Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.02.2019, Az.: L 10 VE 50/15

Trigeminusneuralgie

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.02.2019
Aktenzeichen
L 10 VE 50/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69488
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 17.06.2015 - AZ: S 2 VE 17/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Rechtmäßigkeit eines Versorgungsleistungen ablehnenden Bescheides iS von § 44 Abs 1 S 1 SGB X beurteilt sich nach der zum Zeitpunkt seines Erlasses bestehenden Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (Anknüpfung an die Entscheidung des Senats vom 30.1116 - L 10 VE 26/13 veröffentlicht in juris). Der umstrittene Verwaltungsakt muss sich bei nach rückwärts gewandter Betrachtung als unrichtig erweisen.

Verwaltungsakte, die in Anwendung von § 30 Abs. 2 BVG die besondere berufliche Betroffenheit prüfen, werden nicht automatisch in Anwendung von § 96 SGG Gegenstand von gerichtlichen Verfahren, in denen die Rechtmäßigkeit von Bescheiden überprüft wird, die in Anwendung von § 30 Abs. 1 BVG den Grad der Schädigungsfolgen nach den Auswirkungen in allen Lebensbereichen prüfen.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts

Osnabrück vom 17. Juni 2015 wie folgt geändert:

Der Bescheid des Landes Niedersachsen vom 2. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab Februar 2010 Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 zu gewähren sowie als weitere Schädigungsfolge eine Trigeminusneuralgie festzustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat drei Viertel der Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Höhe des dem Kläger zustehenden Grades der Schädigungsfolgen (GdS) und der Beschädigtenrente nach den Vorschriften des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der im September 1984 geborene Kläger war von Juli 2004 bis Mai 2006 Soldat der Bundeswehr. Bereits vor Antritt seines Dienstes bei der Bundeswehr war bei ihm eine Nasenatmungsbehinderung sowie eine Septumdeviation diagnostiziert worden. Anlässlich einer zahnärztlichen Behandlung entdeckte man bei dem Kläger Verschattungen in den Kieferhöhlen, die als Zysten eingestuft wurden. Am 12. Januar 2006 ließ sich der Kläger im Bundeswehrkrankenhaus H. operieren, um diese Zysten zu entfernen. Noch am Tage der Operation kam es zu starken Blutungen. Diese konnten nur durch die Einlage von Kathetern gestillt werden, die fünf Tage in der Wunde verblieben. Nach Entfernung stellte sich heraus, dass es aufgrund dieser Katheter zu Nekrosen an der Nasenscheidewand gekommen war. Auch eine Perforation der Nasenscheidewand lag vor. In zahlreichen Folgeoperationen mit teilweise durchgeführten Plastiken der Nasenscheidewand sind diese Befunde korrigiert worden.

Der Kläger leitete noch während seiner Zeit bei der Bundeswehr die versorgungsrechtliche Feststellung und Entschädigung der verbliebenen Schäden ein.

Nach Beiziehung von Befunden der behandelnden Ärzte ließ die Versorgungsverwaltung den Kläger durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. I. untersuchen. Anlässlich der Untersuchung am 6. Juli 2006 gab der Kläger an, zurzeit störten ihn am meisten die verbliebenen Narben. Dadurch sei die Nase schief. Er könne nicht mehr riechen und habe auch Schmerzen im Nasenstegbereich. Dr. I. berichtete in seinem Gutachten vom 6. September 2006, der Riechsinn des Klägers sei ausgeprägt eingeschränkt gewesen. Von den angebotenen Riechsubstanzen sei nur eine Substanz richtig erkannt worden – es liege also eine ausgeprägte Hyposmie vor. Als Schädigungsfolgen sah Dr. I. an:

1. Postoperative Septumperforation,

2. operativ bedingter Verlust des Nasenstegs und plastische Rekonstruktion mittels regionalem Insellappen,

3. Verziehung des Nasenstegs nach rechts mit Behinderung der Nasenatmung um 25 %,

4. störende auffällige Narben in der seitlichen, nasalen Wange rechts und im Oberlippenbereich. Die Narben seien hyperplastisch.

Die Schädigungsfolgen hätten einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 vom Hundert zur Folge. Darin sei die Beeinträchtigung des Riechvermögens integrativ enthalten.

Daraufhin erkannte das damals zuständige Land Niedersachsen mit Bescheid vom 22. September 2006 die von Dr. I. herausgearbeiteten Schädigungsfolgen an, setzte in Anwendung von § 30 Abs. 1 BVG eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vom Hundert ab dem 1. Juni 2006 fest und gewährte dementsprechend Beschädigten-Grundrente.

In einem ersten Verschlimmerungsantrag aus dem Juni 2007 wies der Kläger darauf hin, er habe dauerhafte Schmerzen im Nasen– und Wangenbereich. Seine Nase sei nach wie vor trocken und es käme gelegentlich zu Nasenbluten. Durch die Behinderung der Nasenatmung und die trockene Nase komme es zu einer Schlafstörung sowie zu einer unregelmäßigen Atmung im Schlaf. Es liege auch ein Konditionsmangel im Alltag vor. Der Kläger wies in diesem Antrag auch auf seine Benachteiligung durch die auffälligen Narben in der Gesellschaft hin. Zu den bei ihm vorliegenden Schmerzen führte er aus, diese begleiteten ihn täglich und verschlimmerten sich auch wetterbedingt.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme für das Sanitätsamt der Bundeswehr vom 13. August 2007 führte Dr. Dr. J. aus, die vom Land Niedersachsen festgesetzte Leidensbezeichnung könne für einen von der Wehrbereichsverwaltung West zu fertigenden Bescheid übernommen werden.

Mit Berichtigungsbescheid vom 29. September 2007 korrigierte das Land Niedersachsen seinen ersten Anerkennungsbescheid vom 22. September 2006 im Hinblick darauf, dass dieser bereits Leistungen ab dem Januar 2006 gewährt hatte. Insoweit war indessen die Zuständigkeit des Landes Niedersachsen nicht gegeben gewesen.

Zur Aufklärung des Verschlimmerungsbegehrens zog das Land Niedersachsen zunächst einen Befundbericht der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. K. vom 4. Januar 2008 bei. Diese berichtete von einer Riechstörung, noch anhaltenden Schmerzen mit ausstrahlen in die Nasennebenhöhlen, Narbenschmerzen im äußeren Gesichtsbereich, trockener Schleimhaut, Kopfschmerzen, nachts Schlafprobleme wegen trockener Nase trotz Salbe sowie von gehäuftem Nasenbluten aufgrund der sehr trockenen Schleimhaut. Es liege eine Behinderung der Nasenatmung vor.

Sodann veranlasste das Land Niedersachsen die erneute Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. I. (Gutachten vom 5. April 2008). Der Kläger gab anlässlich seiner Untersuchung bei Dr. I. am 10. März 2008 an, ihn störe am meisten, dass jeder denke, er sei ein Schläger beziehungsweise die bei ihm vorliegenden Narben seien Folgen von Schlägereien. Er habe viele Einschränkungen - zum Beispiel könne er nicht Eishockey spielen oder auch allgemein keinen Sport treiben. Diese Einschränkung sei genauso wichtig wie die Erstgenannte. Er habe von Zeit zu Zeit Schmerzen, besonders bei Kälte tue die Nase weh. Er könne auch nicht richtig schlafen. Die Schmerzen seien nicht regelmäßig. Wenn sie aufträten, müsse er aber ein Medikament nehmen. Dr. I. wies darauf hin, der Kläger habe nicht mehr über eine Riechstörung geklagt. Weiter führte der Sachverständige aus, die bogenförmige Narbe auf der rechten Wange des Klägers könne nicht mehr als unästhetisch bezeichnet werden. Die vom Kläger geklagte Schmerzhaftigkeit sei glaubhaft bei äußerer Kälte. Es liege eine Minderdurchblutung durch die mehrfachen Operationen vor. Insgesamt sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit aber gleichgeblieben. Diese Einschätzung wurde vom Ärztlichen Dienst des Landes Niedersachsen in seiner Stellungnahme vom 11. April 2008 für überzeugend gehalten. Er schlug indessen eine Veränderung der Bezeichnung der Schädigungsfolgen vor, die vom Kläger beklagten Schmerzen sollten in die Bezeichnung der Schädigungsfolgen aufgenommen werden.

Daraufhin teilte das Land Niedersachsen dem Kläger mit Schreiben vom 21. April 2008 mit, eine wesentliche Änderung (Besserung) sei in den anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten. Aus medizinischen Gründen ändere sich indessen der Wortlaut der Schädigungsfolgen. Diese wurden sodann im Wortlaut erneut aufgezählt, wobei die Formulierung „glaubhafte Schmerzhaftigkeit in diesem Bereich bei äußerer Kälte. Psychische Belastung.“ mit aufgenommen wurde. Die Riechstörung wurde nicht mehr erwähnt. Diesem „Schreiben“ war keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2009 lehnte das Land Niedersachsen den Antrag des Klägers ab, die bei ihm festgestellte MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit anzuheben.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2009 lehnte das Land Niedersachsen den Neufeststellungsantrag des Klägers von Juni 2007 ab. Es habe keine wesentliche Verschlimmerung festgestellt werden können.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. Februar 2010 beantragte der Kläger bei dem Land Niedersachsen auch die bei ihm zwischenzeitlich festgestellte Gesichtsneuralgie bei der Bemessung der Schädigungsfolgen zu berücksichtigen, woraus sich nach seiner Auffassung eine schädigungsbedingte MdE von mindestens 50 vom Hundert ergebe. Da die Gesichtsneuralgie durchgehend seit der Beschädigung vorliege, sei die Anpassung rückwirkend vorzunehmen.

Zur Begründung dieses Antrags legte der Kläger einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. L. vom 25. November 2009 vor. Dieser hatte bei dem Kläger eine Gesichtsneuralgie diagnostiziert. Seit zwei Jahren liege ein anhaltendes Taubheitsgefühl der unteren Anteile rechtsseitig im Trigeminusast vor. Eine sichere ätiologische Zuordnung sei bisher nicht erfolgt. Sozial lebe der Kläger seit 5-6 Jahren mit seiner Freundin zusammen, zu den Eltern gäbe es einen sehr begrenzten Kontakt. Er sei in Schichtarbeit tätig. Sein Hobby sei der Schießstand – Sport werde weniger betrieben. In der gegenwärtigen Verfassung fühle er sich immer noch deutlich beeinträchtigt, insbesondere durch die rechtsseitig anhaltende Dysästhesie und Taubheit.

Weiter legte der Kläger zur Begründung seines Antrags einen Verlaufsbericht des Schmerztherapeuten Dr. M. vom 7. Januar 2010 vor. Dieser berichtete, der Kläger sei bei ihm seit dem 27. Oktober 2009 in Behandlung. Er stellte folgende Schmerzdiagnosen: Gesichtsschmerz rechts mit neuropathischen Anteilen nach mehrfachen Nasen-OPs, symptomatischer Halbseitenkopfschmerz - differenzialdiagnostisch Spannungskopfschmerz, Thorakale Dysfunktion. Die Attacken seien sehr selten – ca. zwei- bis dreimal im Monat. Der Patient sei nunmehr zufrieden und mit der Medikation komme er gut zurecht.

Das Land Niedersachsen beteiligte seinen Ärztlichen Dienst (Stellungnahme vom 23. Februar 2010) und lehnte mit Bescheid vom 2. März 2010 den Neufeststellungsantrag des Klägers ab.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 16. März 2010 Widerspruch ein. Im Widerspruchsschreiben wies er darauf hin, es habe sich bei seinem Antrag vom 10. Februar 2010 um einen solchen nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X) gehandelt, da er bereits ab Erstfeststellung begehrt habe, die bei ihm vorliegende Gesichtsneuralgie festzustellen. Den früheren Bescheiden liege eine falsche Einschätzung der Sachlage zugrunde. Die Trigeminusneuralgie sei nicht anerkannt worden. Er erleide zwei- bis dreimal im Monat heftige Schmerzattacken. Gegen diese Attacken nehme er bestimmte Medikamente ein. Seit ca. zwei Jahren leide er unter einem anhaltenden Taubheitsgefühl der unteren Anteile rechtsseitig im Trigeminusast.

Im Widerspruchsverfahren gelangte ein Quartalsbericht des Schmerztherapiezentrums Dr. M. vom 8. September 2010 zum Vorgang. Hierin wird nunmehr von dauerhaft brennenden Nasenschmerzen, Beklemmungsgefühlen, Dyspnoe, allgemeiner Erschöpfung, Magenkrämpfen, Schlafstörungen zunehmend mit kompletter Dekompensation, Geruchsinnverlust, rechtsseitig Schläfenkopfschmerz drückend und stechend, Schwellungsgefühl an der Wange und Kribbeln berichtet. Im September 2010 sei ein VAS von 0 unter regelmäßiger schmerztherapeutischer Betreuung zu verzeichnen.

Das Land Niedersachsen veranlasste eine erneute Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch die Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. N. (Untersuchung am 14. September 2010 – Gutachten vom 24. September 2010 mit beigefügter Bilddokumentation). Der Kläger gab anlässlich seiner Untersuchung an, die ausgeprägten Schlafstörungen und Erschöpfungszustände hätten sich in den letzten Jahren entwickelt. Die Gesichtsschmerzen träten rechtsseitig momentan ein- bis zweimal pro Woche auf in einer Stärke von VAS 5-6. Ein Dauerschmerz sei nicht mehr gegeben. Unter Belastung komme es zur Dekompensation. Er befinde sich zurzeit im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen. Nach Abschluss der Lehre sollten noch weitere Operationen zur kosmetischen Korrektur vorgenommen werden. Dr. N. berichtete, es liege eine Beeinträchtigung des Geschmackssinns vor sowie eine deutliche Behinderung der Nasenatmung. Bei der Geruchsprüfung habe der Kläger fünf von zwölf Gerüchen erkannt. Dr. N. bewertete die vorliegende Schmerzstörung mit einem GdS von 30. Das Schmerzsyndrom sei medikamentös zufriedenstellend eingestellt. Nur unter körperlicher oder psychischer Belastung träten ein- bis zweimal pro Woche Schmerzen auf (VAS 5-6), die sich durch Bedarfsmedikation beherrschen ließen. Ein Dauerschmerz liege aktuell nicht mehr vor. Die Nasenatmungsbehinderung habe sich messtechnisch verschlechtert; dies könne mit dem Schleimhautreizzustand zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wies Dr. N. auf den Nikotinabusus des Klägers hin. Insoweit sei ein GdS von zehn zu berücksichtigen. Auch die Geruchsprüfung zeige eine Einschränkung, die ebenfalls mit einem GdS von zehn zu berücksichtigen sei. Zusammenfassend ließen sich die Beeinträchtigungen durch die Nasenatmungsbehinderung, Septumperforation und Riechverminderung mit einem GdS von 20 bewerten. Insgesamt bleibe es daher dabei, dass ein GdS von 40 vorliege.

Daraufhin lehnte das Land Niedersachsen mit Bescheid vom 28. Februar 2011 den Rücknahmeantrag des Klägers ab. Den insoweit aufrechterhaltenen Widerspruch wies es mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2011 zurück.

Den Widerspruch des Klägers im Hinblick auf seinen Verschlimmerungsantrag für die Zukunft wies das Land Niedersachsen ebenfalls mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2011 zurück.

Der Kläger hat am 10. August 2011 Klagen sowohl gegen den Bescheid vom 28. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011, als auch gegen den Bescheid vom 2. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 erhoben. Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat die beiden Klagen mit Beschluss vom 12. Juli 2013 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat es zunächst Befundberichte des Schmerztherapiezentrums Dr. M. sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. L. beigezogen. Weiter hat es einen Befundbericht der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. O. beigezogen. In einer ersten mündlichen Verhandlung am 12. Juni 2013 hat das SG den Kläger persönlich gehört. Dieser hat angegeben, in guten Monaten habe er zwei- bis dreimal Schmerzen. Generell sei dies eher zwei- bis dreimal in der Woche der Fall. Daraufhin hat das SG die Sache vertagt und den Neurologen und Psychiater Dr. P. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 10. September und 8. Oktober 2013 untersucht und sodann sein Gutachten vom 18. März 2014 erstattet. Anlässlich der Untersuchung durch Dr. P. hat der Kläger angegeben, die Beschwerden seien seit 2006 immer gleichgeblieben. Eigentliche Attacken seien jetzt seltener – etwa zwei- bis dreimal im Monat.

Dr. P. ist zu dem Ergebnis gekommen, es habe sich ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Hierbei lägen Dauerschmerzen, wechselnd, aber subjektiv erheblich beeinträchtigend ausgeprägt, mit Gefühlsveränderungen in ausgedehnten Bereichen des Gesichts und teils des Kopfes vor. Der Sachverständige wies in diesem Zusammenhang darauf hin, Hals-Nasen-Ohrenärzte und Gesichtschirurgen seien mit dem Thema einer Trigeminusneuralgie gut vertraut. Vor diesem Hintergrund sei es auffällig, dass diese Diagnose erst spät gestellt worden sei. Das jetzt vorliegende Schmerzsyndrom sei jedenfalls kausal auf die Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen. Weiter wies der Sachverständige auf Umstände in der Psychohistorie des Klägers hin, die zur Entstehung beigetragen haben könnten. Die Symptomatik entspreche den Kriterien einer Trigeminusneuralgie. Es komme zu anfallsartigen Attacken. Es seien keine länger anhaltenden Schmerzen berichtet worden. Der Schmerzcharakter sei teils dumpf bedrückend, teils intensiver trotz Medikation, ausgelöst zum Beispiel durch Kälte. Die Symptome einer schweren Trigeminusneuralgie mit massiver Reaktion auf jegliche Berührung, jeden Lufthauch, auf den Druck der Kleidung, mit Schmerzattacken beim Kauen, die zur Nahrungsverweigerung und zum Abmagern führten und die teilweise auch mit Suizidalität einhergingen bestünden hier nicht. Der Schweregrad sei daher als mittelgradig einzustufen. Der Sachverständige führte aus, es komme bei derartigen Erkrankungen – wie bei dem Kläger – im Verlauf oft nach einem mehr örtlich begrenzten Beschwerdebild zu einer ausgebreiteten und intensiven Schmerzproblematik. Psychische Auffälligkeiten im Sinne einer unabhängigen, konkurrierenden Ursache hätten nicht nachgewiesen werden können. Primär krankheitswertige Auffälligkeiten der Persönlichkeit hätten sich bei der umfangreichen testpsychologischen Untersuchung nicht gezeigt. Die Trigeminusneuralgie müsse in Anwendung von Abschnitt B 2.2 der VMG als mittelgradig angesehen werden. Bei dem dort gegebenen Ermessensspielraum von 20-40 sehe er eine Bewertung allein für die Trigeminusneuralgie mit 30 als angemessen an. Insgesamt müssten die Schädigungsfolgen nach wie vor mit einem GdS von 40 bewertet werden (vgl. auch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 20. Januar 2015).

In dem Zeitraum vom 28. Oktober bis zum 9. Dezember 2014 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsbehandlung in Bad Q. (Entlassungsbericht vom 8. Januar 2015). Anlässlich der Untersuchung dort hat der Kläger angegeben, er empfinde bei Kälte Schmerzen im Narbenbereich. Seine Narben seien reizlos. Er könne nicht riechen.

Die Deutsche Rentenversicherung hat dem Kläger mit Bescheid vom 25. Februar 2015 für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2017 befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt.

Das SG hat mit Urteil vom 17. Juni 2015 den Bescheid vom 28. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 sowie den Bescheid vom 2. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 geändert und die beklagte Bundesrepublik verurteilt, dem Kläger Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 50 ab dem 1. Juni 2006 zu gewähren sowie die bei dem Kläger vorliegende Trigeminusneuralgie als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen.

Zur Begründung hat das SG – nach Darlegung der hier zu Grunde zu legenden Rechtsvorschriften – ausgeführt, es folgte in der Einschätzung der Sachlage vollständig dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P.. Dieser habe indessen den Bewertungsrahmen für die Einstufung einer Trigeminusneuralgie verkannt. Die bei dem Kläger vorliegende Trigeminusneuralgie sei nach den – auch von Dr. P. zugrunde gelegten Kriterien - als eine solche schweren Grades einzustufen. Der Sachverständige habe offenbar die Stufe „schweren Grades“ mit der Stufe „besonders schwerer Grad“ verwechselt.Daher sei hier allein für die „Trigeminusneuralgie“ ein GdS von 50 zugrunde zu legen.

Die nunmehr Beklagte hat gegen das ihr am 18. August 2015 zugestellte Urteil am 14. September 2015 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, das SG habe die hier anzuwendenden Vorschriften falsch angewendet. Es könne nicht festgestellt werden, dass das vormals zuständige Land Niedersachsen bei dem Erlass seiner Bescheide von einer falschen Sachlage ausgegangen sei oder das Recht falsch angewendet habe.

Die beklagte Bundesrepublik beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die erstinstanzliche Entscheidung und verteidigt sie.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (fünf Bände) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet in Anwendung von § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Die Beklagte ist in dem ursprünglich gegen das Land Niedersachsen geführten Verfahren passiv legitimiert. Mit Gesetz vom 15. Juli 2013, BGBl. I 2416, ist u.a. § 88 SVG mit Wirkung zum 1. Januar 2015 mit der Folge neu gefasst worden, dass ab dem Inkrafttreten der Neuregelung für die Durchführung der Versorgung nach dem SVG für die Zeit nach dem Ende des Soldatenverhältnisses – Nachdienstversorgung – die Bundeswehrverwaltung zuständig ist. Zwar enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung zu der Frage, welche Auswirkungen die Neuregelung für etwaige Leistungsansprüche auf Nachdienstversorgung für die Zeit vor dem 1. Januar 2015 entfalten soll. Auch die Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 17/12956, schweigen dazu. Gleichwohl ist im Hinblick auf das erklärte Gesetzesziel einer zukünftig nur noch einheitlichen Bearbeitung der Soldatenversorgungssachen (vgl. BT-Drs. 17/12956, S. 1 Buchstabe A. "Versorgung aus einer Hand"), davon auszugehen, dass die Bundeswehrverwaltung auch für die Bearbeitung von streitigen Ansprüchen auf Nachdienstversorgung für die Zeit vor dem 1. Januar 2015 zuständig sein sollte, zumal selbst für die Zeit vor der Gesetzesänderung Leistungen durch die Länder nur im Auftrag und auf Kosten des Bundes erfolgten (vgl. § 88 Abs. 1, 8 und 9 SVG in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung). Mit Wirkung zum 1. Januar 2015 ist deshalb ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel mit der Folge eingetreten, dass Beklagte im vorliegenden Verfahren nur noch die Bundesrepublik Deutschland ist, die sich daher auch die Bescheide des Landes Niedersachsen zurechnen lassen muss.

Das SG hat in seinem hier angefochtenen Urteil vom 17. Juni 2015 zu Unrecht den Bescheid vom 22. September 2006 in der Gestalt, die er durch den Berichtigungsbescheid vom 21. April 2008 gefunden hat in Anwendung von § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X) für die Vergangenheit korrigiert. Insoweit war die erstinstanzliche Entscheidung auf die Berufung des Beklagten zu ändern. Das SG hat der Klage indessen zu Recht stattgegeben, soweit es den Bescheid vom 2. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 aufgehoben hat und das beklagte Land verurteilt hat, die Schädigungsfolgen des Klägers ab Februar 2010 mit einem GdS von 50 zu bewerten, ihm dementsprechend Beschädigtenrente zu gewähren sowie eine Trigeminusneuralgie als weitere Schädigungsfolge festzustellen.

Das SG hat die hier zugrunde zu legenden Rechtsgrundlagen zutreffend bezeichnet und erläutert. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts auf Blatt 8 bis 11 der Urteilsausfertigung.

1. Streitgegenstand in diesem Verfahren ist zunächst der Bescheid vom 28. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011, mit dem das Land Niedersachsen als Rechtsvorgänger des Beklagten die Rücknahme des Bescheides vom 22. September 2006 in der Gestalt, die er durch den Berichtigungsbescheid vom 21. April 2008 gefunden hat (dazu nachstehend unter 3.). Streitgegenstand ist darüber hinaus der Bescheid des Landes Niedersachsen vom 2. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 mit dem die Neufeststellung der bei dem Kläger vorliegenden Schädigungsfolgen in Anwendung von § 48 SGB X für die Zeit ab Februar 2010 abgelehnt wird (dazu nachstehend unter 4.).

2. Nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens sind die Bescheide vom 13. Oktober 2009 sowie vom 3. Februar 2016, mit denen das Land Niedersachsen beziehungsweise die beklagte Bundesrepublik die Höherbewertung der bei dem Kläger vorliegenden Schädigungsfolgen wegen besonderer beruflicher Betroffenheit in Anwendung von § 30 Abs. 2 BVG abgelehnt haben. Dies ergibt sich zunächst schon aus dem erstinstanzlich gestellten Antrag, der diese Bescheide nicht einbezogen hat.

Die Einbeziehung dieser Bescheide in den Streitstoff dieses Verfahrens ergibt sich auch nicht aus der Anwendung von § 96 SGG. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt nur Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Die beiden Bescheide vom 13. Oktober 2009 sowie vom 3. Februar 2016 haben die hier streitgegenständlichen Bescheide gerade nicht geändert, sondern es vielmehr bei dem darin festgestellten GdS belassen. Sie befassen sich bei der Prüfung, ob in der Person des Klägers die Voraussetzungen für eine Erhöhung des ihm zuzuerkennenden GdS in Anwendung von § 30 Abs. 2 BVG vorliegen auch mit Rechtsfragen, die von den Beteiligten dieses Verfahrens und den hier angefochtenen Bescheiden nicht thematisiert werden. Auch aus dem Wortlaut des Bescheides vom 22. September 2006 ergibt sich, dass darin nur § 30 Abs. 1 BVG geprüft und beschieden werden sollte. Nur insoweit hat der Bescheid regelnde Wirkung entfaltet, die von der Verwaltung in Anwendung von § 44 SGB X auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden konnte. Allein dies kann also nun auch vom Senat auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden.

3. Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und damit Streitgegenstand dieses gerichtlichen Verfahrens - soweit es um die Korrektur der in der Vergangenheit bindend gewordenen Bescheide geht - ist allein die Korrektur des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 22. September 2006 in der Gestalt, die er durch den Berichtigungsbescheid vom 21. April 2008 gefunden hat.

Dabei geht der Senat davon aus, dass der ursprüngliche, anerkennende Bescheid vom 22. September 2006 durch das Schreiben des Landes Niedersachsen vom 21. April 2008 insoweit geändert worden ist, als die Schädigungsfolgen neu bezeichnet worden sind. Hierin liegt eine Regelung des Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, die auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist – mithin ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X. Nicht geändert worden ist der Bescheid vom 22. September 2006 durch den Bescheid des Landes Niedersachsen vom 14. Oktober 2009, mit dem dieses einen ersten Neufeststellungsantrag des Klägers abgelehnt hat.

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb u.a. Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Rechtmäßigkeit des höhere Versorgungsleistungen – nämlich die Feststellung eines höheren GdS und die Gewährung einer höheren Beschädigtenrente - ablehnenden Bescheides vom 22. September 2006 im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X beurteilt sich nach der zum Zeitpunkt seines Erlasses bestehenden Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (Senatsentscheidung vom 30. November 2016 L 10 VE 26/13 veröffentlicht in juris dort Rn 89 sowie in ständiger Rechtsprechung; vgl. auch BSG Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 47/01 R = SozR 3-2600 § 300 Nr. 18; Schütze in von Wulfen/Schütze, SGB X, 8. Auflage § 44 RdNr. 10; Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr. 38; Heße in Beck OK § 44 SGB X RdNr. 14; Hess LSG, Urteil vom 23. August 2013, L 5 R 359/12). Aus dem Wortlaut von § 44 SGB X ergibt sich als Voraussetzung der Rücknahme, dass sich der umstrittene Verwaltungsakt bei nach rückwärtsgewandter Betrachtung als unrichtig erweisen muss. Die damalige Entscheidung ist nun im gerichtlichen Verfahren daraufhin zu überprüfen, ob das beklagte Land zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass es mit seinem früheren, bindend gewordenen Bescheid den Anspruch des Klägers zu Unrecht abgelehnt hat (vgl. BSG Urteil vom 16. Mai 2001 B 5 RJ 26/22 R = SozR 3-2600 § 243 Nr. 8).

Vor diesem Hintergrund war vom erkennenden Gericht zu prüfen, ob das beklagte Land bei Erlass seines zuletzt bindend gewordenen Bescheides im April 2008 das Recht falsch angewendet oder einen falschen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat.

In Betracht kommt hier die Alternative, dass die Versorgungsverwaltung bei der Bewertung der bei dem Kläger vorliegenden und festzustellenden Schädigungsfolgen unter Berücksichtigung der Maßstäbe der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) in der Weise falsch vorgegangen ist, dass nunmehr nachträglich festgestellt werden kann, dass schon damals ein GdS von 50 hätte festgestellt werden müssen. Dies kann der Senat indessen nicht feststellen.

Er stützt sich bei seiner Bewertung auf die Auswertung der aus der damaligen Zeit vorliegenden medizinischen Befunde. Bei sorgfältiger Durchsicht dieser Unterlagen ergibt sich für den Senat, dass sich die Schmerzbeschwerden des Klägers, die letztlich auf die Operation am 12. Januar 2006 und die sich daraus ergebenden Folgen zurückzuführen sind, im Lauf der Zeit verändert und insbesondere gesteigert haben. Dem hat das Land Niedersachsen auch bereits in seinem die Bezeichnung der Schädigungsfolgen verändernden Bescheid vom 21. April 2008 insoweit Rechnung getragen, als es nunmehr die verbliebenen Schmerzen gesondert als Schädigungsfolge aufgenommen hat. Dies war auch zum damaligen Zeitpunkt zutreffend.

Zeitnah zu diesem letzten Bescheid war der Kläger am 10. März 2008 von Dr. I. untersucht worden. Insoweit war für den Senat auffällig, dass der Kläger selbst angegeben hatte, ihn störe am meisten das Vorhandensein der Narben und dass dies jedermann dazu veranlasse zu vermuten, er sei ein Schläger. Weiter hat der Kläger anlässlich dieser Untersuchung darauf hingewiesen, er unterliege vielen Einschränkungen, zum Beispiel könne er kein Eishockey spielen oder allgemein Sport treiben. Dies sei genauso wichtig wie seine Herabsetzung in den Augen der Öffentlichkeit durch die sichtbaren Narben. Zu seinen Schmerzen hat der Kläger anlässlich dieser Untersuchung nur angegeben, er habe von Zeit zu Zeit Schmerzen – besonders bei Kälte tue ihm die Nase weh. Die Schmerzen seien nicht regelmäßig.

Diese Darstellung des Klägers passt auch zu den Schilderungen der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. K. in ihrem Befundbericht vom 4. Januar 2008. Darin hat diese angegeben, es lägen noch anhaltende Schmerzen mit Ausstrahlen in die Nasennebenhöhlen sowie auch Schmerzen im äußeren Gesichtsbereich vor. Auch anlässlich der ersten Untersuchung durch Dr. I. hat der Kläger ein ganz ähnliches Beschwerdebild geschildert.

Dieses Bild differiert aber ganz erheblich von dem, was der Kläger in einer späteren Phase hinsichtlich der nunmehr bei ihm vorliegenden Trigeminusneuralgie angibt. Auch Taubheitsgefühle in der unteren Gesichtshälfte hat er zu diesem Zeitpunkt noch nicht berichtet. Mithin kann der Senat nicht feststellen, dass die Schmerzerkrankung des Klägers im Gesicht bereits im April 2008 oder zu einem früheren Zeitpunkt ein Maß erreicht hatte, welches es gebieten würde einen GdS von 50 anzunehmen.

Auch der Senat bezieht sich insoweit auf Abschnitt B 2.2 der VMG. Angesichts des gerade geschilderten Bildes kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass eine mittelgradige Gesichtsneuralgie in diesem Sinne vorgelegen hat. Hierunter werden häufigere, leichte bis mittelgradige Schmerzen, die schon durch geringe Reize auslösbar sind, verstanden. Vor dem Hintergrund dieses Rahmens kann der Senat nicht feststellen, dass die damals ärztlich vorgenommene Einschätzung falsch war. Die damaligen, bindend gewordenen Bescheide können daher nicht in Anwendung von § 44 SGB X aufgehoben werden.

4. Das SG hat indessen zu Recht in Anwendung von § 48 SGB X den Bescheid des Landes Niedersachsen 2. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2011 aufgehoben und das beklagte Land verurteilt, die Schädigungsfolgen des Klägers ab Februar 2010 mit einem GdS von 50 zu bewerten, ihm dementsprechend Beschädigtenrente zu gewähren sowie eine Trigeminusneuralgie als weitere Schädigungsfolge festzustellen.

Die sich aus § 48 Abs. 1 SGB X ergebenden Voraussetzungen für die Festsetzung eines höheren GdS als 40 unter Abweichung von der bisher verbindlichen Feststellung in dem bestandskräftigen Bescheid des Landes Niedersachsen vom Bescheid vom 22. September 2006 in der Gestalt des ändernden Bescheides vom 21. April 2008 liegen vor. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die für die Neufestsetzung erforderlich ist, ist im Sinn des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wesentlich, wenn sie zu der Festsetzung eines um wenigstens 10 höheren GdS führt. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG sind die Auswirkungen der Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Eine von dem Bescheid vom 22. September 2006 in der Gestalt des ändernden Bescheides vom 21. April 2008 abweichende Festsetzung mit einem höheren GdS als 40 kommt deshalb nur in Betracht, wenn der GdB nunmehr auf wenigstens 50 festzusetzen ist. Unter Berücksichtigung der Veränderungen des Gesundheitszustandes des Klägers gegenüber dem Zustand von 2008 ist die Feststellung eines GdB von wenigstens 50 indessen geboten.

Die Einschätzung des GdS erfolgt in Anwendung der auf der Grundlage des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VMG). Die Grundsätze der Anlage, die als antizipierte Sachverständigengutachten ein in sich geschlossenes Bewertungsgefüge darstellen, sind im Interesse der Gleichbehandlung der behinderten Menschen der Einschätzung des Grades der Behinderung zugrunde zu legen. Der GdB bemisst sich nach § 30 Abs. 1 BVG nicht nach dem Schweregrad einer Gesundheitsstörung, sondern nach dem Ausmaß der Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung auf alle Lebensbereiche.

Die Bemessung des GdS ist – worauf schon das SG zutreffend hingewiesen hat - nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. Urteil vom 29. November 1956 Az.: 2 RU 121/56, BSGE 4, 147, 149 f; Urteil vom 9. Oktober 1987, Az.: 9a RVs 5/86, SozR 3870 § 3 Nr. 26; Urteil vom 30. September 2009, Az.: B 9 SB 4/08 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 m.w.N.; Urteil vom 25. Oktober 2012, Az.: B 9 SB 2/12 R). Hierfür benötigt das Gericht nur insoweit sachverständigen Rat, als es um die Feststellung von Gesundheitsstörungen oder des Umfangs der von ihnen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen geht.

Insoweit hatte Senat bei sorgfältiger Durchsicht der ärztlichen Berichte seit Stellung des Antrages nach § 48 SGB X im Februar 2010 festgestellt, dass die Beschwerden des Klägers so beträchtlich zugenommen haben, dass sie nunmehr in Anwendung von Abschnitt B 2.2 der VMG als schwer zu bezeichnen sind und daher mit einem GdS von 50 bewertet werden müssen.

So schildert Dr. L. in seinem Arztbrief vom 25. November 2009 ein seit zwei Jahren anhaltendes Taubheitsgefühl im rechtsseitigen Trigeminusast. Hiervon war weder im Gutachten von Dr I. vom 5. April 2008 noch im Befundbericht von Dr. K. vom 4. Januar 2008 die Rede gewesen. Dr. M. schildert in seinem Verlaufsbericht vom 7. Januar 2010 seltene Attacken, die ca. zwei- bis dreimal im Monat vorkommen. Anlässlich der Begutachtung durch Dr. N. am 14. September 2010 hat der Kläger angegeben, das habe sich in den letzten Jahren entwickelt. Momentan träten rechtsseitig ein- bis zweimal pro Woche Gesichtsschmerzen auf. Ein Dauerschmerz sei nicht mehr gegeben. Allerdings komme es bei Belastung zu einer Dekompensation. Auch anlässlich der Untersuchung durch Dr. P. hat der Kläger angegeben, es komme zwei- bis dreimal im Monat zu Schmerzattacken. Dr. P. hat auch ausgeführt, es komme bei derartigen Erkrankungen im Verlauf oft nach einem mehr örtlich begrenzten Beschwerdebild zu einer ausgebreiteten und intensiven Schmerzproblematik. Dies passt für den Senat zu der Entwicklung, wie er sie aus den über den Kläger vorliegenden ärztlichen Berichten und Gutachten entnehmen kann. Er kann daher nach Auswertung der medizinischen Unterlagen feststellen, dass es zwischen 2008 und 2010 zu einer Zunahme der Beschwerden des Klägers gekommen ist, die es nunmehr gebieten, ab der Stellung des Neufeststellungsantrags im Februar 2010 davon auszugehen, dass nunmehr eine schwere Gesichtsneuralgie mit häufigen, mehrmals im Monat auftretenden starken Schmerzen bzw. Schmerzattacken vorliegt. Er kann indessen nicht feststellen, dass es sich bereits um eine besonders schwere Gesichtsneuralgie mit starkem Dauerschmerz oder Schmerzattacken mehrmals wöchentlich handelt. In dem so zur Verfügung stehenden Bewertungsrahmen (GdS zwischen 50 und 60) hat das SG zutreffend die noch etwas geringere Bewertung gewählt. Angesichts des schwankenden Vortrags des Klägers hinsichtlich der Häufigkeit und der Schwere der Schmerzattacken bei seinen behandelnden Ärzten und den beteiligten Sachverständigen kann sich der Senat nicht die Überzeugung bilden, dass hier eine Schwere vorliegt, die eine Bewertung mit einem GDS von 60 rechtfertigen würde.

Die weiteren bei dem Kläger vorliegenden und auf das schädigende Ereignis zurückzuführenden Funktionsbeeinträchtigungen sind von dem Sachverständigen Dr. P. zutreffend eingestuft worden. Eine weitere Anhebung des GdS war – auch unter Berücksichtigung dessen, dass schon vor dem schädigenden Ereignis eine Behinderung der Nasenatmung vorgelegen hat - nicht geboten.

Der Senat hält es in Auswertung des Gutachtens von Dr. P., der das Vorliegen einer Trigeminusneuralgie bestätigt hat, für geboten, dies auch ausdrücklich als Schädigungsfolge festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §193 SGG. Der Senat hat insoweit das Maß des Obsiegens und Unterliegens im Gesamtverfahren berücksichtigt.

Eine Zulassung der Revision bedurfte es in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG nicht.