Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.01.2003, Az.: 1 A 121/01

Bereicherung; Billigkeit; Billigkeitsentscheidung; Billigkeitsmaßnahme; Entreicherung; Ermessen; finanzielle Leistungsfähigkeit; Fürsorgepflicht; Hinterbliebenenversorgung; Kürzung der Bezüge; Leistungsfähigkeit; Merkblatt; offensichtlicher Mangel; Ratenzahlung; Ruhensbetrag; Ruhestand; Rückforderung; Rückforderungsbescheid; Sorgfaltspflicht; verschärfte Haftung; Versorgungsbezüge; vorzeitiger Ruhestand; Wegfall der Bereicherung; Witwengeld; Witwenversorgung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.01.2003
Aktenzeichen
1 A 121/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48371
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung überzahlten Witwengeldes nach dem Soldatenversorgungsgesetz.

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Nach dem Tod ihres Ehemannes, eines pensionierten Berufssoldaten, im November 1993, beantragte sie mit Schreiben vom 4. Dezember 1993 bei der Beklagten u.a. die Gewährung von Witwengeld. Hierzu wurde ihr vom Wehrbereichsgebührnisamt III mit Schreiben vom 9. Dezember 1993 ein Fragebogen sowie ein Merkblatt für Empfänger von Ruhegehalt, Unterhaltsbeitrag, Witwen-, Witwer- und Waisengeld nach dem Beamtenversorgungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz sowie für Empfänger von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz übersandt.

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Nach Rücksendung des Fragebogens, in dem sie auch den Empfang des Merkblattes bescheinigte, setzte das Wehrbereichsgebührnisamt III mit Bescheid vom 9. Februar 1994 mit Wirkung vom 1. Dezember 1993 für die Klägerin ein Witwengeld fest. Wegen der Tätigkeit der Klägerin beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt in {B.} erfolgte die Festsetzung des Witwengeldes gemäß § 53 SVG, d.h. abzüglich des sogenannten Ruhensbetrages.

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Aufgrund einer schriftlichen Anfrage des Wehrbereichsgebührnisamtes III vom 31. Januar 1995 teilte die Klägerin am 3. Februar 1995 telefonisch mit, dass sie ab 1. April 1995 in den Ruhestand treten werde. Mit Schreiben vom 9. Februar 1995 teilte die Bezirksregierung {C.} dem Wehrbereichsgebührnisamt III ebenfalls mit, dass die Klägerin ab dem 1. April 1995 in den Ruhestand treten werde und dann Versorgungsbezüge erhalte. Auf Anfrage vom 7. März 1995 teilte das Niedersächsische Landesverwaltungsamt dem Wehrbereichsgebührnisamt III mit Schreiben vom 23. März 1995 die Höhe der der Klägerin zu zahlenden Versorgungsbezüge mit.

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Das Wehrbereichsgebührnisamt III berücksichtigte ab 1. April 1995 zwar die Höhe der Versorgungsbezüge der Klägerin, berechnete das ihr zustehende Witwengeld aber weiterhin nach § 53 SVG und nicht nach § 55 SVG. Entsprechende Bescheinigungen über die Berechnung des Ruhensbetrages nach § 53 SVG und die zu zahlenden Versorgungsbezüge gingen der Klägerin jeweils zu.

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Aufgrund der fehlerhaften Berechnung des Witwengeldes nach § 53 SVG vom 1. April 1995 bis zum 31. August 1996 wurde die Klägerin mit Witwengeld in Höhe von 38.314,06 DM brutto überzahlt.

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Mit Schreiben vom 29. Januar 1997 teilte das Wehrbereichsgebührnisamt III diesen Sachverhalt der Klägerin mit und kündigte die Rückforderung des überzahlten Betrages an.

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Die Klägerin teilte daraufhin dem Wehrbereichsgebührnisamt III mit Schreiben vom 10. März 1997 mit, dass sie sich wegen des überzahlten Betrages auf dem Wegfall der Bereicherung berufe. Sie habe zwei aufwendige Reisen unternommen und ihrem Sohn Geldbeträge zur Finanzierung des Studiums und des Lebensunterhalts zukommen lassen, was sie bei Kenntnis der zutreffenden Höhe ihres Witwengeldes nicht getan hätte. Einer verschärften Haftung unterliege sie nicht, da sie von der Fehlerhaftigkeit der Höhe des Witwengeldes keine Kenntnis gehabt habe und sie diese auch nicht habe erkennen können. Sie habe Veränderungen korrekt und zeitgerecht mitgeteilt. Das ihr gezahlte Witwengeld habe auch nicht unter einem gesetzlichen Vorbehalt gestanden.

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Mit Schreiben vom 12. August 1997 legte die Klägerin ihre finanzielle Situation dar. Darüber hinaus wies sie ergänzend darauf hin, dass sie sich, als sie in den vorzeitigen Ruhestand getreten sei, bei einer Sachbearbeiterin des Wehrbereichsgebührnisamtes III nach der Höhe der dann zu erwartenden Witwenrente erkundigt habe. Aus der ihr daraufhin übersandten handschriftlichen Berechnung sei hervorgegangen, dass ihre Witwenversorgung nicht gekürzt werden würde, wenn sie selbst in den vorzeitigen Ruhestand trete. Ihr sei errechnet worden, dass nach Eintritt in den Ruhestand ein Witwengeld in Höhe von 3.731,83 DM gezahlt werde. Exakt diese Beträge seien dann ihr auch ausgezahlt worden, so dass sie nicht die geringsten Anzeichen gehabt habe, dass sie überzahlt werde.

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Mit Bescheid vom 29. Juni 1998 stellte die Wehrbereichsverwaltung III fest, dass die Versorgungsbezüge der Klägerin ab dem 1. April 1995 der Ruhensregelung nach § 55 SVG unterlägen und sie forderte das in der Zeit vom 1. April 1995 bis 31. August 1996 überzahlte Witwengeld in Höhe von 38.314,06 DM brutto zurück, für dessen Tilgung ab 1. August 1998 107 Raten zu 300,- DM, 10 Raten zu 600,- DM (jeweils im Dezember eines Jahres) sowie eine Restrate zu 214,06 DM festgesetzt wurden. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass die Klägerin gemäß § 49 Abs. 2 SVG i.V.m. § 812 ff BGB zur Rückzahlung verpflichtet sei. Auf den Wegfall der Bereicherung könne sie sich nicht berufen, da die Zahlung des Witwengeldes unter dem gesetzlichen Vorbehalt einer Regelung nach § 55 SVG gestanden habe. Darüber hinaus könne sich die Klägerin deshalb nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, weil sie den Mangel des rechtlichen Grundes hätte erkennen müssen. Aus dem ihr übersandten Merkblatt sei klar zu erkennen gewesen, dass beim Bezug von eigenen Versorgungsbezügen eine Berechnung des Witwengeldes nach § 55 SVG zu erfolgen habe. Ein Verzicht oder ein teilweiser Verzicht auf die Rückforderung des Witwengeldes aus Billigkeitsgründen komme trotz des Umstandes, dass sie die Entstehung der Überzahlung nicht vorrangig zu verantworten und nicht unerhebliche finanzielle Belastungen habe, nach Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht in Betracht. Den Belangen der Klägerin sei durch die eingeräumte Ratenzahlung in ausreichendem Maße Rechnung getragen.

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Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein und wiederholte zur Begründung im Wesentlichen ihre Ausführungen anlässlich der Anhörung. Ergänzend wies sie darauf hin, sie sei nur deshalb in den vorzeitigen Ruhestand gegangen, weil ihr erklärt worden sei, dass sich finanziell nichts gravierend ändern würde.

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Ein während des Widerspruchsverfahrens eingeleitetes Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wegen der ratenweise Einbehaltung des Rückforderungsbetrages im Wege der Aufrechnung war vor der Kammer erfolgreich (Beschluss vom 9.9.1998 - 1 B 46/98 -). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtschutz mit Beschluss vom 25. August 2002 (5 M 4527/98) hingegen ab.

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Bereits zuvor wies die Wehrbereichsverwaltung III den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2001 zurück. Zur Begründung wiederholte sie die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

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Am 19. April 2001 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren. Ergänzend weist sie darauf hin, dass sie das überzahlte Witwengeld versteuert habe und den Steuerbetrag nicht zurückfordern könne.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Wehrbereichsverwaltung III vom 29. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Gerichtsakte, den der Gerichtsakte 1 B 46/98 sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht ist nach Widerruf des in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2002 von den Beteiligten geschlossenen Vergleichs befugt, ohne weitere mündliche Verhandlung zu entscheiden, da die Beteiligte hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

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Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

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1. Der Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung III vom 29. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2001 ist insoweit rechtmäßig, als in ihm die grundsätzliche Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung des überzahlten Witwengeldes ausgesprochen worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit ist die Klage unbegründet.

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Rechtsgrundlage für die Rückforderung des Witwengeldes ist § 49 Abs. 2 SVG i.V.m. §§ 812 ff BGB. Danach regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes (§ 819 BGB) steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen (§ 49 Abs. 2 Satz 2 SVG). Die Klägerin hat hier das zurückgeforderte Witwengeld in Höhe von 38.314,06 DM ohne Rechtsgrund erhalten. Denn entgegen der zunächst erfolgten Festsetzung stand ihr Witwengeld der Höhe nach ab 1. April 1995 nicht gemäß § 53 Abs. 2 SVG zu, sondern gemäß § 55 Abs. 2 SVG. Insoweit werden von der Klägerin auch keine Bedenken geltend gemacht.

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Gegenüber ihrer grundsätzlichen Rückzahlungsverpflichtung kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen.

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Die Klägerin unterliegt zum einen gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 2 und § 818 Abs. 4 BGB der verschärften Haftung. Denn Verwaltungsakte, die nach § 53 SVG oder § 55 SVG ergangen sind, gelten als unter einem gesetzlichen Vorbehalt ergangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.12.1968 - 2 C 41.67 -, Buchholz 232 § 158 BBG Nr. 16). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass Ruhensberechnungen - jedenfalls in der Regel - keine endgültigen Bescheide sind und wegen des gesetzlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Versorgung und dem einem Versorgungsempfänger gleichzeitig gezahlten Verwendungseinkommen bzw. später eigenem Versorgungseinkommen den Vorbehalt einer späteren Änderung in sich tragen.

27

Der Berufung auf den Wegfall der Bereicherung steht vorliegend zum anderen entgegen, dass die Klägerin gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB der sogenannten verschärften Haftung unterliegt. Nach diesen genannten Vorschriften tritt die verschärfte Haftung ein, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes für die Zahlung kannte oder wenn der Mangel so offensichtlich war, dass er ihn hätte erkennen müssen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist der Mangel des rechtlichen Grundes als offensichtlich anzusehen, wenn der Beamte ihn nicht erkannt hat, weil er die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen hat, wobei es auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des die Zahlung in Empfang nehmenden Beamten ankommt (vgl. BVerwGE 71, 77/79; OVG Lüneburg, Urteil vom 13.1.1998 - 5 L 3999/95 -). Dabei bedeutet „offensichtlich“ nicht „ungehindert sichtbar“. Offensichtlich ist eine Tatsache vielmehr schon dann, wenn sie der Erkenntnis leicht durch andere als optische Wahrnehmungen zugänglich ist, insbesondere wenn sie durch Nachdenken, logische Schlussfolgerungen oder durch sich aufdrängende Erkundigungen in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 10.12.1991 - 5 L 2583/91 -).

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Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze kann der Klägerin der Vorwurf, die erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen zu haben, nicht erspart werden. Zur Begründung wird insoweit auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 29. Juni 1998 sowie die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2001 Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Der Empfänger von Versorgungsbezügen ist aufgrund der nachwirkenden beamtenrechtlichen Treuepflicht insbesondere gehalten, die ihm ausgehändigten Versorgungsunterlagen zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Aus diesem Grund wird in den Versorgungsmitteilungen regelmäßig auf die Verpflichtung hingewiesen, die Angaben in der Abrechnung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, in Verbindung mit anderen zugegangenen Bescheiden zu vergleichen und schon bei geringfügigen Fehlern oder Zweifel an der Richtigkeit unverzüglich die Besoldungsstelle zu unterrichten. Im Rahmen der automatisierten Versorgungsfestsetzung muss der Empfänger mit der Möglichkeit von Programmfehlern und Datenfalscheingaben rechnen. Dass auch die anweisende oder ausführende Stelle gegen die ihr obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen hat, ist für die Entscheidung, ob der Empfänger einen offensichtlichen Mangel oder die Fehlerhaftigkeit hätte erkennen müssen, ohne Bedeutung. Ferner hat der pensionierte Beamte sich bei etwaigen Unklarheiten oder Zweifeln durch Rückfragen beim ehemaligen Dienstherrn, der auszahlenden Kasse oder der anweisenden Stelle Gewissheit darüber zu verschaffen, ob eine Zahlung zu Recht erfolgt.

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe war vorliegend die fehlerhafte Zahlung des Witwengeldes so offensichtlich, dass die Klägerin sie hätte erkennen müssen. Aus dem ihr mit Schreiben vom 9. Dezember 1993 übersandten Merkblatt, dessen Empfang sie ausdrücklich bestätigt hat, ergab sich unter Abschnitt G sehr deutlich, wann die Höhe der Versorgungsbezüge nach § 53 SVG und wann sie nach § 55 SVG zu regeln war. Zu Beginn des Merkblattes wurde außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses sorgfältig durchzulesen und aufzubewahren ist. Als sich die Klägerin noch im öffentlichen Dienst befand und Einkommen aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst erhielt, wurde das Witwengeld zutreffend gemäß § 53 SVG berechnet und festgesetzt. Dies ergab sich eindeutig aus dem Ruhensbescheid vom 9. Februar 1994 als auch aus den jeweiligen dann nachfolgenden Mitteilungen über die Ruhensberechnung und die Höhe der Versorgungsbezüge. Als die Klägerin am 1. April 1995 in den Ruhestand trat und nunmehr eigene Versorgungsbezüge erhielt, hätte ihr auffallen müssen, dass die Berechnung des Witwengeldes weiterhin nach § 53 SVG erfolgte, wie sich eindeutig aus der „Überschrift“ der jeweiligen Mitteilungen über die Ruhensberechnung und die Höhe der Versorgungsbezüge ergab (eine Festsetzung durch Bescheid erfolgte nicht). Bei nochmaliger Durchsicht des Merkblattes wäre ihr sofort aufgefallen, dass in dem Fall, in dem Versorgungsempfänger aus mehreren Dienstverhältnissen Versorgungsbezüge aus eigenem Recht oder Hinterbliebenenbezüge gewährt wird, sich die Versorgungsbezüge gemäß § 55 SVG regeln. Schon bei einem oberflächlichen Vergleich des Abschnitts G Nr. 2 des Merkblattes mit den Mitteilungen über das Witwengeld hätte der Klägerin auffallen müssen, dass ihre Witwengeldberechnung weiterhin nach § 53 SVG erfolgte, obwohl nach dem Merkblatt § 55 SVG hätte angewendet werden müssen. Auch aus den weiteren Angaben in den Mitteilungen war zu ersehen, dass ihre eigenen Versorgungsbezüge dort als Verwendungseinkommen bezeichnet wurden und nicht - wie zutreffend - als eigene Versorgungsbezüge. Bei dieser Sachlage musste sich eine Nachfrage der Klägerin bei der „Witwengeldstelle“ aufdrängen. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe sich vor ihrem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand beim Wehrbereichsgebührnisamt III erkundigt, wie hoch ihre Hinterbliebenenversorgung nach ihrer Zurruhesetzung sein werde und hierüber schriftlich Auskunft erhalten, ist dies nicht zutreffend. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge (Blatt 149) hat die Klägerin mit Schreiben vom 9. April 1994 lediglich angefragt, wie sich ihr Witwengeld berechnen würde, wenn sie nur noch ihren halben Bruttoverdienst von 3.000,- DM bei einer Halbtagstätigkeit erhalten werde. Allein auf dieser Anfrage hin ist der Klägerin mit Schreiben des Wehrbereichsgebührnisamtes III vom 13. April 1994 eine vorläufige Berechnung des Witwengeldes im Sinne des § 53 SVG übersandt worden.

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2. Der Rückforderungsbescheid der Wehrbereichsverwaltung III vom 29. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2001 ist aber hinsichtlich der gemäß § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG getroffenen Billigkeitsentscheidung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn diese Entscheidung ist ermessensfehlerhaft mit der Folge, dass sie aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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Nach § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung ganz oder zum Teil abgesehen werden. Dem Dienstherrn steht damit ein Ermessen zu, ob und in welchem Umfang er den Beamten zur Rückerstattung einer Überzahlung heranziehen will. Diese Billigkeitsentscheidung bezweckt eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken. Sie ist insbesondere in Fällen der verschärften Haftung bedeutsam. Dabei ist indes nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Berechtigungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern es ist auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners abzustellen. Dafür kommt es nicht entscheidend auf die Lage in dem Zeitraum an, für den die Überzahlung geleistet worden ist, sondern auf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung (so die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 21.9.1989 - 2 C 68.86 -, NVwZ 1990, 670).

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Die Entscheidung der Wehrbereichsverwaltung III, bei der Klägerin hinsichtlich des Rückforderungsbetrages nicht aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen, sondern (nur) eine ratenweise Tilgung zu gewähren, stellt nach den obigen Grundsätzen und den hier gegebenen Umständen eine fehlerfreie Ermessensausübung nicht mehr dar. In dem Bescheid vom 29. Juni 1998 und im Widerspruchsbescheid vom 5. April 2001 wird zwar erkannt, dass die Behörde ein erhebliches Mitverschulden an der Überzahlung trifft. Dieses Mitverschulden, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in die Ermessensentscheidung einzubeziehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.1.1994 - 2 C 19.92 -, NVwZ 1995, 389), ist aber nicht hinreichend gewichtet worden. So ist nicht ausreichend gewürdigt worden, dass sowohl die Klägerin als auch deren Besoldungsstelle das Wehrbereichsgebührnisamt III auf die mit Wirkung vom 1. April 1995 vorgesehene Pensionierung der Klägerin hingewiesen hatten und es allein ein Verschulden der Behörde gewesen ist, dass diese rechtzeitig gegebene Information nicht zutreffend umgesetzt worden ist. Nicht gesehen oder nicht hinreichend berücksichtigt ist in diesem Zusammenhang des Weiteren, dass dem Wehrbereichsgebührnisamt III auch an der Höhe der Überzahlung ein erhebliches Mitverschulden trifft. Denn das Amt hat zum einen selbst an die für die Klägerin zuständige Behörde zweimal zutreffend geschrieben „Nds. Landesverwaltungsamt - Beamtenversorgung -„ und konnte den zwei Antwortschreiben des Nds. Landesverwaltungsamtes vom 21. September und 6. Oktober 1995 auch eindeutig entnehmen, dass die Klägerin der Beamtenversorgung unterlag und Ruhegehalt erhielt. Der ursprünglich einmal gemachte Fehler hat mithin nicht einfach fortgewirkt.

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In den Bescheiden ist schließlich auch die finanzielle Situation der Klägerin für den Zeitpunkt der Rückabwicklung nicht mit dem ihr gebührenden Gewicht in die Ermessensentscheidung eingeflossen. Für die Klägerin sind ihre Lebenshaltungskosten mit Schreiben vom 12. August 1997 umfassend von ihrem Bevollmächtigten dargelegt worden. Daraus lässt sich ersehen, dass die Rückforderung erheblich in die Lebenssituation der Klägerin eingreifen wird. Dies ist in den Bescheiden nicht ausreichend gewürdigt worden. Es wird insbesondere nicht oder nicht hinreichend bedacht, dass die Klägerin schon aufgrund der Berechnung ihres Witwengeldes nach § 55 Abs. 2 SVG monatlich einen deutlich geringeren Betrag zur Verfügung haben wird. Allein dieser Umstand verlangt von der Klägerin eine Reduzierung ihres bisherigen, ihr nicht vorwerfbaren Lebensstandards. Die zusätzliche Belastung mit dem ganz erheblichen Rückforderungsbetrag in Höhe von 38.314,06 DM führt dazu, dass sie selbst bei der ihr eingeräumten ratenweisen Tilgung von monatlich 300 DM (im Dezember 600 DM) ihren bisherigen Lebensstandard einschneidend senken muss und zwar, angesichts der Gesamtsumme, für eine Dauer von über zehn Jahren. Dies ist in den Bescheiden nicht hinreichend gewürdigt worden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß § 124 a i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.