: "Nicht gegen alle Personen, die verhört wurden, wurde auch ein Strafverfahren eingeleitet, dies wurde vom Inhalt ihrer Redebeiträge und von den Aussagen während des Verhörs abhängig gemacht". Die Künstler, Schriftsteller, Politiker, die an Sendungen von MED-TV teilgenommen haben und nach ihrer Rückkehr mit strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert worden sind, sind solche, die durch ihre soziale Stellung als "Vervielfältiger" oppositionellen Gedankengutes in besonderem Maße gefährdet waren; so nennt Kaya im Gutachten vom Juni 1998 IHD-Funktionäre, Rechtsanwälte, weitere Intellektuelle und den stellvertretenden HADEP-Vorsitzenden. Allerdings kann - je nach dem, wasüber den Betreffenden in MED-TV gesehen worden ist - die Gefahr der Festnahme und des Verhörs erhöht werden, was stets eine Einzelfallprüfung erforderlich macht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen muss der Kläger bei seiner Rückkehr in die Türkei nicht mit Festnahme, Verhör oder ausgrenzender Verfolgung rechnen.
Zum Fernsehinterview der Ehefrau: Die Ehefrau hat bei der Demonstration im November 2000 in Straßburg ein Statement abgegeben, welches in Medya-TV übertragen wurde. Die Klägerin hat dabei ihren Namen genannt und angegeben, dass sie aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg aus Deutschland komme. Sie hat ausgeführt, sie sei hier, um bei der Entscheidung des Menschenrechtsgerichtes mitzuwirken, damit der Führer Abdullah Öca-lan freikomme. Sie liebten ihn, und es sei ein Zeichen von Liebe und Verbundenheit, dass so viele Menschen dort seien. Die Ehefrau hat Grüße gerichtet von Straßburg nach Imrali und ihren Redebeitrag damit abgeschlossen, dass sie Apo liebe. - Dieses Statement hat keinen kämpferischen politischen Inhalt und hat weder die Ehefrau noch den Kläger selbst oder ein anderes Familienmitglied aus der Menge der Landsleute in separatistischer Hinsicht hervorgehoben. Ideen und Aktivitäten der Ehefrau unterscheiden sich nicht von denen einer großen Anzahl von Landsleuten, die ähnliche Statements abgeben und in Medya-TV übertragen werden. Dieses Statement kann insbesondere nicht als systemkritische Äußerung gewertet werden, die eine Strafverfolgung in der Türkei wegen "Separatismus" wahrscheinlich macht. Auch wenn die Ehefrau bei der Fernsehübertragung in Großaufnahme zu sehen gewesen und auch identifizierbar gewesen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie in den verstärkten Verdacht der türkischen Sicherheitskräfte geraten ist, aktiv separatistische Arbeiten zu leisten. Es handelt sich bei dem Statement der Ehefrau nicht etwa um ein kämpferisches Engagement für ein freies Kurdistan, welches etwa mit Waffengewalt erreicht werden müsse. Zum aktiven Kampf mit Gewalt hat die Ehefrau nicht aufgerufen. Sie hat vielmehr eine eher der Humanität verpflichtete Aussage für den Kurdenführer Abdullah Öcalan abgegeben, der ein faires Verfahren haben solle. Das kurze Statement von weit weniger als einer Minute hat insgesamt keinen Inhalt, den die türkischen Behörden mit strafrechtlichen Mitteln bekämpfen werden. Es besteht auch nicht die Befürchtung, dass die Ehefrau, der Kläger oder ein sonstiges Familienmitglied deswegen außerstrafrechtlich mit asylerheblicher Ausgrenzung oder Folter rechnen muss.
Zum "Fernsehauftritt" des Klägers selbst in Medya-TV: Der Kläger selbst ist bei diesem Festival als Demonstrationsteilnehmer gefilmt worden, wie er ein Bild des Kurdenführers Abdullah Öcalan in die Höhe hält. Er hat keine kurdische Fahne getragen, was ihn in die Nähe ernst zu nehmender kämpferischer Separatisten stellen könnte. Seine von ihm gesprochenen Parolen sind bei der Fernsehübertragung nicht zu verstehen gewesen. Der Kläger ist ungefähr 15 bis 25 Sekunden auf dem Bild zu sehen gewesen. Sein Engagement unterscheidet sich nicht von dem der vielen tausend anderen Demonstranten. Seine Aktivität ist ein typisches "Massenphänomen", das, obwohl individualisierbar, hinter zahllosen ähnlichen Beiträgen anderer zurücktritt. Mit anderen Worten liegt keine Exponiertheit vor, die den Kläger von der breiten Masse abheben würde. Die Gefahr einer asylrechtlich erheblichen Verfolgung bei einer Rückkehr ins Heimatland Türkei ist daher nicht ernsthaft gegeben.
Zu den übrigen exilpolitischen Aktivitäten: Es kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Familie des Klägers in den letzten Jahren an zahlreichen Festivals und Demonstrationen teilgenommen hat. Dies ist weder als solches noch in Verbindung mit den zuvor abgehandelten Aktivitäten von abschiebungsrelevantem Belang. Der Kläger hat bei den Festivals und Demonstrationen weder Ordnertätigkeiten verrichtet noch Reden gehalten. Er war bloßer Teilnehmer. Dies hat er bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Er hat sich damit bei den Demonstrationen nicht von der breiten Masse der übrigen Teilnehmer abgehoben.
Der Kläger hat sich auch sonst weder in speziellen kurdischen Vereinen an vorderster Stelle engagiert noch hat er anlässlich von Festivals oder Demonstrationen besondere Aktivitäten wie etwa Organisation von Reisebussen und Beschaffung von Eintrittskarten entwickelt. Der Kläger ist für seine Landsleute weder besonderer Ansprechpartner noch etwa so etwas wie eine "lokale Größe", die sich für die Interessen der hier lebenden Kurden in besonderer politisch oppositioneller Weise einsetzen würde. Der Kläger ist in politischer oder agitatorischer Hinsicht in keiner Weise herausragend tätig.
Insgesamt haben die exilpolitischen Tätigkeiten des Klägers und der Familie auch unter Berücksichtigung des kurzen Statements der Ehefrau und der Übertragung des demonstrierenden Klägers in Medya-TV kein Gewicht, das eine asylrechtlich relevante Verfolgung im Heimatland befürchten ließe. Jedenfalls bei einer Rückkehr in den Westen der Türkei wird die Familie verfolgungsfrei leben können. Dort wird - selbst wenn die Polizeibehörden in der Heimatregion der Familie den Kläger und seine Ehefrau in Medya-TV individualisiert haben sollten - den Sicherheitskräften die Fernsehübertragung unbekannt sein, sodass für die Familie ein verfolgungsfreies Leben hier ohne weiteres gesichert ist. Die Familie ist im erwerbsfähigen Alter, sodass auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein dauerhaftes Leben unterhalb des Existenzminimums nicht ernsthaft zu befürchten ist.
b.)
Ein Abschiebungsschutz für den Kläger ergibt sich auch nicht wegen seiner Depressionen und der von ihm geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
aa.)
Es kann vom Einzelrichter nicht festgestellt werden, dass der Kläger an einer PTBS leidet.
Bei der so genannten PTBS handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Gemäß der Festlegung im Standard ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation - Kapitel F 43.1 - entsteht die PTBS als eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung, die fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein. Typische Merkmale einer PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks) oder in Träumen, vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit, Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen verbunden, Suizidgedanken sind nicht selten. Die Störung folgt dem Trauma Wochen bis Monate nach, tritt jedoch selten mehr als sechs Monate nach dem Trauma auf. Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, kommt es bei der Feststellung der Störung in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an. Dies erfordert einen längeren Zeitraum der Befassung des Arztes mit dem Patienten. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Es bedarf einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Ausländers hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des imÜbrigen möglichst genau zu definierenden Krankheitsbildes. In einer Konstanzanalyse sind Aussagen zu vergleichen, die zu verschiedenen Zeiten zum selben Sachverhalt gemacht worden sind, und eine Motivationsanalyse ist erforderlich zur Klärung dessen, was dem Patienten zu seinem Vorbringen veranlasst, damit auch interessengeleitete Aussagen, etwa den Aufenthalt in Deutschland zu verlängern, verhindert werden.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen der Ärzte Pralle, Lippmann und Dr. Ohlen werden nicht ansatzweise den methodischen Anforderungen gerecht, die zur Feststellung einer PTBS erforderlich sind. Der Sportarzt Pralle bestätigt dem Kläger im April 2000 lediglich Depressionen, eine Analyse der Depressionen wird jedoch nicht gegeben. Die praktische Ärztin Dr. Ohlen beschreibt Narben am Körper des Klägers, behauptet jedoch eine PTBS nicht. Der Facharzt Lippmann beschreibt im April 2000 die Krankheitssymptome des Klägers und meint, bei einer Rückkehr drohe ihm eine völlige psychische Dekompensation. Die Bescheinigung vom Dezember 2002 beschriebt ebenfalls Symptome. Den Ausgang der Beschwerden sieht der Arzt aufgrund der Angaben des Klägers in traumatischen Erlebnissen in der Türkei ("Nach Angaben des Patienten..."). Damit übernimmt der Arzt unkritisch und angeprüft Angaben des Klägers zu vorgetragenen Ereignissen in der Türkei, ohne sie in Frage zu stellen und auf ihrer Richtigkeit zu überprüfen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers fehlt ebenso wie eine alternative Hypothesenbildung im Hinblick auf die beim Kläger bestehende Symptomatik. Ganz und gar fehlen angesichts dessen, dass Störungen in aller Regel nicht später als ein halbes Jahr nach den Ereignissen auftreten, Überlegungen und Darlegungen des Arztes darüber, ob und ggf. warum die PTBS erst Jahre nach der Ausreise aus der Türkei aufgetreten ist.
Die Stellungnahme der Gesellschaft zur Unterstützung von Gefolterten und Verfolgten e.V. vom 6. November 2000 hinsichtlich der Ehefrau des Klägers ist - obwohl es bei der Klage des Ehemannes hierauf nicht ankommt - ebenfalls ungeeignet, eine PTBS auch nur ansatzweise zu begründen. Wenn die untersuchende Diplompsychologin in der Stellungnahme ausführt, sie halte eine "aufdeckende Befragung" für eine ernste Gefährdung der psychischen Belastbarkeit der Ehefrau, sodass sie - die Diplompsychologin - der Ehefrau aufs Wort glaube, so wird auch dieses Gutachten nicht ansatzweise den Anforderungen gerecht, die an ein Gutachten zur nachvollziehbaren Feststellung einer PTBS zu stellen sind.
Angesichts des Gesamtbildes ist ein Erfordernis, die Frage der PTBS durch das Gericht von Amts wegen durch eine Begutachtung des Klägers zu klären, nicht gegeben. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für die PTBS des Klägers, sodass sich eine Begutachtung als unzulässiger "Ausforschungsbeweis" darstellen würde.
bb.)
Im Hinblick auf die ängstlich-depressiven Störungen des Klägers (die unstreitig vorliegen, aber - wie ausgeführt - die Dimension einer PTBS nicht erreichen) kann ein Abschiebungshindernis nicht angenommen werden. Im Verfahren 3 B 56/00 hat die Kammer im Beschluss vom 7. Dezember 2000 ausgeführt, dass die Erkrankung auch in der Türkei behandelt werden kann. Auch nach dem neuesten Lagebericht des auswärtigen Amtes vom März 2002 ist die Betreuung psychisch kranker Menschen im medizinischen Bereich, soweit hierfür keine Daueraufenthalte in psychiatrischen Kliniken notwendig sind, in den Groß- und Provinzstädten der Türkei sichergestellt. Die Medikamente, die der Kläger einnimmt, können in gleicher oder ähnlicher Zusammensetzung in der Türkei eingenommen werden. Der Kläger muss nicht befürchten, in der Türkei ohne psychiatrische Versorgung zu bleiben. Eine Verschlimmerung des Leidens wegen fehlender Behandlungsmöglichkeit ist deshalb in der Türkei nicht konkret und ernsthaft zu erwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m.§ 708 Nr. 11 ZPO.