Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 21.01.2020, Az.: S 54 KR 399/19
Erfüllen der Vorgaben der Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" hinsichtlich Vergütungsanspruchs eines Krankenhauses
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 21.01.2020
- Aktenzeichen
- S 54 KR 399/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 13102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
- § 136b Abs. 4 S. 1, 2, 4 SGB V
Tenor:
- 1.
Der Feststellungsbescheid der Beklagten vom 26. August 2019 betreffend die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" wird aufgehoben.
- 2.
Es wird festgestellt, dass am Klinikum der Klägerin die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Kalenderjahr 2020 erfüllt ist.
- 3.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.
- 4.
Der Streitwert wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Krankenhaus der Klägerin für das Kalenderjahr 2020 die Vorgaben der Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" erfüllt.
Die Klägerin betreibt in eigener Trägerschaft ein nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassenes Plankrankenhaus (Klinikum der Stadt Wolfsburg). Das Klinikum ist mit Feststellungsbescheid des Landes Niedersachsen vom 17. Dezember 2018 mit 547 Planbetten, davon 147 Planbetten im Fachgebiet Chirurgie in den Krankenhausplan 2019 des Landes Niedersachsen, ebenso wie bereits in den Vorjahren, aufgenommen.
Im Rahmen der mindestmengenrelevanten Leistungen nach § 136b Abs. 4 Sätze 3 und 4 SGB V hat das Klinikum mit Schreiben vom 1. Juli 2019 an die Beklagten den Bereich "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" (Mindestmengenvorgabe zehn pro Jahr) und drei weitere Bereiche angemeldet. In der Prognosedarlegung für die Mindestmenge 2020 hat sie dort vorgetragen, für das Organsystem Ösophagus (Speiseröhre) werde weiter von einer Erfüllung der Mindestmenge im Jahresverlauf ausgegangen. Im Kalenderjahr 2018 seien zehn entsprechende Operationen durchgeführt worden. Im Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 seien es sechs Leistungen gewesen. Im ersten Halbjahr 2019 seien es bisher vier gewesen. Derzeit seien zwei weitere Patienten in der neoadjuvanten (tumorverkleinernden) Therapie und bereits für eine entsprechende Operation geplant. Schwankungen im Jahresverlauf seien bei derartigen komplexen Eingriffen nicht vermeidbar. Die entsprechenden Leistungsdaten wurden in Anlage übermittelt. Mit Schreiben vom 12. Juli 2019 wurde ergänzend mitgeteilt, es seien derzeit vier weitere Patienten in der neoadjuvanten Therapie.
Unter gemeinsamem Briefkopf antwortete der Beklagte zu 6 mit Schreiben vom 26. Juli 2019. Die Prognose für den angezeigten Leistungsbereich Ösophagus könne nicht nachvollzogen werden, da die Leistungsmenge nach § 4 Abs. 2 Nummer 2 Mindestmengenregelung nicht erfüllt sei. Dem Klinikum wurde Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Informationen bis zum 5. August 2019 nachzureichen.
Mit Schreiben vom gleichen Tag (26. Juli 2019) reagierte das Klinikum und teilte mit, für den kommenden Monat seien vier thorakoabdominale Ösophagusresektionen gemäß Mindestmengenrichtlinie geplant. Unter Nennung der Geburtsdaten der Patienten und den geplanten Aufnahmedaten wurde mitgeteilt, die Operationen seien geplant für den 5., 7., 8. und 9. August 2019. Damit belaufe sich die Anzahl der relevanten Eingriffe in 2019 nach der derzeitigen Planung im Zeitraum 1. Januar 2019 bis 9. August 2019 auf sieben. Es werde davon ausgegangen, dass die Mindestmenge durch weitere Leistungen für den Jahreszeitraum 2019 so wie im Vorjahr erfüllt werden könne. Gerne könnten kurz vor Jahresende 2019 die bis dahin tatsächlich erbrachten Leistungszahlen übermittelt werden.
Am 26. August 2019 erließen die Beklagten einen Feststellungsbescheid, in dem es heißt: "Die Landesverbände der Krankenkassen haben erhebliche Zweifel an der dargelegten Prognose für den Leistungsbereich "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" und widerlegen die Prognose nach § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V."
Ein belastbares Indiz für die Prognose stelle neben der erbrachten Leistungsmenge des Vorjahres (ganzjährig) im Besonderen die aktuelle Leistungsentwicklung anhand der erbrachten Leistungsmengen des zweiten Halbjahres 2018 und ersten Halbjahres 2019 dar. Festzustellen sei, dass die Mindestmenge von zehn Leistungen in dem aktuellen Leistungszeitraum nicht erreicht wurde. Lediglich sechs Leistungen (60 %) seien erbracht worden, die vorgegebene Mindestmenge deutlich um vier Leistungen (40 %) unterschritten. Mit Schreiben vom 26. Juli 2019 habe die Klägerin mitgeteilt, die Anzahl der relevanten Eingriffe in 2019 belaufe sich nach der derzeitigen Planung im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 9. August 2019 auf sieben. Mit den gemeldeten vier Eingriffen würden allerdings acht Leistungen vorliegen. Diese Differenz sei den Beklagten nicht nachvollziehbar und auch vom Klinikum nicht näher erläutert worden. Auch sei nicht plausibel, dass alleine für den Monat August 2019 (und dies innerhalb von fünf Tagen) vier mindestmengenrelevante Operationen geplant wurden. In der Vergangenheit habe sich die Leistungserbringung für "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" regelmäßig auf mehrere Monate verteilt. Eine nähergehende Erläuterung für die unplausible Häufung sei von Seiten des Klinikums nicht zur Verfügung gestellt worden. Das Sozialgericht Berlin habe "in seinem Urteil vom 10. Mai 2019 (Az. S 182 KR 322/19 ER, Rn.Nr. 43ff.) die Relevanz der aktuellsten Leistungszahlen hervorgehoben, da diese am aussagekräftigsten für die anzustellende Prognose sind und verweist ergänzend auf die Rechtsprechung des BSG vom 14.10.2014, welches die Relevanz der jüngsten Werte für die Prognoseentscheidung ebenfalls herausstellt (Az. B 1 KR 33/13 R, Rn.Nr. 52ff)." Das Klinikum der Klägerin habe in dem aktuelleren Zeitraum 2. Halbjahr 2018 / 1. Halbjahr 2019 die erforderliche Mindestmenge von jährlich zehn Leistungen um 40 % (Anzahl: vier) unterschritten und daher nicht erreicht. Auch seien aktuell nur vier Leistungen bis einschließlich Juni 2019 mitgeteilt worden. Eine positive Entwicklung/Erwartung zur Erreichung der Mindestmenge für zehn Leistungen im Jahr 2020 könne daher nicht angenommen werden. Eine bloße Erwartungshaltung möglicher Fälle als Begründung einer positiven Prognose überzeuge nicht (hier vier Fälle im August 2019). Gemäß § 3 Abs. 6 Mindestmengenregelung würden operative Eingriffe nur dann als zählbare Mindestmengenleistungen gelten, wenn die Kodierung der infrage kommenden Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) gemäß Anlage der Mindestmengenregelung zulässig sei. Aufgrund dessen sei die erforderliche Mindestmenge auch bereits im Jahr 2017 um eine Leistung unterschritten worden.
Bei der Prognose sei ein strenger Maßstab hinsichtlich der Erreichbarkeit der Mindestmenge anzulegen. Das sei dem Zusammenhang zwischen der erbrachten Menge und der Qualität der Ergebnisse geschuldet. Damit sei die Mindestmengenregelung ein Instrument der Qualitätssicherung und stringent anzuwenden, um die Patientensicherheit zu gewährleisten. Die mit der Mindestmenge verfolgten Ziele des Patientenschutzes und der Qualitätssicherung seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorrangig gegenüber den wirtschaftlichen und reputativen Interessen des Krankenhauses. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Krankenhaus die erforderliche Mindestmenge voraussichtlich erreicht bzw. nicht erreicht, habe das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2014 folgende Feststellungen getroffen: "Maßgeblich dafür, ob ein Krankenhaus weiterhin Mindestmengenleistungen erbringen darf, ist die Prognose, dass das Krankenhaus die Qualitätsanforderungen in Gestalt der bislang erreichten Mindestmenge voraussichtlich auch im kommenden Jahr nicht unterschreiten wird. Die Prognose setzt ( ) grundsätzlich voraus, dass das Krankenhaus im zuvor abgelaufenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht hat. ( ) Der Regelungszweck bestätigt die Auslegung, dass das Krankenhaus im jeweils bei Jahresbeginn abgelaufenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht haben muss." Nach dieser unmissverständlichen Aussage des BSG sei es zur Erfüllung der Mindestmenge Voraussetzungen, dass das Klinikum die Mindestmenge von zehn im Zeitraum 2. Halbjahr 2018 / 1. Halbjahr 2019 erreicht haben muss, um diese Leistung auch im Folgejahr weiterhin erbringen zu können. Diese Voraussetzung liege beim Klinikum Wolfsburg eindeutig nicht vor. Somit stehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass die erforderliche Mindestmenge von zehn Leistungen im Jahr 2020 nicht erreicht werden wird.
Gegen diesen Feststellungsbescheid hat die Klägerin am 23. September 2019 Klage vor dem Sozialgericht Braunschweig erhoben.
Sie ist der Auffassung, die Beklagten hätten die Prognose der Klägerin nicht widerlegt und das Krankenhaus der Klägerin erfülle die Anforderungen der Mindestmengenregelung. Im Kalenderjahr 2018 sei die Mindestmenge erreicht worden. Die für den 5., 7. und 8. August 2019 geplanten Operationen seien tatsächlich durchgeführt worden und die für den 9. August 2019 geplante Operation am 2. September 2019. Die Beklagten hätten die Meldung der Klägerin vom 26. Juli 2019 nicht ohne Nachfrage vor Bescheiderlass als unplausibel bewerten dürfen. Darüber hinaus seien mindestmengenrelevante Operationen auch am 10. Oktober 2019, 12. Dezember 2019 und 19. Dezember 2019 durchgeführt worden. Insgesamt seien damit elf mindestmengenrelevante Ösophagus-Operationen im Kalenderjahr 2019 durchgeführt worden.
Die Klägerin beantragt:
- 1.
Der Feststellungsbescheid der Beklagten vom 26. August 2019 betreffend die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" wird aufgehoben.
- 2.
Es wird festgestellt, dass am Klinikum der Klägerin die Mindestmengenregelung für die Leistung "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" für das Kalenderjahr 2020 erfüllt ist.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweisen auf den angegriffenen Feststellungsbescheid. Es bestünden keinerlei Zweifel daran, dass für die Darlegung der Prognose die Klägerin beweisbelastet sei. Maßstab für die Entscheidung der Beklagten seien die Tatsachen gewesen, welche den Beklagten bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, nämlich bis zum 26. August 2019 bekannt waren bzw. durch die Klägerin im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgetragen worden sind. Die Klägerin hätte, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 26 der Juli 2019 die positive Prognose infrage gestellt hatte, jede weitere tatsächlich durchgeführte Leistung melden müssen, um die Beklagten von der positiven Prognose zu überzeugen. Da jedoch keine Meldung weiterer tatsächlich durchgeführter Leistungen erfolgte, habe die Beklagte zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung davon ausgehen müssen, dass keine der geplanten Leistungen als mindestrelevante Eingriff ausgeführt worden sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestätige der Regelungszweck die Auslegung, dass das Krankenhaus im jeweils bei Jahresbeginn abgelaufenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge erreicht haben muss. Wie bereits im Feststellungsbescheid ausgeführt, sei es nach dieser unmissverständlichen Aussage des BSG zur Erfüllung der Mindestmenge von komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus Voraussetzung, dass das Klinikum die Mindestmenge von zehn im Zeitraum 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 erreicht haben muss, um diese Leistung auch im Folgejahr weiterhin erbringen zu können. Diese Voraussetzungen lägen beim Klinikum der Klägerin eindeutig nicht vor. Es bleibe zu ergänzen, dass die Klägerin in den vorausgegangenen Jahren immer "gerade so" ihre zehn Leistungen im Kalenderjahr erfüllt habe. Im Jahr 2017 sei die Menge sogar um 1 unterschritten worden.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagen (geführt durch den Beklagten zu 6) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig (§ 136b Abs. 4 Satz 7 SGB V). Ein Vorverfahren ist nicht durchzuführen (aaO Satz 8), eine Klagefrist nicht einzuhalten. Die Klage richtet sich gegen die richtigen Beklagten. Die sechs Beklagten sind die (niedersächsischen) Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen im Sinne des § 136b Abs. 4 Sätze 3 und 6 SGB V. Da die Beklagten zu 1, 3, 4, 5 als einzige ihrer jeweiligen Kassenart in Niedersachsen vertreten sind, nehmen sie zugleich die Aufgaben eines Landesverbandes wahr.
Die Klage ist auch begründet.
Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Das Anfechtungsinteresse ergibt sich für die Klägerin unmittelbar als Empfängerin eines belastenden Verwaltungsakts (Feststellungsbescheid vom 26. August 2019). Der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 2) ist erforderlich, weil ohne eine positive Feststellung die Klägerin für die streitigen mindestmengenbelegten Leistungen ab 1. Januar 2020 keinen Vergütungsanspruch mehr hat (§ 136b Abs.4 Sätze 1 und 2 SGB V i.V.m. § 5 Abs. 5 Mindestmengenregelung). Das Gericht folgt dabei der Rechtsansicht des SG Berlin im von den Beklagten zitierten Beschluss vom 10. Mai 2019 (S 182 KR 322/19 ER) und verweist auf dessen ausführliche Begründung.
Der angefochtene Feststellungsbescheid der Beklagten vom 26. August 2019 ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Gemäß § 136b Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V fasst der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle Patientinnen und Patienten Beschlüsse über ( ) einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Standort eines Krankenhauses ( ). Dem ist der Gemeinsame Bundesausschuss nachgekommen und hat entsprechende Regelungen (Mindestmengenregelung, Mm-R) erlassen. In deren Anlage ist unter Nummer 3 die jährliche Mindestmenge pro Standort eines Krankenhauses für "Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus" auf 10 festgesetzt und spezifiziert, welche Operationen (OPS-Nummern 5-4xx.) mindestmengenrelevant sind.
Wenn die somit erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen entsprechende Leistungen nicht bewirkt werden (§ 136b Abs. 4 Satz 1 SGB V). Einem Krankenhaus, dass die Leistungen dennoch bewirkt, steht kein Vergütungsanspruch zu (aaO Satz 2).
Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung muss der Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr aufgrund berechtigter mengenmäßige Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose) (aaO Satz 3). Satz 5 aaO bestimmt, dass der GBA im Mindestmengen-Beschluss das Nähere zur Darlegung der Prognose regelt. Solche Regelungen hat der GBA in der Mindestmengenregelung getroffen. Ob dort auch Regelungen zu finden sind, die nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt sind, muss hier nicht entschieden werden. Auch bei Anwendung der Mindestmengenregelung hat die Klage in vollem Umfang Erfolg. Das Gericht sieht auch keine Veranlassung, die vom GBA festgesetzten Mindestmengen-Zahlen zu hinterfragen.
Die Klägerin hat ihre Prognose mit den Schreiben vom 1. und 12. Juli 2019 gegenüber den Beklagten formal fehlerfrei abgegeben. Sie hat insbesondere die Formvorgaben des § 5 Mindestmengenregelung eingehalten. Die in § 5 Abs. 3 Satz 1d) Mindestmengenregelung eingeforderten aussagekräftigen Belege waren nicht erforderlich, denn bei der Prognose sollten weder personelle noch strukturelle Veränderungen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung solcher Veränderungen haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt.
Die Klägerin hat im Juli 2019 prognostiziert, dass die erforderliche Mindestmenge auch 2020 (im nächsten Kalenderjahr) erreicht wird. Sie hat das darauf gestützt, dass sie im vorausgegangenen Kalenderjahr (2018) die maßgebliche Mindestmenge von zehn erreicht hat und damit gemäß § 136b Absatz 4 Satz 4 SGB V eine berechtigte mengenmäßige Erwartung in der Regel vorliegt. Auch gehen sie davon aus, dass auch im Kalenderjahr 2019 die Mindestmenge wieder erreicht werde. Auf den schriftlichen Hinweis der Beklagten vom 26. Juli 2019, Letzteres sei nicht nachzuvollziehen, hat sie am 26. Juli 2019 umgehend unter Nennung konkreter Daten vier geplante Leistungsfälle für August 2019 mitgeteilt (siehe oben). Damit wären dann im Kalenderjahr 2019 bis Mitte August bereits sieben Behandlungsfälle mindestmengenrelevant. Es sei deshalb davon auszugehen, dass bis Ende des Jahres die Zahl 10 erreicht werde. Das könne dann auch für 2020 angenommen werden. Die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen (also die hiesigen Beklagten) prüfen gemäß § 5 Abs. 5 Mindestmengenregelung die Prognose und teilen dem Krankenhausträger standortbezogen bis spätestens zum 31. August des laufenden Kalenderjahres das Ergebnis dieser Prüfung mit. Sie können gemäß § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V und § 5 Abs. 6 Satz 1 Mindestmengenregelung bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose widerlegen. Die Widerlegung der Prognose ist den Beklagten mit dem Feststellungsbescheid vom 26. August 2019 nicht gelungen. Zu Recht haben die Beklagten darauf hingewiesen, dass es sich bei den Vorschriften zu den Mindestmengen um ein Instrument der Qualitätssicherung handelt und stringent anzuwenden sind, um die Patientensicherheit zu gewährleisten. Der Zusammenhang zwischen der erbrachten Menge und der Qualität der Ergebnisse ist zumindest statistisch offensichtlich. Bei der Prognose ist deshalb auch nach der Rechtsansicht der erkennenden Kammer ein strenger Maßstab hinsichtlich der Erreichbarkeit der Mindestmenge anzulegen. Der Maßstab darf aber nicht strenger sein als die rechtlichen Vorgaben. Es darf deshalb keinesfalls darauf abgestellt werden, dass die Mindestmengen immer nur "gerade so" erreicht wurden. Auch kann nicht auf die Verfehlung der Mindestmenge um 1 im Kalenderjahr 2017 abgestellt werden. Das vorvorausgegangene Kalenderjahr wird weder im Gesetz noch in der Mindestmengenregelung bei der Betrachtung herangezogen. Bei der Prüfung der Prognose auf begründete erhebliche Zweifel sind zwingend die gesetzlichen Vorgaben, also insbesondere § 136b SGB V, zu beachten. Die Mindestmengenregelungen des GBA dürfen und sollen zwar, können aber nur ergänzend herangezogen werden. Sie gehen dem Gesetz nicht vor. Da das Klinikum der Klägerin die Mindestmenge im (der Prüfung 2019) vorausgegangenen Kalenderjahr 2018 erreicht hat, spricht für sie die Regelvermutung des § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V, wonach aufgrund berechtigter regelmäßiger Erwartungen voraussichtlich auch im nächsten Kalenderjahr (2020) die erforderliche Mindestmenge erreicht wird. Wegen dieser Regelvermutung sind an die Begründung der erheblichen Zweifel an der Prognose höhere Ansprüche zu stellen als wenn diese Regelvermutung nicht greift. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass weder für die Prognose noch für deren Widerlegung auf personelle oder strukturelle Veränderungen am Klinikum der Klägerin abgestellt werden kann. Solche sind, bezogen auf den hiesigen Streitgegenstand, für 2020 nicht geplant oder zu erwarten. Selbstverständlich durften die Beklagten auf die Leistungsentwicklung abstellen. Das ergibt sich insbesondere aus § 4 Abs. 2 Satz 2 Nummer 2 Mindestmengenregelung. Danach sollen auch die letzten vier Quartale in den Blick genommen werden. Selbst der GBA beachtet dabei, dass der Gesetzgeber im SGB V nur auf das vorausgegangene Kalenderjahr abstellt und setzt dieses Kriterium als Nummer 1 aaO. Die Beklagten gehen völlig fehl in der Annahme, nach der unmissverständlichen Aussage des BSG sei es zur Erfüllung der Mindestmenge Voraussetzung, dass das Klinikum die Mindestmenge von zehn im Zeitraum 2. Halbjahr 2018 / 1. Halbjahr 2019 erreicht haben muss. Eine solche Aussage (geschweige denn unmissverständlich) hat das BSG nicht getroffen. Insbesondere nicht im von den Beklagten zitierten Urteil aus 2014. Damals gab es die hier relevanten Regelungen noch gar nicht. Die Beklagten haben den Unterschied zwischen "vorausgegangenes Kalenderjahr" und "vorausgegangene zwölf Monate" nicht beachtet. Da jedoch in den vorausgegangenen zwölf Monaten tatsächlich nur sechs mindestmengenrelevante Operationen durchgeführt wurden, haben die Beklagten zu Recht gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 26. Juli 2019 Zweifel daran angemeldet, dass die Mindestmenge im Jahr 2020 erreicht werden kann. Richtigerweise haben sie die Klägerin deshalb aufgefordert, weitere Informationen nachzureichen. Die Klägerin hat deshalb das Kriterium der Leistungsentwicklung aufgegriffen und konkret unter Nennung der Patientendaten mitgeteilt, dass im August 2019 vier weitere mindestmengenrelevante Operationen geplant sind. Sie ist damit ihrer Darlegungspflicht soweit es ihr möglich war nachgekommen. Den Beklagten war es deshalb verwehrt, ohne weitere Ermittlungen den Vortrag der Klägerin mit Feststellungsbescheid vom 26. August 2019 als unplausibel abzutun. Wegen der konkret mitgeteilten Daten (Operationen Anfang August 2019) lag es auf der Hand, vor Bescheiderlass bei der Klägerin nachzufragen, ob die Operationen tatsächlich wie geplant (und mit den nach der Anlage zur Mindestmengenregelung relevanten OPS) durchgeführt worden waren. Das wäre eine unkomplizierte Verwaltungsmaßnahme gewesen und war den Beklagten auch zuzumuten, denn bei der Prüfung der Mindestmengen-Vorgaben handelt es sich hinsichtlich geplanter "Widerlegungsbescheide" keinesfalls um ein Phänomen der Massenverwaltung. Auch das Gebot der Fairness im Umgang miteinander dürfen die Beklagten wegen der enormen Auswirkungen ihrer Entscheidung(en) nicht aus dem Auge verlieren. Anders hätte es sich nur darstellen können, wenn Klägerin nur eine unspezifische Absichtserklärung abgegeben hätte. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten trägt die Klägerin keine Beweislast dergestalt, konkreten Vortrag zu geplanten Behandlungsfällen mit Belegen beweisen zu müssen. Das ergibt sich bereits aus dem Umkehrschluss aus § 5 Abs. 3 Satz 1d) Mindestmengenregelung, wonach aussagekräftige Belege nur einzureichen sind, sofern personelle oder strukturelle Veränderungen für die Prognose herangezogen werden. Der im Sozialrecht geltende Amtsermittlungsgrundsatz ist hier nicht suspendiert. Da aber auch hier der Amtsermittlungsgrundsatz nicht zu Ermittlungen "ins Blaue hinein" verpflichtet, gilt für die Klägerin selbstverständlich der Beibringungsgrundsatz. Dem ist sie durch die konkrete Datennennung nachgekommen. Die Klägerin konnte nicht ahnen, dass die Beklagten ihren Vortrag anzweifeln. Sie hatte deshalb keine Veranlassung, die Leistungsdaten, welche nach § 301 SGB V (insbesondere Abs. 1 Satz 1 Nr. 6) den Krankenkassen der Versicherten übermittelt wurden auch den Beklagten zu übermitteln. Ohne die Nachfrage stellt sich die angefochtene Entscheidung der Beklagten für die Klägerin als Überraschungsentscheidung dar. Sofern die Beklagten darauf abstellen, sie selbst dürften jedenfalls bei den Krankenkassen die Datensätze nicht anfordern, kann dies nicht als Argument für die unterlassene Amtsermittlung herangezogen werden. Die Beklagten haben selbst mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 gegenüber dem Gericht vorgetragen, Maßstab für die Entscheidung der Beklagten seien die Tatsachen gewesen, welche den Beklagten bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, nämlich bis zum 26. August 2019 bekannt waren bzw. durch die Klägerin im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgetragen worden sind. Noch treffender hat es das BSG in seiner von den Beklagten im Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 zitierten Entscheidung vom 3. August 2016 (B 6 KA 20/15 R) formuliert: "es kommt auf die zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung zu erkennenden Umstände an". Die Umstände müssen zu erkennen, nicht jedoch bewiesen sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheides am 26. August 2019 war zu erkennen, dass auch im Kalenderjahr 2019 die Mindestmenge von zehn wieder erreicht werden kann. Wenn bis zum 9. August sieben mindestmengenrelevante Leistungen erbracht wurden, kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass in den verbleibenden viereinhalb Monaten weitere drei entsprechende Operationen hinzukommen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beklagten selbst im Feststellungsbescheid ausgeführt haben, in der Vergangenheit habe sich die Leistungserbringung für "Komplexe Eingriffe am Organsysteme Ösophagus" regelmäßig auf mehrere Monate verteilt. Selbst wenn tatsächlich sich in der Vergangenheit die Operationen nicht gleichmäßig auf das Jahr verteilt haben, ist das Argument, drei Leistungen in den letzten viereinhalb Monaten des Jahres seien unplausibel, obwohl in den ersten siebeneinhalb Monaten sieben Leistungen erbracht wurden, ein schwaches Argument. Auch das Argument der Beklagten, der Vortrag der Klägerin, es seien innerhalb des Monats August vier komplexe Eingriffe am Organsysteme Ösophagus geplant, sei unplausibel, ist ein schwaches Argument. Dies bereits deshalb, weil unbestritten am Klinikum der Klägerin im Kalenderjahr 2018 zwischen dem 18. April und dem 14. Mai (also innerhalb eines Monats) ebenfalls vier solche Eingriffe durchgeführt wurden. Noch schwächer ist das Argument, die Differenz zwischen sieben und acht für 2019 gemeldeter Fälle sei nicht nachvollziehbar und von der Klägerin nicht näher erläutert. Bei dem "Fehler" der Klägerin dürfte es sich um einen einfachen Übertragungs- oder Schreibfehler handeln. Zur Bewertung von "sieben" siehe oben und "acht" hätte noch mehr für die Klägerin gesprochen. Gegen die Regelvermutung des § 136b Abs. 4 Satz 4 SGB V spricht also einzig der Umstand, dass in der Zeit vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 nur sechs (statt zehn) Komplexe Eingriffe am Organsysteme Ösophagus durchgeführt wurden. Dem wiederum steht die am 26. August 2019 bereits zu erkennende Leistungsentwicklung für das Kalenderjahr 2019 entgegen. Damit lassen sich vielleicht Zweifel, keinesfalls aber erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der von der Klägerin getroffenen Prognose und der Regelvermutung, auch im Kalenderjahr 2020 würden wieder mindestens zehn Komplexe Eingriffe am Organsysteme Ösophagus durchgeführt, begründen. Die Prognose der Klägerin konnte deshalb nicht widerlegt werden. Der angefochtene Feststellungsbescheid war deshalb rechtswidrig und aufzuheben. Die Feststellungsentscheidung des Gerichts ergibt sich zwanglos aus der Aufhebungsentscheidung. Wenn die Prognose nicht widerlegt werden konnte, spricht viel dafür, sie zu bestätigen. Die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bekannten Umstände (auf die es für die gerichtliche Entscheidung ankommt) bieten jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Tenorierung. Ganz im Gegenteil, es steht fest, dass im Kalenderjahr 2019 insgesamt 11 Ösophagus-Operationen durchgeführt wurden und damit wieder die Mindestmenge erreicht wurde. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz. Fast alle bisherigen mindestmengenrelevanten Behandlungsfälle hat die Klägerin mit der Fallpauschale DRG G03A abgerechnet. Für diese beträgt 2019 die Bewertungsrelation 6,768. Der Landesbasisfallwert für 2019 beläuft sich auf 3528,55 EUR. Somit kann von einem ungefähren Rechnungsbetrag von 24.000,00 EUR pro Fall ausgegangen werden. Wenn die Gewinnerwartung der Klägerin mit 25 % angenommen wird, ergibt sich daraus bei prognostiziert zehn Abrechnungsfällen der Streitwert von 60.000 EUR. Abgestellt werden kann dabei nur auf ein Kalenderjahr, weil die Mindestmengenprognose jährlich überprüft wird und sich deshalb die hiesige Entscheidung nur auf das Kalenderjahr 2020 beziehen kann. Das Gericht hat dabei davon abgesehen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur für 2019 bekannten Werte auf 2020 hochzurechnen. In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten gegen diese Rechnung mit zahlreichen Unbekannten keine Einwände erhoben.